Protocol of the Session on October 12, 2007

Diese Entwicklung wird weitreichende Folgen für die Produkt-, Kapital-, Immobilien- und Dienstleistungsmärkte haben. Sie wird ebenso Auswirkungen auf die Finanz-, Bildungs-, Sozial- und Zuwanderungspolitik von Bund, Ländern und Kommunen haben. Darüber hinaus stellt sie den Arbeitsmarkt vor neue Herausforderungen. Deshalb begrüßen wir

(Angelika Birk)

es, dass CDU und SPD mit ihrem Antrag die Herausforderungen des demografischen Wandels für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein heute auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Aus Sicht des SSW geht es nicht darum, immer nur den Untergang des Abendlandes heraufzubeschwören, wie es in der Populärpresse gang und gäbe ist, wenn das Thema demografischer Wandel angesprochen wird. Wir müssen uns vielmehr endlich auch einmal mit den Chancen und Möglichkeiten beschäftigen, die sich aus dieser Entwicklung gerade für Schleswig-Holstein ergeben können.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Diese Entwicklung vollzieht sich ja nicht von heute auf morgen. Es ist vielmehr ein Prozess, der sich über 30 Jahre fortsetzen wird. So viel kann man heute wohl schon sagen. Deshalb geht es darum, zum Wohle des Landes aktiv in diesen Prozess einzugreifen. Zum einen muss die Politik die Unternehmen dabei unterstützen, den demografischen Faktor in ihr Personalmanagement und in die Unternehmensentwicklung mit einzubeziehen. Obwohl mehr als 70 % aller Unternehmen bekannt ist, dass in den nächsten zehn Jahren der Anteil der über 55-Jährigen in den Betrieben stark zunehmen wird, sind nur wenige Firmen bereits dabei, hinreichende Lösungskonzepte zu erarbeiten und ein entsprechendes Personalmanagement zu betreiben. Die Landesregierung sollte Programme anbieten, die die Unternehmen dabei unterstützen, eine alterausgewogene Personalpolitik zu entwickeln. Es ist ja richtig, dass nur diejenigen Wirtschaftstandorte attraktiv bleiben werden, die auch in Zukunft über ein ausreichendes und gut ausgebildetes Arbeitskräfteangebot verfügen.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu gehört auch, dass Schleswig-Holstein ein qualitativ hochwertiges Schul- und Hochschulsystem vorhält und dass man eine ideologiefreie Einwanderungspolitik betreibt.

Darüber hinaus ist es natürlich - wie auch im Antrag angesprochen - wichtig, dass die Landesregierung gerade die kleinen und mittleren Unternehmen dabei unterstützt, neue Geschäftsfelder, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben, zu erschließen. Die Gesundheitswirtschaft, die Kulturwirtschaft, der Bereich Life Science und die Bildungseinrichtungen sind Bereiche, in denen wir in Schleswig-Holstein einer älter werdenden Gesellschaft viel zu bieten haben. Davon sollten gerade

unsere Unternehmen in Zukunft noch mehr als bisher profitieren.

Im Antrag fehlt mir allerdings ein wichtiger Punkt. Gerade im Tourismusbereich dürfte der demografische Wandel große Möglichkeiten für uns im Lande bieten. Ältere Menschen werden in Zukunft mehr verreisen. Sie sind fit und stellen große Anforderungen. Angesichts dieser großen Anforderungen macht es dann durchaus Sinn, auch Projekte wie Kulturpromenaden zu fördern. Das ist die Infrastruktur, die gerade von dieser Klientel nachgefragt wird. Insofern sind es schon zukunftsträchtige Investitionen, wenn man diese Infrastruktur in den Kurorten entsprechend unterstützt.

(Beifall beim SSW)

Was liegt also näher, als dass Schleswig-Holsteins Tourismuswirtschaft sich gerade bei diesen Best Agern profiliert und sich quasi als Florida Deutschlands positioniert, um ältere Menschen anzuziehen? Wir haben schöne Landschaften, zwei Meere und viel frische Luft. Was uns aber immer noch fehlt, sind vernünftige touristische Strukturen, die sich auf die veränderten Urlaubsanforderungen, welche sich durch den demografischen Wandel ergeben werden, einstellen. Gleiches gilt übrigens auch, wenn man daran denkt, dass diese begüterten Schichten durchaus ihren gesamten Lebensabend hier bei uns verbringen könnten. Das hat dann etwas mit kommunaler Bauplanung zu tun. In diesem Bereich sehen wir auch große Chancen für unsere Wirtschaft. Deshalb ist der demografische Wandel nicht nur eine Herausforderung, sondern insbesondere für uns in Schleswig-Holstein auch eine Chance, die wir nutzen sollten. Mit dem demografischen Wandel kann man auch Geld verdienen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Für die Landesregierung hat nun der Wirtschaftsminister, Herr Dietrich Austermann, das Wort.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt erzählen Sie uns, wie Sie in die Puschen kommen wollen!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete, Sie sagen, wir sollen in die Puschen kommen. Wenn ich Ihre Kollegin richtig verstanden habe, so haben Sie die Themen bereits Anfang

(Lars Harms)

der 90er-Jahre angepackt. Dann müsste doch eigentlich alles gelöst sein. Insofern weiß ich gar nicht, vor welchen Aufgaben wir noch stehen.

Nein, in der Tat ist es so, dass der demografische Wandel die Einwohnerzahl in absehbarer Zeit deutlich verändert wird; die Abgeordneten Schröder und Callsen haben darauf hingewiesen. In unserer heutigen Situation geht man davon aus, dass das Reproduktionsverhalten so bleibt, wie es ist. Das kann zwar niemand vorhersagen, aber wir unterstellen es jetzt einmal. Wir bemühen uns, durch eine andere Familienpolitik dazu beizutragen, dass die Menschen mehr Kinder bekommen, dass die Betreuungssituation verbessert wird und so weiter.

Wenn wir aber unterstellen, dass sich der negative Trend fortsetzen wird, dann ist davon auszugehen, dass bis 2050 in Schleswig-Holstein ein Rückgang der Einwohnerzahl um 400.000 auf 2,4 Millionen eingetreten sein wird. Jeder kann sich vorstellen, dass dieser Rückgang um 400.000 Einwohner - zurzeit haben wir 2,8 Millionen Einwohner - eine deutliche Veränderung auch der Alterspyramide bedeuten wird und dass dies auch erhebliche Auswirkungen auf die Erwerbspersonen haben wird. Dann wird sicherlich auch über das Thema Lebensarbeitszeit nachgedacht werden.

Der demografische Wandel schafft Probleme. Er bietet aber auch Chancen. Durch die niedrigen Geburtenraten schafft er Veränderungen im Bereich des Schul- und Bildungssystems. Er führt durch eine massive Zunahme des Anteils älterer Menschen zu ungünstigen Finanzierungsschlüsseln in der Sozialversicherung sowie zu einer veränderten Konsumstruktur vor allen Dingen in den Branchen Gesundheit, Wohnen, Lifestyle, Reisen sowie Finanzdienstleistungen. Überall dort wird es einen gewaltigen Wachstumsschub geben.

Zunehmen wird ferner der Bedarf an sozialen Dienstleistungen, an altersgerechten Verkehrsangeboten, an kürzeren Basisausbildungen und - im Gegenzug - an lebenslangen Fortbildungs- und Weiterbildungsangeboten. Denn die älteren Arbeitnehmer werden künftig noch weniger verzichtbar sein als heute.

Zur aktuellen Fachkräftesituation in SchleswigHolstein. Es wird generell von einem Fachkräftemangel gesprochen. Ich bin nicht davon überzeugt, dass dieser Zustand auch bei uns schon eingetreten ist. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit sieben Jahren gefallen. Die Zahl der offenen Stellen ist deutlich gestiegen und wir haben kürzere Vakanzzeiten bei Arbeitslosigkeit. In einzelnen Branchen - insbesondere in der mariti

men Wirtschaft, im Handwerk und im Bereich IuK - ist der Fachkräftebedarf deutlich gestiegen. Deswegen rede ich von einem Fachkräftebedarf und nicht von einem Fachkräftemangel.

Zu diesem Fachkräftemangel kann es aber mit Sicherheit kommen und dann wird es notwendig sein, dass es zu deutlichen Veränderungen in der Personalpolitik der Betriebe kommt. Wir brauchen familienfreundlichere Betriebe und es muss in einem höheren Maße die Möglichkeit bestehen, dass durch eine Kombination von Arbeits- und Familienleben mehr Arbeitskräftepotenzial erschlossen wird.

Wir brauchen mehr Kooperationen zwischen Schule, Hochschulen und Unternehmen und unterm Strich brauchen wir einen höheren Qualifizierungsgrad in unserer Gesellschaft; dies gilt vor allen Dingen im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen in Schleswig-Holstein können in diesen Bereichen flexibler reagieren als große Unternehmen und gerade Schleswig-Holstein bietet eine besondere Lebensqualität insbesondere für junge Menschen. Ich bin davon überzeugt, dass dies unsere Position im Wettbewerb mit den anderen Ländern deutlich stärken wird.

Nun zu den konkreten Maßnahmen. Im Bereich der beruflichen Ausbildung verstärken wir die Maßnahme „Bündnis für Ausbildung“, die Kooperationen zwischen Schule und Wirtschaft, die Förderung der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung, die Förderung benachteiligter Jugendlicher sowie innovative Projekte wie die Ausbildung in Teilzeit.

Was all dies mit dem Generationenthema zu tun? Es hat etwas damit zu tun, weil wir uns bemühen, niemanden links liegen zu lassen. Wir möchten jeden in den Arbeitsprozess integrieren.

Zur Weiterbildung! In diesem Schlüsselbereich für den demografischen Wandel werden wir bis zum Jahre 2013 über 24 Millionen € ausgeben - sowohl aus dem Zukunftsprogramm als auch aus dem Schleswig-Holstein-Fonds -, um die Modernisierung der Berufsbildungsstätten zu ermöglichen, das Netz der Weiterbildungsverbünde auszubauen, die Förderung des Meister-BAföGs zu unterstützen und eine Förderung der beruflichen Weiterbildung in kleineren und mittleren Unternehmen vorzunehmen.

Zum Hochschulangebot! Indem wir 4.000 zusätzliche Studienplätze gerade im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich ausweisen, möchten wir deutlich machen, dass wir uns um den Nachwuchs kümmern. Dies tun wir insbesondere dort, wo wir

(Minister Dietrich Austermann)

besondere Entwicklungen der Wirtschaft und damit eine Magnetwirkung für Arbeitnehmer aus anderen Bundesländer erwarten. Wir wollen die Studienabbrecherquote verringern und mehr duale Studienangebote; diese werden in der Regel gut angenommen.

Zum Schluss möchte ich etwas zu den Chancen des demografischen Wandels sagen. Die Alterung der Gesellschaft wird zu einer Verschiebung der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen führen. Viele Menschen, die sich auf das Alter vorbereiten, zählen zu den Strukturgewinnern. In diesem Zusammenhang sehen wir die Gesundheitsbranche, die Bereiche Freizeit, Unterhaltung, Kultur sowie Tourismus; hier erinnere ich an das Thema Kreuzfahrttourismus. Es geht auch um Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit dem Aufbau privater Altersvorsorge. Ebenso wird es eine verstärkte Nachfrage in den Bereichen Versorgung, Pflege und seniorengerechtes Wohnen geben.

In all diesen Bereichen gibt es erhebliche ökonomische Potenziale. Wir haben darauf in vielen Bereichen reagiert, so zum Beispiel durch die Neuausrichtung der Tourismusstrategie auf eine bestimmte Zielgruppe.

(Beifall bei CDU und SSW)

Je schneller und vorausschauender sich unsere Unternehmen auf den demografischen Wandel einstellen, desto besser sind die Zukunftsaussichten. Die Landesregierung wird alles über das Zukunftsprogramm Wirtschaft tun, um unsere Wirtschaft dabei zu unterstützen. Wir werden dabei vor allen Dingen versuchen, Ressourcen zu nutzen, die sich aus der Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft ergeben.

(Beifall bei CDU, SPD und SSW)

Ich danke dem Herrn Minister. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Beratung schließe. Es ist Abstimmung in der Sache beantragt worden. Wer dem Antrag Drucksache 16/1627 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen worden.

Ich möchte Ihnen eine gute Nachricht hinsichtlich des Ablaufs der Sitzung verkünden: Die Fraktionen haben sich einvernehmlich darauf verständigt, dass Tagesordnungspunkt 20, Umsetzung der Resolution der 16. Ostseeparlamentarierkonferenz (BSPC) in Berlin, im November behandelt wird.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 19 auf:

Ausgestaltung des europäischen Forschungsraums

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1636

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Niclas Herbst das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich bei allen Kollegen dafür, dass sie so lange ausgehalten haben und jetzt diesem Tagesordnungspunkt - sicherlich der Höhepunkt der heutigen Aussprache - beiwohnen.

(Manfred Ritzek [CDU]: Das wollte ich ei- gentlich sagen! - Heiterkeit)

- Ich weiß, dass Sie, Herr Kollege, das sagen wollten.

Im Ernst, meine Damen und Herren: Wir haben in den vergangenen drei Tagen sehr viel über den Klimawandel, den demografischen Wandel und andere Punkte diskutiert. Beispielsweise nenne ich die Verbreitung infektiöser Krankheiten. All dies sind Punkte, die zwar nur grenzüberschreitend behandelt werden können, aber lokales Handeln erfordern.

Wir wissen, dass Spitzenforschung in Europa weit verstreut ist und dass es keine ausreichende Vernetzung gibt. Der europäische Forschungsraum ist daher Kernelement der neuen Lissabon-Strategie und Eckpfeiler einer europäischen Wissensgesellschaft; das können Sie auch unserem Antrag entnehmen. Auch das Grünbuch ist ein entscheidendes Dokument. Wir wollen mit unserem Antrag genau dieses in den Blickpunkt des Landtags rücken.

Erwähnen möchte ich auch den Europäischen Forschungsrat, der meiner Meinung nach einen Meilenstein darstellt und auch ein Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft ist. Denn er leitet die Mittelvergabe weg von Bürokratie hin zu Sachkunde ein. Das Forschungsrahmenprogramm soll bis 2013 bis zu 50 Milliarden € verteilen und ist somit das weltweit größte Programm dieser Art. Ab Anfang 2008 sollen konkrete Initiativen auf dieser Grundlage erfolgen.

Meine Damen und Herren, das sind die Rahmenbedingungen, über die wir reden. Wir wollen mit diesem Antrag rechtzeitig auf sie aufmerksam machen und eine Diskussion einleiten.