Protocol of the Session on June 16, 2005

Wer den Bericht des Landesbeauftragten für behinderte Menschen liest, der kann den langen Weg ermessen, den die Behindertenpolitik in unserem Land

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

bereits hinter sich hat. Er wird aber auch feststellen, welche Wegstrecke noch vor uns liegt. Ich möchte eine erfreuliche Feststellung vorwegnehmen: Ich denke, wir können mit Fug und Recht sagen, dass die Sensibilität für Menschen mit Behinderung in unserem Land zugenommen hat. Die Gleichstellung behinderter Menschen, die wir gesetzlich zu Beginn des Europäischen Jahres für Menschen mit Behinderung 2003 verabschiedet haben, zeigt Wirkung. Die Menschen in unserem Land akzeptieren Menschen mit Behinderung selbstverständlicher, und zwar im Alltag, in den Unternehmen, in den Häusern und auf den Straßen. Ich denke, sowohl das Behindertengleichstellungsgesetz als auch die vielen Aktionen - gerade auch im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung - haben zu dieser erfreulichen Entwicklung beigetragen.

Allerdings heißt das nicht, dass wir uns zufrieden zurücklehnen können. Wir müssen im Interesse der Menschen unsere vorhandenen Mittel - auch die finanziellen Mittel - intelligent einsetzen, damit sie eine möglichst hohe Wirkung entfalten können. Der Landesbeauftragte berichtet, dass Kostenträger Leistungen für Menschen mit Behinderung zunehmend zurückhaltender bescheiden. Ich denke, unser aller Position dazu ist klar. Die Menschen mit Behinderung müssen die Leistungen auch bekommen, auf die sie einen Anspruch haben.

Das Behindertengleichstellungsgesetz, das seit dem 1. Januar 2003 in Kraft ist, bewährt sich nach Auffassung des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung. Das betrifft vor allem neben dem beschriebenen Bewusstseinswandel die Anerkennung der Gebärdensprache, die Änderung der Wahlordnungen sowie den zunehmenden Einsatz für eine barrierefreie Gestaltung des öffentlichen Raums. Zur Verbesserung der politischen Teilhabe behinderter Menschen wird der Landesbeauftragte auch weiterhin für die Bestellung kommunaler Beauftragter werben. Wir alle sollten ihn darin unterstützen.

(Beifall)

Die Zahl der Beauftragten hat sich nämlich im Berichtszeitraum wieder erhöht. Ich erinnere: Sie betrug im Jahr 1995 vier. Jetzt haben wir im Land 21 Beauftragte. Das ist eine gute Entwicklung. Sie zeigt sich auch in der Politik für Menschen mit Behinderung.

(Beifall bei SPD und FDP)

Eine gesteigerte Sensibilität für Menschen mit Behinderung bestätigen Landräte und Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus den entsprechenden Kommunen, die Beauftragte für Menschen mit Behinderung haben. Aber auch dort, wo es - ich hoffe sagen

zu können noch - keine Beauftragten für Belange behinderter Menschen gibt, werden Widerstände der Verantwortlichen wahrgenommen. Der Landesbeauftragte bietet aus diesem Grund Informationen zu mehr ehrenamtlichem bürgerschaftlichem Engagement und zu mehr Bürgerbeteiligung an, denn häufig bestehen Missverständnisse, die Aufgaben der Beauftragten betreffend. Es besteht die Sorge, dass man mit Mehrarbeit und unzumutbaren Forderungen konfrontiert wird. Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung hat so viel Erfahrung, dass er diesen Skeptikern mit Überzeugung deutlich machen kann, dass sie Beauftragte für Menschen mit Behinderung nicht fürchten müssen. Im Gegenteil, sie erleichtern die Arbeit und machen das Gemeinwesen menschlicher.

(Beifall)

Der Bericht zeigt, dass es im Bereich des Arbeitsmarktes ein differenziertes Bild gibt. Der Landesbeauftragte lobt den Ausbau der Integrationsunternehmen für Schleswig-Holstein. Er hält sie sogar für vorbildlich. Ich denke, wir werden dieses Lob aufgreifen und unsere Praxis zum Ausbau der Integrationsunternehmen noch verbessern, um ein gutes Angebot zu bieten, um Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und zugleich über die Ausgleichsabgabe eine gute Hilfe für kleine und mittlere Unternehmen zu leisten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte es auch für notwendig, diese und weitere flankierende Maßnahmen für schwerbehinderte Menschen zu ergreifen, um diese zum ersten Arbeitsmarkt zu geleiten. Es ist sein Ziel und es ist mein Ziel, dass die Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und in Beschäftigungsprogrammen des Bundes und der Landesregierung verstärkt berücksichtigt werden. Hier haben wir auch in Zukunft Raum für konzeptionelle Gestaltung und ich bin sicher, dass hier das Landesparlament und die Landesregierung an einem Strang ziehen.

Letztlich müssen wir natürlich auch ein wenig vor unserer eigenen Tür kehren. Zu hoffen ist nämlich, dass auch im Landesdienst die Bereitschaft zur Einstellung von Menschen mit Behinderung zunimmt. Wir beobachten die Entwicklung ganz genau und wir glauben, dass hier noch ein positiver Trend möglich ist. Der Landesbeauftragte macht sich dafür stark, dass diese Orientierung und diese Maßstäbe auch in der freien Wirtschaft gelten. Hier hat er sich ein schwieriges Thema vorgenommen, aber wenn wir alle ihn dabei unterstützen, dann denke ich, dass er auch hier erfolgreich sein wird. Wir haben einige Unternehmen im Land, die mit Fug und Recht sagen kön

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

nen: Wir sind beispielhaft für die Einstellung von Menschen mit Behinderung und wir leisten zugleich einen wertvollen Beitrag für die Entwicklung unseres Landes insgesamt. Das muss nämlich kein Widerspruch sein, das kann man beispielhaft und deutlich an einigen Unternehmen im Land sehen.

Der Landesbeauftragte sieht in der Umsetzung barrierefreier IT-Angebote bei der öffentlichen Hand erste Erfolge. Das freut uns sehr, denn natürlich ist es eine Herausforderung, nicht nur gute IT-Angebote zu machen, sondern sie auch noch barrierefrei zu gestalten. Barrierefrei heißt ja, dass sie für alle Menschen mit Behinderung und ihren sehr unterschiedlichen Behinderungsarten zugänglich sind. Er stellt fest, dass sowohl der Internetauftritt der Landesregierung als auch natürlich sein eigener inzwischen weitgehend barrierefrei sind. Darauf sind wir stolz. Es zeichnet aber den Landesbeauftragen für Menschen mit Behinderung aus, dass er damit noch nicht zufrieden ist. Das gehört zu seiner Aufgabe. Er hat uns weitere Aufgaben aufgegeben.

Der Landesbeauftragte räumt der Barrierefreiheit zu Recht großen Raum ein. Ich denke, wenn es ihn nicht gäbe, dann würde es um das Thema nicht so gut bestellt sein.

(Beifall)

Es muss immer jemanden geben, der den Finger auf die Wunde legt, der aber zugleich in der Lage ist, auch Beratung zu geben, damit Probleme in diesem Bereich bewältigt werden können. Ich weiß, dass der Landesbeauftragte, was das Thema der Barrierefreiheit beim Globushaus angeht, gerade dabei ist, Lösungen zu suchen. Ich bin auch sicher, dass es aufgrund seiner Erfahrungen und Kompetenz Schritte in die richtige Richtung geben wird. Das freut uns natürlich alle. Nach seiner Einschätzung wären in verschiedenen Bereichen Beratungsangebote für die Barrierefreiheit wünschenswert. Ich denke, er ist ein ganz vorzüglicher Berater. Wer seine Beratung nutzt, wird auch Wege aufgezeigt bekommen.

Es gibt - auch das muss gesagt werden - in unserem Land leider immer noch negative Beispiele dafür, dass Barrierefreiheit trotz der gesetzlichen Regelungen umgangen wird. Ich finde, es gehört durchaus zum guten Ton, dies nicht zu verschweigen, sondern es zu benennen. Ich will ein Beispiel anführen. So gibt es an der Ostseehalle Kiel immer noch keine behindertengerechten Parkplätze in unmittelbarer Nähe der Eingänge und auch manche Zugänge sind dort immer noch nicht barrierefrei.

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Wessen Problem dies auch immer sei, in erster Linie ist es ein Problem der Menschen mit Behinderung. Deswegen tun wir alle gut daran, uns etwas einfallen zu lassen, wie wir die Probleme bewältigen können.

(Weitere Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ich bedauere, dass ich die kreative Phase jetzt kurz unterbreche und weiterrede.

Im Bereich des schienengebundenen öffentlichen Personennahverkehrs sind sowohl im Bereich der Neufahrzeuge als auch - das ist ganz wichtig - bei der Umgestaltung von Bahnhöfen positive Veränderungen betreffend Barrierefreiheit erkennbar. All das sind positive Entwicklungen, die der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung nicht verschweigt, sondern benennt. Das ist, wie ich finde, auch die richtige Grundhaltung. Man kann sagen, was noch erforderlich ist, aber man sollte auch sagen, was schon erreicht worden ist, weil uns dies motiviert, weiterzumachen. Jedenfalls sollten die Probleme nicht als fast nicht bewältigbar dargestellt werden.

Die Mobilität wird insbesondere für Schwerbehinderte oder für ältere Menschen nach und nach verbessert, erhalten oder geschaffen. Es ist ganz wichtig, dass wir uns verdeutlichen, dass Barrierefreiheit nicht mehr ausschließlich ein Thema für Menschen mit Behinderung ist. Das Thema Barrierefreiheit betrifft in einer älter werdenden Gesellschaft vielmehr ebenso die älteren Menschen. Wer an die Familien denkt, die mit Kinderwagen unterwegs sind, weiß, dass Barrierefreiheit eigentlich zu einem Thema für die gesamte Gesellschaft wird.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, darf ich an die verabredete Redezeit erinnern?

Sehr gern. - Ich stelle zusammenfassend fest: Es gibt außerordentlich positive Entwicklungen. Es gibt auch neuere Entwicklungen im Land, die mit dem Begriff des persönlichen Budgets verbunden sind. Auch diese Entwicklungen meines Hauses werden vom Landesbeauftragten begrüßt. Wir sind insgesamt der Ansicht, dass wir die Aufgaben der Zukunft gemeinsam bewältigen müssen. Wir als Landesregierung haben vor, gemeinsam mit allen Akteuren ein Gesamtkonzept für Menschen mit Behinderung zu entwickeln. Es ist selbstverständlich, dass wir dabei den Rat des Lan

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

desbeauftragten für Menschen mit Behinderung suchen werden.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Heike Franzen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich Herrn Dr. Ulrich Hase ganz herzlich für den vorliegenden Bericht danken. Sie haben mit Ihrem Team einen Bericht vorgelegt, der insbesondere für mich, die ich mich neu in diesen Themenbereich einarbeite, eine wirklich tolle Arbeitsgrundlage ist. Seine Struktur und seine Gliederung machen es wirklich jedermann möglich, sich einen Überblick über Förderangebote und Ansprechpartner genau so wie über die gesetzlichen Grundlagen und die Situation von Menschen mit Behinderung zu verschaffen. Dafür ganz herzlichen Dank, Herr Hase.

(Beifall)

In Schleswig-Holstein leben rund 225.000 schwerbehinderte Menschen. In den vergangenen Jahren - Frau Trauernicht, Sie haben darauf hingewiesen - hat sich in der Gesellschaft das Verständnis für Menschen mit Behinderung erheblich verbessert. Die Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein und glücklicherweise - wir haben es heute auch schon gehört - sind in diesem Bereich inzwischen auch erhebliche Erfolge zu verbuchen.

Anfang 2004 trat in Schleswig-Holstein das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen in Kraft. Bei diesem Gesetz war sich das Parlament im Großen und Ganzen einig. Ich denke, es ist etwas, was uns auszeichnen muss, dass wir in diesem Zusammenhang wirklich Einigkeit zeigen. Der vorliegende Bericht geht auf die Auswirkungen dieses Gesetzes ein. So hat sich zum Beispiel die Situation von hörgeschädigten oder gehörlosen Menschen durch die Anerkennung der Gebärdensprache und das damit verbundene Recht auf einen Dolmetscher bei Verwaltungsverfahren deutlich verbessert. Wie eindrucksvoll und lebendig diese Sprache ist, können wir heute selber erleben. Ich finde es ganz prima, dass wir diese Gelegenheit heute hier haben.

Auch im Bereich der Barrierefreiheit sind Erfolge zu verzeichnen. Zufriedenstellend können diese Erfolge aber noch nicht sein. Ein aktuelles Beispiel

dafür, dass sich die Notwendigkeit von Barrierefreiheit noch nicht in allen Köpfen festgesetzt hat, ist das Globushaus am Schloss Gottorf, wo man erst nachträglich - jetzt aber sehr engagiert - nach Lösungen für einen barrierefreien Zugang sucht. Solche Beispiele gibt es leider noch all zu oft - und das, obwohl barrierefreies Planen und Bauen eigentlich meist kostengünstiger ist als eine spätere Nachrüstung. Insofern haben wir hier noch etwas Nachholbedarf.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Gerade angesichts des relativ kurzen Zeitraums seit Inkrafttreten des Gesetzes bleibt sicherlich abzuwarten, wie die weitere Entwicklung ist. Es ist jedenfalls festzustellen, dass wir auf diesem Gebiet noch einiges zu tun haben.

Arbeitslosigkeit betrifft Menschen mit Behinderung überproportional, insbesondere dann, wenn es sich um ältere Menschen handelt. Der Bericht weist deutlich darauf hin, dass es immer noch Vorbehalte gibt, die einer Einstellung in einem Betrieb entgegenstehen. Arbeitgeber halten die Kosten für behindertengerechte Umrüstung von Arbeitsplätzen nach wie vor für unerschwinglich. Hier muss dringend umfassend und weitgehend darüber aufgeklärt werden, dass die entstehenden Kosten von den Arbeitsagenturen, den Rentenversicherungsträgern oder dem Integrationsamt übernommen werden können.

Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung hebt in seinem Bericht übrigens hervor, dass er sich insbesondere von den Kreisen, die sich bei der Umsetzung von Hartz IV für das Optionsmodell entschieden haben, aufgrund der kommunalen Betreuungs- und Beschäftigungskompetenzen positive Auswirkungen auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung erwartet.

(Beifall bei CDU und FDP)

Bei der Schaffung von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt - Frau Trauernicht, das haben Sie schon angedeutet - haben sich die Integrationsunternehmen als Erfolgsmodell herausgestellt. Von den 324 geschaffenen Arbeitsplätzen in diesen Unternehmen werden 195 von schwerbehinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besetzt. Diese Einrichtungen gilt es weiter zu unterstützen und auszubauen.

Daneben wird es in Zukunft aber auch notwendig sein, Arbeitsplätze in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung vorzuhalten. Sie sind ein wichtiger Beitrag zur Lebensqualität von behinderten Menschen.

(Heike Franzen)

Integration und Selbstbestimmung unter Zuhilfenahme von Förderung und Hilfsmöglichkeiten müssen in der Behindertenpolitik im Vordergrund stehen, und zwar von Anfang an. Bereits im vorschulischen Bereich brauchen wir individuelle Frühförderungen und heilpädagogische Angebote. Dazu gehört insbesondere ein bedarfsgerechtes Angebot an Integrationsgruppen in unseren Kindertagesstätten. Während der Schulzeit benötigen wir auch weiterhin die Möglichkeit der integrativen Beschulung in der Regelschule ebenso wie die Sonderschulen mit ihren spezifischen Spartenschulen, um den individuellen Bedürfnissen von Kindern mit Behinderung gerecht werden zu können. In dem Bericht von Herrn Hase wird im Übrigen deutlich darauf hingewiesen, dass es gerade zum Themenkomplex der schulischen Integration einen Beratungsbedarf gibt. Ich denke, dieses Themas sollten wir uns dringend annehmen.

Auch der Übergang von der Schule in den Beruf wird in der nächsten Zeit eine Herausforderung darstellen, der wir uns stellen müssen. Wir haben schon einmal darüber diskutiert, wie es unter anderem mit unseren Jugendaufbauwerken hier in Schleswig-Holstein weitergehen soll. Wir werden uns auch dieses Themas annehmen müssen.