Protocol of the Session on October 10, 2007

Der SSW sieht durchaus Argumente, die für eine solche Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes sprechen. Deshalb gehen wir offen in die weiteren Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss rein.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk und erteile für die Landesregierung dem Innenminister, Herrn Dr. Stegner, das Wort.

(Anke Spoorendonk)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Im Jahr 2007 ist das Thema doppelte Staatsangehörigkeit, wie ich hoffe, keines mehr, mit dem man Wahlkampfkampagnen praktizieren möchte. Im Jahr 2007 ist das Thema Integrationspolitik bundesweit ein gesellschaftliches Topthema. In allen Ländern wird inzwischen Integrationspolitik als zentrale gesellschaftliche Zukunftsaufgabe verstanden. Die drei wichtigsten Schritte für mich sind in dem Zusammenhang erstens der Grundsatz des Förderns und des Forderns. Das heißt, dass auf der einen Seite die Gesellschaft ihre ausgestreckte Hand zeigt und auf der anderen Seite die Zugewanderten und ihre Familien entsprechende Angebote annehmen und sich integrieren. Das gilt übrigens für alle Gebiete der Integration, angefangen bei der Wohnungs- und Städtebaupolitik bis hin zu Bildung, Sport und Kultur.

Zweitens. Bildung ist die wichtigste Voraussetzung für Integration. Wir müssen auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung Aufstiegschancen für alle gewährleisten.

Drittens. Entideologisierung der Staatsbürgerschaftsfragen, über die wir heute sprechen. Das Staatsangehörigkeitsrecht ist durch das Gesetz zur Reform aus dem Jahr 2000, das Zuwanderungsgesetz von 2005 und das vor wenigen Wochen in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung der Europäischen Richtlinien geändert worden.

An dem Grundsatz, nur diejenigen einzubürgen, die ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben, wurde bis heute eisern festgehalten. 1999 ist die damalige Initiative der rot-grünen Bundesregierung, Mehrstaatlichkeit hinzunehmen, gescheitert. Aber immerhin ist mit dem Reformgesetz 2000 das traditionelle Abstammungsprinzip erstmals durch Elemente des Geburtsortsprinzips für die im Inland geborenen Kinder ausländischer Eltern, allerdings mit Optionsverpflichtung, ergänzt worden. Daneben haben wir ein paar zusätzliche Ausnahmetatbestände bekommen, was die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit angeht.

Wie sieht nun die Wirklichkeit aus, meine sehr verehrten Damen und Herren? - Wenn ich mir die Einbürgerungsstatistik seit Inkrafttreten des Reformgesetzes ansehe, stelle ich fest, dass rund 44 % der bis 2005 in Deutschland vorgenommenen Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatlichkeit erfolgen. In Schleswig-Holstein sind das übrigens 50 %. Das heißt, das ist nicht mehr die Ausnahme, sondern das ist in Teilen sogar schon fast die Regel. Hinzu kommen noch die Kinder aus binationalen

Ehen, die durch Geburt dauerhaft Mehrstaatlichkeit erwerben, und die Spätaussiedler.

Durch das Richtlinienumsetzungsgesetz der Europäischen Union wird sich das Verhältnis sogar noch stärker in diese Richtung entwickeln. Mehrstaatlichkeit ist also etwas, was es in vielen Staaten der Europäischen Union gibt, ohne dass es dabei auf Gegenseitigkeit ankommt. Ich glaube, dieses Richtlinienumsetzungsgesetz wird nicht der letzte Schritt sein, was das Staatsangehörigkeitsrecht angeht. Ich will hier sehr deutlich sagen: Wir sollten das Thema wirklich entideologisieren. Menschen, die sich hier integriert haben, insbesondere diejenigen, die hier geboren sind, die die deutsche Sprache sprechen, sollten ohne Wenn und Aber Deutsche sein können, auch wenn sie noch eine andere Staatsangehörigkeit haben.

Wir haben im nächsten Jahr erstmals junge Menschen, die volljährig werden und sich für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Dies bedeutet nicht nur technische Schwierigkeiten, sondern das bedeutet: Wir tragen Streit in die Familien. Wo liegt eigentlich die Bedrohung für unseren Staat, wenn jemand zwei Staatsangehörigkeiten hat? Wir leben doch in einer zunehmend globalisierten und zusammenwachsenden Welt und andere Länder machen das auch.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Ingrid Franzen [SPD], Lothar Hay [SPD] und Wolfgang Kubicki [FDP])

Unabhängig davon, dass das Realität ist: Die Vorstellung, dass das Bundesverfassungsgericht dem zustimmen könnte, dass erstmals in der Geschichte Deutschlands Deutsche ausgebürgert werden, wenn man das macht - darauf läuft es hinaus -, halte ich es für mit unserem Grundgesetz schwer vereinbar.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Insofern glaube ich, dass die Abschaffung des Optionsmodells ein Fortschritt wäre und insofern auch das, was der Antrag will.

Ich will allerdings gern zugeben - da schließe ich mich dem an, was der Herr Abgeordnete Puls gesagt hat -: Dafür muss man gesellschaftspolitisch noch ein bisschen tun. Auch innerhalb der Regierungskoalition gibt es in diesem Punkt keine Einigung. Deswegen kann die Landesregierung noch keine Initiativen ergreifen.

Ich setze aber darauf, dass das auf Sicht ein Thema ist, das wir mit dem Kopf und nicht so sehr mit anderen Körperteilen behandeln. Denn ich glaube wirklich, wir tun den Menschen einen Tort an,

wenn wir sie zwingen, sich im Zweifelsfall gegen bestimmte Dinge zu entscheiden. Wo liegt die Vernunft darin? Die Zeit dafür wird kommen. Ich wünsche mir sehr, dass wir dann zu einem Punkt kommen, in dem in einem Parlament wie diesem nicht darüber gestritten wird, sondern alle sagen: „Es ist gut, dass wir es tun.“ - Der Tag wird kommen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Innenminister. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/1485 dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - So einstimmig beschlossen!

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Berichtsantrag zu Online-Durchsuchungen

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/1625

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mit dem Antrag wird ein mündlicher Bericht in dieser Tagung erbeten. Aus dem Grund bitte ich, zunächst darüber abzustimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem so zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Berichtsantrag angenommen worden.

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Innenminister Dr. Ralf Stegner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Lassen sie mich zunächst einen Blick zurückwerfen. Der derzeit bundesweit unnötig emotional geführten Diskussion gegen die bekannte Beschwerdeentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31. Januar 2007 ging ein die OnlineDurchsuchung ablehnender Beschluss eines BGHErmittlungsrichters voraus. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass die heimliche Durchsuchung der im Computer eines Beschuldigten gespeicherten Dateien mithilfe eines Programms, das ohne Wissen des Betroffenen aufgespielt wird, also die verdeckte Online-Durchsuchung, nach der geltenden Strafprozessordnung unzulässig sei. Das deutsche

Strafverfahrensrecht stellt zurzeit passgenaue Ermächtigungsgrundlagen dafür nicht zur Verfügung. Der BGH hat offengelassen, ob eine OnlineDurchsuchung auf der Grundlage einer geänderten Strafprozessordnung für das Strafverfahren oder auch für andere Rechtsbereiche möglich wäre. Ebenso hat der BGH keine Aussage darüber getroffen, ob einer Änderung einfachen Rechts eine Verfassungsänderung vorausgehen müsste. So weit die Ausgangslage.

Dass die Sicherheitsbehörden mit der technischen Entwicklung Schritt halten müssen, ist, glaube ich, für alle unbestritten. Diesen Konsens hat übrigens die Berliner Konferenz der Innenminister und -senatoren vom 7. September auch gebracht. Computer sollten per se auch nicht anders behandelt werden als andere Kommunikationsmedien. Ich bin auch nicht der Meinung, dass Computer intimer seien als Schlafzimmer oder andere Dinge, die teilweise durchaus Gegenstand von staatlichem Handeln mit entsprechenden Vorkehrungen und richterlichen Entscheidungen und Ähnlichem mehr sind.

Ich will aber auch deutlich sagen, dass der Druck gerade auf mich auf der jüngsten Sonderkonferenz, den Online-Duchsuchungskompetenzen für das BKA zuzustimmen, immens war. Die jüngsten Fahndungserfolge im Sauerland allerdings waren eben gerade kein Beweis dafür, dass es nicht ohne Online-Durchsuchung geht. In diesem Fall haben klassische Methoden wie der Lauschangriff die Haupterkenntnisse gebracht.

Neue Kommunikationsmittel bieten übrigens unzählige Ausweichmöglichkeiten. Terroristen haben Handys, die sie wegwerfen. Oder aber sie halten sich in Callshops auf, von denen es übrigen allein im Sauerland - was ich gar nicht wusste - ungefähr 70 gibt. Stellen Sie sich das also einmal in einer Metropole vor! Die kann man nicht alle überwachen.

Das Thema Online-Durchsuchung - ich knüpfe an das an, was ich eben gesagt habe - sollte mit kühlem Kopf diskutiert werden. Wir reden über gravierende Eingriffe in Freiheitsrechte. Das geht nicht im Schnellschuss.

Und: Kollegen aus anderen Ländern berichten, dass sie nicht genügend Leute haben, um die Gefährder zu überwachen, bauen aber gleichzeitig Polizeistellen ab. Da liegt eine Sicherheitslücke. Glaubwürdig ist das ebenso wenig wie der Rückgriff auf Amateurpolizisten oder der nach der Verfassung nicht zulässige Einsatz von Bundeswehrsoldaten für Polizeiaufgaben im Inneren.

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Wenn das denn so ist, dann muss man, wenn man gesetzliche Ermächtigungen für Online-Durchsuchungen will, drei Fragen klären. Man muss erstens die Frage nach der Notwendigkeit klären. Wofür brauche ich das? Will ich das für die Gefahrenabwehr, will ich das für den Verfassungsschutz, will ich das für die Strafverfolgung haben?

Zweitens muss die Frage nach der Praktikabilität geklärt werden. Da sagen einem die Leute: Terroristen sitzen nicht zu Hause und warten darauf, dass man ihnen einen Trojaner auf ihren Computer schickt. Im Zweifelsfall suchen sich diese, wenn es gefährliche Topterroristen sind, nämlich andere Möglichkeiten. Das eigentliche Zukunftsthema lautet in Wirklichkeit Internet-Telefonie. Das ist der Punkt, der vermutlich viel wichtiger ist.

Schließlich muss drittens die Frage nach der Verfassungskonformität geklärt werden. Ich finde es nicht altmodisch zu sagen, dass man doch einmal warten soll, was aus dem Gesetz aus NordrheinWestfalen von FDP-Innenminister Wolf, das gerade zur Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht liegt, wird, bevor man das BKA-Gesetz auf den Weg bringt. Rechtstatsachen müssen ihre Brauchbarkeit darlegen. Mit der Technik muss das definierte Ziel erreicht werden können. Ich finde, es ist auch kein Umgang mit dem Bundesverfassungsgericht, zu sagen: Lasst uns einmal ein Gesetz auf den Weg bringen und dann gucken wir einmal, ob es verfassungskonform ist.

Nach der Föderalismusreform sollte das BKA-Gesetz übrigens dem BKA präventiv die Möglichkeiten geben, die die Länder schon haben. Das war der Punkt. Die Länder haben in ihren Landespolizeigesetzen aber gar keine Kompetenz für OnlineDurchsuchungen. Das also kann nicht die Begründung für ein BKA-Gesetz sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die Notwendigkeit, wenn die Praktikabilität, wenn die Verfassungskonformität nachgewiesen sind, kann man über die Frage nüchtern reden, ob wir tatsächlich eine Online-Durchsuchung in dieser Form brauchen oder nicht und in welchem Feld wir sie brauchen. Darüber sollten wir nach meiner Meinung in aller Ruhe und ohne Aufgeregtheit diskutieren. Das heißt auch: Bei der Terrorismusbekämpfung ist Panikmache nicht die richtige Antwort. Man kann keinen Anschlag ausschließen. Diese Erkenntnis ist nicht sensationell. Aber man muss immer abwägen, ob der Zugewinn an Sicherheit nicht möglicherweise mit dem Verlust an Freiheiten erkauft wird, die im Zweifelsfall dann das erledigen mit friedlichen Mitteln -, was die Terroristen eigentlich wollen.

Hier kann man kein prinzipielles Ja oder Nein sagen, sondern es muss eine rechtsstaatliche Abwägung geben. Am Ende muss man vernünftig entscheiden. Man muss mit kühlem Kopf diskutieren. Darum bitte ich Sie in diesem Hohen Haus.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Innenminister für den Bericht und erteile das Wort für die antragstellende Fraktion dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Online-Durchsuchungen ist derzeit höchst umstritten. CDU und SPD streiten heftig in der Sache. Insbesondere in der Debatte um das neue Polizeirecht in Schleswig-Holstein hätte ich mir die Standhaftigkeit der Sozialdemokraten gewünscht, die sie zumindest derzeit in der Frage der Online-Durchsuchungen aufbringen, wofür ich die SPD ausdrücklich loben möchte.

Allerdings müssen wir als FDP vor der eigenen Türe kehren. Vor dem Bundesverfassungsgericht wird sich erweisen, dass die von dem nordrhein-westfälischen FDP-Innenminister mitverschuldete Regelung zur Online-Durchsuchung im nordrhein-westfälischen Landesrecht verfassungswidrig ist und nie das Licht dieser Welt hätte erblicken dürfen. Es gibt schon die ersten Berichte über die heutige Anhörung. Diese muss sehr spektakulär gewesen sein. Der Vorsitzende des Senats hat den Rechtsvertreter des Landes gefragt, ob beide von dem selben Gesetz redeten. Nach seiner Interpretation finde er nicht wieder, was in dem gemeinten Gesetz geschrieben stehe.

Bisher gibt es keine Rechtsgrundlage auf Bundesebene, die den Einsatz von Online-Durchsuchungen rechtlich absichert. Auch Schleswig-Holstein Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen - hat noch keine entsprechende Bestimmung in das Polizeirecht aufgenommen. Ich sage ausdrücklich: Das ist gut so.

Auch in der schleswig-holsteinischen Landesregierung gibt es Uneinigkeit über die Notwendigkeit der Einführung von Online-Durchsuchungen. So äußerte der Ministerpräsident Carstensen in den „Lübecker Nachrichten“ vom 8. September 2007 Zustimmung „ohne Wenn und Aber“ zu den Online-Durchsuchungen, während der Innenminister anscheinend wohltuend auf die Bremse tritt.

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Ich möchte mich beim Innenminister - Herr Stegner, ich habe selten die Gelegenheit, das zu tun - für eine Klarstellung ausdrücklich bedanken. Sie haben in Ihrem Interview im Deutschlandradio vom 10. September 2007 festgestellt, dass es „Unfug“ sei, zu behaupten, man hätte den Fahndungserfolg mit den drei in Deutschland festgenommenen Terrorverdächtigen nur aufgrund von Online-Durchsuchungen erzielt. Glaubt man den Darstellungen des Deutschlandfunks, dann war es sogar der schleswig-holsteinische Innenminister, der als einziger mit seinem Nein in der Sondersitzung der Innenminister Anfang September die Online-Durchsuchungen blockiert hat.

Allerdings macht Minister Stegner wie auch die Bundes-SPD hier einen Schlingerkurs. Sie wollen erst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Regelung aus Nordrhein-Westfalen abwarten.

Liebe Genossinnen und Genossen, Sie haben bisher bei der Frage gekniffen, ob die Online-Durchsuchung überhaupt ein dringend benötigtes Mittel für die Polizei bei der Aufklärung schwerer Straftaten ist. Wenn Sie diese Frage verneinen, brauchen wir uns über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit überhaupt keine Gedanken zu machen.