Protocol of the Session on June 8, 2007

Ich sehe auch nicht - das hat Heiner Garg schon gut ausgeführt -, dass wir für diesen Personenkreis entsprechende Angebote in Schleswig-Holstein hätten. Insofern mag man ja bei den beiden großen Fraktionen der Auffassung sein, dass die beiden Modelle, wie sie vorgelegt worden sind, noch nicht optimal sind.

Wir alle machen uns Gedanken darüber, welches das optimale Modell ist. Aber zu behaupten, das Problem existiere nicht und wir müssten uns über dieses Problem keine Gedanken machen, das, liebe Freunde von der Großen Koalition, kann ich nicht akzeptieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich möchte noch etwas zur Frage der Ablehnung der Arbeit sagen. Ich glaube, wir liegen da nicht so weit mit der FDP auseinander. Ich glaube nicht, dass es Sonderbedingungen nach dem Motto geben sollte: Diese Arbeit hat einen Sonderstatus, wer die nicht annimmt, der wird sofort mit Streichung des Arbeitslosengeldes bestraft. Das heißt, er wird praktisch im Sinne einer Zwangsarbeit verpflichtet. Er muss für sein Arbeitslosengeld eine solche Arbeit durchführen.

Die andere Frage ist, wie sie von Heiner Garg aufgeworfen wurde: Gelten die normalen Bedingungen des § 31? In § 31 steht, wer sich als Arbeitsloser mehrfach weigert, Arbeit aufzunehmen, kann mit Kürzungen sanktioniert werden. Meine Fraktion hat diese Passage anders formuliert. Ich halte das aber für einen Punkt, über den man reden kann. Es ist nicht der zentrale Punkt. Der zentrale Punkt ist der, dass es nicht zu einem Arbeitszwang in dem Sinne kommen kann, dass das Arbeitslosengeld nur noch ausgezahlt wird, wenn man dafür arbeitet. Das ist ein Punkt, wo ich mir mit dem, was der SSW formuliert hat, einig bin.

Herr Kollege Hentschel, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Entschuldigung, Herr Präsident. - Ich appelliere noch einmal an die beiden großen Fraktionen. Ich

(Lars Harms)

finde es richtig, wenn Resolutionen, die die Opposition stellt und die Sie falsch finden, abgelehnt werden. Ich finde es aber falsch, wenn die Opposition neue Modelle in die Diskussion einbringt, dass solche Modelle abgelehnt werden und nicht im Ausschuss diskutiert werden können. Ich finde, das ist der falsche Weg.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Hast du kein Zu- hause? - Heiterkeit)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Kubicki, wir haben natürlich alle ein Zuhause und wären auch froh, wenn wir irgendwann bei dem schönen Wetter dort wären. Aber da der Kollege Hentschel gerade eben das dänische Modell zitiert hat, ist es mir doch wichtig, noch einmal deutlich zu machen, welches das dänische Modell ist. Es ist nämlich nicht ein Staatsmodell mit Dirigismus, wo es heißt, die Leute müssen irgendwo für die Kommune schuften, und dann ist alles wieder gut, so wie er es dargestellt hat. In Dänemark ist es vielmehr so, dass man tatsächlich verpflichtend ein Arbeitsangebot oder ein Weiterbildungsangebot anzunehmen hat. Weiterbildung, Fortbildung machen durchaus Sinn und das sollte man gerne tun. Das Arbeitsangebot kann möglicherweise auch von kommunaler Seite kommen, aber es kann auch ganz normal aus dem ersten Arbeitsmarkt von den Arbeitgebern kommen.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Das ist wunderbar, Herr Kollege Hentschel, das haben Sie aber eben nicht gesagt. Sie haben eben gesagt, die müssten Arbeitsangebote von den Kommunen annehmen. Das ist nicht richtig. Es sind auch Angebote aus der freien Wirtschaft. Der erste Arbeitsmarkt ist das Ziel auch der dänischen Arbeitsmarktpolitik, darum geht es.

Lieber Kollege Hentschel, zu dem Unterschied, zu dem, was Sie machen wollen: Es ist dann ganz klar, wenn man am Arbeitsmarkt vermittelt wird, hat man einen tariflich festgelegten Lohn zu empfangen. Das ist der leichte Unterschied. Sie machen hier eine Billiglohndebatte auf, denn der 900-Euro

Job ist dort in Bad Schmiedeberg der Höchstlohn, den man bekommen kann. Das sind 5 € und das ist mit mir definitiv nicht zu machen. Es ist nicht so, dass man davon in Deutschland leben kann, auch nicht in Ostdeutschland. Das ist nicht okay.

Herr Kollege Harms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Heiner Garg?

Nein, mache ich nicht. Er kann ja gleich noch eine Rede halten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich hier in solchen Zusammenhängen für einen Mindestlohn stehe, dann wollte ich das doch noch einmal ganz deutlich machen. Dieses Modell, wie es in SachsenAnhalt läuft, ist kein Modell, das wir gut gebrauchen können.

Ein letztes Wort noch zum dänischen Arbeitsmarkt. Ich habe den Eindruck, auch Herr Minister Döring orientiert sich sehr daran: Es ist ein einheitliches Konzept, von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Staat, die sich zusammensetzen und fragen: Wie können wir das am Arbeitsmarkt regeln? Das ist vielleicht in einem 80-Millionen-Staat nicht so ohne Weiteres möglich, aber im kleinen SchleswigHolstein mit seinen 2,7 Millionen Einwohnern ist es möglich und ich habe den Eindruck, genau daran orientiert sich der Minister. Normalerweise bin ich mit Lob immer sehr zurückhaltend, aber das macht er sehr gut.

(Beifall bei SSW, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat der Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Uwe Döring, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht eine Vorbemerkung, damit ich auch im Weiteren nicht missverstanden werde. Frau Birk, ich schätze Ihr soziales Engagement, ich bewundere es. Wir können viel darüber diskutieren. Das gilt für dich genauso, Karl-Martin. Aber mich irritiert immer wieder die Ahnungslosigkeit, wie Sie hier Botschaften aus der Parallelwelt bringen.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

(Karl-Martin Hentschel)

Ich will das nicht im Einzelnen ausführen, aber Karl-Martin, fahr mal nach Dänemark! Ich war zwei Tage in Dänemark und habe mir das alles erklären lassen.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Dann hast du das vielleicht nicht richtig verstanden. Notfalls kann man da auch einen Dolmetscher nehmen, denn manchmal ist das etwas schwierig. Wir können das im Ausschuss besprechen, denn ich habe noch ein paar andere Punkte. Ich finde es immer toll, alle reden von Dänemark und picken sich dann etwas heraus und denken, sie können das kopieren, aber so einfach ist es nicht. Die Grundidee da bin ich mit Lars Harms völlig einig - ist eine tolle und daran sollten wir uns in der Tat orientieren.

Jetzt möchte ich Sie aber alle wieder willkommen heißen in der realen Welt und da habe ich für Sie vier Grundbotschaften. Die erste Botschaft lautet: Bürgerarbeit ist kein Tabu, aber nur für ganz bestimmte Fälle das richtige Instrument.

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Das werden wir noch feststellen.

Zweitens. Bürgerarbeit ist nicht der Königsweg zu mehr Arbeit, sondern ein Notbehelf für eine kleine Gruppe nicht vermittelbarer Langzeitarbeitsloser.

(Beifall)

Die dritte Botschaft, und da, denke ich, klatschen nicht mehr alle: Das Wunder von Bad Schmiedeberg ist gar kein Wunder

(Beifall bei der FDP)

und das dortige Modell nicht auf Schleswig-Holstein übertragbar.

Viertens. Wir brauchen kein neues Modellprojekt Bürgerarbeit, wir haben einen Ideenwettbewerb gegen Sockelarbeitslosigkeit. Ich werde das näher ausführen.

Bürgerarbeit ist kein Tabu, aber nur für ganz bestimmte Fälle das richtige Instrument. Das heißt zunächst einmal, jedes Mittel ist recht, wenn es Menschen in Arbeit bringt, in ein neues Selbstbewusstsein und in neue Perspektiven bringt. Deshalb kann auch Bürgerarbeit ein sinnvolles Instrument sein, um Langzeitarbeitslosen eine Beschäftigungsmöglichkeit zu geben. Es ist immer besser, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Bürgerarbeit darf allerdings keine reguläre Arbeit gefährden, sie darf kein Abschiebegleis sein, damit Arbeitslose aus der Statistik fallen. Wir sind immer in der Gefahr, dass wir eine neue Schublade aufmachen und dort Men

schen hineintun, die ein Brandzeichen bekommen: zweiter oder dritter Arbeitsmarkt und wir können Ihnen dann keinen Ausweg mehr bieten. Es darf da keine Stigmatisierung geben.

Der zweite Punkt war: Bürgerarbeit ist kein Königsweg zu mehr Arbeit, sondern nur ein Notbehelf für eine kleine Gruppe. Das heißt, Bürgerarbeit ist, wenn wir ehrlich sind, ein naher Verwandter der alten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, und diese ABMs haben wir mit gutem Grund radikal heruntergefahren, weil sie teuer und ziemlich erfolglos waren. Eine Brücke in den Arbeitsmarkt waren die ABM-Stellen jedenfalls nicht.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt und eine passgenaue Qualifizierung müssen immer Vorrang haben vor Bürgerarbeit. Es gibt die Gefahr, dass Bürgerarbeit für die Vermittler und die Arbeitslosen die bequemste Alternative ist, übrigens zulasten der Steuerzahler, denn die Kandidaten für die Bürgerarbeit sind die schwierigsten Kunden der Fallmanager. Für die Langzeitarbeitslosen mit Vermittlungshandicaps gibt es auf dem ersten Arbeitsmarkt vor allem anstrengende und nicht üppig bezahlte Jobs. Bürgerarbeit darf nicht die Motivation zur Qualifizierung untergraben und keine Anreize setzen, sich aus dem regulären Arbeitsmarkt zu verabschieden. Bürgerarbeit darf es daher auch nur für eine kleine Gruppe von erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen geben, die keine Chance auf einen echten Job haben.

Das werden häufig Menschen sein, die nur geringe Qualifikationen haben, die sehr lange Zeit nicht gearbeitet haben, die unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden und die möglicherweise Suchtprobleme haben. Auch das muss man deutlich sagen. Wir reden hier - ich glaube, Herr Garg hat die Zahl genannt - über 10.000 bis 15.000 Menschen in Schleswig-Holstein. Andere Staaten wie Großbritannien und Schweden streichen diese Menschen als erwerbsunfähig aus der Statistik. So einfach dürfen wir uns das nicht machen, denn auch diese Menschen verdienen eine Chance.

Drittens komme ich zum Wunder von Bad Schmiedeberg. Das Wunder ist kein Wunder und das dortige Modell nicht auf uns übertragbar, das heißt, die Renaissance der Idee Bürgerarbeit und die beiden Anträge sind vom Großversuch Bürgerarbeit in Sachsen-Anhalt inspiriert, aber im Medienrummel um das Wunder von Bad Schmiedeberg geht leider allzu oft unter, was dort wirklich passiert ist.

Denn das hat mit Bürgerarbeit nur zu einem gewissen Teil und mit einem Wunder überhaupt nichts zu

(Minister Uwe Döring)

tun. In Bad Schmiedeberg hat man die Arbeitslosigkeit in einem vierstufigen Verfahren innerhalb von zwei Monaten halbiert. Zuerst haben die Betreuer die 331 Arbeitslosen - man beachte die Zahl, über die wir dabei immer reden - teilweise mehrfach zu Vermittlungsgesprächen eingeladen. Resultat: Nicht wenige reagierten gar nicht oder wurden aus der Arbeitslosigkeit abgemeldet. 20 % der Kontaktierten konnten aufgrund der Beratung in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Als dritter Schritt wurden den verbliebenen Arbeitslosen passgenaue Eingliederungshilfen wie Fortbildung verordnet. Dies gelang bei 16 %. Erst im letzten, im vierten Schritt wurde den verbliebenen - damals 131 - Arbeitslosen eine Bürgerarbeit angeboten, die sie annehmen mussten. Auch in Bad Schmiedeberg gibt es die Verpflichtung. Zum Schluss waren es sogar noch etwas weniger, als Torsten Geerds gesagt hat. Am Ende waren es noch 82 Arbeitslose.

Ein Großteil dieses Erfolges beruht also darauf, dass die Arbeitsverwaltung endlich ihr Kerngeschäft betrieben hat. Das wird im Moment hier noch nicht vernünftig durchgeführt. Man muss Eingliederungspläne erstellen. In Schleswig-Holstein haben momentan maximal 20 % der Erwachsenen ich rede nicht von den Jugendlichen - Eingliederungspläne. Dafür, dass das anders wird, müssen wir dringend arbeiten.

Bad Schmiedeberg lehrt uns vor allem, dass einmal die Betreuung vor Ort wichtig ist - das habe ich an dieser Stelle immer wieder gesagt - und dass intensive Betreuung Arbeitslose in Arbeit bringt, sogar in Bereichen, in denen freie Stellen schwer zu bekommen sind.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)