Protocol of the Session on June 8, 2007

Eines will ich für meine Fraktion ganz deutlich sagen: Bürgerarbeit darf keine negativen Auswirkungen auf reguläre Arbeitsangebote haben.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie darf weder Jobs verdrängen noch zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Wir wollen keinen dritten Arbeitsmarkt etablieren, der durch staatliche Subventionierungen reguläre Arbeitsangebote verdrängt. Deshalb muss der Rahmen, in dem Bürgerarbeit möglich sein soll, glasklar definiert werden.

Die bisher gewonnenen Erfahrungen mit den sogenannten Ein-Euro-Jobs machen deutlich, dass es sich hierbei um eine sehr schwierige Gratwanderung handelt. Die gemeinsame Erklärung für Beschäftigung und zur Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten zur Umsetzung des SGB II in SchleswigHolstein und die von der Bundesagentur für Arbeit entwickelten Kriterien zeigen, wie Arbeitsangebote mit einem Modellprojekt Bürgerarbeit differenziert entwickelt werden könnten. Die Instrumente lägen also vor. Grundlage für Arbeitsangebote kann eine beispielhafte Auflistung von Arbeitsmöglichkeiten sein, wie sie bereits in einer Ideenbörse des Arbeitsministers vorgenommen wird. Darüber hinaus ist die Einbindung der Beteiligten des örtlichen Arbeitsmarktes notwendig.

Es ist also sinnvoll, auf die Erfahrungen der bei der Einführung der sogenannten Ein-Euro-Jobs geschaffenen Beiräte zurückzugreifen. Darauf legt unser Änderungsantrag ganz besonderen Wert.

Wir wollen im Gegensatz zu Ihnen, Frau Birk, Bürgerarbeit verbindlich gestalten. Ich meine auch, es kann nicht sein, dass Bürgerarbeiter gegenüber regulären ALG II-Empfängern bessergestellt werden sollen, indem sie angebotene Arbeit ohne Leistungskürzung einfach ablehnen dürfen. Es ist nicht schlüssig, dass Sie an dieser Stelle mit zweierlei Maß messen wollen.

(Dr. Heiner Garg)

Deshalb ist es aus unserer Sicht notwendig, Bürgerarbeit im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung mit allen daraus resultierenden Rechten und Pflichten anzubieten. Wer eine solche Bürgerarbeit ablehnt, der muss auch mit den entsprechenden Sanktionen rechnen und damit leben. Dazu gehört selbstverständlich, dass Bürgerarbeit auch ein Recht auf Weiterbildung und Qualifikation vorsehen sollte.

Bürgerarbeit soll Langzeitarbeitslosen, die derzeit keine Perspektive haben, in absehbarer Zeit ins Berufsleben zurückzukehren, eine Chance bieten. Sie soll Menschen mobilisieren und sie soll ihnen ein neues Selbstwertgefühl geben. Das kann natürlich dazu führen, dass Langzeitarbeitslose möglicherweise über einen längeren Zeitraum Bürgerarbeit leisten sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den großen Fraktionen, ich habe zur Kenntnis genommen - jedenfalls habe ich den Kollegen Geerdts so verstanden -, dass Sie heute beide Anträge ablehnen und nicht in den Ausschuss überweisen lassen wollen. Das können Sie machen; Sie wissen ja, 59:10, die Mehrheit ist Ihnen sicher. Ich sage Ihnen aber: Es gab hier immer wieder an verschiedenen Stellen die Rufe der Großen Koalition nach den Alternativen zum Regierungshandeln. Sie haben hier ganz klar ein alternatives politisches Angebot für eine begrenzte arbeitsmarktpolitische Zielgruppe. Es liegt eine Alternative vor. Die kann man verbessern; ganz klar. Das macht man aber nicht, indem man ein solches politisches Angebot ablehnt, sondern das macht man, indem man in Ausschussberatungen darüber noch einmal diskutiert, auch um möglicherweise die Frage zu klären, lieber Kollege Baasch: Was haben wir bisher an Instrumenten und was fehlt als Teilstück an Instrumenten noch? Macht es Sinn, sich über eine Alternative zu unterhalten?

Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum Sie heute einfach in Bausch und Bogen ablehnen. Das hat etwas mit Arroganz des Regierungshandelns zu tun.

(Widerspruch bei der CDU)

Ich finde das nicht unbedingt zielführend, ich finde es bedauerlich, muss es aber zur Kenntnis nehmen. Vielleicht springen Sie ja doch noch über Ihren Schatten und überweisen beide Anträge - das wäre mein Antrag - in den zuständigen Arbeits- und Sozialausschuss. Ich meine, wir würden den Menschen in Schleswig-Holstein damit mehr helfen, als einfach in Bausch und Bogen abzulehnen.

(Beifall bei der FDP)

Für die Gruppe des SSW hat Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskrepanz zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die liegen bleibt, und der hohen Zahl von Arbeitslosen ist nicht nur an den Stammtischen aufgefallen. In einigen Städten wuchert tatsächlich das Unkraut in den Parks, weil sich die Kommunen eine regelmäßige Rasenpflege nicht mehr leisten können oder wollen. Gleichzeitig schlagen auf den Parkbänken Arbeitslose die Zeit tot. So ist jedenfalls das Bild, das man manchmal bekommt.

Da liegt es doch nahe, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Entsprechende Überlegungen zur Überwindung dieser Lücke werden bereits seit mehr als zehn Jahren angestellt. Doch so einleuchtend das Modell auf den ersten Blick ist, so schwierig ist der Gedanke beim zweiten Hinsehen.

Erst einmal spricht die Konkurrenz zur bezahlten Arbeit gegen sogenannte Bürgerarbeit. Viele Gartenbaubetriebe können ein Lied davon singen, was gut gemeinte Arbeitsbeschaffungspolitik anrichten kann beziehungsweise konnte. Den Gartenbaubetrieben brach der Umsatz ein, weil ihnen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein wichtiges Standbein weghauten, nämlich die Grünpflege. Kunden und Kommunen, die sich ihre Garten- und Flächenpflege für kleines Geld von Arbeitslosen erledigen lassen konnten, lösten keine Aufträge mehr bei ihrem Gärtner aus.

Aus diesen Fehlentwicklungen, die zugegebenermaßen schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, hat die Arbeitsverwaltung gelernt. Konkurrenz durch subventionierte Arbeit gibt es heute kaum noch. Und das ist gut so, wenn man von der Einstiegsqualifikation absieht, die in manchen Betrieben Vollzeitstellen gekostet haben, weil der Unternehmer mit den von der Arbeitsagentur finanzierten Praktikanten mehrere tausend Euro im Jahr spart. So ist die Realität.

Bei der Bürgerarbeit befürchte ich Ähnliches, wenn sie, wie von den Grünen gefordert, irgendwann flächendeckend in Schleswig-Holstein eingeführt wird. In Sachsen-Anhalt hat man das Projekt nicht zufällig auf eine, und zwar auf eine kleine, Kommune beschränkt. Ein flächendeckender Einsatz erhöht die Gefahr, dass preisgünstige Arbeit Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt verdrängt, weil die Kontrolle, ob eine Tätigkeit zusätzlich ist

(Dr. Heiner Garg)

oder nicht, schwierig zu handhaben ist. Ich bezweifle, dass die Agentur für Arbeit oder wer auch immer dazu überhaupt in der Lage sein wird.

In Bad Schmiedeberg, dem Projektort in SachsenAnhalt, wird ein Lohn von circa 5 bis 5,50 € brutto pro Stunde gezahlt. Damit werden zum Beispiel Verwaltungstätigkeiten bei der Feuerwehr entlohnt, für die eigentlich ein höherer Tariflohn fällig wäre. Hier ist also der erste Arbeitsmarkt durchaus betroffen. Je nachdem, wie der gemeinnützige Bereich definiert wird, wird hier mehr oder weniger Arbeit durch Billiglöhne verdrängt. Genau dies darf aber nicht geschehen.

Die Erfahrungen mit der Ich-AG haben darüber hinaus gezeigt, dass pfiffige Unternehmernaturen durchaus in der Lage sind, neue Geschäftsfelder dauerhaft zu etablieren, wenn sie denn die nötige Anfangsfinanzierung hinbekommen. Ob diese dann auch ohne Unterstützung erhalten bleiben oder nicht, war damals egal. Inzwischen sind viele mobile Kosmetikstudios oder schnell eröffnete Imbissstuben schon wieder Vergangenheit. Gewonnen haben wir mit dieser Maßnahme fast nichts.

Das ist ein Beispiel dafür, wie nicht gewollte Effekte auf dem Arbeitsmarkt wirken. Solange der Zuschuss stimmt, freut es die freie Wirtschaft und danach bricht das Ganze wieder zusammen.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine flächendeckende Bürgerarbeit keinerlei Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt hätte. Eine Chance auf die Integration der Bürgerarbeiter auf dem regulären Arbeitsmarkt gibt es wiederum nicht. Zwar ist ein Bildungsgutschein vorgesehen, doch dessen Inanspruchnahme ist nicht verpflichtend, sondern freiwillig und es erfolgt keine systematische Qualifizierung dahin, dass man die Leute für den ersten Arbeitsmarkt fit macht.

Dass Sachsen-Anhalt Gelder aus dem Bereich Qualifikation zur Finanzierung des Projekts nutzt, halte ich persönlich für einen Skandal.

Die Agentur für Arbeit hat in den letzten Jahren ihre Weiterbildungsangebote systematisch zurückgefahren. Dänisch-Kurse, derzeit sehr begehrt, werden nicht finanziert, es sei denn, der Arbeitslose hat bereits die Zusage eines Arbeitgebers in der Tasche. Arbeitslose müssen in den Stand versetzt werden, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu finden. Sie müssen durch Qualifikation und Weiterbildung fit gemacht werden für die Ansprüche des Arbeitsmarkts. Das sollte unser allererstes Ziel sein.

Dazu trägt die Bürgerarbeit nicht bei. Sie ist also eine reine Beschäftigungsmaßnahme. Das mag für ei

nige Langzeitarbeitslose durchaus der richtige Weg sein, um sich wieder in den Arbeitstag hineinzufinden. Doch bezweifle ich, dass damit allen Arbeitslosen geholfen ist, zumal man dann für diese sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeit auch einen entsprechenden vernünftigen Lohn zu zahlen hat. Auch wenn es sich um Arbeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt handelt, muss ein ordentlicher Lohn gezahlt werden.

Dies führt mich zu einem weiteren Gegenargument. Bürgerarbeit darf keine Arbeit zweiter Klasse sein. Zur Entlohnung schreibt der Antrag lediglich eine Untergrenze, nämlich den Leistungsbezug nach SGB II, fest. Wir können nicht einerseits über Mindestlöhne streiten und sie dann bei der Bürgerarbeit außer Acht lassen.

Bei einem Mindestlohn von 6,50 € und einer 40Stunden-Woche sind wir bei knapp 1.100 €. In Sachsen-Anhalt liegt die Vergütung bei 900 €, auch für die zitierte Dame, die für die Feuerwehr Verwaltungstätigkeiten verrichtet. Das ist schon wenig genug und nicht ausreichend für einen Vollzeitjob. Das sollten eigentlich auch die Grünen so sehen, wenn sie wirklich immer noch für einen Mindestlohn eintreten.

Für eine Vergütung in einer vernünftigen Höhe sehe ich aber derzeit überhaupt keine Mittel, die die öffentliche Hand hat. Alles darunter wäre nur ein Ein-Euro-Job mit einem anderen Namen ohne Weiterbildung und Qualifizierung. Ich glaube, das ist der völlig verkehrte Weg.

Neben den bisher genannten inhaltlichen Problemen, die wir sehen, gibt es aber auch Probleme in der konkreten Umsetzung, wenn man über den Radius einer kleinen überschaubaren Kommune hinausblickt. Wer übernimmt überhaupt bei den gemeinnützigen Projekten und Vereinen die Einweisung und Anleitung, die Arbeitskontrolle und Abrechnung? Diese Frage lässt der Antrag offen. Aber irgendeiner wird es ja tun müssen.

Der SSW wird keinesfalls einer Belastung der Ehrenamtlichen zustimmen.

Zusammenfassend sehe ich in dem Projekt Bürgerarbeit keine Anknüpfungspunkte für eine Wende in der Arbeitsmarktpolitik. Der SSW wird das Wuchern neuer nebeneinander her existierender Projekte nicht unterstützen und lehnt dieses Ansinnen ab. Was wir brauchen, sind keine neuen Billiglohnprojekte, sondern eine Evaluation der bisher durchgeführten Projekte - davon gibt es viele in Schleswig-Holstein - und dann eine Arbeitsmarktpolitik aus einem Guss, die über Projekte weit hinausgeht und insbesondere - das ist ganz wichtig - die Wei

(Lars Harms)

terbildung und Qualifizierung der Betroffenen im Fokus haben muss. Wenn wir sie nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt unterbringen können, haben wir ein wahnsinniges Problem.

In dem Moment aber, wo wir wissen, dass jemand nur auf dem zweiten Arbeitsmarkt tätig sein kann, hat er es trotzdem verdient, einen ordentlichen Lohn zu bekommen. Das ist in Sachsen-Anhalt nicht der Fall.

Deshalb lehnen wir dieses Modell ab.

(Beifall bei SSW, CDU und SPD)

Zu einem Kurzbeitrag gemäß § 56 Abs. 4 Satz 4 unserer Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1993 gab es in Dänemark eine große Arbeitsmarktreform. Sie hatte das ganz zentrale Anliegen, dass jeder Arbeitslose, der länger als ein halbes Jahr arbeitslos ist, verpflichtet ist, für die Kommunen zu arbeiten. Das gilt für alle Arbeitslosen über 25 Jahre.

(Zuruf von der SPD: Er muss nicht nur für die Kommune arbeiten, sondern jedes Ar- beitsangebot annehmen! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Ja, er muss ein Arbeitsangebot annehmen. Ich danke für diese Zurufe.

Für Jugendliche unter 25 Jahren besteht die Verpflichtung, ein staatliches Weiterbildungsangebot anzunehmen. Da geht es nicht um entsprechende Arbeitsangebote.

Ich glaube, diese Unterscheidung ist richtig. Sie ist ja auch in dem FDP-Antrag benannt worden. Das begrüße ich.

Es ist gesagt worden, man könne Modelle aus Sachsen-Anhalt nicht auf den Westen übertragen. Das sehe auch ich so. Das heißt aber nicht, dass Modellen, die bei höherer Arbeitslosigkeit in SachsenAnhalt erfolgreich sind und, wie man hört, sogar erhebliche Erfolge haben, im Westen nicht entsprechende Modelle gegenüberstehen, die den jeweiligen Bedingungen angepasst sind. Genau darum geht es ja.

Deswegen ist es unsinnig zu sagen, es gebe bereits einen Modellversuch und man müsse abwarten, bis

er ausgewertet sei. Es macht vielmehr durchaus Sinn, sich die Frage zu stellen: Wollen wir einen entsprechenden Modellversuch für diese Personengruppe auch in Schleswig-Holstein machen? Diese Frage ist ausgesprochen sinnvoll.

Ich sehe auch nicht - das hat Heiner Garg schon gut ausgeführt -, dass wir für diesen Personenkreis entsprechende Angebote in Schleswig-Holstein hätten. Insofern mag man ja bei den beiden großen Fraktionen der Auffassung sein, dass die beiden Modelle, wie sie vorgelegt worden sind, noch nicht optimal sind.