Protocol of the Session on June 8, 2007

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Ob dies allein mit arbeitsmarktlichen Maßnahmen zu erreichen ist, erscheint mehr als fraglich. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen müssen aber immer davon gekennzeichnet sein, die Qualifizierung sowie die Beschäftigungsfähigkeit der Langzeitarbeitslosen in den Mittelpunkt zu stellen. Das Arbeitsministerium hat einen Ideenwettbewerb mit dem Ziel gestartet, Teilhabechancen von Menschen

zu generieren, die auch bei anspringender Konjunktur langfristig keine Chancen haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Es liegen mittlerweile zahlreiche Vorschläge aus den Kommunen und den Regionen vor, die derzeit ausgewertet werden. Wir sollten uns zeitnah vom Ministerium über diesen Wettbewerb berichten lassen. Genau das ist die Antwort, die wir in Schleswig-Holstein auf Sachsen-Anhalt geben müssen. Das ist der schleswig-holsteinische Weg, den wir hier gehen und der außerordentlich erfolgreich ist. Wenn man Augen und Ohren offenhält und sich vielleicht auch ab und an mal mit dem Lesen von Programmen beschäftigen würde, dann müsste man nicht das einfordern, was die Kollegin Birk getan hat.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau dieser Programmvorschlag fin- det sich nicht!)

Dass in den Kommunen die abgestimmten Projekte umgesetzt werden, ist auch auf die Initiative des Arbeitsministers „Geht nicht gibt’s nicht“ zurückzuführen.

Natürlich ist auch das Programm „Schule & Arbeitswelt“ schon angesprochen worden, das ein wichtiger Bestandteil ist und jungen Menschen tatsächlich eine Perspektive geben soll. Es soll nicht erst abgewartet werden, bis Schulabgänger keine Arbeit beziehungsweise keinen Ausbildungsplatz finden. Man will schon im Vorfeld präventiv tätig werden. Das ist notwendig, denn es ist festzustellen, dass 10 % aller Schülerinnen und Schüler in diesem Land die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Genau dies sind später die Menschen, die in der Arbeitslosigkeit verbleiben beziehungsweise keine Auswege finden, weil sie nicht die Qualifizierung haben, um am Arbeitsmarkt bestehen zu können. In diesem Projekt einen Großteil der finanziellen Mittel der Arbeitsmarktpolitik einzusetzen, ist eine Schwerpunktsetzung, die wir ausdrücklich teilen.

Auch auf Bundesebene gibt es gezielte Hilfen. So sollen rund 100.000 Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen noch in dieser Legislaturperiode des Bundestages in Arbeit vermittelt werden. Bei diesem Personenkreis wird davon ausgegangen, dass eine Vermittlung unter üblichen Bedingungen innerhalb von 24 Monaten nicht möglich ist. Als Arbeitsplätze kommen soziale Betriebe, gemeinnützige Unternehmen, Integrationsunternehmen sowie geeignete Betriebe in dem ersten Arbeitsmarkt infrage. Als förderfähiges Einkommen wird die unterste Lohngruppe beziehungs

(Wolfgang Baasch)

weise der ortsübliche Lohn angesehen. Auch dies ist ein Unterschied zu Bad Schmiedeberg, wo es tatsächlich sehr geringe Bruttolöhne gibt.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dies ist für uns nicht der Maßstab!)

Deswegen ist es auch richtig, sich genau dieses Programm auf Bundesebene vorzunehmen und zu schauen, wie wir daran in Schleswig-Holstein partizipieren können und wie wir dadurch - zum Beispiel auch über den runden Tisch, den der Arbeitsminister eingerichtet hat - die Kommunen und die Träger motivieren können, sich an diesem Projekt zu beteiligen und eine Umsetzung auch in Schleswig-Holstein zu ermöglichen. Auch bei diesem Projekt steht die Qualifizierung und die Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit im Vordergrund und nicht einfach nur eine Beschäftigung - egal wo und wie, Hauptsache, sie wird bezahlt.

Wir haben keine grundsätzlichen Probleme mit zusätzlicher Arbeit, das gilt auch für Ein-Euro-Jobs. Wer hier von Ein-Euro-Jobs spricht, muss auch immer im Vordergrund sagen, dass natürlich die Unterstützungsleistungen gezahlt werden, dass natürlich die 345 € beziehungsweise die Unterkunftskosten, die Heizungskosten und all das bezahlt werden und der 1 € beziehungsweise die 1,50 € zusätzlich gezahlt werden. Ich glaube, das macht deutlich, dass auch damit Teilhabe organisiert werden kann. Es kann aber keine Dauerlösung sein und deswegen muss man bei EinEuro-Jobs auch immer wieder zu sehen, dass sie der Qualifizierung und der Beschäftigungsfähigkeit und auch der Stärkung des Selbstwertgefühls der Menschen dienen.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Das sind auch die Voraussetzungen, die es Menschen ermöglichen, nach dem Durchlaufen von EinEuro-Jobs auch im ersten Arbeitsmarkt wieder eher Fuß zu fassen.

Wir haben - wie schon gesagt - grundsätzlich keine Probleme mit zusätzlicher Arbeit, die im Gemeinwohlinteresse liegt. Wir meinen aber, dass die pure Übernahme eines Modells aus einem anderen Bundesland auf Basis völlig unterschiedlicher Rahmenbedingungen und noch dazu erst kurz erprobt nicht weiterhilft. Ich möchte dazu kurz ausführen, dass es natürlich in Sachsen-Anhalt eine ganz andere Struktur von Arbeitslosigkeit gibt.

Sachsen-Anhalt hat mit 16 % eine fast doppelt so hohe Arbeitslosenquote wie Schleswig-Holstein. Dort sind sehr viele Menschen ohne Arbeit, denen es nicht an den grundsätzlichen Voraussetzungen

fehlt, sondern schlicht und einfach an einer Arbeitsstelle. Diese Menschen kann der freie Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein aber in zunehmendem Maße wieder aufnehmen. Das zeigen die aktuellen Arbeitsmarktzahlen.

Ein Teil des Erfolgs des sachsen-anhaltinischen Modells - hier finden wir eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Ländern - ist darauf zurückzuführen, dass sich ein erheblicher Anteil von Menschen aus der Arbeitslosigkeit abmeldet. Aber auch das ist nichts Neues. Auch das haben wir in der Vergangenheit immer wieder beobachten können. Ich erinnere nur daran, dass es bei der Lübecker Beschäftigungsgesellschaft, die ich eine Zeitlang begleiten durfte, bei einem Projekt so lief, dass, wer sich angemeldet hat, noch am gleichen Tag die Vorladung und das Angebot einer Arbeit bekam. Seltsamerweise sind von der Anmeldung bis zur Vorstellung beim Arbeitsplatz 15 bis 20 % der Antragsteller verschwunden. Die Betroffenen haben also auf ihren Antrag auf Unterstützung verzichtet. Dabei handelt es sich um Menschen, die angebotene Arbeit aus unterschiedlichsten Gründen nicht annehmen wollten.

Ich bin weit davon entfernt, dies verdammen zu wollen. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass ein Teil der statistischen Erfolge beim Bürgerarbeitsmodell darauf zurückzuführen ist, dass sich Menschen aus der Arbeitslosigkeit abmelden, weil sie eben andere Einkommensquellen haben oder weil es einfach nicht in ihre Lebensplanung passt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das ist dann eine persönliche Entscheidung und das wird natürlich auch über das sachsen-anhaltinische Modell bewirkt.

Wir gehen davon aus, dass die Überprüfung der Mitwirkungsbereitschaft und die Reduzierung der Schwarzarbeit richtige Ansätze sind, aber auch die sind in Schleswig-Holstein in den entsprechenden Programmen des Arbeitsministers mit aufgeführt. Die letzteren Ziele könnten jedoch mit dem Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überhaupt nicht erreicht werden, weil dort gerade eben nur auf Freiwilligkeit gesetzt wird und zum Beispiel Leistungskürzungen auch ausdrücklich abgelehnt werden. Insofern ist die Anlehnung an das sachsen-anhaltinische Projekt, so wie es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, lediglich punktuell.

Wir werden uns, wenn das Modell in Sachsen-Anhalt abgeschlossen ist, sehr genau ansehen, wie es den verbleibenden Menschen geht, wie das Angebot angenommen wird, wie damit umgegangen wird und wie die wissenschaftliche Evaluation ausfällt. Wir werden den Antrag von BÜNDNIS 90/

(Wolfgang Baasch)

DIE GRÜNEN - allerdings auch den Antrag der FDP als Änderungsantrag dazu - heute hier ablehnen. Ich möchte ganz kurz noch einmal die drei Gründe zusammenfassen: Erstens. Das Konzept greift zu kurz, es lässt zivilgesellschaftliche Aspekte außen vor. Zweitens. Das Bezugsmodell ist kaum erprobt. Die Anfangserfolge sagen wenig über die Nachhaltigkeit der Maßnahmen. Drittens. Wir brauchen in Schleswig-Holstein eigene, auf unsere spezifischen Rahmenbedingungen abgestimmte Strategien. Diese werden entwickelt. Ich finde, über genau diese sollten wir dann auch im Sozialausschuss vertiefend diskutieren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die Fraktion der FDP hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schleswig-Holstein ist in der Arbeitsmarktpolitik so weit wie noch nie. Wir haben uns interfraktionell und ich hätte das vor fünf Jahren noch nicht für möglich gehalten - auf Grundsätze geeinigt. Grundsatz Nummer 1: Wer arbeitet, muss mehr im Portemonnaie haben als derjenige, der nicht arbeitet.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Grundsatz Nummer 2: Diejenigen, die ein Arbeitsangebot bekommen, müssen es auch annehmen, ansonsten drohen Sanktionen. Wer hätte das vor fünf Jahren bei dem Streit für möglich gehalten, den wir hier grundsätzlich über Arbeitsmarktpolitik geführt haben?

Grundsatz Nummer drei: Die Integration in den ersten Arbeitsmarkt muss absolute Priorität haben. Auch das war in diesem Haus nicht immer unumstritten. Jetzt, weil so große Einigkeit herrscht, gibt es doch eine Möglichkeit, eine Chance, über genau die Gruppe zu diskutieren, die bei den ganzen arbeitsmarktpolitischen Debatten in der Vergangenheit immer nach hinten durchzurutschen drohte,

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

nämlich über diejenigen, denen Sie noch so viel gut gemeinte Qualifikation anbieten können, bei denen Sie über noch so viel integrative Maßnahmen reden können, die aber in Wirklichkeit vermutlich kaum oder gar nicht mehr vermittelbar sind. Es gab auch immer eine Einigkeit - jedenfalls im Ansatz - dar

über, dass für diese Menschen ein anderes Instrument entwickelt werden muss, ein sozialpolitisch flankierendes Instrument, damit diese Menschen nicht aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden.

Vor diesem Hintergrund verstehe ich ehrlich gesagt die Ablehnung zumindest unseres Änderungsantrages in der Form, wie sie hier vorgetragen wurde, nicht. Was der regierungsamtliche Sprecher Torsten Geerdts hier als Antwort schuldig geblieben ist, ist, wo sich denn eigentlich im Programm der Landesregierung, das wir durchaus unterstützen, dieser sozial flankierende Ansatz für die Personengruppe befindet, die nicht mehr vermittelt werden kann. Ich habe in unserem Antrag bewusst darauf verzichtet, an Sachsen-Anhalt anzulehnen. Ich halte das Modell in Sachsen-Anhalt so, wie es durchgeführt wird, für ausgesprochen problematisch.

Kollege Baasch, an dem Begriff Bürgerarbeit will ich mich überhaupt nicht festbeißen. Ich will hier keine Begriffsklauberei betreiben. Ich halte es allerdings auch für problematisch, einen Begriff zu wählen, von dem 99 % der Bevölkerung noch gar nicht wissen, was dahintersteckt. Den Begriff „Inklusion“ halte ich also für etwas problematisch.

Wir reden in Schleswig-Holstein über etwa 15.000 Menschen, die vermutlich, wenn wir ehrlich zueinander sind, nicht mehr in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln sind.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es geht dabei - das ist auch der Ansatz der Grünen darum, dass diese Personen nicht völlig vom Arbeitsleben - vom Arbeitsleben, nicht vom Arbeitsmarkt - abgekoppelt werden, dass Grundfähigkeiten wie morgens aufstehen, sich waschen, sich ein Frühstück zubereiten und zu einer bestimmten Tageszeit pünktlich an einem Ort erscheinen, nicht völlig verloren gehen, obwohl diese Menschen vermutlich keine Chance mehr im ersten Arbeitsmarkt haben. Darum geht es und darauf muss eine Antwort gegeben werden.

Hier böte aus unserer Sicht die Einführung eines klar definierten Modellprojektes sehr wohl die Möglichkeit, dies regional begrenzt für Menschen auf den Weg zu bringen, deren Integration vermutlich ausgesprochen schwierig wird.

Lieber Torsten Geerdts, lieber Wolfgang Baasch, uns geht es um ein Modellprojekt zu schleswigholsteinischen Konditionen,

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Wolfgang Baasch)

das wir hier ganz klar definieren. Ich will es gleich vorwegnehmen: Bürgerarbeit ist keine Wunderwaffe. Sie ist aber mit Sicherheit der bessere Weg, als Arbeitslosigkeit einfach zu bezahlen. Es könnte ja auch den Nebeneffekt haben, dass Langzeitarbeitslose im Rahmen ihrer Fähigkeiten für die erhaltene Transferleistung auch eine entsprechende Gegenleistung erbringen. Auch das halte ich für selbstverständlich.

Bürgerarbeit kann keine Pauschalarbeit sein, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Bürgerarbeit ist auch kein Instrument, um ein riesiges Arbeitsmarktprogramm anzuschieben. Deshalb ist keine Ausweitung des Modellprojektes auf einen möglichst großen, nicht differenzierten und konkret definierten Personenkreis - jedenfalls von uns - gewollt. Es geht nicht darum - um das Beispiel von Sachsen-Anhalt zu nennen, das der Herr Arbeitsminister immer wieder bemüht -, einen 55-jährigen Elektrikmeister jahrelang die Oldtimer der Freiwilligen Feuerwehr warten zu lassen. Da sind wir beieinander. Für Menschen mit dieser Qualifikation gibt es andere Instrumente, gerade hier in Schleswig-Holstein, und diese Instrumente müssen konsequent zum Einsatz gebracht werden.

Es darf auch nicht darum gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, jugendlichen Arbeitslosen unter 25 Jahren Bürgerarbeit anzubieten. Die brauchen spezielle Angebote, um ihre Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit zu steigern.

Arbeitslose dürfen selbstverständlich nicht mit öffentlichem Geld vom Arbeitsmarkt weggekauft werden, wie Arbeitsminister Döring auch zu Recht feststellt. Bürgerarbeit kann sich also nur an einen sehr eng zugeschnittenen Personenkreis richten, der langzeitarbeitslos ist,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

der weder vermittelt wurde noch in absehbarer Zeit vermittelt werden kann noch durch Trainingsmaßnahmen und Weiterqualifizierung in absehbarer Zeit überhaupt irgendeine Chance auf Integration in den Arbeitsmarkt hat. Bürgerarbeit soll also als sozialpolitisch flankierende Maßnahme der bisherigen Arbeitsmarktpolitik fungieren, nicht mehr, aber auch nicht weniger, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Eingliederungsmaßnahmen in zeitlich befristete oder staatlich geförderte Beschäftigungsangebote wie beispielsweise in die sogenannten Ein-EuroJobs oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind für diesen Personenkreis - sagen wir mal vorsichtig wenig geeignet. Das hat die Auswertung der Bundesagentur für Arbeit ganz klar ergeben. Auch das

Instrument eines Kombilohns bietet für genau diese Gruppe der Langzeitarbeitslosen keine passgenaue Lösung. Wenn wir tatsächlich innovative und regionale Projekte gemeinsam in regionaler Begleitung der Kammern, Unternehmen, sozialen Einrichtungen und Gewerkschaften auf den Weg bringen wollen, dann benötigen wir über die bisher praktizierte Ideenfindung an den Runden Tischen hinaus ein Instrument zur praktischen Umsetzung. Selbstverständlich könnte das das Instrument der Bürgerarbeit sein. Wie man das Kind am Ende nennt, ist doch völlig egal, Hauptsache, man erreicht etwas für die Menschen. Es geht in Schleswig-Holstein um 15.000 Menschen!

Eines will ich für meine Fraktion ganz deutlich sagen: Bürgerarbeit darf keine negativen Auswirkungen auf reguläre Arbeitsangebote haben.