Damit eröffne ich die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek von der CDUFraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! „Europa in der Krise“, so sagen viele. Der Begriff „Krise“ ist hundertprozentig richtig in seiner ursprünglichen griechischen Bedeutung, nämlich Wendepunkt. Was sich jetzt abspielen muss, ist in der Tat eine Wende; keine Wende gegen die europäische Integration, keine Wende gegen Europa. Aber Europa muss für den einzelnen Bürger verständlich werden. Die Parlamente müssen an den Entscheidungen beteiligt werden,
die für die Länder und Regionen relevant sind. Länder müssen in Gesetzgebungsverfahren eingebunden werden, und zwar bevor diese als Gesetze und Verordnungen ohne Teilnahme der Landesparlamente von der EU verabschiedet werden.
In der Europäischen Verfassung gibt es ausreichend Regelungen, die die Teilnahme der Landesparlamente ermöglichen. Da ist als Erstes die Regelung der Kompetenzen, also der Zuständigkeiten. Zu unterscheiden sind einmal die ausschließlichen Zuständigkeiten der Union. Diese umfassen zum Beispiel die Bereiche Währungspolitik, Zollunion, Abschluss internationaler Übereinkommen. Hier halten wir uns als Landesparlament heraus.
Der zweite Bereich ist der Komplex der geteilten Zuständigkeit mit einer Vielzahl von Politikfeldern, zum Beispiel Verkehr, Energie, Verbraucherschutz und Umwelt. Gemäß Artikel 11 des Verfassungsentwurfs haben die Europäische Union und die Mitgliedstaaten die Befugnis, in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig zu werden und rechtlich bindende Rechtsakte zu erlassen. Allerdings - so ist das in Artikel 11 geregelt - nehmen die Mitgliedstaaten nur ihre Zuständigkeiten wahr, sofern und soweit die Europäische Union ihre Zuständigkeiten nicht ausgeübt hat oder entschieden hat, diese nicht mehr auszuüben.
Der dritte Bereich der Kompetenzen umfasst die Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmöglichkeiten durch die Europäische Union in Länderangelegenheiten wie den Bereichen Industrie, Bildung, Jugend, Sport, Kultur und Zivilschutz. Auch diese Rechte müssen wir gegen die schleichende Einflussnahme der Europäischen Union verteidigen.
Worauf müssen wir achten und welche Möglichkeiten der Einflussnahme müssen wir nutzen? Artikel 9 des Verfassungsentwurfs besagt, dass die Union nur in den Bereichen tätig wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden können. Das ist das Subsidiaritätsprinzip.
Im Anhang zu den dem Verfassungsentwurf beigefügten Protokollen wird das zweistufige Kontrollsystem bezüglich der Einhaltung der Subsidiarität beschrieben. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass das nationale Parlament oder die jeweilige Kammer eines nationalen Parlaments gegebenenfalls die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen zu konsultieren hat. An dieser Stelle müssen wir uns einschalten. Hier müssen wir ein System entwickeln, das es uns ermöglicht, innerhalb der nur sechswöchigen Frist, die uns für eine offizielle Stellungnahme zu Gesetzgebungsverfahren zur Verfügung steht, zu reagieren. Da unser Land auch die Interessen der Kommunen gegenüber der EU ausreichend wahrzunehmen hat, müssen die kommunalen Landesverbände in die Kontrolle zur Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips eingebunden werden.
Es ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein erheblicher Unterschied, ob unser Parlament beziehungsweise dessen Ausschüsse nur über europäische Ge
setzgebungsverfahren informiert oder ob es offizielle Stellungnahmen zur Rechtswirkung abgeben kann.
Verstärkt wird die Kontrollfunktion der Länder noch durch die Einführung eines eigenen Klagerechts zum Schutz des Subsidiaritätsprinzips, allerdings nur als Recht für einen Mitgliedstaat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns unsere Rechte verteidigen, damit wir unseren politischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum erhalten. Die Europäische Union hat genug Politikfelder, in denen sie bestimmen kann und muss.
Unser Parlament kann bundesweit führend werden im organisatorischen Aufbau und in der inhaltlichen Gestaltung des den Bundesländern laut EU-Verfassungsentwurf zugestandenen Frühwarnsystems. Packen wir es an mit unseren Ausschüssen, unserem Wissenschaftlichen Dienst, dem Hanse-Office und unseren EU-Abgeordneten sowie unserer Landesregierung. Allen Bürgerinnen und Bürgern wird die EU damit verständlicher. Es wird ihre Union und das wollen wir doch alle.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek und erteile für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Astrid Höfs das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, soweit sie noch da sind. Schön, dass Sie mir jetzt zuhören werden.
Auch wenn die Europäische Verfassung noch nicht in Kraft ist - Sie hören, ich bin Optimistin; ich denke, wir werden das irgendwann erreichen -, sind uns die Begriffe „Frühwarnsystem“ und „Subsidiaritätskontrolle“ nicht unbekannt; denn bereits in der letzten Wahlperiode hat sich die SPD-Fraktion sehr intensiv damit beschäftigt, da die Landtage in Niedersachsen und im Saarland die Verfassungen ihrer Länder und ihre Geschäftsordnungen geändert haben.
Ziel dieser Änderungen war es - dies entsprach auch unseren Intentionen -, den Europaausschuss und damit den Landtag inhaltlich und institutionell gegenüber der Landesregierung zu stärken, indem dem Europaausschuss ausdrücklich die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und die Berücksichtigung dieser parlamentarischen Stellungnahme durch die Landesregierung verankert wird.
Ergänzend verfolgte die SPD-Fraktion das Ziel, den Europaausschuss als Querschnittsausschuss formal zu stärken. Er sollte federführend zu allen Vorhaben der EU beraten können und durch Selbstbefassung tätig werden, um so rechtzeitig wichtige Informationen aus Brüssel, die für Schleswig-Holstein relevant sind, an das Parlament insgesamt weiterzugeben und damit eine schnelle Stellungnahme gegenüber der Landesregierung möglich zu machen.
Wenn es heißt, Europapolitik ist Landespolitik, dann heißt das für uns in diesem Hause: Europa ist Landtagspolitik. - Nach dem Text der Verfassung erhalten die nationalen Parlamente nach dem Subsidiaritätskontrollmechanismus die Vorschläge für die Gesetzgebungsakte der Kommission. Dieses Frühwarnsystem ist dem förmlichen Gesetzgebungsverfahren vorgeschaltet und die nationalen Parlamente haben für die Subsidiaritätsüberprüfung und die Stellungnahme sechs Wochen Zeit.
Auch ohne Verfassung ist in der Vergangenheit für die EU immer die Pflicht zugrunde gelegt worden, dass bei Rechtsetzungsvorhaben das Subsidiaritätsprinzip greift, wonach die EU nur tätig werden kann, wenn eine Rechtsetzung auf anderer Ebene nicht besser geregelt werden kann. Bisher wurde in diesem Zusammenhang und bei der Sechs-Wochen-Frist nur das Zusammenwirken von Bundestag und Bundesrat diskutiert und ein gemeinsamer Ausschuss angedacht. Das allein kann die Landesparlamente jedoch nicht befriedigen. Ein gemeinsamer Ausschuss des Bundestages mit den Landesregierungen bringt uns nicht weiter.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass sechs Wochen eine zu geringe Frist sind, um die Landtage und ihre Ausschüsse wirklich zu beteiligen. Das riecht ein bisschen nach weißer Salbe, nach einem Placebo.
Festzustellen ist: Die zunehmenden Verflechtungen zwischen den europäischen, nationalen und regionalen Entscheidungen und Politiken erfordern zur Wahrung der Landesinteressen eine frühzeitige und die Politikbereiche übergreifende Bewertung und Positionierung bei nationalen und europäischen Entscheidungen. Das Frühwarnsystem sichert das Recht, Planungen der EU-Kommission daraufhin zu überprüfen, ob sie dem Subsidiaritätsprinzip entsprechen.
Subsidiarität heißt, dass die Landesebene alle Aufgaben wahrnimmt. Wenn einheitliche Regelungen sinnvoller sind, werden der Bundestag oder das Europaparlament tätig. Das ist eine klare Absage an einen europäischen Zentralismus und nimmt auch denjenigen den Wind aus den Segeln, die behaupten, Brüssel regle alles von oben, zentral, undemokratisch und
bürgerfern. Es geht also bei der Subsidiaritätskontrolle und dem Frühwarnsystem nicht um ein MitspielenWollen - wie im Kindergarten -, es geht vielmehr um gelebte und praktizierte Demokratie, Bürgernähe, vor allen Dingen Transparenz von Entscheidungen.
Der zentrale Ort der Willensbildung ist das Parlament. Es geht also um die angemessene Teilhabe des Landtages am europäischen Integrations- und Entscheidungsprozess. Der Landtag übernimmt eine zentrale demokratische Legitimationsfunktion und eine wichtige Vermittlungs- und Integrationsfunktion europäischer Politik. Wir sind überzeugt, die Europapolitik wird im Landesparlament nur dann einen höheren Stellenwert erlangen, wenn sich ein entsprechendes Bewusstsein innerhalb des Landtages - ich betone noch einmal: innerhalb des Landtages! - über die Bedeutung der Europapolitik entwickelt. Nur so wird der Landtag eine aktive Rolle als europapolitischer Akteur einnehmen können und nicht zum Verlierer werden.
Die Europäische Union hat ein zentrales Problem: die geringe Akzeptanz und das sinkende Ansehen der europäischen Institutionen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Diese Aspekte waren, neben innenpolitischen Gründen, auch der Anlass für die Franzosen und die Niederländer, zur Verfassung Nein zu sagen.
Ich komme jetzt gleich zum Schluss. Wir wollen ein Europa der Bürger. Diese müssen und sollen auch in die Entscheidungen eingebunden oder zumindest im Vorwege informiert werden. Dann werden wir sicher einen Teil der Vorbehalte bei den Bürgerinnen und Bürgern abbauen können. Jetzt zu warten, bis Europa eine Verfassung hat, wäre der absolut falsche Weg. Daher haben die Koalitionsfraktionen diesen gemeinsamen Antrag formuliert. Es muss weitergehen mit Europa.
Wir danken der Frau Abgeordneten Astrid Höfs. - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne dürfen wir Senioren von ver.di Rendsburg sehr herzlich begrüßen. - Wir freuen uns, dass Sie hier sind.
hernd 100 % Einigkeit haben. Der EU-Verfassungsvertrag, der nun für einige Zeit auf Eis liegen wird, wenn er denn überhaupt so zustande kommen wird - wir haben heute Morgen bereits über das Thema diskutiert -, hätte im Bereich der Subsidiaritätskontrolle wirklich nennenswerte Verbesserungen gebracht.
- Natürlich ist es traurig, dass dieser Pluspunkt nicht realisiert wird. Wir haben bereits in der letzten Plenarsitzung darüber diskutiert. Es gibt auch ein paar Kritikpunkte an dem Verfassungsentwurf. Aber okay. Das, was da fixiert worden ist, kommt so nicht.
Gleichwohl ist die Frage der Beteiligung der nationalen Regierungen, darüber hinaus auch im Rahmen der Mitwirkung der Landesebene über den Bundesrat ein ganz zentrales Thema. Wir müssen in Zukunft auch wegen der Bedeutung, die die EU-Gesetzgebung immer mehr auch auf die Lebensverhältnisse hier im Land hat, stärker unser Augenmerk darauf richten, was auf EU-Ebene passiert - auch im Sinne eines Frühwarnsystems, auch im Sinne des rechtzeitigen Einschreitens zur Verhinderung von Fehlentwicklungen. Ich habe heute Vormittag in der Aktuellen Stunde beispielsweise auf die Diskussion über den Verordnungsentwurf zu einem neuen Chemikalienrecht der EU verwiesen. Da läuft die Diskussion seit geraumer Zeit. Das hängt damit zusammen, dass eine ganze Branche in ihrer Existenz nachhaltig beeinträchtigt wird und daraufhin eine entsprechende öffentliche Debatte und die Alarmierung der politischen Institutionen hier im Land zustande gekommen ist.
Bei vielen anderen Dingen ist das nicht der Fall. Aus Berlin hört man oft, dass EU-Vorlagen im Deutschen Bundestag sozusagen in den letzten fünf Minuten vor Schluss einer Ausschusssitzung mehr oder weniger ohne lange Beratungen durchgewunken werden. Ich weiß nicht, wie sich das im Bundesrat abspielt. Ein zentraler Punkt ist, dass man das Augenmerk stärker auf die Punkte legt, die vor Ort Auswirkungen haben. Deshalb begrüße ich die Initiative, die die Fraktionen von CDU und SPD ergriffen haben. Wir sollten aufgrund dessen, was uns die Landesregierung dazu vorlegen wird, einmal darüber diskutieren, wie wir das Thema in der Umsetzung im Rahmen der Landtagsarbeit, des Europaausschusses in Zukunft besser in den Griff bekommen als in der Vergangenheit.
Ich danke Ihnen, Herr Dr. Klug. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält die Fraktionsvorsitzende, Frau Abgeordnete Anne Lütkes.
(Günter Neugebauer [SPD]: Aber nicht im Plenarsaal! - Die Abgeordnete Monika Hei- nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] betritt den Plenarsaal)