Bei einer repräsentativen weltweiten Umfrage unter internationalen Investoren über Steuersysteme erreichte das deutsche Steuersystem unter 104 betrachteten Staaten den Platz 104. Veteranen des Klassenkampfes wie der Kollege Neugebauer mögen das als Erfolg verbuchen, für Arbeitsplätze in Deutschland ist es aber ganz schlecht, denn Arbeitsplätze sind schon fast die letzten standortge
bundenen Kostenfaktoren, und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden arbeitslos, wenn das Kapital vertrieben wird oder gar nicht erst kommt. Leider trägt der Entwurf der Bundesregierung kaum dazu bei, die steuerliche Attraktivität Deutschlands für Kapital zu erhöhen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Unternehmensteuerrecht krankt an vielen Übeln. Zunächst ist die Steuerlast zu hoch. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit 39 % durchschnittlicher Steuerlast auf Unternehmensgewinne ganz oben in der Tabelle. Dieser Nachteil wird verstärkt durch die fast unüberschaubare Komplexität der Regeln, nach denen die Bemessungsgrundlage für diese 39 % ermittelt wird. Ich kann Ihnen sagen, selbst Fachanwälte für Steuerrecht haben da gelegentlich Schwierigkeiten. Hinzu kommt die Gewerbesteuer, die der Systematik des deutschen Unternehmensteuerrechts zuwider läuft und die zugleich die unbeständigste Komponente der Einnahmen der Kommunen ist. Die Bundesregierung schlägt nun vor, die durchschnittliche Steuerlast auf unter 30 % zu senken. Damit würde Deutschland in der europäischen Steuerlasttabelle unter den Durchschnitt rutschen. Das ist sinnvoll, weil diese durchschnittliche Steuerlast auf Unternehmensgewinne ganz entscheidend die Standortentscheidungen von Unternehmen beeinflusst.
Der Rest der großkoalitionären Unternehmensteuerreform ist allerdings Murks. Mit der Zinsschranke sollen Kosten besteuert werden, womit die Besteuerung nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit aufgegeben wird. Die systemfremde Gewerbesteuer soll erhalten bleiben. Dadurch wird eine viel höhere Schwankungsbreite der kommunalen Einnahmen in Kauf genommen als bei anfangs aufkommensgleichen Zuschlägen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld aller in einer Kommune ansässigen Unternehmen und Betriebsteile inklusive der Freiberuflerinnen und Freiberufler.
Außerdem will die Bundesregierung einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne weiterhin unterschiedlich besteuern, so als würde sie wissen, was die bessere Verwendung sei. Das gleiche gilt auch für die unterschiedliche Besteuerung von Kapitalund Personengesellschaften, etwas, von dem viele Verfassungsjuristen meinen, dass es gänzlich unzulässig wäre. Ferner will die Bundesregierung die degressive Abschreibung abschaffen, obwohl gerade diese Form der Abschreibung in den meisten Fällen dem tatsächlichen Zeitverlauf des Wertverlustes von Investitionsgütern am nächsten kommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt bringt diese Reform wenig bis gar nichts. Ob sie tatsächlich die vom SSW befürchteten Senkungen der unternehmerischen Steuerlast von 5 bis 10 Milliarden € auslösen kann, wird von vielen Steuerfachleuten bestritten, wie die Anhörung im Deutschen Bundestag ergeben hat. Von daher wäre die Absicht des SSW bereits verwirklicht. Das wäre allerdings nach unserer Auffassung schlecht für Deutschland. Wer auch mittelfristig mehr Arbeitsplätze in Deutschland will, der sollte sich für die vorgeschlagene Senkung der Steuersätze einsetzen und gegen den Rest der Reform, denn gerade bei Unternehmensteuern reagieren die Steuereinnahmen vergleichsweise stark auf die Veränderung von Steuersätzen. Deshalb sind aus fiskalischer Sicht die sogenannten Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Steuersatzsenkung ziemlich überflüssig.
Liebe Kollegin Spoorendonk, erlauben Sie mir den schlichten Hinweis, dass man eine Steuersenkung aufkommensneutral genauso sinnlos macht wie eine Steuererhöhung aufkommensneutral. Der Sinn dieser Maßnahme ist, dass jeweils in der Periode, in der sie geschieht, das nicht geschieht, was Sie zur Voraussetzung Ihres Vorschlages gemacht haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, morgen erwarten wir die Ergebnisse der Steuerschätzung für Deutschland. Die Untergrenze der bisher kolportierten Mehreinnahmen bis 2011 gegenüber den Steuerschätzungen im November und Mai letzten Jahres beträgt - so die Auskunft des Bundesfinanzministers in einer bemerkenswerten öffentlichen Darstellung - 200 Milliarden €, mindestens 40 Milliarden € pro Jahr. Die Vorteile aus einer niedrigen Belastung der Unternehmen würden nach unserer Auffassung einen Rückgang auf 35 Milliarden € zusätzlich pro Jahr aufwiegen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kubicki, Steuerpolitik treibt uns immer weit auseinander. Wenn Sie hier einen Vorschlag auf den Tisch legen, der sagt, wenn ich das richtig verstanden habe, Steuersenkung ja in den
Steuersätzen, aber null Gegenfinanzierung, null Kompensation, schlägt das dem Fass den Boden aus, Herr Kubicki.
Womit, wenn ich an gestern Morgen erinnern darf, wollen Sie die Mehrgelder für Ihre Beamten bezahlen? Eine kleine Frage: Wovon wollen Sie die Bildungsreform bezahlen?
Kommen wir zu den Fragen, die uns heute umtreiben. Die erste ist die Frage: Wird diese Steuerreform zu Steuerausfällen führen? - Ja, mindestens 10 Milliarden €. Die Kommunen rechnen für ihre Seite mit circa 2 Milliarden €.
Zweitens: Ist die Gegenfinanzierung gesichert? Nein, ist sie nicht. Auch da werden wir uns schnell einig sein, zumal die Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages die Reform ziemlich verrissen hat.
Dritte Frage: Kann Schleswig-Holstein, können unsere Kommunen Steuerausfälle in der Höhe verkraften? - Nein, das können sie nicht. Wir brauchen das Geld dringend für Bildungs- und Familienpolitik, für Sozialpolitik und Umweltpolitik.
Viertens: Ist das neue Gesetz unbürokratisch, führt es zu einer Steuervereinfachung, ist es transparent? - Nein, das ist es nicht. Es bringt keine Rechtssicherheit, es bringt keine Steuervereinfachung. Die Berliner sehen überwiegend mit Graus, dass zukünftig mehr denn je der Steuerberater über das zu entscheiden hat, was die Unternehmen zahlen, und nicht die reale Gewinnsituation.
Fünfte Frage: Würde die SPD, wenn sie in Schleswig-Holstein in der Opposition wäre, den SSW in ähnlichem Wortlaut hier auf die Tagesordnung bringen? Ja, ich gehe davon aus, dass sie dieses tun würde, denn bisher waren wir uns immer einig, Frau Herdejürgen, dass eine Steuerreform nicht zu exorbitanten Minderausgaben für Schleswig-Holstein führen darf. Dafür haben wir jahrelang gemeinsam gekämpft. Wenn ich Ihre Berliner Position richtig verstehe, sind wir uns auch heute noch darüber einig, dass eine Steuerreform im Prinzip aufkommensneutral sein muss. Die Frage - und das haben Sie auch berechtigt und differenziert in den
Raum gestellt - allein lautet: Kann dieses im ersten Jahr sofort passieren, oder brauchen wir 20, 30 oder 40 Jahre? Das wäre mit Sicherheit zu viel. Bevor eine Reform verabschiedet wird, muss klar sein, dass wir nicht über Jahre oder auf Dauer Minderausgaben haben.
Nächste Frage: Was sagt der Normenkontrollrat, von der Bundesregierung in Berlin zur Entbürokratisierung neu eingeführt, was sagt der Normenkontrollrat zu diesem Gesetz?
Er sagt, das sei eine bürokratische Belastung für kleine Unternehmen, das sei eine bürokratische Belastung für Selbstständige. Diesen Betrieben entstehen bürokratische Kosten in Höhe von 3 Millionen € oder mehr. Hier sage ich: Wenn der Normenkontrollrat in Berlin Sinn machen soll, dann muss er als erstes diesen bürokratischen Wahnsinn stoppen.
Meine Fraktion stimmt dem Antrag des SSW zu. Wir hoffen, dass es in Berlin noch deutliche Veränderungen gibt, denn ich sage es noch einmal: Steuermindereinnahmen in dieser Größenordnung können und wollen wir uns nicht leisten.
Ich danke Frau Abgeordneter Monika Heinold. - Zu einem Kurzbeitrag erteile ich Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mich vorhin gemeldet, weil die Frage aufkam, wieso wir dieses Thema heute noch einmal diskutieren. Der Bundestag entscheidet am 25. Mai in zweiter und dritter Lesung.
Meine zweite Bemerkung: Wichtig ist, dass aus Schleswig-Holstein ein Signal kommt. Der Koalitionsvertrag wurde angesprochen. Die breite Diskussion, die wir in den letzten Jahren miteinander geführt haben, ist für uns wichtig. Daher möchte ich mich bei der Kollegin Heinold dafür bedanken,
dass sie dies auf den Punkt gebracht hat. Es geht darum, dass wir nur mit einer aufkommensneutralen Unternehmensteuerreform überhaupt über die Runden kommen werden.
Wir sind gebrannte Kinder. Man kann sagen, jetzt sei alles besser als im Jahr 2001. Man kann sagen, jetzt sei alles anders und jetzt habe man dafür gesorgt, dass alles gut gehe. Aus der vorhin zitierten Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags geht aber hervor, dass die Gegenfinanzierungsmaßnahmen immer noch risikobehaftet sind. Das sagten die Vertreter der kommunalen Landesverbände. Die Kollegin Heinold hat auch den Normenkontrollrat angesprochen, der gesagt hat, dass man mit über 72 Millionen € an Bürokratiekosten rechnen müsse. Es liegt also noch vieles im Argen.
Ein letzter Punkt, den man nicht vergessen darf: Es ist bemerkenswert, dass wir heute mehrfach angesprochen haben, was der Bundestagspräsident gestern gesagt hat. Anscheinend hat er etwas aufgegriffen, was uns alle bewegt. Er sprach an, dass für die Menschen in dieser Republik die Frage nach der Gerechtigkeit von Maßnahmen ganz entscheidend sei.
Ich habe hier eine Statistik von der Hans-BöcklerStiftung, aus der hervorgeht, dass es ein kräftiges Plus für das oberste Zehntel gibt. Die Durchschnittseinkommen stagnieren. Das ist eine Entwicklung, die in den 90er-Jahren verstärkt stattgefunden hat. Arm und Reich klaffen in dieser Gesellschaft immer weiter auseinander. Ich frage Sie: Wie will man den Menschen erklären, wie notwendig eine Steuerreform ist? Wie will man den Menschen in Flensburg erklären, wie wichtig es für Motorola ist, dass man jetzt eine Unternehmensteuerreform macht, wenn Hunderte Menschen entlassen werden sollen? Ich bitte also darum, dass man dies in der gesamten gesellschaftspolitischen Bandbreite betrachtet. Hier ist das zentrale Wort Steuergerechtigkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte sehnsüchtig gehofft, dass es der Landtagsverwaltung gelingt, das Plenarprotokoll des gestrigen Tages heute noch zu verteilen. Leider ist das nicht gelungen. Sie hätten dann alle nachlesen können, dass die Kollegin Spoorendonk gestern meiner Erinnerung nach ausgeführt hat, dass ich Sachverhalte so gut erklären könnte.