Protocol of the Session on March 22, 2007

Wenn wir über die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit reden, dann müssen wir auch über die Scheinheiligkeit von Politik sprechen. Denn allzu oft ignorieren politische Repräsentanten aus Political Correctness die Probleme der Menschen. Ich habe in früheren Debatten schon darauf hingewiesen, dass - dem Zeitgeist folgend - viele auch von uns in der Vergangenheit geglaubt haben, man müsse bei uns normabweichendes Verhalten durch andere, die zu uns gekommen sind, deshalb akzeptieren, weil sie aus einem anderen Kulturkreis kommen. Ich erinnerte in einer Debatte daran, dass Polizeibeamte mir gesagt haben, dass es nicht im Interesse der politischen Führung gelegen habe, bestimmte Regionen, Orte oder Lokalitäten aufzusuchen und dort Erkenntnisse zu sammeln, weil dies wiederum als Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit gebrandmarkt worden wäre. Ich weiß aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung als Anwalt, dass, wann immer ein Täter mit Migrations- oder ausländischem Hintergrund von der Polizei festgenommen und verhört wird, die erste Erklärung die ist, dass man es mit rassistischen, fremdenfeindlichen Polizeibeamten zu tun habe, denen man auch politisch entgegentreten müsse.

Das kann dann in Form von Extremismus - ob von links oder von rechts - zurückschlagen. Von der Politik wurden oft die Menschen, um die es geht, vor den Kopf gestoßen - zumindest gilt das für die, die Rechtspopulisten gewählt haben -, weil ihnen erklärt wurde, sie müssten sich dafür schämen, dass sie teilweise Angst haben. Aber wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Wir dürfen nicht mit der moralischen Keule kommen, wenn beispielsweise eine ältere Dame in Gaarden - wie geschehen - Angst hat, wenn sie eine Gruppe von Menschen trifft, die anders aussehen, und ihr sagen, sie dürfe keine Angst haben, weil das ein Ausweis von Fremdenfeindlichkeit sei. Wir müssen ihr vielmehr erklären, dass Andersartigkeit keine Furcht wecken muss, statt zu stigmatisieren. Denn das ist es: erklären statt zu stigmatisieren und sich nicht

(Thomas Rother)

moralisch überhöhen und die Menschen mit ihren Problemen zurücklassen.

In diesem Zusammenhang ist das doch immer eine Gratwanderung. Wir führen Debatten über die innere Sicherheit in unserem Land, in Schleswig-Holstein und in der Bundesrepublik Deutschland und warnen vor dem islamistischen Terror. Diese Warnung mag im Einzelfall begründet sein, aber sie weckt bei vielen Menschen die Befürchtung, dass die Nähe zu Menschen mit muslimischem Glauben, die andersartig sind, ihrerseits Probleme bereiten kann. Auch darauf habe ich hingewiesen.

Wir haben ein Urteil einer Amtsrichterin in Frankfurt,

(Jutta Schümann [SPD]: Unerhört!)

von dem wir alle sagen: „Unerhört“, Frau Kollegin Schümann. Aber es gibt viele Urteile in Deutschland, die unerhört sind und die durch die Rechtsprechung wieder aufs richtige Gleis gebracht werden. Es gab beispielsweise einmal die Entscheidung eines Amtsgerichtes, Schadenersatz dafür auszusprechen, dass Urlauber durch Behinderte in der Urlaubsanlage beeinträchtigt wurden oder sich beeinträchtigt glaubten. Die Rechtsprechung ist dafür da, solche Urteile zu korrigieren.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Aber nun wie der Generalsekretär der CDU mit der Keule zu kommen - und ich sage das ausdrücklich -, als drohe nun sozusagen die Unterwanderung des deutschen Rechtssystems durch Islamisten - die Aussage aus der „Bild“-Zeitung von heute lautete: „Wenn der Koran über das deutsche Grundgesetz gestellt wird, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland!“ -, lässt mich fragen: In welcher Welt leben wir eigentlich, dass man solche Einzelfälle zum Anlass nehmen kann, vor einer Gefahr zu warnen, als stünden Millionen Menschen vor unserer Tür, um das deutsche Gebiet und das deutsche Recht zu übernehmen?

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich sage noch einmal, dass wir uns selbst in der Diskussion keinen Gefallen tun, wenn eine Frau wie Alice Schwarzer, die sich früher für Integration und Zusammenhalt eingesetzt hat, heute in „Spiegel Online“ erklärt: „Unser Rechtssystem wird von islamistischen Kräften unterwandert“. Ich sage das deshalb, weil Sie alle die Geschichte kennen. Wer etwas zu sehr überhöht und stigmatisiert, der muss sich nicht wundern, wenn die Menschen vernünfti

gerweise in anderen Bereichen nicht mehr bereit sind, auf ihn zu hören.

Insofern bin ich auch Ihnen, Herr Minister, zu Dank verpflichtet für die an sich nicht erwartete, aber doch sehr ausgewogene Rede, die Sie heute zu diesem Thema gehalten haben.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Wir haben vor circa fünf Jahren bereits einen Bericht der Regierung zu diesem Thema debattiert und ich erinnere mich noch genau an die Worte unseres damaligen Kollegen Thorsten Geißler von der CDU, der an dem Bericht der rot-grünen Landesregierung Folgendes bemängelte:

„Der Bericht hat aber auch ein Manko. Leider wird an kaum einer Stelle aufgezeigt, wie viele Menschen denn von den einzelnen Projekten und Maßnahmen erreicht wurden.“

Herr Kollege Rother, ich muss leider sagen, dass dieser Bericht im Vergleich zum damaligen Bericht noch dünner ist und noch weniger etwas darüber aussagt, wie viele Menschen von den einzelnen Projekten erreicht wurden. Das ist vor dem Hintergrund der damaligen Kritik der Union, die heute in der Regierung sitzt, aus meiner Sicht ein Armutszeugnis. Es zeugt davon, dass die Bedeutung dieses Themas anscheinend doch nicht so verinnerlicht ist, wie immer wieder behauptet wird.

Dazu lässt sich noch ein weiteres Beispiel anführen. Der Kollege Dr. Garg hatte vor fünf Jahren folgende Passage im Abschnitt des Justizministeriums im rot-grünen Bericht kritisiert:

„Durch die Darstellung konsequenter Strafverfolgung und schneller Ahndung fremdenfeindlicher und extremistischer Taten kann generalpräventive Wirkung in der Öffentlichkeit erzielt werden...“

Kollege Dr. Garg wies damals zu Recht darauf hin, dass dieser Allgemeinplatz grundsätzlich für die Strafverfolgung gilt und daher nicht als spezifische Maßnahme gegen rechtsextreme Täter verwandt werden sollte. Schließlich sollten möglichst alle Straftaten konsequent und zügig geahndet werden. Genau diese Passage findet sich wortwörtlich im vorliegenden Bericht aus dem Jahr 2007 wieder. Ich gehe davon aus, dass es sich hierbei nicht um Textbausteine handelt, die bei regelmäßiger Abfrage der Daten wiederverwendet werden.

Nimmt man den letzten Verfassungsschutzbericht, so erkennt man, dass die Anzahl der Mitglieder in rechtsextremistischen Organisationen seit 2001

(Wolfgang Kubicki)

leicht rückläufig ist. Wurden seinerzeit noch 1.450 Mitglieder der rechtsextremen Szene zugeordnet, so lag die Zahl nach dem letzten Bericht bei 1.430.

Ist also alles in Ordnung? Mitnichten, liebe Kolleginnen und Kollegen! Denn diejenigen, die von diesen Mitgliedern unter die Rubrik „gewaltbereite Skinheads“ fallen, nehmen seit 1999 ständig und prozentual sogar überaus kräftig zu. Das ist die eigentliche Veränderung in der Szene. Die gesellschaftliche Verankerung der Rechtsextremen ist bei uns weiterhin gering. Die Gewaltbereitschaft der Szene nimmt allerdings zu. So gab es 1999 nach dem Verfassungsschutzbericht noch 300 gewaltbereite Skinheads, 2001 waren es bereits 470, und im Jahr 2005 waren es 640 erkannte gewaltbereite Skinheads. Die Anzahl hat sich also mehr als verdoppelt, wenn man den Zahlen aus dem Hause Dr. Stegners Glauben schenken darf.

Wenn die Landesregierung diese Entwicklung feststellt, hätte ich eine Reaktion in ihrem Bericht erwartet, wie sie mit diesem Phänomen umzugehen gedenkt. Die bisherigen Programme und Maßnahmen scheinen geeignet gewesen zu sein, die Verankerung rechtsextremer Gruppen zu verhindern. Sie haben aber eine steigende Gewaltbereitschaft der rechten Szene nicht verhindern können. Hier erwarte ich Antworten von der Regierung - auch im Innen- und Rechtsausschuss -, die zumindest dieser Bericht nicht gibt. Wir befinden uns nach wie vor auf dem Stand von 2002.

Im Bericht der rot-grünen Regierung wurden beispielsweise im Jugendvollzug noch konkrete Maßnahmen genannt, die bei straffällig gewordenen rechtsextremistischen Jugendlichen realisiert worden sind. Ich nenne ein Beispiel: Rechtsextremen Jugendlichen wurden seinerzeit statt Ausgrenzung Einzel- und Gruppengespräche durch Vollzugsabteilungsleiterinnen und Vollzugsabteilungsleiter angeboten. Es wurde teilweise auf verschärfte Haftbedingungen verzichtet, weil der Isolierung als Ursache rechtsextremistischer Einstellungen entgegengewirkt werden sollte. Es wurden soziale Trainingsmaßnahmen für „Mitläufer“ mit dem Ziel einer Einstellungsänderung angeboten. Damit habe ich nur einige wenige Beispiele aus dem Bericht des Jahres 2002 genannt.

Heute ist davon keine Rede mehr. Im aktuellen Bericht der schwarz-roten Landesregierung werden in zwölf Zeilen nur kurz einige Maßnahmen im allgemeinen Strafvollzug aufgeführt. Der Täter-OpferAusgleich auch als Erziehungsmaßnahme fällt im Bericht völlig weg. Darüber hinaus höre ich - das würde mich weiter beschäftigen -, dass das Justizministerium beabsichtigt, in seinem Entwurf zum

Jugendstrafvollzug auch eine Unterbringung von Jugendlichen mit erwachsenen Häftlingen zuzulassen. Das hingegen wäre aus meiner Sicht eine echte Katastrophe, jedenfalls für diesen Täterkreis, auch für die Erziehungschancen jugendlicher rechtsextremistischer Häftlinge.

(Beifall bei der FDP)

Sport ist ein wichtiger Baustein der Integration und Erziehung zur Befolgung von Regeln und zur Toleranz. Dem Sport kommt daher auch bei der Frage eine wichtige Bedeutung zu, wie der Fremdenfeindlichkeit der Nährboden entzogen werden kann.

Wer erinnert sich nicht an die Fußball-WM und an die vor Kurzem gewesene Handball-WM, die zum einen der Welt gezeigt haben, dass Deutschland ein weltoffenes, freundliches und tolerantes Land ist, die aber auch vielen Einheimischen die Möglichkeit gegeben haben, mit den Gästen aus aller Herren Länder in Kontakt zu kommen!

Meine Fraktion begrüßt daher die im Bericht dargelegte finanzielle Unterstützung des Landessportverbandes durch das Land. Der Sport erreicht viele Menschen. So erreicht das Programm „Integration durch Sport“ immerhin 1.850 Teilnehmerinnen und Teilnehmer pro Woche.

Wir haben aber auch vor einigen Monaten in einem Bericht der Landesregierung zur Situation des Sports in Schleswig-Holstein zur Kenntnis nehmen müssen, dass es um die Sportstätten in unserem Land nicht gerade rosig bestellt ist. Vor diesem Hintergrund fragen wir uns weiter, warum die Sportvereine weiter auf die zusätzlichen Einnahmen verzichten sollen, die dem Sport durch eine Aufhebung des Lotterie- und Sportwettenmonopols zugute kommen würden.

Eine wirtschaftlich gute Entwicklung unseres Landes ist und bleibt nach meiner Auffassung der wichtigste Aspekt im Kampf gegen den Extremismus. Wenn wir Familien in Beschäftigung bringen, wenn Jugendliche eine Chance auf eine Ausbildung und einen Arbeitsplatz haben, dann haben sie Perspektiven und keine Zeit, sich den Parolen von Menschenfischern am rechten Rand hinzugeben. Dann empfinden sie Vielfalt als Chance und nicht als Bedrohung. Dann entgehen sie der Einfalt, eigenes Selbstvertrauen nur aus der Abwertung und Ausgrenzung Schwächerer aufzubauen, und begreifen, dass Mitmenschlichkeit und Solidarität ein größeres Glücksgefühl und stärkere Geborgenheit bieten als unkritische Kameraderie.

(Wolfgang Kubicki)

Du bist Schleswig-Holstein, das umfasst alle - das sage ich ausdrücklich -, die hier in Frieden und Würde leben wollen.

(Beifall bei FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Herrn Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für den Bericht und auch für die ausgewogene Rede des Ministers. Zunächst sage ich die gute Nachricht dieses Berichts. Das Problem des Rechtsextremismus wird in dieser Landesregierung in Kontinuität ernst genommen. Der Bericht nennt eine große Vielzahl von Einzelmaßnahmen aus den unterschiedlichsten Bereichen.

In dem Bemühen, möglichst viele gute Taten der Regierung darzustellen, bringt der Bericht aber auch einige Merkwürdigkeiten und Widersprüche hervor. So fragt man sich, was es mit der Bekämpfung von Rechtsextremismus zu tun hat, wenn den Mitarbeitern im Justizvollzug Englischkurse angeboten werden oder die Gesundheitsförderung von Migrantinnen und Migranten vom Sozialministerium unterstützt wird. Das sind sicherlich alles gute Maßnahmen.

Im Kapitel über die Arbeit des Justizministeriums ist zu lesen, dass es durch Maßnahmen der Strafverfolgung gelungen sei, die rechtsradikale Szene in Schleswig-Holstein zurückzudrängen. Das wäre sicherlich sehr schön, ist aber wohl nicht ganz richtig. Denn in Zeitungen vom letzten Oktober wird Innenminister Stegner zitiert, dass „Rechtsextreme wieder massiver und frecher auftreten“. Die Zeitungen berichteten, dass die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Schleswig-Holstein sprunghaft angestiegen sei. So sagt es auch die Statistik.

Der Bericht stellt dar, dass sich die allermeisten Maßnahmen an Jugendliche richten. Rechtsextreme Haltungen sind aber nicht auf Jugendliche beschränkt. Ja, Jugendliche stellen nicht einmal die größte Gruppe der Menschen mit rechtsextremen Ansichten.

Der Bericht setzt in wesentlichen Teilen den Rechtsextremismus mit der rechtsextremen Gewalt gleich. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass auch Menschen, die rechtsextremistische Haltun

gen offen oder auch verdeckt billigen, Teil des Problems sind und bei vielen Umfragen über 10 % der Bevölkerung ausmachen.

Dazu gibt es eine Untersuchung im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese Untersuchung stellte fest:

„Rechtsextreme Einstellungen sind durch alle gesellschaftlichen Gruppen und in allen Bundesländern gleichermaßen hoch vertreten. Rechtsextremismus ist ein politisches Problem in der Mitte der Gesellschaft.“

Es ist interessant, dass wir immer glauben, der Rechtsextremismus sitze in Ostdeutschland. In den Wahlergebnissen und auch in dem offenen Auftreten des Rechtsextremismus stimmt das. In den rechtsextremen Haltungen gibt es dagegen kaum einen Unterschied. Es gibt in Westdeutschland genauso viele Menschen mit rechtsextremen Haltungen wie in Ostdeutschland. Der wesentliche Unterschied ist in meinen Augen, dass wir in den neuen Bundesländern wesentlich mehr soziale Probleme haben, die dazu führen, dass diese Einstellungen zum Ausdruck kommen.

Das heißt, wir müssen uns auch in Schleswig-Holstein mit diesen Einstellungen auseinandersetzen, und zwar genauso, wie es in den neuen Bundesländern erforderlich ist.

Viele der genannten Maßnahmen, insbesondere diejenigen gegen Gewalt, sind eine gute Sache. Eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen ist aber weder eine Strategie, noch wird damit das Problem an der Wurzel gepackt. Mir fehlt in dem gesamten Bericht eine umfassende Klammer.

Man muss sich über eines klar sein: Mit Polizei und Verfassungsschutz können wir Gewalt bekämpfen; das ist deren Aufgabe. Aber wir werden damit keine Wahlerfolge der NPD verhindern.