Man muss sich über eines klar sein: Mit Polizei und Verfassungsschutz können wir Gewalt bekämpfen; das ist deren Aufgabe. Aber wir werden damit keine Wahlerfolge der NPD verhindern.
Um rechtsautoritären Haltungen beizukommen, muss neben der Arbeit an den Symptomen insbesondere für das positive Gegenbild geworben werden. Wir müssen klären, welchem Leitbild unser Zusammenleben folgen soll. Deshalb ist der Kampf gegen den Rechtsextremismus im Wesentlichen eine Frage der Bildungspolitik und eine Frage der sozialen Kohäsion der Gesellschaft.
Im Arbeitsbereich des Bildungsministeriums werden viele richtige Ansätze aufgezeigt: von Prävention im Team bis zur Sprachförderung und zu offenen Ganztagsschulen. Die beste Prävention gegen autoritäre, antidemokratische Bestrebungen aber ist ein Bildungswesen, das alle mitnimmt, das keine tatsächlichen oder vermeintlichen Verlierer schafft.
Rechtsextreme - das zeigen Studien - sind überwiegend Menschen, die sich wenig akzeptiert fühlen, die sich in ihrer Umgebung wenig wohl und unsicher fühlen.
In der Sozialpolitik geht es nicht um die Quantität der Sozialleistungen, sondern um das Dazugehören.
Wer darauf vertrauen kann, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten, aus eigener Anstrengung einen Platz in der Gesellschaft zu finden, wer keine Angst vor den negativen Folgen des sozialen Abstiegs hat, der ist eher bereit, sich auch in schwierigeren Zeiten auf das manchmal mühsame Geschäft des demokratischen Zusammenlebens einzulassen. Häufig sind es nicht die Armen in unserer Gesellschaft, die zu rechtsextremen Ansichten neigen, sondern verunsicherte Angehörige der Mittelschicht, die den sozialen Abstieg fürchten.
Ein wichtiger Aspekt des Rechtsradikalismus ist die Fremdenfeindlichkeit. Meine Vorredner sind schon darauf eingegangen. Die Antwort auf Fremdenfeindlichkeit kann sicherlich nicht alleine in der Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit liegen, sondern sie erfordert eine von uns allen gemeinsam getragene öffentliche Haltung zur Migration. Die Tatsache, dass Migration in den letzten Jahren vor allem als Problem genannt wurde, hat ganz sicher keinen positiven Einfluss und ruiniert die gesellschaftliche Atmosphäre, die für das Gelingen einer multikulturellen Gesellschaft entscheidend ist.
Herr Kubicki, ich bin anderer Auffassung als Sie. Die Fremdenfeindlichkeit ist dort am höchsten, wo es am wenigsten Fremde gibt. In den Gebieten, in denen es praktisch keine Ausländer gibt, ist das größte Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit festzustellen. Dort, wo das Zusammenleben mit Ausländern alltäglich ist, ist die Fremdenfeindlichkeit am geringsten.
Wir wissen längst: Migration ist nicht die Ursache sozialer Probleme. Migrantinnen und Migranten zahlen deutlich mehr in die sozialen Kassen ein, als sie heraus bekommen. Kriminalität ist bei Migrantinnen und Migranten gleicher sozialer Milieus nicht höher ist als bei Deutschen, sondern sogar etwas niedriger.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Probleme unserer Gesellschaft kulminieren bei den Schwächsten und dazu gehören nun einmal vor allem Migrantinnen und Migranten aus der Osttürkei, aus Russland und aus Afrika. In den Gefängnissen sitzen fast ausschließlich schlecht ausgebildete Menschen, also „Looser“. Dazu gehören eben auch viele Migranten. Je mehr diese bei der Bildung und bei der Arbeit diskriminiert werden, desto mehr gehö
ren zur sozialen Unterschicht, mit allen daraus resultierenden Problemen. - Dies alles ist bekannt, wird aber selten gesagt. - Strukturelle Arbeitslosigkeit oder Mängel des Bildungssystems zeigen ihre Auswirkungen nicht ausschließlich in Zuwandererkreisen, aber sie verschärfen sich dort.
Meine Damen und Herren, Politik ist stets auch Kommunikation. Wer undemokratische Haltungen und Rechtsextremismus bekämpfen will, der muss sich in seiner Rhetorik davor hüten, populistischen Stimmungen Vorschub zu leisten. Politik darf keinen Populismus auf Kosten von Schwachen und Migranten betreiben; denn damit werden den Rechtsextremen geradezu die Stichworte frei Haus geliefert.
Ich glaube, dass wir ins Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren in dieser Frage recht erfolgreich waren. Dass es diese Stimmungen hier weniger gab als anderswo, hängt auch mit der guten politischen Atmosphäre in Schleswig-Holstein zusammen. Ich denke, es gibt da einen Zusammenhang. Wir sollten sehr darauf achten, dass wir diese Atmosphäre beibehalten, und uns nicht Kämpfe liefern, so wie wir das teilweise in anderen Bundesländern erlebt haben, was dann dazu führt, dass Stimmungen aufgeputscht werden.
Wir alle wissen: Demokratie ist nicht immer einfach. Sie hat sich trotzdem oder gerade deswegen allen andern politischen Systemen überlegen gezeigt. Das müssen wir auch sagen. Demokratie gewährt uns Sicherheit und Menschenrechte gegenüber der Obrigkeit. Demokratie gewährt mehr Sozialstaat als jedes andere System der Geschichte. Demokratie schafft, bei aller Kritik, auch mehr Unweltschutz und mehr wirtschaftlichen Erfolg. Das ist der Grund, warum Demokratie sich gegenüber anderen politischen Systemen durchgesetzt hat. Dies muss immer wieder betont werden, auch in der politischen Debatte. Die Erfolge des sozialen demokratischen Rechtsstaats zu verteidigen, lohnt sich, auch für den einzelnen Menschen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sind als Parlamentarier die originären Repräsentanten der Demokratie. Es liegt an uns, ob wir glaubhaft für diese Gesellschaft werben können.
Für die Abgeordneten des SSW erteile ich ihrer Vorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn wir es leicht vergessen mögen: Rechtsradikale schlagen in Deutschland immer noch öfter zu als islamische Terroristen. Deshalb ist es begrüßenswert, dass dieses Thema wieder einmal auf der Tagesordnung des Landtages steht. Dafür schulden wir den Antragstellern Dank. Ich danke auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien, die diesen Bericht zusammengestellt haben, und auch dem Minister, der vorhin in dieses Thema eingeführt hat.
Der Bericht hebt hervor, dass er sich an dem Aufbau ähnlicher Berichte aus den Jahren 2002 bis 2004 orientiert. Auch wenn ich große Lust dazu hätte, wäre es also nicht ganz gerecht, ihn wegen seiner Struktur zu kritisieren. Es ist aber schon bemerkenswert, dass die Landesregierung bei dem Thema Fremdenfeindlichkeit völlig ohne Gefahrenanalyse auskommt. Was genau das Phänomen ausmacht, eine genaue Definition und die Ausbreitung neuer Forschungserkenntnisse über Verbreitung und Entwicklung - diese Punkte fehlen im Bericht.
Da die Landesregierung das Phänomen nicht abgrenzt, überlässt sie der Leserin oder dem Leser die Interpretation dessen, was sie oder er als Extremismus beurteilt. Ganz offensichtlich gilt körperliche Gewalt gegen Ausländer und Migranten als einzige Äußerungsform der Fremdenfeindlichkeit. Der „hässliche Skinhead“ ist aber schon lange nicht mehr der einzige Rechtsextremist in unserer Gesellschaft.
Wer als Ausländer keinen Vermieter findet oder als Sinto, weil er ein Sinto ist, keinen Job bekommt, der ist unmittelbar von Fremdenfeindlichkeit betroffen, ohne dass ein Tropfen Blut geflossen ist, ohne blauen Fleck. Diese Art der strukturellen Gewalt lässt der Bericht außen vor. Deren Bekämpfung ist schließlich nicht so einfach zu bewerkstelligen. Diese Form von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit wird von Trägern weißer Kragen ausgeübt, mitten in unserer Gesellschaft.
und E-Mails, die uns nach der Landtagswahl 2005 erreichten. Darunter befinden sich Texte, die der dänischen Minderheit die Rückkehr nach Hause empfehlen. Gemeint ist wohl Dänemark. Andere gehen sehr viel weiter. Das Ausmaß dieses Hasses hat viele erschreckt und uns noch einmal eindrücklich vor Augen geführt, dass der Rechtsextremismus schon lange kein Randphänomen mehr ist.
Die neuste Studie über Rechtsextremismus trägt nicht zufällig den Titel „Vom Rand zur Mitte“. Oliver Decker und Elmar Bräher lehnen nach umfangreichen Befragungen in der gesamten Bundesrepublik den Begriff übrigens gänzlich ab, weil „rechtsextreme Einstellungen durch alle gesellschaftlichen Gruppen und in allen Bundesländern gleichermaßen hoch vertreten sind“. So zeigte jeder zehnte Deutsche antisemitische Einstellungen. Das ist keine Randgruppe. Rechtsextremismus und fremdenfeindliche Haltungen sind fest in der Mitte der Gesellschaft verankert. Das betonte übrigens auch Michel Friedman, dessen Leibwächter rechtsextremistische Propaganda auf ihren PC hatten. Der Rechtsextremismus sei in allen Berufsgruppen angekommen.
Die Wissenschaft charakterisiert die Ausländerfeindlichkeit als Einstiegsdroge in ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild. Dennoch scheint sich eine gewisse Form der Ausländerfeindlichkeit in der Öffentlichkeit ganz gut eingerichtet zu haben. Vor allem die Berichterstattung über ausländische Straftäter genügt nicht immer journalistischen Grundregeln.
- Nicht nur da. - Die Maßnahmen gegen den fest in der Gesellschaft verankerten Rechtsextremismus unterscheiden sich völlig von den ordnungs- und überwachungspolitischen Maßnahmen gegen Skins, die wir weitgehend Polizei und Verfassungsschutz überlassen können. Mit anderen Worten: Die neue Generation extremistischer Politiker erfordert neue Formen der Auseinandersetzung, und das möglichst schnell, wie uns die Wahlergebnisse in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern und die dortige Ausprägung angeblich „befreiter Zonen“ vor Augen führen.
Das Fehlen qualitativer und quantitativer Materialien führt dazu, dass alle Maßnahmen auf die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus hin verstanden werden können, Sprachkurse für Vollzugsbeamte ebenso wie Gesundheitsmaßnahmen für Migranten. Problematisch wird es dagegen, wenn der Eindruck entsteht, dass die Migran
So heißt es auf Seite 32f dass das - ich zitiere „Ausleben extremistischer/fremdenfeindlicher Tendenzen“ unwahrscheinlicher ist, wenn die „Menschen fremder Ethnien“ zur Integration bereit sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Umkehrschluss lautet: Sie selbst sind es, die durch den öffentlichen Gebrauch ihrer Sprache und das Tragen landestypischer Kleidung Fremdenfeindlichkeit provozieren. Das geht natürlich nicht.
Daher sage ich: Aufkommender Fremdenhass hat mit den Integrationsbemühungen des Individuums herzlich wenig zu tun, denn Extremisten geht es nicht um den Menschen, sondern um den Typus, um das Erscheinungsbild. Das mussten in Berlin zwei Journalisten erfahren, die einen Kippa-Test durchführten. Sie gingen einen Tag lang mit einer Kippa auf dem Kopf durch die Hauptstadt, mit der Kopfbedeckung orthodoxer Juden. Beide Journalisten erlebten Misstrauen, schräge Blicke und unverschämte Kommentare. So merkt man am eigenen Leib, wie verbreitet Antisemitismus ist, der lediglich auf äußere Merkmale fixiert ist.
Integration ist ein wichtiger Eckpfeiler einer erfolgreichen Einwanderungspolitik. So richtig es ist, Integrationsanstrengungen zu fordern und auch zu fördern, so muss doch mit aller Klarheit gesagt werden: Mangelnde Integration kann und darf nicht als scheinbar legitimer Grund für Fremdenfeindlichkeit dargestellt werden.
Die Erziehung zur Demokratie - das wissen wir ist ein schwieriges und langwieriges Unterfangen. Da sind wir alle gefragt. 1999 verabschiedete der Landtag einstimmig eine Resolution gegen den Rechtsextremismus und das, was damals richtig war, gilt heute immer noch:
„Extremistische Einstellungen lassen sich nicht verbieten, sondern nur langfristig durch die gesellschaftliche Auseinandersetzung verändern. Ihnen muss vor allem in der Breite der Gesellschaft mit Zivilcourage und der Vermittlung der demokratischen Werte einer toleranten und solidarischen Gesellschaft begegnet werden."
Positive Beispiele spornen andere an. Zivilcourage und Mut zum Eingreifen sollte die Landesregierung daher beständig auszeichnen und belohnen und sie tut es zum Glück auch.
Der Bericht hebt hervor, dass die Vorbeugung gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt früh ansetzt und nahezu alle Lebensbereiche
umfasst. Wenn wir die Politik der Landesregierung beurteilen sollen, dann ist entscheidend, was in den letzten fünf Jahren bewusst gegen Rechts unternommen worden ist. Nach diesem Maßstab würde der Bericht der Landesregierung aber um einiges dünner ausfallen. Denn Maßnahmen wie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen oder die kulturelle Förderung der Sinti und Roma hätten hoffentlich auch ohne Fremdenfeindlichkeit stattgefunden. Ich vermisse vor diesem Hintergrund ganz einfach auch, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Bündnisse gegen Rechts Maßnahmenkonzepte abarbeiten, dass der Begriff der Nachhaltigkeit verstärkt in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Engagements gerückt wird.
Hierzu ein Beispiel: Der Familienausschuss des Deutschen Bundestages hat sich gestern mit den Plänen der Bundesregierung befasst, zusätzlich 5 Millionen € jährlich für das Programm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Geld sollen Opferberatungsstellen und mobile Beratungsteams finanziert werden, die anlassbezogen kurzfristig und zeitlich begrenzt Kommunen in bedrohlichen Situationen mit professionellen Hilfen zur Seite stehen. Hier muss wirklich gefragt werden, wie nachhaltig solle Beratungsteams arbeiten können, wenn sie nur eine Art Feuerwehrfunktion erfüllen dürfen.
Der Bericht der Landesregierung macht deutlich, dass man so gut wie ausschließlich auf die Vorbeugung bei Kindern und Jugendlichen setzt. Dabei sollte aber meiner Meinung nach nicht vergessen werden, dass der Erfolg von Bildungsarbeit nicht allein daran gemessen werden kann, um wie viele Jugendliche mit rechtsextremen Tendenzen man sich kümmert. Das Wichtigste ist, dass wir die „normalen" Jugendlichen erreichen und stärken. Wir müssen sicherstellen, dass der Antifaschismus für die weit überwiegende Mehrheit der Jugendlichen „normal" bleibt, und zwar in jeder Generation aufs Neue. Wir müssen Demokratie stärken und wir müssen die Jugendlichen unterstützen, die Demokratie leben und vorleben, dort, wo sie ihren Alltag haben.
Aus Sicht des SSW geht aber auch kein Weg daran vorbei, dass wir uns mit dem Gift der Fremdenfeindlichkeit in der Mitte unserer Gesellschaft befassen. Wir haben in diesem Zusammenhang einmal gesagt, dass das in der letzten Legislaturperiode von der damaligen Landesregierung eingerichtete Bündnis gegen Rechts die Argumente der
Fremdenfeinde offen aufgreift und sich damit seriös auseinandersetzt, dass man öffentlichkeitswirksam die Mythen über schmarotzende Ausländer mit Fakten widerlegt. Denn wir müssen uns ernsthaft und sachlich mit den Erwachsenen auseinandersetzen, die bereits fremdenfeindlich denken. Sonst werden wir diese Menschen nicht erreichen können. Fremdenfeindliche Äußerungen sind heute abseits der politischen Debatte Teil des Alltags, auch in Schleswig-Holstein.
Wir müssen mit guten Argumenten die viel zitierte Lufthoheit über Stammtische und Kaffeetafeln wiedergewinnen. Wenn dies nicht gelingt, dann werden wir irgendwann auch hier sagen, was mir ein Mitarbeiter des Aktionsbündnisses in Brandenburg vor wenigen Tagen berichtete: „Wir führen hier einen Krieg mit den Rechten." So weit darf es bei uns weißgott nicht kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.