Aufsuchende Sozialberatung allein einem Projekt wie dem Schutzengel zu überlassen, ist eine Bankrotterklärung staatlicher Sozialpolitik. Die Jugendämter gehören in die Familien, und zwar nicht nur als Sanktionsbehörde, sondern unterstützend und beratend.
Die Zweiteilung zwischen strafendem Jugendamt und beratendem Schutzengel ist falsch. Wer von aufsuchender Sozialarbeit überzeugt ist, muss staatliche Institutionen stärken, damit diese genau das tun können, und zwar unabhängig von der Laufzeit eines Projektes. Eine Politik im Sinne der Kinder kommt jedoch manchmal nicht um Sanktionen herum. Über 1.700 Kinder und Jugendliche leben in Schleswig-Holstein in einem Heim, weil sie in der eigenen Familie nicht adäquat betreut werden können. Diese Zahl zeugt von einem Engagement unserer Behörden. Vielleicht läge die Zahl niedriger, hätten die Eltern früher um Unterstützung nachgesucht. Vielleicht läge die Zahl auch niedriger, wenn den Eltern, was noch besser wäre, früher Unterstützung angeboten worden wäre.
Darum unterstützt der SSW die Zielrichtung des Antrags von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immer noch, nämlich die Idee, die Untersuchung beim Gesundheitsamt kostenpflichtig zu machen, damit die Eltern den für sie kostenfreien Kinderarzt aufsu
In vertrauensvollem Gespräch mit dem Kinderarzt lässt sich sicherlich viel offener über Probleme sprechen als mit einem Amt.
Ich verhehle nicht die Probleme. Erstens. Wie gehen wir mit Eltern um, die sich weigern, ihre Kinder untersuchen zu lassen? Das wird auch bei einer möglichen konsensualen Folgelösung wird dies ein Problem sein. Weder Bußgeld noch staatliche Zwangsvorführung sind erstrebenswerte Mittel und höchstens die allerletzte Konsequenz. Wenn wir es wirklich ernst meinen, kommen wir wohl um Hausbesuche nicht herum. Eine entsprechende Infrastruktur müsste dann aber erst geschaffen werden.
Zweitens. Die Ärzte beurteilen zwar die Gesamtentwicklung eines Kindes, sind aber keine Sozialberatungsstellen. Dafür werden die Kinderärzte - übrigens die am schlechtesten verdienende Facharztgruppe überhaupt - nicht bezahlt. Wenn wir uns für eine Zwangsuntersuchung entscheiden, dann müssten die Kinderärzte unterstützt und entsprechend weitergebildet werden.
Ich denke aber, dass wir vor allem die Arbeit der Hebammen finanziell besser absichern können. Während die Schwangerschaftsvorsorge dank ärztlicher Dominanz in Deutschland zur europäischen Spitzenklasse gehört, hapert es an Unterstützung, wenn das Kind dann geboren ist. Hier kommen die Hebammen ins Spiel. Sie werden von den Krankenkassen bezahlt, führen aber bei ihren nachgeburtlichen Hausbesuchen in der Regel eine komplette Mütterberatung durch.
Der Staat muss sich an der Arbeit der Hebammen beteiligen, damit diese über das Finanzkorsett der Krankenkassen hinaus tätig sein können.
Entsprechendes gilt im Übrigen für Mütterberatungsinitiativen, vornehmlich an Krankenhausstandorten, die von Hebammen und Stillberaterinnen betreut werden. Auch hier lohnt sich eine feste Unterstützung seitens des Landes und der Kommunen.
Die Sozialministerin schreibt in ihrer Antwort zur Großen Anfrage der CDU zur Familienpolitik, dass zwar die Einrichtung von Mütterzentren keine Landesaufgabe sei, die Finanzierung von Mütterberatung allerdings schon. Da müssen wir ansetzen. Wir sollten über eine stärkere Förderung der Hebammenarbeit und der Mütterberatungsinitiativen nachdenken. Die Hebamme kommt zu jeder Frau ins Haus. Darum muss keine Familie ihren Besuch rechtfertigen. Das ist immens wichtig, um wirklich ein niederschwelliges Angebot zu etablieren.
Die Frühförderung braucht eine stabile, institutionelle Struktur. Anderenfalls sind weder das flächendeckende Angebot noch eine kontinuierliche Arbeit gewährleistet.
Ich danke der Kollegin Schümann für das Angebot, zu einer gemeinsamen Initiative zu kommen, und freue mich auf die Zusammenarbeit zum Wohle unserer Kinder.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. - Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Dr. Gitta Trauernicht das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße die intensive Debatte um die Verbesserung des Kinderschutzes in SchleswigHolstein, möchte aber feststellen, dass es bereits jetzt ein aktives und großes Netz an Hilfen für Kinder gibt, und dies nicht nur durch aktive, moderne Träger wie dem Kinderschutzbund und die Kinderschutzzentren. Vielmehr gibt es auch Jugendämter in unserem Land, die qualitativ gut aufgestellt sind und gute Arbeit für diese Kinder machen.
Ich denke, es ist wichtig, dass die vorhandenen Angebote gestärkt und stabilisiert werden. Deswegen bin ich dankbar für die heutige Entscheidung des Landtages zum Haushalt. Denn wir haben im Bereich des Kinderschutzes keinen Euro gespart. Im Gegenteil geben wir zukünftig mehr Geld für den Kinderschutz aus.
Auch die Jugendministerkonferenz hat ein Signal gesetzt und erstmalig eine Sonderkonferenz zum Thema Kinderschutz durchgeführt. Ich werde gern die Möglichkeit wahrnehmen, über die intensiven Beratungen und Beschlüsse der Jugendministerkonferenz zu berichten.
Eines ist jedenfalls klar: Die Jugendministerkonferenz ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es Mängel gibt, die es zu beheben gilt. Es wird zu spät informiert, es wird nicht konsequent genug gehandelt, es wird nicht wirksam vernetzt, es gibt guten Grund, über die vorhandene Infrastruktur nachzudenken und sie zu verbessern.
Eine Quintessenz, die wir schon früher herausgearbeitet haben, die aber auch die Jugendministerkonferenz herausgearbeitet hat, lautet, dass wir soziale und gesundheitliche Frühwarnsysteme entwickeln müssen und dass wir die vorhandenen Hilfen besser auf einander beziehen müssen.
Wir sind - das ist nicht nichts - schneller als andere Länder mit dem „Schutzengel“-Programm auf den Weg gekommen, und wir haben als einziges Land ein flächendeckendes Programm auf den Weg gebracht. Innerhalb dieses „Schutzengel“-Projekts spielen, lieber Herr Harms, die Hebammen eine Schlüsselrolle. Sie haben völlig recht, dass die Qualifikationen der Hebammen außerordentlich wichtig sind.
Ich wäre froh, wenn wir miteinander sagen könnten, dass wir überall noch die gute alte Gemeindeschwester haben und dass Hausbesuche selbstverständlich sind. Dann wären wir ein deutliches Stück weiter. Dahin werden wir wieder kommen müssen.
Ich glaube aber auch, dass wir uns einig darin sind, dass das sozialpädagogische Prinzip „Hilfe statt Kontrolle“ etwas ist, was wir uns erarbeitet haben und was richtig war, weil wir damit viel mehr Menschen erreichen als mit dem obrigkeitsstaatlichen Konzept vergangener Jahrzehnte. Vor diesem Hintergrund müssen wir, wenn wir Kontrollsysteme weiterentwickeln, Pflichtuntersuchungen auf den Weg bringen, dafür Sorge tragen, dass dieses Prinzip nicht kippt, sondern gestärkt wird. Das bedeutet für mich, dass das Prinzip „Kindeswohl vor Elternrecht“ gilt, dass wir aber in erster Linie Vertrauen herstellen und Eltern und Kindern Hilfen anbieten müssen, die sie annehmen können.
Wenn man das in einem solchen Licht sieht, dann sind Debatten darüber, dass 94 % der Eltern diese Früherkennungsuntersuchungen ja schon annehmen und dass es deswegen unverhältnismäßig wäre, sie zur Pflicht zu machen, völlig unsinnig und ein typisch deutsche Debatte. Man kann es auch umdrehen und sagen: Wenn es denn so ist, dass schon so viele diese Früherkennungsuntersuchungen wahrnehmen, dann kann es doch auch selbstver
ständlich sein, dass es für den Rest und für jene, die es am ehesten brauchen, vom Staat durch eine Verbindlichkeit oder Pflicht organisiert wird.
Lassen Sie mich ein Wort zum Thema höhere Verbindlichkeit, Pflicht oder Zwang sagen. Wir haben aufgrund dieser Zuspitzungen ideologische Debatten vom Zaun gebrochen, die dazu geführt haben, dass der Blick nicht frei war für das, was real zu tun war und was man im letzten Jahr schon hätte auf den Weg bringen können.
Wir werden auch Morgen im Bundesrat wieder eine Debatte haben, bei der sich CDU-Länder untereinander nicht einig sind und wieder verschiedene Anträge einbringen. Die einen wollen mehr Verbindlichkeit, die anderen wollen mehr Pflicht, und es wird zu keiner Lösung kommen. Nach den Erfahrungen des letzten halben Jahres bin ich der Ansicht, dass wir uns jetzt aufgrund der Diskussionen, der Erfahrungen und der Konzepte, die vorliegen, tatsächlich aufmachen können, in Schleswig-Holstein einen eigenen Weg zu gehen,
der allerdings dem Prinzip „Hilfe statt Kontrolle“ Rechnung trägt und auch das deutliche Signal setzt: Wenn Kinder gefährdet sind, sind wir da, dann nehmen wir unser Wächteramt auch tatsächlich war und geben diesen Kindern eine andere und bessere Perspektive.
Lassen Sie mich noch abschließend sagen, dass wir bereits auf einem guten Weg sind. Es ist keineswegs Zeit verlorengegangen. Es haben Gespräche mit Krankenkassen, Kommunen und Trägern stattgefunden, im letzten halben Jahr haben mehrere Großveranstaltungen zum Thema Kinderschutz in unserem Land stattgefunden. Wir haben eine gute Basis gelegt. Das zeigt sich daran, wie viele Kinder inzwischen diese Frühuntersuchungen wahrnehmen. Ich will das noch einmal sagen: Im ersten Jahr nehmen 99 % bis 97 % der Kinder die Früherkennungsuntersuchungen war. Im zweiten Jahr nehmen 95 % bis 87 % der Kinder diese Untersuchungen war. Aber wir wollen, dass allen Kindern diese Untersuchung zugute kommt.
Allerdings wollen wir nicht, dass die Diskussion über diese Untersuchung den Blick dafür verstellt, dass es darum geht, ein ganzheitliches Kinderschutzkonzept auf den Weg zu bringen.
Deswegen begrüße ich den Antrag und ich begrüße es außerordentlich, dass sich alle Fraktionen bei einem so sensiblen und wichtigen Thema auf eine Stoßrichtung verstehen können. Ich freue mich, anhand des Antrages noch ausführlich darüber berichten zu können, was die Landesregierung auf den Weg gebracht hat, was sie vorhat, wo sie gestört wird und wo wir uns wünschen würden, dass Sie uns unterstützen, damit wir dann den letzten Schritt auch noch gehen können.
Kommen wir zunächst zu Tagesordnungspunkt 24 a)! Der Ausschuss empfiehlt die Ablehnung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 16/518. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU und SPD gegen die Stimmen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW abgelehnt.
Kommen wir nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 24 b)! Die Mitglieder des Sozialausschusses haben dem Landtag im Rahmen des Selbstbefassungsrechts mit der Drucksache 16/1089 einen Berichtsantrag mit der Bitte um Übernahme vorgelegt. Dies haben Sie, Frau Vorsitzende, auch vorgetragen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig der Fall.
Ich schließe die heutigen Beratungen. Wir setzen die Tagung morgen mit dem Tagesordnungspunkt 16 fort.