Protocol of the Session on December 14, 2006

Es gibt natürlich verschiedene Modelle, über die man getrost miteinander diskutieren kann. Das Problem, das wir haben, ist, dass immer sequenziell über einzelne Bausteine von Familienförderung diskutiert wird. Wir müssen das beenden und über ein ganz komplexes, vollständiges und umfassendes Programm zur Familienförderung diskutieren,

(Beifall bei CDU und FDP)

das mindestens drei Bestandteile, vielleicht sogar ein paar mehr, hat. Ein Bestandteil ist die steuerliche Förderung, ein anderer Bestandteil die unmittelbare Transferleistung, und ein wesentlicher Bestandteil ist der Ausbau der Infrastruktur, um Kinderbetreuung überhaupt gewährleisten zu können,

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU] und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

insbesondere im Hinblick auf die demografische Entwicklung. Da meine ich nicht die von Kindern, sondern die demografische Entwicklung bei denen, die in Lohn und Brot stehen, bei der arbeitsfä

higen Bevölkerung. Was hier nicht erst im Jahr 2050 und folgende, sondern in den nächsten zehn Jahren auf uns zukommt, davon machen sich die Wenigsten ein Bild. Schleswig-Holstein wird in den nächsten zehn Jahren etwa 100.000 Menschen im arbeitsfähigen Alter weniger haben. Das bedeutet, dass die Unternehmen auf der Jagd nach gut ausgebildeten Menschen sind, und das sind viele junge Frauen. Wenn wir diesen jungen Frauen und vielen jungen Familien nicht eine leistungsfähige Infrastruktur anbieten, damit sie sicher sein können, dass ein Kind, das sie gern haben möchten, auch versorgt ist, wenn sie gleichzeitig ihrem Job nachgehen, dann werden wir nicht erreichen, dass sich diese jungen Familien für Kinder entscheiden. Deshalb müssen wir mindestens diese drei Säulen, vielleicht gibt es ein paar mehr, gemeinsam in die Betrachtung einbeziehen und uns nicht immer irgendwo ein kleines Päckchen herauspicken und draufschlagen.

Es wird zu dem Antrag, so wie Sie ihn gestellt haben, dass die Landesregierung eine Bundesratsinitiative in Ihrem Sinne zu diesem kleinen Einzelpunkt ergreifen möge, nicht geben, weil wir in diesem kleinen Einzelpunkt so weit auseinander sind, dass wir einfach keine einvernehmliche Lösung hinbekommen. Ich plädiere dafür, den Balken aus den Augen zu nehmen, das gesamte Spektrum von Familien- und Kinderförderung ins Visier zu nehmen und hier zu versuchen, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.

Sehen wir in andere Länder! Bei uns haben die vielen, vielen unmittelbaren finanziellen Transferleistungen, die doppelt so hoch sind wie in Skandinavien, nicht dazu geführt, dass hier mehr Kinderwagen in den Mittelstädten rollen, sondern weniger,

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU] und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

weil diese Leistungen im Wesentlichen bei Vodafone oder an der Tankstelle landen. Deshalb ist es notwendig, darüber als Gesamtkomplex zu diskutieren. Da kann Familiensplitting eine Rolle spielen, es kann der einheitliche Grundfreibetrag eine Rolle spielen, aber insbesondere gehört dazu, dass Steuerförderung, Transferleistung und Infrastruktur gemeinsam behandelt werden.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Ich danke dem Herrn Minister. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Ich

denke, der Antrag Drucksache 16/1138 könnte federführend dem Finanzausschuss, mitberatend dem Sozialausschuss überwiesen werden. Wenn Sie so abstimmen möchten, bitte ich um Ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist so passiert.

Ich schaue auf die Uhr und finde, dass alle Abgeordneten mit den Haushaltsberatungen einen anstrengenden Tag haben. Ich mache den Vorschlag, entweder noch Tagesordnungspunkt 24 aufzurufen - dann tagen wir bis nach 18:00 Uhr - oder diesen Tagesordnungspunkt ohne Aussprache zu behandeln.

(Zuruf: Ohne Aussprache!)

Frau Präsidentin! Wir haben vereinbart, dass wir in der Tagesordnung fortfahren. Je eher wir damit anfangen, desto eher sind wir fertig.

Sie wissen, dass ich auf richtige Anregungen immer warte.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:

a) Vorfahrt für Kinder - Ausbau von Frühförderung und Einführung einer verbindlichen Vorsorgeuntersuchung für Zweijährige in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/518

Bericht und Beschlussempfehlung des Sozialausschusses Drucksache 16/1087

b) Gesundheit von Kindern schützen - Gesundheitsvorsorge ganzheitlich und verbindlich organisieren

Beschlussempfehlung des Sozialausschusses Drucksache 16/1089

Ich erteile das Wort der Berichterstatterin des Sozialausschusses, der Frau Abgeordneten Siegrid Tenor-Alschausky.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Sozialausschuss hat dem ihm durch Plenarbeschluss vom 26. Januar 2006 überwiesenen Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema „Vorfahrt für Kinder - Ausbau von

Frühförderung und Einführung einer verbindlichen Vorsorgeuntersuchung für Zweijährige in Schleswig-Holstein“ in drei Sitzungen, zuletzt am 16. November 2006, beraten. Er empfiehlt dem Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, den Antrag abzulehnen.

Im Zusammenhang mit dem oben genannten Antrag und vor dem Hintergrund der jüngsten Vorfälle von Kindesmisshandlung haben sich die Mitglieder des Sozialausschusses auch grundsätzlich mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Gesundheit von Kindern in Zukunft besser geschützt werden kann. Die Fraktionen von CDU und SPD haben dazu einen Antrag vorgelegt, dem alle Abgeordneten zugestimmt haben. Den Text dieses Antrags können Sie der Beschlussempfehlung des Sozialausschusses in der Drucksache 16/1089 entnehmen. Die Mitglieder des Sozialausschusses empfehlen Ihnen einstimmig, dieser Beschlussempfehlung Ihre Zustimmung zu geben.

Ich danke der Frau Berichterstatterin. - Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Ursula Sassen.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Über das Thema Frühförderung und Verhinderung von Vernachlässigung oder Misshandlung von Kindern haben wir in vielen Sitzungen diskutiert. Wir haben Anhörungen durchgeführt, schriftliche Stellungnahmen von Gesundheitsämtern angefordert oder diese besucht und in unseren Wahlkreisen Gespräche geführt. Wir sind mit unserem Bemühen, Kinder besser zu schützen und zu fördern, nicht allein. Auch in anderen Bundesländern wird nach Problemlösungen gesucht. Viele gute Ansätze lassen sich auf Schleswig-Holstein übertragen und umgekehrt.

Auch die Bundesregierung arbeitet mit Frau von der Leyen an einem wirkungsvollen Frühwarnsystem. Wenn jedoch die Erziehungsberechtigten Untersuchungen nicht wahrnehmen, Hilfsangebote nicht wahrnehmen, Hilfsangebote nicht annehmen oder gar selbst ihren Kindern Leid zufügen, treffen unsere Bemühungen ins Leere. In den ersten vier Lebensjahren sind kleine Kinder besonders gefährdet, Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung zu werden. Da aber die ersten Jahre auch be

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

sonders wichtig für die geistige und körperliche Entwicklung sind, besteht in doppelter Hinsicht dringender Handlungsbedarf. Jede Möglichkeit muss in Betracht gezogen werden. Es ist daher verständlich und richtig, wenn, wie mit dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschehen, auch über die Einführung einer verbindlichen Vorsorgeuntersuchung für Zweijährige nachgedacht wird.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Anhörung von Experten hat jedoch mehrheitlich ergeben, dass mit diesem von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesundheitsdienstgesetzes und der Einführung einer verbindlichen Vorsorgeuntersuchung das Problem nicht wirklich gelöst werden kann.

Der heute vorliegende Antrag von CDU und SPD „Gesundheit von Kindern schützen - Gesundheitsvorsorge ganzheitlich und verbindlich organisieren“ ist im Grunde die Konkretisierung unseres Vorläuferantrags „Früher wahrnehmen - besser kooperieren - zum Wohle unserer Kinder“.

Im Laufe der Diskussion in der Öffentlichkeit sind eine Fülle wichtiger Anregungen auch aus anderen Bundesländern, aus dem Gesundheitswesen, von sozialen Einrichtungen, von Vereinen, von Verbänden, von Behörden und von ehrenamtlich Tätigen eingegangen, die es uns leichter machen, die Anforderungen an ein effizientes Frühwarnsystem zu formulieren. Auch Krankenkassen haben Unterstützung zugesagt.

Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern wird nicht mehr nur - wie sonst häufig - in sozialen Gremien diskutiert. In einer gemeinsamen Presseerklärung vom 24. November 2006 haben Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag und Deutscher Städte- und Gemeindebund anlässlich der Sonderkonferenz der Jugendminister klare Aussagen gemacht. Ich zitiere:

„Die kommunalen Jugendämter sind sich der Verantwortung bewusst, die sie für den Schutz des Kindeswohls haben, wenn die Eltern überfordert sind. Wirksamer Kinderschutz erfordert ein vernetztes Vorgehen aller Beteiligten, um frühzeitig bestehende Problemlagen erkennen und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können.“

Die Ergebnisse der Konferenz sind sicher auch für unsere Diskussion interessant. Wir werden hoffentlich von der Ministerin darüber hören.

Der Antrag von CDU und SPD endet mit der Bitte an die Landesregierung, einen entsprechenden Bericht vorzulegen, der unter anderem Auskunft geben soll über die Maßnahmen der Landesregierung, um den Beschluss des Bundesrates für eine höhere Verbindlichkeit der Früherkennungsuntersuchungen im Sinn des Kindeswohls mit Nachdruck umzusetzen, und welche Möglichkeiten es gibt, wie eine Verbindlichkeit zur Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen im Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst festgeschrieben werden kann.

Interessant: Das Saarland hat im November einen Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung eingebracht, der es verdient, in unsere Überlegungen einzufließen. Wir müssen endlich über das Stadium vager Formulierungen hinauskommen. Wir sollten unsere Energie zunächst darauf verwenden, bewährte bestehende Beratungs- und Hilfsangebote zu unterstützen und zu vernetzen. Ein Handlungskonzept ist überfällig

(Beifall bei CDU, SPD und SSW)

unabhängig von einer verbindlichen Vorsorgeuntersuchung für Zweijährige.

Wenn sich allerdings herausstellt, dass es Möglichkeiten gibt, eine Umsetzung so vorzunehmen, dass wir die gefährdeten Kinder wirklich erreichen, sind wir mit im Boot.

(Frauke Tengler [CDU]: Sehr richtig!)

Letzter Satz, Frau Präsidentin! - Für einen Punkt gibt es allerdings kein Handlungskonzept: Das ist die Zivilcourage der Bürgerinnen und Bürger. Hinschauen und Handeln, wenn es um das Wohl unserer Kinder geht!

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke der Frau Abgeordneten Sassen. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun die Frau Abgeordnete Jutta Schümann.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Blick auf die Zeit und auf den vergangenen Tag fasse ich mich kürzer. Es ist sehr zu begrüßen, dass im Sozialausschuss die jetzt vorliegenden Beschlussempfehlung einheitlich getragen wird. Somit steht für uns alle fest, dass medizinische Vorsorgeuntersuchungen eine wichtige Bedingung für ein gesundes Aufwachsen von Kindern in unserer Gesellschaft sind. Eigentlich eine Selbstverständlich

(Ursula Sassen)

keit. Dennoch: Wiederholung ist dringend erforderlich. Für uns ist wichtig, dass ein entsprechendes Netz von Vorsorgeuntersuchungen angeboten wird und alle Kinder von Geburt an regelmäßig an diesen Untersuchungen teilnehmen, dass außerdem Ergebnisse und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Quellen und Untersuchungen zusammengeführt werden, um bis zum Kindergartenalter ein einheitliches Bild über die Entwicklung des Kindes zu erhalten.