Die drei Oppositionsparteien des Schleswig-Holsteinischen Landtages ziehen aufgrund dieser zum Teil vernichtenden Kritik jetzt die Reißleine. Wir glauben nicht mehr daran, dass man dieses Gesetz noch positiv verändern kann. Vor allem glauben wir nicht daran, dass man schon bis zum Februar aus diesem Gesetzentwurf noch eine Gesundheitsreform machen kann, die diesen Namen auch wirklich verdient.
Gemeinsam mit der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert der SSW daher, dass die Landesregierung sich auf Bundesebene dafür einsetzt, den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vollständig zurückzuziehen. Es mag verständlich sein, dass CDU und SPD aus Gründen des Koalitionsfriedens an diesem Entwurf festhalten. Die Oppositionsfraktionen sind aber gemeinsam der Auffassung, dass die Gesundheitspolitiker der Großen Koalition noch einmal von vorne anfangen sollten und einen vollständig neuen Gesetzentwurf zur Reform des Gesundheitswesens erarbeiten müssen.
Dabei sind wir uns darüber im Klaren, dass FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch der SSW durchaus verschiedene Ansätze dazu haben, wie das Gesundheitssystem in Zukunft finanziert und organisiert werden soll. Es ist zum Beispiel kein Geheimnis, dass der SSW sich für ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem nach skandinavischem Vorbild einsetzt und dass das Konzept der Bürgerversicherung, in die alle nach ihrer Leistungsfähigkeit einzahlen, uns dabei am sympathischsten ist. Auch dass wir dem System der privaten Krankenversicherung skeptisch gegenüberstehen, ist, glaube ich, bekannt. FDP und Grüne mögen in diesen einzelnen Punkten anderer Meinung sein, was die Zukunft angeht. Aber wir sind uns völlig darin einig, dass der jetzige Gesetzentwurf zur Reform des Gesundheitssystems unbedingt zurückgezogen werden muss; denn er ist weder Fisch noch Fleisch. Das, was wir jetzt haben, ist allemal besser als das, was uns durch die Große Koalition droht.
Ich danke dem Abgeordneten Lars Harms. - Das Wort für die Landesregierung hat nun die Gesundheitsministerin, Frau Dr. Gitta Trauernicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits im letzten Landtagsplenum habe ich darüber berichtet, dass die Bundesländer mit zahlreichen Anträgen Kritik und Forderungen in Bezug auf den vorliegenden Gesetzentwurf aufgreifen und auf Verbesserung drängen, so auch die Schleswig-Holsteinische Landesregierung.
Es wäre fahrlässig, darauf zu verzichten. Im Gegenteil, eine intensive Einmischung ist erforderlich, um die Interessen unseres Landes zu vertreten. Davon darf uns auch nicht abhalten, dass es eine zweifellos schwierige Reform ist. Es ist eben ein politischer Kompromiss divergierender Vorstellungen über die Ausgestaltung unseres Gesundheitswesens. Das geht den drei Oppositionsfraktionen hier im Landtag offensichtlich auch nicht anders. Sie sind sich einig in der Gegnerschaft, aber sie sind sich überhaupt nicht einig in der Lösung dieser Probleme und in den Zielen. Das ist die eigentliche Herauforderung, um die es geht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesratsdrucksache umfasst 581 Seiten. Sie gehört damit zu den umfangreichsten Vorlagen, die in diesem Kreis je zu beraten war.
Parallel zum Bundesrat finden Beratungen in den Bundestagsausschüssen statt. Es werden - Sie haben es heute den Zeitungen entnommen - wieder einmal verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen. Es werden Kompromisse infrage gestellt. Das alles war angesichts der schwierigen Ausgangslage zu erwarten.
Für die Schleswig-Holsteinische Landesregierung ist die Linie klar. Auch wir sehen Änderungsnotwendigkeiten, damit wir weiterhin regional notwendige Gestaltungsmöglichkeiten haben und die Versorgung der kranken Menschen in unserem Land sicherstellen können. Deshalb haben wir im Rahmen der Länderkoordinierung zahlreiche Anträge unterstützt, die diesen Zielsetzungen entsprechen.
Unabhängig von der in der Tat schwierigen Frage der zukünftigen Finanzierung des Gesundheitswesens über den Gesundheitsfonds - das Schwierige daran ist tatsächlich, dass es diese Neuerung außerordentlich schwierig macht, Wirkungen und Nebenwirkungen genau einzuschätzen - haben wir uns auf einige besonders wichtige Änderungsvorschläge konzentriert. Diese gehen, Frau Birk, deutlich über das hinaus, was Sie etwas salopp „Goodies“ nennen; vielmehr betreffen sie den Kern der Gesundheitsreform. Ich werde das gleich noch ausführen.
Wir haben uns zu den zentralen Punkten bereits in der Länderanhörung des Bundesgesundheitsministeriums kritisch geäußert. Darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen. Wir haben dabei kritische Äußerungen und Erwartungen aus dem Bereich der schleswig-holsteinischen Akteure des Gesundheitswesens mit aufgegriffen. Wir sind nach wie vor in der Diskussion und lassen nicht davon ab, unsere Interessen zu vertreten.
Nun wird sich diese Woche das Bundesratsplenum in einem ersten Durchgang mit der Reform beschäftigen. Die Landesregierung hat ihre Linie festgelegt. Ich möchte einige der zentralen Punkte dieser Vereinbarung öffentlich machen.
Erstens. Die Landesregierung lehnt es ab, dass die wirtschaftlich arbeitenden, gut aufgestellten schleswig-holsteinischen Krankenhäuser einen für sie ungerechtes und undifferenziertes Solidaropfer erbringen müssen.
Es wird daher mit einem Plenarantrag die Streichung des vorgesehenen Sanierungsbeitrags für Krankenhäuser in Höhe von 1 % gefordert. Ich weise darauf hin: Das ist der weitestgehende Antrag, der von einem Bundesland in das Bundesratsverfahren eingebracht worden ist. Es gibt lediglich einen zweiten von Nordrhein-Westfalen, der eine 0,7-prozentige Streichung vorsieht. Wir sind hier wirklich Eisbrecher gewesen. Ich bin aufgrund der bisherigen Erörterungen, Auseinandersetzungen und Kämpfe um Mehrheiten zuversichtlich, dass wir im Bundesrat die Mehrheit erreichen werden. Es wird also eine Änderung im Gesetz geben müssen.
„Ein Sonderopfer trifft die Falschen“, das ist das Motto, mit dem ich von Anfang an diese Diskussion auf Bundesebene geführt habe. Im Übrigen findet auch eine Kürzung im Bereich der Rettungsdienste nicht unsere Zustimmung.
Zweitens. Des Weiteren wird die Bundesregierung mit einem Plenarantrag aufgefordert, die finanziellen Auswirkungen für die Länder zügig und transparent vorzulegen. Die Finanzströme müssen zu einem ausreichenden Finanzvolumen zur Versorgung der Bevölkerung führen - das ist doch der Kern, um den es geht
und eine Benachteiligung von Grundlohnsummen schwachen Ländern mit hoher Krankenrisikostruktur vermeiden. Schleswig-Holstein ist ein solches Land.
Damit dieses Ziel erreicht werden kann, ist ein anspruchsvoller Risikostrukturausgleich erforderlich.
Aus uns vorliegenden schriftlichen Informationen ich habe nie einen Hehl daraus gemacht - ist uns die Zahl der offensichtlichen Wirkungen für Schleswig-Holstein bekannt. Es sind nicht die ominösen 458 Millionen €; vielmehr habe ich immer von 12 Millionen € gesprochen. Mir liegt ein aktuelles Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vor, aus dem ich zitiere:
„Für das Land Schleswig-Holstein ergeben sich aus einem vollständigen Finanzkraftausgleich Entlastungen in einer Größenordnung von circa 12 Millionen €, wobei die Auswirkungen des künftigen mobilitätsorientierten Risikostrukturausgleichs naturgemäß
noch nicht einbezogen werden konnten. Dies dürfte zur weiteren Entlastung zumindest in der AOK Schleswig-Holstein und bei der Barmer führen.“
Zum Dritten bleibt uns wichtig, dass ein konsequenter Einstieg in eine Steuerfinanzierung für die gesetzliche Krankenversicherung erfolgt. Das, Frau Birk, ist ein grundsätzlicher Punkt. Ich will es offen sagen: Es ist politisch nicht schlüssig und kaum vermittelbar, bereits bestehende Steuerkofinanzierungen aus dem Gesundheitswesen herauszunehmen - Stichwort: Tabaksteuer - und nur etwas später durch zaghafte, jetzt mühsam neu verhandelte Beiträge zu ersetzen.
Wer Beiträge zumindest ein Stück stabilisieren möchte, kommt schon jetzt um das Thema Steuerfinanzierung nicht herum.
Da wir konsequent sind, gehen wir mit einem eigenen - ich sage auch: in dieser Form einzigen - Plenarantrag in die Bundesratsverhandlungen und unterstreichen damit diese Position. Versicherungsfremde Leistungen, wie zum Beispiel die Kindermitversicherung, bedürfen eben einer breiteren finanziellen Basis und einer Eindeutigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ein viertes Thema. Zum Thema Verschuldung der Kassen nur so viel: Uns ist es wichtig, dass Krankenkassen mit Altlasten, die sie zum Teil nicht allein zu vertreten haben, diese in einem angemessenen Zeitraum abbauen können, ohne in Existenzkrisen oder gar Insolvenz zu geraten. Man male sich aus, was das für die schleswig-holsteinische Versorgungslandschaft bedeuten würde. Wir wollen leistungsfähige Kassen im Land. Wir lehnen deshalb unausgereifte, neue Insolvenzregelungen ab. Wir lehnen einen überzogenen Druck bei der Entschuldung und bürokratische Einzugsverfahren ab. Die Landesverbände der bundesunmittelbaren Ersatzkassen müssen ihre regionalen Vertragskompetenzen auch zukünftig erhalten können. Kassen und Verbände brauchen eben weiterhin landesspezifi
sche Gestaltungsmöglichkeiten, denn SchleswigHolstein hat sich mit speziellen Versorgungsstrukturen einen Namen gemacht, und das soll auch so bleiben.
Bei all diesen Themen sind wir auch auf Wunsch und in der unmittelbaren Kooperation mit unseren Partnern hier im Land mit Anträgen aktiv. Wir können aufgrund der bisherigen Beratungen davon ausgehen, dass es zu weiteren Verbesserungen des Gesetzentwurfs in diesem Sinne kommen wird. Unsere Partner haben uns signalisiert, dass sie es sehr erstrebenswert und auch wunderbar finden, wenn wir das schaffen könnten.
Ziel der Landesregierung ist es weiterhin, gesundheitliche Infrastrukturen zu erhalten und auszubauen. Ich finde, dieses Thema darf nicht zu gering geschätzt werden. Wir haben uns schon jetzt erfolgreich dafür eingesetzt, dass in diesem Gesetzentwurf die ambulante palliativmedizinische Versorgung und der Anspruch auf Mutter-Vater-KindKuren enthalten ist. Jeder, der Infrastruktur in unserem Land kennt, weiß, wie wichtig das ist.
Wir wollen nun aufgrund der Rückkopplung hier im Land mit den Mutter-Kind-Kuren und dem Hospizverband mit zwei weiteren Plenaranträgen in dieser Woche noch weiter gehende Regelungen, und zwar wollen wir, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und die Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste durch entsprechende Beratung befähigt werden, selbst spezielle Palliativleistungen zu erbringen. Das Gesetz sieht im Moment eher vor, dass es zu Sonderstrukturen kommt. Hier gibt es ebenso einen Antrag wie für die Mutter-KindKuren eine Verfahrensklarstellung, dass eine Vorrangigkeit der Rentenversicherungsträger nicht besteht, denn dies führt zu Schleifen, die die physische und psychische Situation mancher Mütter und Väter einfach nicht zulassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung war sich in diesen Punkten einig, das ist sehr erfreulich. Sie war sich auch in der Einschätzung einig, dass die geplante Konsolidierung von 1 Milliarde € im Bereich der Arzneimittel von der Pharmaindustrie zu erbringen ist. Die Einsparung bei unseren Krankenhäusern und Rettungsdiensten lehnen wir jedoch ab. Mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist grundsätzlich möglich, unter anderem mit der integrierten Versorgung, mit der elektronischen Gesundheitskarte und vor allem mit Prävention von Geburt an.