Protocol of the Session on December 13, 2006

(Beifall bei SPD und CDU)

Sollte die pauschale Kürzung zum Tragen kommen, sehen wir die große Gefahr, dass Rettungsdienste auf kommunaler Ebene zukünftig nicht mehr in der bisherigen Form und Qualität zum Einsatz kommen können.

Es ist auch zu begrüßen, dass die Landesregierung die bisher nicht eindeutig festgelegte neue Insolvenzregelung für Krankenkassen kritisiert und Nachbesserungen und Klarstellungen fordert. Auch hier kann erst eine eindeutige Positionierung erfolgen, wenn zum Beispiel im Detail festgelegt wird, wie die Schulden und finanziellen Belastungen von

(Ursula Sassen)

Krankenkassen im Kontext mit dem geplanten Insolvenzrecht überhaupt bewertet werden können. In diesem Zusammenhang ist gleichermaßen noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Entschuldungszeitraum für Krankenkassen auszuweiten ist, um sonst notwendige kurzfristige Beitragserhöhungen bei den Kassen zu vermeiden. Ebenso müssen die Finanzierungsrisiken der großen Krankenkassen, wie zum Beispiel bei der AOK hier in SchleswigHolstein, Berücksichtigung finden.

Aus unserer Sicht ist die bisher geplante pauschalierte Budgetabsenkung von 1 % für alle Krankenhäuser bundesweit inakzeptabel.

(Beifall bei SPD und CDU)

Bekanntermaßen haben sich die schleswig-holsteinischen Krankenhäuser bereits rechtzeitig auf die Umstrukturierung im Gesundheitswesen eingestellt. Wir haben wirtschaftlich sehr gut arbeitende Krankenhäuser mit den bundesweit niedrigsten Basisfallwerten. Eine erneute Budgetabsenkung und gleichzeitig Belastungen durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie zusätzliche Kosten durch neue Tarifabschlüsse würden dazu führen, dass die schleswig-holsteinischen Krankenhäuser nicht mehr in der Lage wären, ihre jetzige Versorgungsqualität aufrechtzuerhalten. Eine Budgetabsenkung, wie sie bisher geplant ist, würde zum Beispiel im Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster zu einer Mehrbelastung in Höhe von 1,7 Millionen € pro Jahr führen. Das entspricht 25 Arztstellen oder 40 Stellen im Pflegedienst. Am Westküstenklinikum würde sich eine Mehrbelastung von 2,4 Millionen € ergeben.

Wir begrüßen das Ziel der Landesregierung, Infrastruktur zu erhalten und auszubauen, und zwar insbesondere für die Palliativversorgung und für Mutter-Vater-Kind-Angebote. Wir teilen auch die Auffassung, dass Einsparungen im Arzneimittelbereich dringend erforderlich sind, dass sie allerdings nicht zu einer Gefährdung der kleinen und mittelständischen Pharmaunternehmen, wie wir sie insbesondere in Schleswig-Holstein haben, führen dürfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bereits in der vorigen Landtagstagung darauf hingewiesen, dass Gesundheitspolitik immer Politik für 82 Millionen Menschen ist und dass unser Gesundheitssystem überaus komplex ist. Im Interesse dieser Menschen stehen wir in der Verantwortung, uns aktiv an der Debatte um eine zukünftige Neuausrichtung des Systems zu beteiligen. Verweigerung führt nicht weiter. Wir werden im ersten Quartal des nächsten Jahres sicherlich weitere Diskussionen

führen müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt halten wir eine abschließende Bewertung für viel zu früh und insofern eine Entscheidung gegen das Gesetzgebungsverfahren und gegen den Gesetzentwurf für falsch.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Frau Abgeordneten Jutta Schümann. - Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Abgeordnete Angelika Birk.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheitsreform wird seit einigen Monaten unter dem Stichwort Wettbewerbsstärkungsgesetz diskutiert. Dazu kann ich nur sagen, je unbrauchbarer die Kompromisse in Berlin, desto schräger die Namen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Daran ändern auch 500 Seiten und 400 Änderungsanträge nichts. Die Grünen sind skeptisch, ob nun gerade im Bereich der Gesundheit unbeschränkter Wettbewerb gelten soll. Wie auch immer man dazu steht, es bleibt festzuhalten, dieses Gesetz schafft gar keine Grundlagen für einen Wettbewerb. Es schadet dem Gesundheitsstandort Schleswig Holstein, weil alles, was hier gut, preisgünstiger und reformfreudiger als anderswo auf den Weg gebracht wird, nicht als Wettbewerbsvorteil gilt, sondern durch staatlich verordnete Umleitungen von Bundesfinanzströmen zulasten der Gesundheitsanbieter in unserem Land in Frage gestellt wird. Dies haben Sie, Frau Trauernicht, in den letzten Debatten, die wir zu diesem Thema hier hatten, mehrfach vorgetragen. Auch Frau Schümann hat mit ihrem Forderungskatalog, der sich an unsere konkreten Punkte anlehnt, dies noch einmal bestätigt.

Hier können wir also sagen, wir sind noch längst nicht am Ziel, wenn wir nur unsere Landesinteressen im Auge behalten, ob es nun im Bundesvergleich um unsere Krankenhäuser geht, die als Belohnung für ihre Topleistung ein Prozent weniger Geld von den Krankenkassen bekommen sollen, oder ob wir uns die Rettungsdienste anschauen, die gezwungen werden sollen, letztendlich - irgendjemand muss es ja bezahlen - mehr Geld von den Patienten zu nehmen, oder - last but not least - unsere vorbildlichen Modellversuche, die wir, in unserem Land aus dem Engagement der Krankenkassen getragen, immer wieder mit Freude im Landtag

(Jutta Schümann)

diskutiert haben; auch diese werden in Zukunft, wenn die Krankenkassen kein Geld mehr haben, infrage gestellt sein.

Wenn wir uns nun das Ganze auf Bundesebene anschauen, sehen wir, die privaten Krankenkassen bleiben weiterhin eine privilegierte Klasse für sich, hingegen werden die Patienten mit dem kleinstem Portemonnaie in Zukunft die höchsten Krankenkassenbeiträge zahlen. Was hat das mit Wettbewerb zu tun?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zur Debatte hier: Wie sollen wir uns verhalten? Frau Sassen, Sie haben offensichtlich ein paar Daten aus einer Kabinettsberatung hier vorgetragen, die zumindest der Öffentlichkeit noch nicht durch Pressemitteilung in dieser Ausführlichkeit kundgetan wurden. Ich nehme dies als ein positives Zeichen, dass unsere Anträge hier im Parlament offensichtlich nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ das Kabinett dazu veranlassen, sich mit diesen Fragestellungen zu befassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zum anderen weiß ich, dass die Gesundheitsministerin sozusagen online mit den Ausschüssen des Bundesrates und auch mit anderen wichtigen Gesprächspartnern in Berlin in Kontakt steht. Natürlich wollen wir sie ermutigen, aber wir wollen sie in die richtige Richtung ermutigen, und zwar nicht nur zu sagen, wir wollen jetzt noch einen „Goody“ mehr für Schleswig-Holstein herausholen, sondern das Ding in seiner Gesamtheit zu betrachten.

Es zeigt sich, dass sowohl die Landesinteressen in Gefahr sind als auch, dass insgesamt bundespolitisch für alle Versicherten kein gerechter Wettbewerb entsteht. Deshalb sagen wir hier Nein und deshalb sage ich zu Frau Sassen: Hic Rhodus, hic salta! Wenn Sie nach Ihren Anhörungen zu neuen Erkenntnissen gekommen sind, was ich sehr begrüße, dann müssen Sie daraus auch Konsequenzen ziehen. Ich habe in der letzten Debatte ganz deutlich gesagt - Sie haben mich unvollständig zitiert -, wir müssen hier die Strategiedebatte führen: Wollen wir denn nur für Schleswig-Holstein ein paar „Goodies“ herausholen oder wollen wir nicht an dieser Stelle sagen, hier sei nicht der föderale Kompromiss zu suchen, sondern die gesamte Bundesratsstruktur muss ihre Kraft zusammennehmen und diesen Gesetzentwurf stoppen? Diese Frage habe ich hier offen gestellt, und ich habe bei Ihnen keine Antwort darauf gefunden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben uns als Oppositionsfraktion auch in Rückkoppelung mit unseren Leuten in Berlin darauf geeinigt: Dieses Gesetz kann so nicht kommen, auch wenn wir in konkreten Einzelheiten begrüßenswerte Annäherungen bei bisher unvereinbaren Beschlüssen haben, wenn ich zum Beispiel an die Palliativmedizin oder an anderes Detail denke. Das löst aber nicht das strukturelle Einnahme- und Verteilungsproblem.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Die kleinen Fortschritte, die die Anerkennung von einzelnen Gesundheitsleistungen betreffen, werden infrage gestellt, wenn die Grundlagen nicht stimmen. Was nützt es einer AOK-Patientin, wenn sie weiß, in Zukunft bekommt sie vom Müttergenesungswerk vielleicht leichter eine Kur, gleichzeitig aber steigt der Beitrag, und es werden weiterhin Leistungen fällig wie diese wunderbare 10-€-Gebühr beim Arzt, sodass praktisch das, was wir wollen, nämlich ein niedrigschwelliges und präventiv wirkendes Gesundheitssystem, nicht wirken kann, sondern dass gerade für die sozial Schwachen die Hürden, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen, höher und höher werden. Das kann doch nicht unser Ziel sein und das kann auch nicht durch kleine Leistungen gerettet werden.

Insofern kann ich nur sagen: Mutig voran, klare Kante zeigen, nur dann wird Frau Trauernicht in Berlin etwas erreichen. Mit einem Wischi-WaschiKompromiss und einem bisschen „holt doch einmal da was heraus und holt dort was raus“ wird sie dort nicht ernst genommen. Gehen Sie in sich, lassen Sie uns heute zu einer Abstimmung kommen. Der Bundesrat entscheidet jetzt in seinem Gesundheitsausschuss über die Weichenstellung. Im nächsten Jahr soll etwas vorgelegt oder das Scheitern bekannt gegeben werden. Wenn wir jetzt kein Signal geben, im Januar oder Februar ist es dafür zu spät.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich danke der Frau Abgeordneten Birk und erteile für den SSW im Landtag das Wort dem Herrn Abgeordneten Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Schümann, klar kommt

(Angelika Birk)

nachher am Ende meiner Rede noch die Alternative, keine Angst. Das sogenannte Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung wurde bereits sehr ausführlich in zwei oder sogar drei Sitzungen unseres Landtages beraten. Auch da haben wir schon alle unsere Alternativen dargelegt. Nicht nur die Oppositionsparteien kritisierten die Inhalte dieser neuen Gesundheitsreform, sondern auch Vertreter der regierungstragenden Fraktionen und der Landesregierung sahen im Detail viele Probleme im Gesetzestext. Der Herr Landtagspräsident Martin Kayenburg sprach in seiner Rede in der Novembersitzung des Landtages sogar von Murks im Zusammenhang mit dieser Reform der Großen Koalition und empfahl die Ablehnung - und das tun wir heute auch.

Auch die zuständigen Verbände und Interessengruppen haben kein gutes Wort an dem vorliegenden Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsministerin Schmidt gelassen. Natürlich waren einigen dieser Organisationen sicherlich ihre eigenen egoistischen Interessen bei der öffentlich vorgetragenen Kritik sehr, sehr wichtig, man muss aber feststellen, dass es eigentlich, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Organisation, keinen Verband gibt, der den Gesetzentwurf so, wie er jetzt formuliert ist, befürwortet. Das muss dann schon bedenklich stimmen.

Das Gleiche gilt auch für die Bundesländer. In den Ausschüssen des Bundesrates haben die Länder über 100 Änderungsanträge zur Gesundheitsreform eingebracht. Auch wenn die meisten Ländervertreter, außer denen des Landes Berlin, klargestellt haben, dass es sich nur um Nachbesserungen oder Feinjustierungen handele, die nichts an den Grundstrukturen der Reform ändern sollten, zeigt die große Anzahl der Änderungsanträge doch die Unzufriedenheit mit dem Gesetzentwurf. Alle 16 Bundesländer haben Korrekturbedarf angemeldet. Dabei steht zum Beispiel die pauschale Kürzung von bis zu 1 % in den Budgets der Krankenhäuser stark in der Kritik vieler Bundesländer. Auch die Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein warnte in einer Pressemitteilung letzte Woche, dass durch diesen Sanierungsbeitrag der Kliniken in Schleswig-Holstein eine Deckungslücke von 70 bis 80 Millionen € entstehen könne, wobei hierbei noch auf die Tarifsteigerung und die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 Rücksicht genommen werden müsse. Wer dieser Regelung zustimmt, schadet damit dem Land Schleswig-Holstein, und zwar in einer Höhe von 80 Millionen €.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Zahlen zeigen, dass man den Krankenhäusern nicht weitere Kosten auferlegen kann. Leider scheinen sich die Länder nicht darüber einig zu sein, wie man die Kürzung bei den Krankenhäusern verhindern kann. Während zum Beispiel Sachsen die ersatzlose Streichung der Kürzung fordert, will unsere Landesregierung nach Zeitungsberichten an der Einsparsumme festhalten. Sollten diese Angaben stimmen, ist das aus Sicht des SSW äußerst bedenklich und nicht im Interesse des Landes Schleswig-Holstein.

Weiter gibt es Änderungsvorschläge bei der Vorschrift, dass die Bundesregierung ohne Zustimmung der Länder künftig den einheitlichen Beitragssatz festlegen kann, auch die Höhe der künftigen Arzthonorare. Auch die neuen Regelungen im Bereich der privaten Krankenversicherung sind umstritten, wobei der innenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, schon davor warnt, dass diese Regelung womöglich verfassungswidrig ist. Insgesamt ist die Gemengelage bei den Beratungen über die Beratung der Gesundheitsreform zwischen der Bundesregierung, den Bundesländern und den Gesundheitsexperten sowohl bei CDU wie SPD völlig unübersichtlich.

Für den SSW möchte ich noch einmal grundsätzlich drei Punkte aufführen, warum wir dieses Gesetz ablehnen:

Erstens. Es kann nicht angehen, dass wir knapp drei Jahre nach der letzten Jahrhundert-Gesundheitsreform, die zu einer Praxisgebühr von 10 € geführt hat, entgegen den Versprechen von SPD und CDU jetzt doch wieder eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge bekommen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit wird die Reform auf dem Rücken der Beitragszahler finanziert und belastet wieder einmal die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch die Rentner über Gebühr. Dazu kommt noch, dass mit diesen Beitragserhöhungen auch die Lohnnebenkosten erhöht werden, was, isoliert gesehen, zum Arbeitsplatzabbau führen wird.

Zweitens. Die Pläne für die Einführung des so genannten Gesundheitsfonds sind überhaupt nicht durchdacht und führen nicht nur zu mehr Bürokratie, sondern auch zu weiterer Intransparenz im Gesundheitswesen. Der Gesundheitsfonds ist eine Missgeburt, die nur eingeführt wird, damit beide Koalitionspartner ihr Gesicht wahren können. Der Gesundheitsfonds gibt nämlich der CDU bei einer Alleinregierung oder bei einer von ihr geführten Regierung die Möglichkeit, ihre Kopfpauschale

(Lars Harms)

einzuführen, während die SPD in der gleichen Situation die Bürgerversicherung einführen könnte. Allerdings fragt man sich, warum dieser Gesundheitsfonds dann schon vor der nächsten Bundestagswahl eingeführt werden soll und warum man nicht die Entscheidung den Wählerinnen und Wählern bei der nächsten Wahl überlässt.

Drittens. Der SSW sieht den Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein durch die Pläne der Großen Koalition akut gefährdet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sprach bereits vom Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser von bis zu 1 %, der unseren wirtschaftlich arbeitenden Krankenhäusern ein nicht zu rechtfertigendes Sonderopfer abverlangt. Dazu sind auch die Ausgabenabschläge in Höhe von 3 % bei den Fahrtkosten des Rettungsdienstes für das Flächenland Schleswig-Holstein nicht akzeptabel, da sie zu Mehrbelastungen für die Patientinnen und Patienten gerade in unserem Land führen können. Insgesamt führen diese beiden Faktoren gemeinsam mit anderen Rahmenbedingungen dazu, dass es zu einer Verschlechterung der Versorgung in Schleswig-Holstein kommen wird. Das kann nicht Ziel einer Gesundheitsreform sein.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)