Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Abgeordnete Monika Heinold.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch in möchte mit der Verfassung beginnen. Ich bin am Mittwoch noch dafür gescholten worden, dass ich überhaupt den Zusammenhang zwischen Bremen und der Möglichkeit oder unserer Pflicht, Kinder in der Verfassung zu verankern, herstelle. Ich fühle mich durch die Aussage der Ministerin bestätigt, dass es richtig war, am Mittwoch genau so zu argumentieren. Ich beziehe mich dabei auch auf einen Antrag aus Nordrhein-Westfalen, der am 19. Sep
tember von den Fraktionen CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gestellt worden ist. Dort heißt es:
„Die Frage der Gewährleistung frühzeitiger und regelmäßiger ärztlicher Untersuchung von Kindern wirft viele rechtliche und praktische Fragen auf … Der Landtag weist in diesem Zusammenhang auf den verfassungsrechtlichen Auftrag durch Artikel 6 der Landesverfassung hin. Danach hat das Kind ein Recht auf körperliche Unversehrtheit.“
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der SPD und von der CDU, korrigieren Sie schnellstens den Fehler, den wir am Mittwoch gemacht haben.
- Den Sie gemacht haben. - Legen Sie einen neuen Gesetzentwurf vor. Wir sollten Kinderrechte in die Verfassung aufnehmen, damit wir eine starke Grundlage haben, im Interesse der Kinder zu entscheiden.
- Den Zusammenhang hat Ihre Ministerin heute in der Presse dargestellt, Herr Baasch; ich beziehe mich darauf. - Hierfür, warum in Bremen die schwere Kindesmisshandlung und Tötung geschehen konnte, warum es immer wieder zu Fällen dieser Art kommt, gibt es unterschiedliche Gründe. Es gibt leider inzwischen viele Familien, die ihrer Verantwortung nicht mehr gerecht werden können. Es gibt Kinder, die nicht entdeckt werden. Es gibt Behörden, die sich nicht miteinander vernetzen. Darüber hinaus gibt es die Not der kommunalen Kassen. Wir haben in Bremen erleben müssen, dass in den Sozialämtern Stellen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern abgebaut worden sind, dass Budgets so eng sind, dass Heimeinweisungen nicht mehr stattfinden, weil das Budget nicht mehr ausreicht. Diese Situation muss dringend geändert werden. Wenn wir mit unseren Kommunen über den Finanzausgleich sprechen, dann müssen wir immer daran denken, dass die Kommunen in diesem Bereich viele Pflichten haben, die sie ohne Geld schlichtweg nicht bezahlen können.
Ministerin, dass von Bundesseite 10 Millionen € für ein Frühwarnsystem ausgegeben werden sollen. Es heißt, fünf Städte in Norddeutschland werden als Erstes davon profitieren. Nun werden diese fünf Städte noch nicht bekannt gegeben. Ich hoffe, Frau Ministerin Trauernicht, dass Ihr Einfluss so groß ist oder so groß war, dass auch eine Stadt in Schleswig-Holstein von diesem Modell profitiert, sodass wir hierfür Geld nach Schleswig-Holstein bekommen und nicht wie bei den Elitehochschulen in die Röhre gucken müssen. Es wäre schön, wenn Sie andeuten würden, ob wir Gelder aus Berlin bekommen, sodass wir profitieren können.
In dem Bericht wird aufgezeigt, wer sich alles in unserem Land beteiligt, Vereine, Verbände, Kommunen, Städte, um den Schutz und die Frühförderung vor Ort zu gewährleisten, um Hilfesysteme darzustellen. Zunächst stellt sich jedoch die Frage, was sich ein Staat leisten kann und will. Wir haben über dieses Thema schon einmal im Rahmen der Beratungen über die Kinderarmut diskutiert. Leider werden wir über dieses Thema auch in Zukunft diskutieren müssen. Ein Staat, in dem der private Reichtum steigt und die öffentliche Armut sinkt, kann sich weniger Aufgaben leisten. Ich finde, dass man so etwas an dieser Stelle einmal sagen muss. Wir müssen dafür werben, dass unser Staat nicht so arm ist, dass er nicht einmal arme Familien unterstützen kann.
Ich appelliere an Sie, den vorgelegten Bericht zu lesen. Wir sollten uns über das, was erreicht wurde, freuen und dafür streiten, dass noch mehr passiert. Wir werden unseren Gesetzentwurf zur verbindlichen Vorsorgeuntersuchung im Rahmen der nächsten Plenartagung in zweiter Lesung beraten. Auch diesbezüglich hat Nordrhein-Westfalen einen weiteren Schritt gemeinsam unternommen, indem sie gesagt haben, sie wollen die Verbindlichkeit von Vorsorgeuntersuchungen. Auch in unserem Land wünsche ich mir einen weiteren Schritt, möglichst gemeinsam.
Ich danke der Frau Abgeordneten Heinold. - Das Wort für den SSW im Landtag hat der Herr Abgeordnete Lars Harms.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat einen Bericht über die Aktivitäten in unserem Bundesland zur vernetzten Betreuung und Unterstützung von Kindern vorgelegt. Lob gilt vor allem dem Anhang, der meines Wissens erstmals eine komplette Übersicht über die Angebote in Schleswig-Holstein bietet und damit tatsächlich für jeden Menschen in unserem Land lesenswert ist. Die Liste verweist aber indirekt auch auf das Kernproblem der hiesigen Struktur. Die 13 Seiten zeigen die bunte Vielfalt der Angebote, stehen aber auch für die Unübersichtlichkeit der Strukturen. Hilfen für Familien darin sind sich alle Fachleute einig - müssen wohnortnah, kompetent und niedrigschwellig sein.
Wie sieht es damit aus? - Die Landesregierung bemüht sich, zumindest das erste Prinzip zu erfüllen. Natürlich steht Eltern in den Städten ein besseres Angebot zur Verfügung, als das in den ländlichen Bereichen der Fall ist. Andererseits werden auch Eltern, die auf dem Land wohnen, nicht auf die städtischen Strukturen verwiesen. In allen Landkreisen finden sich engagierte Unterstützerinnen und Unterstützer. Der SSW begrüßt ausdrücklich die Bemühungen um eine wohnortnahe Versorgung, auch wenn diese mit höheren Kosten verbunden ist.
Kommen wir zur Qualifikation, denn sie ist am leichtesten messbar. Bedauerlicherweise gibt die Landesregierung keine näheren Auskünfte darüber, wie viel Personal mit welchem Qualifikationshintergrund in den genannten Beratungsstellen fest angestellt ist. Ich weiß natürlich, dass es auch innerhalb einer Profession große Unterschiede geben kann: Eine Hebamme kann Dienst nach Vorschrift machen oder versuchen, den Müttern soziale Unterstützung zu vermitteln. Aber trotzdem ist die Ausbildung beziehungsweise Berufsbezeichnung ein guter Hinweis auf die Professionalität eines Angebotes. Damit soll keinesfalls angeleitete, ehrenamtliche Arbeit abqualifiziert werden, doch diese kann immer nur ergänzend angelegt sein und braucht professionelle Unterstützung.
Ich möchte willkürlich einen Angebotstyp herausgreifen: die Familienbildungsstätten. Sie sind es, die durch ein breit gefächertes Angebot die Familien direkt erreichen. Die Familienbildungsstätten sind ein Treffpunkt für Junge und Alte, für Begüterte und Arbeitslose. Familienbildungsstätten thematisieren und beraten bei Problemstellungen, von de
nen Familien und einzelne Familienmitglieder betroffen sein können. Das ist eine wichtige Aufgabe. Die Zuschüsse fallen nicht besonders üppig aus: 34 Einrichtungen teilen sich 747.000 €. Da kann ich mir ausrechnen, dass akademische Vollzeitstellen vom Träger gar nicht zu finanzieren sind. Wer arbeitet aber dann in den Familienbildungsstätten zu welchen Bedingungen? Der Bericht macht dazu keine Angaben. Diese Informationen braucht der Landtag aber, um überhaupt einschätzen zu können, ob die bestehenden Strukturen ausreichend sind. Hinter den Adressen hätte ich mir eine Personalauflistung sowie eine Nutzerstatistik gewünscht.
Dass Angebote bestehen, ist nämlich keine Garantie dafür, dass die damit verbundenen Ziele auch umgesetzt werden können. Der SSW hält mehr Zahlen und Informationen für unumgänglich. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es uns weder um ein Ausspionieren der Arbeit noch um noch mehr Verwaltungsaufwand geht. Dem SSW geht es um die Offenlegung der Strukturen mit allen dazu notwendigen Informationen.
Ich möchte an einem anderen Beispiel mein Unbehagen verdeutlichen: Vor zwei Wochen konnte man im „Focus“ lesen, dass im letzten Jahr täglich mehr als 70 Kinder in Deutschland aus den Familien heraus in Obhut genommen wurden. Ich hätte erwartet, dass der vorliegende Bericht Bezug auf hiesige Zahlen nimmt. Welche Erfahrungen liegen mit der Inobhutnahme vor? Der Bericht geht zwar auf die Inobhutnahme ein, allerdings aufbereitet wie in einem sozialpädagogischen Lehrbuch. Es werden ausschließlich das Verfahren selbst und die darin Beteiligten beschrieben. Vergleiche mit Vorjahren und fachliche Einschätzungen fehlen. Verfügt das Ministerium etwa nicht über eingehendere Erkenntnisse? Dabei haben die Berichtsantragsteller ausdrücklich nach der Wirkung der Maßnahmen gefragt.
Doch mir liegt noch etwas auf dem Herzen. Im gewachsenen Angebot der Familienhilfe ist die aufsuchende Beratung und Unterstützung immer noch die Ausnahme. Das Stichwort heißt im Fachjargon: niedrigschwellige Angebote. Beratungen, die auf Anfrage getätigt werden, richten sich ausschließlich an Eltern, die bereits um ihre Probleme wissen. Wer als junge Mutter aus Angst vor Überforderung die Augen vor Problemen seines Kindes verschließt, wird sich niemals ans Gesundheitsamt wenden. Die Menschen dort abholen, wo sie stehen, sollte die Maxime einer wirkungsvollen Familienpolitik sein.
Die „Schutzengel“ zeigen, wie es geht: Hausbesuche und Angebote wie das Elternfrühstück erlauben es den Eltern, ohne Gesichtsverlust über bestehende Probleme zu reden. Dann kann man gemeinsam dessen Beseitigung angehen.
Alle Fachleute sind sich einig, dass niedrigschwellige aufsuchende Angebote den Familien am besten helfen. Daran fehlt es aber leider immer noch. Wir planen immer noch von oben nach unten. Diejenigen, die nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen, fallen weiterhin durch das Raster und erhalten dann nicht die Hilfe, die notwendig wäre. Doch genau an diese Klientel wollen wir ran. Die, die das System kennen, finden ohnehin ihren Weg und können sich auch besser durchsetzen. Gerade die Modellprojekte zeigen, dass es besser gehen kann. Hier gibt es also noch wirklich etwas zu tun. Wir sollten aus unseren Modellprojekten lernen und einiges von ihnen flächendeckend umsetzen. Ich kann dem Kollegen Garg nur zustimmen: Eines dieser zu erhaltenden Projekte ist garantiert das Projekt „Schutzengel“ in Flensburg.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. - Das Wort für die Landesregierung hat nun die Ministerin Dr. Gitta Trauernicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich zu Beginn der Debatte nicht anwesend war. Aufgrund eines Missverständnisses war ich davon ausgegangen, dass dieser Tagesordnungspunkt erst heute Nachmittag aufgerufen wird. Zum Glück bin ich jetzt da und habe auch die wesentlichen Debattenbeiträge mitbekommen.
Zunächst einmal bedanke ich mich und freue mich über die Anerkennung für den Bericht. Ich glaube, dass der Bericht eine gute Grundlage für die Beratungen im Ausschuss bildet. Gleichzeitig habe ich aber auch zur Kenntnis genommen, dass noch Wünsche offengeblieben sind, dass weitere Fragen plausibel sind, insbesondere angesichts der Tatsache, dass wir uns anhand mehrerer Einzelfälle vergegenwärtigen müssen, dass wir tief in die Praxis der zuständigen Jugendämter einsteigen müssen, damit wir wirklich etwas über die derzeitigen Hilfsangebote sagen können.
Zunächst einmal zu den Grundlagen. Ich möchte noch einmal auf das Thema Aufnahme des Kinderschutzes in die Verfassung zurückkommen. Die SPD und auch ich haben keinen Zweifel daran gelassen, dass das für uns ein erstrebenswertes Ziel ist. Aber um seine Ziele zu erreichen - das zeigen auch andere Debatten -, muss man Mehrheiten haben und an diesen Mehrheiten werden wir arbeiten.
Genauso wichtig ist aber die Feststellung, dass wir bereits jetzt herausragende gesetzliche Grundlagen haben, um tätig werden zu können. Das Jugendhilfegesetz sieht nicht nur die körperliche Unversehrtheit von Kindern vor, sondern sieht auch vor, dass wir alles dafür tun, damit das Recht von Kindern auf eine eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit überhaupt eingelöst werden kann. Das heißt, ein riesiger Katalog an Handlungsmöglichkeiten ist vorhanden. Die Frage ist, wie dieser Handlungskatalog tatsächlich auch genutzt werden kann.
Wenn wir uns das vergegenwärtigen, dann wissen wir - das ist bereits auch schon gesagt worden -, dass zum Glück die übergroße Mehrzahl von Kindern in unserem Land ein gutes Aufwachsen hat. Die Eltern bemühen sich um die positive und förderliche Entwicklung ihrer Kinder, sie sind um das Wohlergehen ihrer Kinder bemüht und sie unterstützen sie nach Kräften. Aber uns erschüttern dennoch immer wieder Berichte über dramatische Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern. Beim letzten Mal war es Jessica, heute ist es Kevin. Ich kann mir nichts Schrecklicheres vorstellen als das Schicksal dieser Kinder. Ich bin nach wie vor darüber jedes Mal wieder erschüttert.
Auch die Tatsache, dass ich mich seit 30 Jahren beruflich, politisch und privat besonders um diese Zielgruppe kümmere, hat mich veranlasst, Frau Heinold, auf der Bundesebene bei dem Zustandekommen der Koalitionsvereinbarung - an der ich beteiligt war - dafür zu sorgen, dass die Passage über die sozialen Frühwarnsysteme mit hineingeschrieben wird, und dafür Sorge zu tragen, dass 10 Millionen € zur Verfügung stehen, um solche Projekte bundesweit initiieren zu können.
- Wir wollen davon etwas abhaben, Anträge liegen bereits vor. Es gibt aber bis dato von der Bundesre
gierung noch keine Ausschreibung zu den Frühwarnsystemen, sondern es gibt lediglich eine Vorentscheidung von Frau von der Leyen, ein niedersächsisches Projekt mit fünf Standorten in Niedersachsen und in Bremen fördern zu wollen. Für dieses Projekt sollen 3 Millionen € zur Verfügung stehen. Ich habe alle Möglichkeiten genutzt, um deutlich zu machen, dass ich das nicht für verhältnismäßig halte. Deshalb hat es 7 Millionen € für weitere Projekte in den Bundesländern gegeben. Wir werden und haben unsere Anträge gestellt.
Ich sage aber ausdrücklich, dass ich nicht darauf gewartet habe, sondern bereits meine Möglichkeiten hier im Land genutzt habe, um diese sozialen Frühwarnsysteme auf den Weg zu bringen. Ich habe sehr schnell wahrgenommen, dass wir hier im Land ein beispielhaftes Projekt haben, nämlich das Projekt „Schutzengel“ in Flensburg. Auch ich habe es mir selbstverständlich angeschaut, obwohl ich es schon kannte. Ich war einmal mehr davon angetan und habe dieses Modellprojekt in ein Landesprogramm umgemünzt. Ich habe dafür Geld eingeworben und Sie haben das bewilligt, damit wir überall im Land diese „Schutzengel“-Projekte auf den Weg bringen können, deren Vorzüge Sie hier schon beschrieben haben.
Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass der Vorteil dieses Projektes schlicht und ergreifend der ist, dass am Ende dieses Frühwarnsystems die Risiken nicht nur erkannt werden, sondern auch Strukturen der Zusammenarbeit in einer neuen Qualität und damit verbindliche und verlässliche Reaktionen geschaffen werden. Früher wahrnehmen, schneller handeln, besser koordinieren - das ist die politische und fachliche Maxime, die in diesen Modellprojekten realisiert wird. Aber die riesige Herausforderung an uns ist die, dass diese Maxime in das gesamte Wirken der Jugendhilfe vor Ort Eingang findet. Ich kann Ihnen sagen, da haben wir noch eine gewaltige Aufgabe vor uns, das zeigen immer wieder Einzelfälle.
Dieses Programm wird mit Beteiligung aller 15 Jugendämter der Kreise und kreisfreien Städte auf den Weg gebracht. Ich bin dafür dankbar, dass auch alle ihre Bereitschaft gezeigt haben, daran mitzuwirken. Ich danke aber vor allem den Protagonistinnen des Flensburger Projektes für die Grundidee und für den Namen. Ich denke, mit einem Applaus können wir dieser Einrichtung unseren Respekt zollen, denn wer sie kennengelernt hat, weiß, was diese Menschen dort auf den Weg gebracht haben.