Ich wende mich allerdings gegen eine flächendeckende, im Land generell durchgezogene Zusammenführung von Haupt- und Realschulen, die folgendes Problem mit sich bringt, Herr Wadephul - er hört nicht zu, aber ich sage es trotzdem noch einmal -: Im sozialen Brennpunktbereich der Städte wird die Zusammenlegung von Realschulen und Hauptschulen zu Regionalschulen dazu führen, dass Eltern, die ihre Kinder bislang auf Realschulen geschickt haben, aus der neuen Schulart Regionalschule flüchten und alles tun werden, um ihre Kinder entweder auf Gemeinschaftsschulen und Gesamtschulen anzumelden oder sie in Gymnasien unterzubringen. Das ist meine Einschätzung, so sehen es offenkundig auch die Grünen und so sehen es auch viele aus den Schulen, mit denen man über dieses Thema spricht. Sie lösen sozusagen einen Dominoeffekt aus, bei dem Sie die Folgewirkungen nicht mit in die Betrachtung einbeziehen.
Meine große Sorge ist, dass wir eine Entwicklung im öffentlichen, im staatlichen Schulwesen einleiten, die nicht von heute auf morgen, nicht im nächsten Jahr, auch nicht gegen Ende der Wahlperiode, sondern in zehn oder 15 Jahren ein Ergebnis herbeiführen wird, durch das jemand, der für seine Kinder eine gute Schule sucht, praktisch gezwungen ist, für sie eine Privatschule zu suchen und dafür zu bezahlen. Das wäre eine Entwicklung im Schulwesen gerade auch im Hinblick auf das, was Frau ErdsiekRave zur sozialen Problematik in unserem Bildungssystem gesagt hat, die in der Folge etwas auslöst, was Sie natürlich nicht beabsichtigt haben, aber was das genaue Gegenteil von dem bewirkt, was Sie als Ziel oder Begründung Ihrer Politik beschwören. Das kann das, was Sie hier eingeleitet haben, langfristig durchaus bewirken.
Ich sage noch einmal: Ich halte es für einen Fehler, die Regionalschule flächendeckend zu installieren. Das wird vor allem im städtischen Raum erhebliche Folgewirkungen haben.
Das Wort für einen weiteren Kurzbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki von der FDP.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von der Bildungsministerin bin ich auf meinem Weg hierher mit dem Begriff „Bildungsexperte“ tituliert worden. Frau Ministerin, ich glaube, man muss nicht Bildungsexperte sein, um einigermaßen logisch denken zu können. Ich will auf ein paar Begründungselemente, die heute genannt worden sind, eingehen, die an mangelnder Logik wirklich nicht mehr zu überbieten sind.
Erstens. Herr Kollege Dr. Wadephul, die demografische Entwicklung - Frau Kollegin Herold, Sie haben mich nach Alternativen gefragt - war der Union bekannt, lange bevor der Landtagswahlkampf begonnen hat. Sie müssen Ihren Leuten und der Bevölkerung schon erklären, warum die bekannte demografische Entwicklung nunmehr eine komplette Veränderung Ihres bildungspolitischen Ansatzes begründen soll. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.
Ich habe bisher keine pädagogische Begründung gehört, warum nun aus dem dreigliedrigen Schulsystem ausgestiegen werden soll.
Zweitens. Sie werden die Frage von Schulstandortschließungen nicht dadurch erledigen, dass Sie das Etikett austauschen. Denn 15 Schüler in einer Gemeinde bleiben 15 Schüler, ob sie nun darüber schreiben „Hauptschule“ oder „Regionalschule“. Sie werden Schulstandorte, Schulgebäude aufgrund der demografischen Entwicklung schließen müssen, unabhängig davon, wie Sie es etikettieren. Das Argument, man wolle Schulstandorte dadurch erhalten, erweist sich vordergründig als plausibel, aber hintergründig als nicht tragfähig.
Drittens. Wir diskutieren über Schulsysteme und Schulformen, statt es einmal klar zu sagen - die Bildungsministerin hat es gelegentlich mit der Wahrheit und einmal in einem Statement beim NDRFernsehen erklärt -: Wir müssen einfach mehr Geld in das System hineinpacken. - Mehr Geld heißt nicht mehr Steine, sondern mehr Personal.
Wenn wir Real- und Hauptschüler in einer Schulform zusammenfassen, müssen Sie den Unterricht differenzieren. Es kann nicht mehr so gehen wie vorher. Sie kommen mit der gleichen Anzahl von Lehrerinnen und Lehrern nicht hin. Warum nicht? Weil Sie die Schulpopulation durchmischen. Wenn Sie Menschen nicht deutscher Sprachhoheit und Menschen deutscher Sprachhoheit zusammenführen wollen, um sie auf das gleiche Niveau zu heben, brauchen Sie deutlich mehr Personal, als wenn Sie es mit Menschen des gleichen Sprachraumes zu tun haben. Wir brauchen mehr Personal.
- Weiß denn jemand, wie das pädagogische Konzept aussehen soll, das dahintersteht? - Das weiß bisher keiner. Ich bin begeistert, dass wir uns auf eine Debatte dieser grundlegenden Form als Vorbild für Deutschland einlassen, Frau Herold, ohne dass jemand weiß, was dahintersteht.
- Sie machen jetzt genau den gleichen Mist, den Sie bei den KVR machen. Wenn Sie die Restschuldebatte vermeiden wollen, müssen Sie eine Einheitsschule schaffen. Wenn Sie keine Einheitsschule schaffen, haben Sie bei allem anderen, was übrig bleibt, eine Restschulddebatte.
Sie werden erleben - ob Sie das wollen oder nicht -, dass viele Eltern, die ihre Kinder bisher auf Realschulen geschickt haben, dieser Empfehlung nicht mehr folgen, sondern auf Gymnasien oder Privatschulen ausweichen werden.
Sie werden damit das Problem verstetigen. Machen Sie doch gleich den konsequenten Schritt und sagen: Dann machen wir ein einheitliches System mit besserer pädagogischer Ausstattung und besserem Profil.
Das ist für die Kinder und deren Ergebnisse allemal besser als das, was Sie jetzt auf den Weg bringen.
Herr Abgeordneter Kubicki, ich darf Sie darauf hinweisen, dass das Wort „Mist“ kein parlamentarischer Begriff ist.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist ja schade! Was machen wir dann bei Agrardebatten? - Heiterkeit und Beifall)
- Sie kennen unsere kreativen Landwirte; die werden da eine Lösung finden. - Das Wort für einen weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag des Kollegen Dr. Wadephul hat mich bewogen, noch einmal hier hoch zu kommen. Lieber Herr Kollege, als Sie über die Profiloberstufe sprachen, fiel mir ein, dass es in Schweden Ende der 70er-Jahre auch eine Diskussion über eine Gymnasialreform gab, wo man sich überlegte, was eigentlich das Unterrichtsziel des Gymnasiums sein soll. Soll das Gymnasium weiter die allgemeine Hochschulreife und die Zugangsberechtigung für ein Hochschulstudium bieten oder soll das Gymnasium künftig eine weiterführende Schule für Jugendliche sein?
In Schweden hat man sich für diesen zweiten Weg entschieden. Das heißt, wer dann studieren möchte, muss eine Zulassungsprüfung ablegen. Das ist der Weg, den man dort beschritten hat. Ich denke, dass wir uns, ob wir es wollen oder nicht, künftig sehr viel mehr mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Die Wirklichkeit an Schulen ist so, dass nicht einmal die Hälfte, vielleicht ein Drittel der Abiturienten ein Hochschulstudium anstrebt. Wir müssen uns also mit allen Abiturienten beschäftigen und können uns nicht nur die eine Hälfte herauspicken.
Darum sage ich, wir müssen uns natürlich auch mit der Frage beschäftigen, die uns in anderen Zusammenhängen schon beschäftigt hat, nämlich: Wie kriegen wir mehr junge Leute mit Abschlüssen weiterführender Schulen, wie kriegen wir mehr Akademiker, wie bekommen wir höherwertige Schulabschlüsse insgesamt? Stichworte waren in den vergangenen Jahren zum Beispiel Erzieherberufe, sozialpädagogische Berufe, Krankenpflege und so weiter. Es gibt eine ganze Reihe von Ausbildungen, wo dies jetzt angesagt ist. Darum ist es eine verkürzte Diskussion zu sagen, Gymnasien führten zur Hochschulreife und zu einem Hochschulstudium. Das ist eine Diskussion, die nichts mit der Zukunft zu tun hat.
Noch eine Bemerkung zur Profiloberstufe! Die Profiloberstufe birgt einige Schwierigkeiten in sich. Erstens ist es so, dass wir Klassen mit einem hohen Klassenquotienten bekommen. Da kann man fragen: Wie viel Profilbildung wird da möglich sein? Angesagt sind zwei, höchstens drei Profile.
- Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Wenn man das sprachliche Profil will, wird sich die Frage stellen: Wie sieht das mit der zweiten und dritten Fremdsprache aus? Dafür wird es in der Profiloberstufe keinen Platz geben.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin! - Man muss ehrlicherweise sagen, die Profiloberstufe hat sehr viel mit Haushalt und sehr viel weniger mit Bildung zu tun.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich mich nur gemeldet, damit in einer solchen schulpolitischen Debatte der Beitrag des Abgeordneten Kubicki nicht der letzte bleibt. Ich will hier doch noch einmal zwei oder drei Argumente aufgreifen, die mir in Bezug auf die FDP wichtig erscheinen, aber auch in Bezug auf die grünen Kolleginnen und Kollegen.
Ich unterstelle der Union - ich habe die Debatte in Ihrer Partei, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU-Fraktion, sehr sorgfältig beobachtet und mich damit beschäftigt und auch immer wieder davon gehört -, hier gab es nicht nur eine Debatte nach dem Motto, wegen der demografischen Entwicklung müsse das sein, sondern es gab eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung auch mit pädagogischen Fragen. Ich erkenne das hoch an, dass das der Fall gewesen ist. Nur deswegen konnte es am Ende zu dieser Einigung führen. Da hat man sich vielleicht ein paar mehr Gedanken gemacht, als Sie das in Ihrer Partei gewohnt sind, Herr Kubicki, das will ich einmal in allem Ernst hier sagen.
- Nein, ich bin noch nicht fertig. Es geht nicht um die Frage des Sich-Gedanken-Machens, sondern darum, um wen man sich Gedanken macht. Das ist das Entscheidende. Wenn man bisher Ihren Argumenten gefolgt wäre, dass dann, wenn sich eine Schulart für andere öffnet, viele aus ihr flüchten und eine Art Restschule übrig bleibt, dann hätten Sie schon längst dafür plädieren müssen, die Hauptschulen aufzulösen. Wo bleibt da die Logik bei Ihnen? Daraus kann ich nur schließen, dass dieser Rand der Gesellschaft, dieses Sammelbecken für Frustrierte, Benachteiligte, Zurückgestufte, schon einmal verspätet Eingeschulte, Sitzengebliebene etwas ist, was Ihnen relativ egal ist. Das muss ich daraus schließen.
- Lieber Herr Kollege Kubicki, ich habe in den bisherigen bildungspolitischen Diskussionen Beiträge dazu in diesem Haus jedenfalls vermisst. Die Tatsache, wie Sie reagieren, bestätigt das im Grunde.
Den Damen und Herren von den Grünen und auch der Kollegin Spoorendonk will ich sagen, ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft schon wirklich reif ist für ein komplett integratives Schulsystem. Ich glaube, dass dazu viel gesellschaftliche Bewegung in den Köpfen und viele Debatten notwendig sind. Ich habe immer gesagt, wir brauchen lange Zeiten des Zusammenwachsens der Schulformen. Wir sind auf einem guten Weg mit dem System, das wir jetzt einführen wollen. Die Debatte wird in Deutschland noch weitergehen und es wird eine gesellschaftliche Bewegung werden hin zu mehr Integration, hin zu mehr Durchlässigkeit. Das wünsche ich mir.
Ich danke der Frau Ministerin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratungen.
Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/1000 sowie die Änderungsanträge Drucksachen 16/1029, 16/1031 und 16/1037 dem Bildungsausschuss zu überweisen. Wer dem so zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.