Protocol of the Session on May 26, 2005

Die Grünen rühmen sich in der Reaktion auf den Bericht, auf Bundesebene zumindest für eine Befristung der Antiterrorgesetze gesorgt zu haben. Das ist für eine Partei, Frau Kollegin Lütkes, die sowohl beim letzten als auch dem diesjährigen Verfassungsschutzbericht keinen konkreten Anlass zur Beunruhigung gesehen hat und sich angeblich dem Rechtsstaat verpflichtet fühlt, ziemlich wenig.

(Beifall bei der FDP - Zuruf der Abgeordne- ten Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Auch eine befristete Zustimmung bei den Schily-Iund -II-Pakten ist eine Zustimmung zu diesen Gesetzesvorhaben. Wir werden bedauerlicherweise erleben, dass die Fortsetzung folgt.

(Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was sagt denn Rheinland-Pfalz?)

(Wolfgang Kubicki)

Ich sage noch einmal ausdrücklich, dass für uns die Ausweitung der Datenspeicherung im Telekommunikationswesen nicht hinnehmbar ist, dass der mögliche Abschuss voll besetzter Passagierflugzeuge bei Verdacht einer möglicherweise terroristischen Bedrohung für uns mit der Verfassung, mit den Grundsätzen unseres Landes nicht vereinbar ist,

(Beifall beim SSW)

dass der Überlieferung von Flugpassagierdaten an Sicherheitsbehörden anderer Länder nicht zugestimmt werden kann. Für meine Fraktion bleibt es dabei: Jede Maßnahme, die einen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zum Ziel hat, erfordert eine Sachlage, die die Notwendigkeit dieses Eingriffs rechtfertigt, und nicht die Beschreibung eines Bedrohungsszenarios, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit ich für unterdurchschnittlich halte.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Bevor ich das Wort an die Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile, möchte ich sehr herzlich auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler der Ernestinenschule in Lübeck sowie Schülerinnen und Schüler der Freien Waldorfschule Neumünster mit ihren Lehrerinnen und Lehrern begrüßen. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Fraktionsvorsitzenden, Frau Abgeordneter Anne Lütkes, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verfassungsschutz ist in den letzten Jahren so aufgestellt, dass er in Schleswig-Holstein eine ordentliche rechtsstaatliche Arbeit machen kann. Der staatliche Druck auf verfassungsfeindliche Organisationen ist konstant hoch. Straftaten insbesondere der rechtsradikalen Szene werden konsequent verfolgt.

Den Inhalt des Berichtes hat mein Vorredner, der Herr Kollege Kubicki, zu Recht ausführlich dargestellt. Ich verzichte deswegen auf eine erneute Darstellung des Berichts und möchte mich auch dem ausdrücklichen Dank an die Verwaltung, an den Verfassungsschutz anschließen.

(Zuruf)

- Hier entstehen noch ganz ungeahnte Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Der Bericht gibt Anlass - wie meine Vorredner gesagt haben -, erneut festzustellen, das neben der konsequenten Verfassungsschutzarbeit die politische Auseinandersetzung mit extremistischen Kräften in unserem Land fortzuführen ist. Glücklicherweise ist es dem gemeinsamen Kampf der Demokraten gelungen, den Einzug Rechtsextremer in den Landtag zu verhindern. Das Wahlergebnis der NPD - 1,9 % - war für diese Gruppierungen ein Rückschlag.

Leider war gestern in der Regierungserklärung - wenn ich es richtig in Erinnerung habe - zu dem großen Thema des Kampfes gegen den Rechtsextremismus keine Rede. Ich kann es aber gern noch einmal nachlesen. Ich bin deshalb um so froher, dass der neue Innenminister deutliche Worte darüber gesprochen hat, dass gerade der Kampf gegen den Rechtsextremismus und die terroristische Bedrohung mit rechtsstaatlichen Mitteln weiterzugehen hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die konstante Arbeit der vergangenen Jahre, die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich in der Bundesrepublik, die Erinnerungsarbeit, die Fortbildungsarbeit, aber auch die von uns entwickelten Aussteigerprogramme gegenüber jungen Rechtsextremen fortzusetzen. Die hier aufgelisteten von meinen Vorrednern genannten Programme im Einzelnen sind wie XENOS gerade Programme, die sich an die Jugendlichen wenden, die nicht in Parteien organisiert sind, sondern in diffusen gesellschaftlichen Kameradschaften zusammenhängen oder die in einzelnen Gruppen agieren. Insofern teile ich nicht die Auffassung, dass die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gefährlich ist, wenn man die NPD benennt. Es geht um die umfassende Deutlichmachung dessen, was in der Vergangenheit unter Rechten, unter faschistischen Ideologien geschehen ist. Es geht darum, dass die Erinnerung für junge Menschen ein Bild erhält. Das muss Inhalt der Erinnerungsarbeit sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus und die terroristische Bedrohung muss - ich sagte es schon - mit rechtsstaatlichen Mitteln fortgeführt werden. Wir haben vom Innenminister deutliche Worte gehört. Es ist spannend zu beobachten - ich hoffe, dass er sich da durchsetzen wird -, wenn es beispielsweise in naher Zukunft um die Maßnahmen nach Landesrecht zur Rasterfahndung geht. Wir haben die gesetzlichen Grundlagen, um Rasterfahndung in Schleswig-Holstein möglich zu machen, vor einiger Zeit bis 2005 befristet. Hier wird es darauf ankommen, wie sich die neue große Koalition dazu verhält. Auf Bundesebene haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erneut die Not

(Anne Lütkes)

wendigkeit der Befristung der Antiterrorgesetze durchgesetzt. Das wird auch von Herrn Schily anerkannt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für uns gilt weiterhin: Grundrechtsbeschränkende Gesetze nur dann, wenn sie erforderlich und verhältnismäßig zur Bewältigung von Sicherheitsproblemen notwendig sind. Diese Haltung wird von Ihnen, Herr Innenminister, geteilt. Darüber bin ich froh.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Schauen wir mal!)

Noch ein Wort zur Frage des Reformbedarfs bei den Verfassungsschutzämtern. Ich persönlich darf das für mich, aber auch für meine Fraktion deutlich sagen: Wir sind an jeder Debatte hoch interessiert, die eine Reform mit sich bringt. Allerdings kann sie nicht das Ziel haben, die Bundeskompetenzen als die alleinigen zu bestimmen. Wir sind der Auffassung, dass die Zusammenarbeit zwischen den Landesämtern des Verfassungsschutzes extrem reformbedürftig ist. Das kann tatsächlich auch zu einer Zusammenlegung von Verfassungsschutzämtern führen.

Ich weiß, dass wir in dieser Hinsicht mit dem alten und dem neuen Innenstaatssekretär unterschiedlicher Meinung sind. Ich denke aber schon, dass in dieser Richtung zu diskutieren ist, da effektivere Möglichkeiten zur Zusammenarbeit gegeben sind.

Lassen Sie mich meine kurze Rede damit beenden, dass ich Ihnen, Herr Wolf, zum einen den Dank meiner Fraktion ausspreche. Ich möchte Ihnen aber auch persönlich meinen Dank aussprechen. Ich spreche hier jetzt natürlich als Vertreterin meiner Fraktion. Rückblickend möchte ich aber ausdrücklich sagen, dass für mich gerade die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem alten Justizministerium und auch mir, als ich noch Justizministerin war, höchst erfreulich war. Wir konnten uns immer auf Ihre rechtsstaatliche Sichtweise, Ihre Garantie des Rechtsstaates verlassen. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke der Frau Fraktionsvorsitzenden Anne Lütkes. - Für den SSW erteile ich der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst - und zwar nicht im Sinne eines Rituals - herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

des Innenministeriums. Nicht zuletzt sage ich auch im Namen des SSW Herrn Wolf unseren herzlichen Dank. Wir wünschen ihm für den Ruhestand wirklich alles Gute. Ich möchte ihm auch noch einmal ganz persönlich für die gute Zusammenarbeit danken.

Zu dem Verfassungsschutzbericht hat der Kollege Kubicki, wie ich denke, schon das meiste bezüglich dessen gesagt, was konkret aus dem Bericht abzuleiten ist. Deshalb möchte ich jetzt ein paar andere Perspektiven aufgreifen.

Natürlich freuen auch wir uns darüber, dass die NPD nach Schleswig-Holstein nun auch in NordrheinWestfalen mit ihrem Versuch gescheitert ist, in den Landtag einzuziehen. Dass sich die rechte Szene reichlich um eine parlamentarische Vertretung bemüht und sogar eine rechte Volksfront anstrebt, lässt sich - es ist schon gesagt worden - dem Bericht entnehmen. Trotz der deutlichen Abfuhr durch den mündigen Wähler dürfen wir die Aktivitäten der rechtsextremistischen Organisationen nicht aus dem Auge verlieren.

Aus Sicht des SSW ist es eine permanente Aufgabe der demokratischen Parteien und aller Demokraten, extremistischem Gedankengut die Stirn zu bieten und somit keine Hoheitsrechte über den Stammtischen preiszugeben. Rechtes Denken hat die Mitte der Gesellschaft erreicht und ist keine bloße Angelegenheit pöbelnder Skinheads.

Mit Sorge beobachte ich, dass auf der Bundesbühne die rechtsextremistischen Aktivitäten für tagespolitische Auseinandersetzungen - ich erwähne hier die Auswirkungen von Hartz IV - instrumentalisiert werden. Dieses greift ganz klar zu kurz. Es sind nicht singuläre Fehlentscheidungen in der Politik, so es denn solche gibt, die den Rechten Auftrieb geben. Es sind tiefer liegende Prozesse in unserer Gesellschaft, die vor allem junge Menschen entwurzeln und verunsichern und sie damit für Rattenfängerargumente empfänglich machen. Hier liegt meines Erachtens die wahre Herausforderung für uns als Demokraten.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Ein breiter und damit parteiübergreifender Diskurs über die Elemente in einer Gesellschaft, die bei allen legitimen Interessengegensätzen den Zusammenhalt sichern, ist vonnöten. Das ist natürlich leicht gesagt. Ich weiß sehr wohl, dass man rechte, menschenverachtende Ideologien nicht mit Lichterketten vertreiben kann. Wir müssen uns dazu anhalten, den direkten Dialog mit Jugendlichen, Arbeitslosen, Ausländern, mit Randgruppen der Gesellschaft zu suchen. Ein solcher Dialog kann aber nur eine Wirkung ha

(Anke Spoorendonk)

ben, wenn er nicht belehrend von oben herab erfolgt. Augenhöhe und gegenseitiger Respekt sind unerlässlich. Persönliche Integrität und Glaubwürdigkeit überzeugen immer noch am besten von den demokratischen Grundwerten.

Wie können wir dies für jene Gruppen aber erlebbar machen? Parteien und parteinahe Stiftungen haben hier eine Pflicht, die nur zu häufig durch das hektische Alltagsgeschäft in den eigenen Reihen verdrängt wird. Der Bildungspolitik kommt natürlich eine wichtige Bedeutung zu. Alles das, was man unter dem Begriff Sozialkompetenz zusammenfasst, ist wichtig. Auch geeignete Angebote, die sozial Benachteiligten und Kindern von Ausländern eine reale Chance geben, müssen gleichberechtigt neben der Stoffvermittlung Bestandteil einer demokratischen Bildungspolitik sein. Dass Integration und Wissensvermittlung keine konkurrierenden Ziele sind, sei hier nur beiläufig erwähnt.

Der Tendenz zum Fundamentalismus bei den hier lebenden Ausländern islamischen Glaubens kann ebenfalls nur mit einer zielgerichteten Integrationspolitik begegnet werden. Wir müssen daher verlangen, dass sich die Ausländer bemühen, die deutsche Sprache zu lernen, und dass sie die Regeln des öffentlichen Zusammenlebens respektieren. Dies ist die Grundlage dafür, in unserer Gesellschaft integriert zu sein. Wir müssen jedoch auch aktiv Rahmen schaffen, damit sie mit ihrer Kultur ungehindert als Privatmenschen in unserer Mitte leben können. Einen Assimilationszwang sollte es eben nicht geben, weil dies zu unerwünschten Gegenrektionen führen könnte und weil Religionsfreiheit und Toleranz Grundwerte sind, die wir praktisch leben müssen. Sie lassen sich eben nicht verordnen.

(Beifall bei SSW, FDP und vereinzelt bei CDU und SPD)

Ich bedanke mich bei der Abgeordneten Spoorendonk.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/64, dem Innen- und Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Bundesratsinitiative zur Änderung der Abgabenordnung

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/78