Protocol of the Session on September 15, 2006

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Ich kann nur noch einmal sagen, dass der Antrag so formuliert ist, wie er gemeint ist. Der SSW hat sich in europapolitischen Fragen bewegt. Es ist kein Zufall, dass wir vor den Sommerferien eine Veranstaltung durchgeführt und auf unserem Parteitag auch ein Europapapier beschlossen haben. Dass Kritik in europapolitischen Fragen weiterhin wichtig ist, darüber sollten wir uns einig sein. Wenn wir nicht einmal mehr Kritik äußern können, haben wir es mit leerer Ideologie zu tun. Dann sind wir völlig abgehoben.

(Beifall bei SSW und FDP sowie der Abge- ordneten Sylvia Eisenberg [CDU] und Niclas Herbst [CDU])

Zu den Mitteln: Wir wissen - wenigstens ist das vor der Sommerpause diskutiert worden -, dass dieses neue Kommunikationsprogramm der EU für Dialog und Verständigung, dessen Namen ich vergessen habe, Mittel zur Verfügung stellt. Wir müs

(Detlef Matthiessen)

sen uns darum bemühen, von dort Mittel einzuwerben. Natürlich können wir das über den Landeshaushalt nicht leisten. Das ist auch nicht Sinn der Sache. Natürlich wird dieses Projekt - falls es durchgeführt werden kann und man es wünscht auch daran zu messen sein, ob es uns gelingt, nicht immer die üblichen Verdächtigten zu verhaften. Das ist die Kernfrage. Aber ich denke, dass das auch das Spannende an dem Antrag ist.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Niclas Herbst [CDU] und Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Das Wort für die Landesregierung hat nun Europaminister Uwe Döring.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mal wild beginnen: Es wird immer gesagt, die Verfassungsdebatte und das Aussetzen bedeute möglicherweise das Aus für Europa. Ein Spötter hat einmal gesagt, Europa sei wie ein Fahrrad: Wenn es aufhört, sich zu bewegen, fällt es um. Nun müssen wir feststellen, dass dieses Fahrrad immer noch funktioniert. Der Lenker wackelt zwar etwas, der Glanz ist auch etwas matt geworden, aber es ist alltagstauglich. Das heißt, dass all diejenigen, die gesagt haben, Europa ist an eine Grenze gekommen, Unrecht haben.

Das, was in Brüssel jetzt etwas vornehmer als Reflektionsphase bezeichnet wird, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, hat die Gemüter abgekühlt. Aber es ist gleichzeitig auch vorangegangen. Wir haben trotz allem noch die Chance, diesen Verfassungsprozess zu einem guten Ende zu führen. Allerdings wage ich nicht vorherzusagen, wann dieser Zeitpunkt kommt. Ich vermute, dass es nicht im Rahmen der deutschen Präsidentschaft kommen wird, weil das nicht vor den Wahlen in Frankreich passieren wird. Darüber sollten wir uns auch im Klaren sein. Es wird auch wahrscheinlich am Ende nicht der ganz große Wurf sein, sondern wie so häufig - ein Kompromiss. Das ist aber besser als gar nichts.

Dass es zu einer Lösung kommen muss, zeigt schon eine Tatsache, auf die ich aufmerksam machen möchte, weil sie manchmal etwas in Vergessenheit gerät: Der Vertrag von Nizza sieht vor, dass die Anzahl der Kommissare ab 2009 auf 21 reduziert werden muss, wenn die Zahl der Mitgliedstaaten die 25 überschreitet - und wir haben demnächst 27.

Ich bin gespannt, wie man das machen will, wenn man keinen Verfassungsvertrag hat. Als Kommission in alter Zusammensetzung trotzdem weiter zu tagen, würde dazu führen, dass jeder Beschluss vor dem EuGH anfechtbar ist, weil die Kommission nicht ordnungsgemäß besetzt ist. Schon allein unter diesem Gesichtpunkt meine ich, dass hier etwas passieren wird.

Das, was Sie mit dem SSW-Antrag vorhaben, ist ein sehr ehrgeiziges Projekt. Darüber und über die Bedenken, die man vielleicht haben kann, ist hier schon vieles gesagt worden. Diese Bedenken sollten aber nicht die Oberhand gewinnen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass solche Diskussionen auch vom Parlament geführt werden. Sie werden auch im nächsten Jahr an vielen anderen Stellen stattfinden. Ich denke aber, dass dies auch eine Aufgabe dieses Forums, des Parlamentes, ist. Wir sollten dabei auch einige Erfahrungen berücksichtigen, die wir alle in den letzten Jahren miteinander gemacht haben.

Einerseits wird die Verfassungsdebatte häufig für ganz andere Themen missbraucht, beispielsweise für den Türkeibeitritt, über den sich vieles sagen lässt. Die Verfassungsdebatte ist nicht mit der Frage zu verknüpfen, wo die Grenzen Europas verlaufen. Wir werden aber im Zusammenhang mit der Türkei eine andere Debatte zu führen haben. Wir können nicht mit jemandem verhandeln, der einen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht anerkennt.

(Beifall bei der FDP)

Spätestens da werden die Verhandlungen stark ins Stocken geraten.

Andererseits geht es um die zukünftigen Mitgliedsländer Rumänien und Bulgarien. Auch hier muss man mit den Menschen offen reden. Ich benutze immer das folgende Beispiel: Wenn heute in der „Bild“-Zeitung ein Foto von drei jungen Rumänen erscheinen würde und darunter stünde: „Wir freuen uns auf Europa!“, dann hätten die Leser dieser Zeitung vor 15 Jahren gesagt: Willkommen in der Freiheit. Heute sagen sie: Wollen die meinen Arbeitsplatz?

Diese Debatten müssen wir ehrlich führen. Wir müssen uns auch fragen, ob wir es richtig gemacht haben, erst beitreten zulassen und dann Forderungen zu stellen. Oder müssen nicht erst Forderungen gestellt werden, die erfüllt werden müssen, bevor man einen Beitritt erwägen kann?

(Beifall bei CDU, FDP, SSW und des Abge- ordneten Wolfgang Baasch [SPD])

(Anke Spoorendonk)

Ich denke, man sollte daraus lernen. Man sollte auch offen sagen, dass viele Probleme, die wir haben, Probleme der Mitgliedstaaten sind. Das, was wir immer als Bürokratenwahnsinn bezeichnen, ist etwas, was wir zum Teil gefordert haben. Wenn wir uns darüber mokieren, dass die EU reguliert, welche Höhe die Sitze von Traktoren haben, muss man wissen, dass ein großer bayerischer Hersteller darauf großen Wert gelegt hat. Wir haben in diesem Zusammenhang übrigens die gleiche Diskussion, die wir hier im Land über die Entbürokratisierung führen. Alle sind für Entbürokratisierung. Wenn ich aber ein ganz konkretes Beispiel nenne, dann wird oft gesagt, das sei genau das Falsche und da könne man natürlich auf keinen Fall entbürokratisieren. Eine ähnliche Debatte führen wir auch auf europäischer Ebene. Dort müssen wir sie weiterführen. Herr Verheugen macht das übrigens.

Wir müssen uns in der Debatte aber auch darüber klar werden, was die europäischen Werte sind, die wir voranbringen wollen. Ist es zum Beispiel der Beitrag Europas zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit? Wo ist der? Wollen wir ein Europa, das Objekt oder Gestalter der Globalisierung ist? Das sind wichtige Fragen, die wir auch in Bürgerforen beantworten müssen.

Ich möchte Ihnen gern den Hinweis geben: Solche Veranstaltungen dürfen keine Weihestunde für Europa werden, wie wir das häufig haben, besonders wenn sie Sonntags stattfinden; sie dürfen nicht nur den Kreis der Happy Few erreichen - darauf wurde schon hingewiesen -, Europa muss konkret erfahrbar sein.

Europa ist im Alltag angekommen, deshalb mein Beispiel mit den rumänischen Arbeitern. Wir haben konkrete Berührungspunkte im Alltag. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass Europa eine Chance und nicht nur eine Belastung ist und wie wir das gemeinsam miteinander gestalten wollen. Wenn das gelingt, haben wir sehr viel dazu beigetragen und dann können wir auch sagen, was Europa für uns tut.

Lassen Sie mich noch ein letztes Beispiel zur Europaverdrossenheit nennen. Fahren Sie einmal nach Irland oder nach Spanien. Wenn dort etwas durch die Europäische Union gefördert wird, steht da ein riesengroßes Schild: Europa fördert dieses Gewerbegebiet.

(Vereinzelter Beifall)

Gucken Sie sich an, was bei uns steht, wenn eine Strandpromenade gebaut wird. Da steht dann: Die Gemeinde X baut den zweiten Bauabschnitt dieser Strandpromenade. Ganz unten steht, dass dies mit

freundlicher Unterstützung des Wirtschaftsministeriums des Landes Schleswig-Holstein und der Europäischen Union geschehen ist. In Wahrheit finanzieren wir 70 % aus Landes- und EU-Mitteln. Aber darauf wird öffentlich nicht hingewiesen.

(Beifall)

Dadurch ist der Mehrwert, den Europa bringt, nicht deutlich. Ich finde, wir müssen das in diesen Foren deutlich machen.

Entschuldigen Sie, wenn ich meine Redezeit etwas überzogen habe.

(Beifall)

Ich danke Herrn Minister Döring. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Wer den Antrag Drucksache 16/899 (neu) dem Europaausschuss überweisen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

Korruption im Gesundheitswesen wirkungsvoll bekämpfen

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/929

Ich erteile der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der notwendigen politischen Debatte um Korruption in Wirtschaft und Gesellschaft stelle ich heute eine klare Botschaft voran, auch an die Akteure im Gesundheitswesen unseres Landes: Wir sollten weder nach dem Bericht von Transparancy International noch aus den Erkenntnissen in dem vorgelegten Bericht der Versuchung erlegen, schleswig-holsteinische Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker, Pharmahersteller oder viele andere mit einem diffusen Pauschalverdacht zu überziehen. Dies unmissverständlich vorweg.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Diese Feststellung soll aber einen anderen Blickwinkel nicht ausblenden. Missbrauch, Fehlverordnungen, direkte Gewährung von geldwerten Vortei

(Minister Uwe Döring)

len, Bezahlung von Gefälligkeitsgutachten, Einladungen zu touristisch attraktiven Fortbildungsreisen, Verwendung von Beitragsgeldern für unsinnige Projekte in Institutionen oder für zweifelhafte Beratungsaufträge, diese Vielfalt der Spielarten von Missständen unter der politischen Überschrift „Korruption“ sind in einem Gesundheitswesen mit 145 Milliarden € Umsatz allein aus Beiträgen leider auch eine Realität.

300.000 Ärzte in Deutschland, 2.200 Krankenhäuser, 20.000 Apotheken, ungezählte Unternehmen, Pharma- und Medizintechnik, 251 Krankenkassen, Hunderttausende Menschen arbeiten in diesem Gesundheitssystem, das Versuchungen aller nur denkbarer Spielarten bereithält. Auch in Schleswig-Holstein hat es - höflich formuliert - Schlagzeilen dazu gegeben. Wie könnten wir uns auch auf der Insel der Glückseligen befinden?

Dazu meine zweite Botschaft: Es geht hier nicht um Kavaliersdelikte, die augenzwinkernd im stillen Einvernehmen abzuhaken sind, sondern es geht um Schädigung der Versichertengemeinschaft, denn im Regelfall ist es das sauer verdiente Geld der Bürgerinnen und Bürger, das hier verditscht wird.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Die wirklich konkreten Erkenntnisse über Korruption bleiben aber auch im Gesundheitswesen noch hinter den politischen Notwendigkeiten zurück.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die neu eingerichteten Strukturen in den Kassen und natürlich auch die zur Strafverfolgung berufenen Behörden haben nämlich große Schwierigkeiten, in diesen Fällen zu ermitteln und, vor allen Dingen, Beweise herbeizuführen. Daher müssen die beauftragten Kassen, aber auch die Leistungserbringer selbst gezielt Personal einsetzen, von der Innenrevision bis zu den besonders eingerichteten neuen Stellen, und deren Erkenntnisse müssen vernetzt werden. Wir stehen hier ganz offensichtlich erst am Anfang.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Die Benennung von Fehlverhalten, die Problematisierung der Graubereiche und insbesondere die Ächtung jeglicher Korruption bleibt also eine permanente Aufgabe, der wir uns zunehmend zuwenden müssen. Um es bei dieser Gelegenheit ganz klar zu sagen: Sozialversicherungsrecht, Kassenarztrecht und Strafrecht sehen keine unterschiedlichen Bewertungen vor. Was strafbar ist, kann nicht rechtmäßig oder entschuldbar nach Kassenarztrecht

sein, wie wir es in einem Einzelfall in SchleswigHolstein haben lesen dürfen.