Protocol of the Session on September 15, 2006

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht über die Ostseeaktivitäten der Landesregierung ist in gewohnter Weise eine gute Handreichung für den Europaausschuss und für die Kolleginnen und Kollegen, die auf parlamentarischer Ebene bemüht sind, das Netz der Ostseekooperation weiterzuknüpfen. In diesem Sinne möchte ich mich auch bei dem Minister für den Bericht bedanken. Dieser Bericht ist auch Teil unseres Fundaments, wenn es um die Ostseepolitik dieses Landes geht. Er umreißt den Handlungsrahmen der Landesregierung, erläutert Leitziele und Schwerpunkte in der Ostseepolitik Schleswig-Holsteins und geht kurz auch auf aktuelle Entwicklungen in der Ostseekooperation ein.

Inhaltlich betrachtet bezieht sich der Ostseebericht auf die Jahre 2005 und 2006. Er führt aus, dass sich die Landesregierung weiterhin an dem Leitbild der Vorgängerregierung orientiert. „Dabei bleibt die Ostseeregion das vorrangige regionale Bezugsfeld des internationalen Engagements der Landesregierung“, heißt es abschließend im Bericht. Diese Position teilt der SSW ausdrücklich. Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund auf zwei Aspekte etwas näher eingehen.

Erstens. Während die Landesregierung in den Zielvorgaben für ihre Ostseepolitik also auf Kontinuität setzt - alles andere ergäbe auch wenig Sinn -, schlägt sie mit dem neuen zwischen SchleswigHolstein und Hamburg beschlossenen Staatsvertrag über die „Zusammenarbeit in Europa-, Ostseeund internationalen Angelegenheiten“ - so heißt dieser Staatsvertrag - durchaus neue Pflöcke ein. Dieser Staatsvertrag betrifft zum einen die Weiter

(Karl-Martin Hentschel)

entwicklung der Schleswig-Holstein-Büros, zu denen der SSW weiterhin steht. Zum anderen ist vorgesehen, dass durch „wechselseitige Beteiligungen an Delegationsreisen die gemeinsame Sichtbarkeit im Ostseeraum gestärkt werden“ soll. Auch wird darauf hingewiesen, dass die Entwicklungschancen beider Länder über die Metropolregion Hamburg und die STRING-Partnerschaft sowie mit den Potenzialen der Südwestlichen Ostseeregion enger miteinander verknüpft werden sollen. So kann man es auch in dem Bericht lesen.

Der SSW verhehlt nicht, dass sich eine verstärkte norddeutsche Zusammenarbeit - in erste Linie mit Hamburg - auch positiv auf die Ostseekooperation auswirken könnte. Für uns steht aber fest, dass Schleswig-Holstein dabei nicht die eigenen Stärken aufgeben darf.

(Beifall bei SSW, CDU und FDP)

Dazu gehört, dass wir bisher nicht nur Transport-, sondern auch das, was man Kommunikationsdrehschreibe nennen könnte, gewesen sind und dass Schleswig-Holstein durch die direkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Dänemark und auch durch die Zweisprachigkeit im Grenzland über wesentlich mehr Know-how verfügt als Hamburg. Wenn man so will, hätten wir in dieser Hinsicht viel mehr mit Mecklenburg-Vorpommern als mit Hamburg gemeinsam.

(Beifall beim SSW)

Damit meine ich: Wir dürfen wirklich nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, nur weil es chic ist, mit Hamburg zu kooperieren. Diese Kooperation macht aus unserer Sicht nur Sinn, wenn sie als zusätzliche Option betrachtet wird. Sie macht keinen Sinn, wenn sie an erster Stelle steht und anfängt zu steuern, was wir uns unter Ostseekooperation vorstellen sollen.

Zweitens. Der Bericht der Landesregierung geht kurz darauf ein, dass sich Ostseezusammenarbeit auch auf der parlamentarischen Ebene abspielt, nämlich zum Beispiel über die Ostseeparlamentarierkonferenz und jetzt auch über das Parlamentsforum Südliche Ostsee. Aus Sicht des SSW wird unsere parlamentarische Arbeit durch die gute Zusammenarbeit mit dem Europaministerium bestärkt. Es ist ein Vorteil für uns, dass es diese gute Zusammenarbeit gibt. Auch dafür möchte ich mich bedanken. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass es in den kommenden Jahren wichtiger denn je sein wird, dass wir die Europapolitik nicht sozusagen beim Europaministerium abladen, sondern dass wir uns bewusst sind, dass diese Zusammenarbeit für uns auch eine Verpflichtung darstellt, dass sie also

nur funktionieren kann, wenn sie auf gleicher Augenhöhe betrieben wird. Ich denke, dass wir das zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal eingehend diskutieren werden. Es ist bereits angekündigt worden, dass es einen Antrag der Delegation geben wird, die an der Ostseeparlamentarierkonferenz teilgenommen hat. Es ist wichtig, dass wir begreifen, dass auch wir unsere Hausaufgaben erledigen müssen.

Dazu nur ein Beispiel: Auf der Ostseeparlamentarierkonferenz in Vilnius im letzten Jahr wurde ein Memorandum über die bessere Zusammenarbeit zwischen dem Ostseerat und dem Standing Commitee der BSPC beschlossen. Ein Jahr später stellt sich heraus, dass sich das Memorandum immer noch in irgendeiner Schublade des Ostseerates befindet.

(Jürgen Weber [SPD]: Das ist meist so!)

Der Ostseerat ist ja auch kein frei erfundenes Gremium. Im Ostseerat ist die Bundesrepublik über den Außenminister vertreten.

Hier muss also wirklich mehr Druck auf Berlin ausgeübt werden. Der Bericht spricht dies an. Diese Auffassung teile ich. Denn nach wie vor besteht das Problem, dass der Weg von Berlin nach Kiel viel kürzer ist als der umgekehrte Weg.

Denken Sie bitte an die Redezeit, Frau Kollegin Spoorendonk.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Richtig ist, dass die Ostseezusammenarbeit nicht nur etwas für Feinschmecker in Schleswig-Holstein ist, sondern für die ganze Republik eine strategische Option darstellt.

(Beifall)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir stimmen über die Punkte a) und b) getrennt ab. Zu a) und damit zur Drucksache 16/890, also bezüglich des Ostseeberichts, hat der Ausschuss Kenntnisnahme empfohlen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Der Bericht ist einstimmig zur Kenntnis genommen worden.

(Anke Spoorendonk)

Zu b) und damit zum Bericht über die Ostseebüros wurde kein Antrag gestellt. Das Plenum hat den Bericht hiermit zur Kenntnis genommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

„Denkpause“ der EU in Schleswig-Holstein aktiv nutzen

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/899 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile für den Antragsteller, den SSW im Landtag, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die „Denkpause“ steht nun wirklich in Anführungszeichen.

(Heiterkeit)

Nachdem die EU-Verfassung im letzten Jahr durch das Nein bei den Volksabstimmungen in Frankreich und Holland gescheitert war, verordnete der Ministerrat den EU-Ländern erst einmal eine so genannte Denkpause, in der über die Zukunft der europäischen Zusammenarbeit nachgedacht werden sollte. Salopp gesagt kann man sagen, dass die meisten europäischen Länder leider eine Pause vom Denken nahmen, während es nur in wenigen Ländern Initiativen dazu gab, diese Denkpause wirklich fruchtbar zur Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union zu nutzen.

Das ist mehr als bedauerlich und war auch mehrfach Thema in diesem Haus. Denn das vorläufige Scheitern der Europäischen Verfassung hat auch gezeigt, dass sich die EU in einer großen Vertrauenskrise befindet. Viele Bürgerinnen und Bürger verstehen überhaupt nicht mehr, was in Brüssel vor sich geht, und stehen vielen Entscheidungen der EU-Bürokratie bestenfalls gleichgültig - schlimmstenfalls sogar ablehnend - gegenüber.

Von daher gibt es einen dringenden Bedarf, eine öffentliche Debatte über die zukünftigen Ziele und Inhalte der EU zu führen. Diese Debatte gibt es in Deutschland und auch in Schleswig-Holstein leider so gut wie nicht. Während man in anderen Mitgliedstaaten - in Irland, aber auch in Dänemark - in der genannten Denkpause begann, über eine Neubestimmung der EU zu diskutieren, ist diese Zeit der Reflexion in Deutschland nur wenig genutzt worden. Damit hat man die bisherige Vorgehens

weise fortgesetzt, die letztlich dazu führt, dass wichtige Fragen der Europapolitik eher fern der Bevölkerung entschieden werden.

Der Europäische Rat hat zwar Anfang Juni die offizielle Denkpause für beendet erklärt, aber die Beratungen über den Verfassungsvertrag werden auf jeden Fall bis Mitte 2007 weitergehen. Der SSW meint, dass sich damit für Schleswig-Holstein die Chance bietet, eine breite Diskussion über die Zukunft Europas anzustoßen: Deshalb haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht.

Ich will nicht verhehlen, dass wir dabei über die Grenze in Richtung unseres nördlichen Nachbarn geschielt haben.

(Jürgen Weber [SPD]: Wie überraschend!)

Aus unserer Sicht hat man dort zum Thema Europa - genauer gesagt, es war das Parlament - eine vorbildliche Debatte angestoßen und auch durchgeführt. Wir meinen, es müsste auch uns in Schleswig-Holstein gelingen, so etwas nachzumachen. Wir wollen daher, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag die Initiative ergreift, um gemeinsam mit gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen und Bildungseinrichtungen vor Ort Diskussionen und Gespräche über die Zukunft der EU zu organisieren.

Dabei sollten insbesondere die im Antrag formulierten fünf Fragen, die ich jetzt nicht im Detail erwähnen will, im Mittelpunkt der Diskussionen stehen. Nur so viel ganz kurz: Bürgerinnen und Bürger sollten sich unseres Erachtens unter anderem dazu äußern, welche Probleme ihrer Meinung nach in der EU-Zusammenarbeit die vordringlichsten sind. Eine weitere Frage wäre, welche grenzüberschreitenden Probleme sie in der EU-Zusammenarbeit sehen.

Der Europaausschuss des Landtages bekommt die Aufgabe, die Debatten im Detail zu planen, und soll sich bei den zuständigen EU-Institutionen um die Finanzierung bemühen. Ziel muss es sein, dass alle Vereine oder Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern, die Diskussionsveranstaltungen zu diesen Fragen organisieren, eine finanzielle Unterstützung erhalten.

Zum Abschluss schlagen wir vor, dass der Landtag im nächsten Jahr - im April oder Mai 2007 - eine große Bürgeranhörung zur Zukunft der EU durchführt. In dieser Anhörung soll eine repräsentative Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam mit Politikerinnen und Politikern über die europäischen Zukunftsfragen diskutieren. Auch da haben wir nach Dänemark geschaut, wo es im April 2006 zu einer großen Bürgeranhörung in Odense kam

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

ich glaube, ich habe diese große Bürgeranhörung schon mehrfach erwähnt -, die sogar live im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen wurde. Ganz viele Menschen nahmen an den Debatten nördlich der Grenze teil; das Interesse war wirklich sehr groß. Die Politik konnte daraus sehr wohl konstruktive Schlüsse ziehen.

Auch für Schleswig-Holstein gilt, dass die Ergebnisse dieser Debatten letztlich auf europäischer Ebene in den Diskussionsprozess eingebracht werden müssen. Denn genau das ist ja der Sinn unserer Initiative. Wir glauben also, dass es auch in Schleswig-Holstein höchste Zeit ist, eine Diskussion über die Zukunft der EU gemeinsam mit den Menschen zu führen. Das soll heißen: Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger bei der künftigen Entwicklung der EU nicht mitnehmen, droht das europäische Projekt ernsthaft in nicht allzu ferner Zeit zu scheitern.

Ich habe gehört, dass Ausschussüberweisung im Gespräch ist. Ich kann gut verstehen, dass man sich noch einmal mit dem Antrag befassen will. Damit wären wir einverstanden. Wir hätten natürlich auch gern die Zustimmung in der Sache.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Für die CDU-Fraktion hat der Herrn Abgeordnete Niclas Herbst das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Intention dieses Antrages ist gut. Ich durfte auch einmal an einer Veranstaltung des SSW genau zu diesem Thema teilnehmen. Möglicherweise hat diese Veranstaltung - nicht durch mich; das will ich nicht behaupten - zu diesem Antrag beigetragen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Dr. Heiner Garg [FDP]: Nur durch dich!)

Es war wohl eher Elisabeth Arnold, die den Folketing-Europaausschusses leitet.

Wir können zumindest feststellen - ich erspare mir Witze über den Begriff Denkpause, obwohl ein oder zwei Kombinationen sicherlich noch möglich wären -, dass diese Denkpause in Dänemark und auch in Irland besser genutzt wurde als in Deutschland. Insofern wiederhole ich: Die Intention dieses Antrags ist richtig.

Wir müssen uns allerdings auch fragen - deshalb sind wir auch für die Ausschussüberweisung -, ob wir als Land Schleswig-Holstein der richtige Akteur sind. Die Bundesebene ist schließlich sehr groß und wir als Bundesland - die föderative Ordnung ist ja auch eher eine Ausnahme im europäischen Konzert - sind nicht der Akteur, der in erster Linie gefragt ist. Trotzdem können wir sicherlich etwas beitragen.