Sie haben die Konsequenzen erwähnt, die wir aus der demographischen Entwicklung ziehen müssen. Ich habe den leisen Verdacht, dass die Kommunen keinen blassen Dunst oder zumindest nur wenig Ahnung davon haben, was in Zukunft auf sie zukommt, wenn wir „Vorfahrt für Kinder“ wirklich ernst meinen und in die Tat umsetzen wollen.
Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg und erteile für den SSW Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der Fraktionssitzung am Freitag hörte ich die NDR-Regionalnachrichten im Auto; das kann manchmal nicht schaden. Dort wurde über eine Umfrage des Kreises Nordfriesland unter 2.700 Eltern berichtet. Die Eltern beklagten die unzureichende Versorgung mit Krippenplätzen im Kreis.
Im Bericht der Landesregierung kann ich allerdings lesen, dass Nordfriesland gar keinen Ausbaubedarf annimmt. Nordfriesland geht von einem bedarfsgerechten Angebot für Kinder unter drei Jahren aus. Was stimmt denn nun: das, was die Eltern sagen, oder das, was der Kreis sagt? - Natürlich fehlen Krippenplätze, aber auch hier hat Hartz IV für eine besondere Art der Statistik gesorgt, die am realen Bedarf vorbeigeht.
Das liegt an einer seltsamen Gesetzeskonstruktion im Rahmen der Arbeitsmarktreform. Sie zwingt die Kommunen, von einer bestehenden Bedarfsgerechtigkeit auszugehen. Denn sonst müssten sie fehlende Plätze aus dem eigenen Haushalt finanzieren. Denn Hartz-IV-Einsparungen gibt es nicht.
Durch die Vereinbarung, die Einsparungen der Kommunen im Rahmen der Hartz-IV-Gesetze in die Krippenversorgung fließen zu lassen, sollten all jene beruhigt werden, die dem neuen Vorhaben kritisch gegenüberstanden. Der Gesetzgeber rechnete seinen Kritikern vor, dass es sogar zu erheblichen Einsparungen kommen würde. 2,5 Milliarden € rechnete der Bund noch 2004 vor. Davon sollten 1,5 Milliarden in den bedarfsgerechten Ausbau der Krippenplätze fließen. Das wurde im Tagesstättenausbaugesetz festgelegt.
Die Praxis von Hartz IV zeigt aber, dass die Schätzungen falsch waren: Die Zahlen der Empfänger lagen von Anfang an höher als alle Schätzungen. Einsparungen hat es kaum gegeben. Das wird landauf, landab beklagt.
In dem Bericht heißt es, dass „Angaben zu den realen Einsparungen auf kommunaler Ebene nicht ermittelbar sind“. Das wäre ein Armutszeugnis für die Kämmerer in unserem Land. Es ist wohl eher zu vermuten, dass einige Kommunen nach Einführung von Hartz IV mehr bezahlen als noch zu Zeiten der Sozialhilfe.
Wenn kein Geld da ist, können keine zusätzlichen Krippenplätze eingerichtet werden. Es ist also für den Insider wenig überraschend, dass der gesamte Landesteil Schleswig keinen Ausbaubedarf angibt, weil hier hohe Arbeitslosenquoten die kommunalen Haushalte sowieso schon belasten. Dabei hat der Dänische Schulverein gerade beschlossen, in Flensburg eine Krippe einzurichten, weil die Eltern diesem Träger die Türen eingerannt haben, damit sich die Situation möglichst schnell ändert. Flensburg hat also durchaus Bedarf. Und was für die dänische Minderheit gilt, wird für die deutsche Mehrheitsbevölkerung nicht anders sein.
Der Bundesgesetzgeber kann aber beruhigt sein: Der Ausbau der Krippenplätze wurde vor zwei Jahren pressewirksam verkauft. Die Kommunen werden nichts unternehmen, die Krippenplätze auszubauen, wurden sie doch verpflichtet, den Ausbau selbst zu zahlen; das gilt zumindest für die finanzschwachen Kommunen. Dies ist ein sehr eleganter Maulkorb.
Die Kreise und kreisfreien Städte, die einen zusätzlichen Platzbedarf angeben und den in den nächsten vier Jahren beheben wollen, sind in Schleswig-Holstein in der Minderheit: Nur Kiel, Lübeck, Neumünster, Dithmarschen und Herzogtum Lauenburg werden ausbauen.
Niemand kann davon ausgehen, dass an der Stadtgrenze Kiels oder Neumünsters die Bedarfe auf einmal aufhören. Gerade viele junge Familien sind
aufs Land gezogen und fragen nach einer Betreuung der Kleinsten. Ich denke, dass es redlich ist, die Dunkelziffern defensiv hochzurechnen, obwohl ich weiß, dass das kein sauberes Verfahren ist. 955 Plätze werden von vier Kommunen geplant. Es werden also viermal durchschnittlich etwa 200 neue Plätze geplant. Insofern multipliziere ich einfach 15 mit 200 und komme auf 3.000 Plätze, die in Schleswig-Holstein fehlen. Das sind 3.000 Elternpaare, die jedes Jahr entweder ganz auf Berufstätigkeit verzichten, sich auf Tagesmütter verlassen müssen oder auf ein innerfamiliäres Netzwerk bauen.
Vielleicht hat das neue Elterngeld doch etwas Gutes: Wer als frischgebackene Eltern die Botschaft von der Bundesfamilienministerin ernst nimmt, steht nach spätestens 14 Monaten wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Der Druck auf den bedarfsgerechten Ausbau der Krippenplätze wird also enorm zunehmen.
Leider weiß ich, dass die Wirklichkeit anders aussehen wird: Das Elterngeld als eine besondere Form der Mittelschichtförderung wird nicht in einem Boom nach Krippenplätzen münden. Die Eltern werden wahrscheinlich ohne Einkommen die restlichen 22 Monate bis zum Kindergarten überbrücken. Anstatt höchstens 14-mal 1.800 € im Monat schrumpft das Elterngeld dann auf rechnerisch 700 € im Monat, bezogen auf die drei Jahre; und das ist der Höchstsatz; der bei den wenigsten Eltern wird das Elterngeld ohne Krippenplatz existenzsichernd sein.
Und dabei rede ich hier bisher nur von Doppelverdienern aus der Mittelschicht und noch nicht von den vielen armen Leuten. Die vielen Kleinverdiener mit möglicherweise nur einem Arbeitsplatz haben überhaupt nichts von diesem neuen Elterngeld - und deren Kinder auch nicht. Ein Elterngeld für 14 Monate ohne sichere Anschlussversorgung und ohne Kinderbetreuungszusage für die Kinder ist wie die Auslieferung eines Autos mit nur einem Reifen. Die Familienpolitik der Bundesregierung ist hier nicht durchdacht.
Überrascht hat mich die große Spannweite der Elternbeiträge bei den Krippen. Sie liegen zwischen 90 und 236 € im Monat. Bei einer Ganztagesbetreuung haben wir in den Krippen einen Satz zwischen 120 und 381 €. Die Höchstsätze sind allenfalls für die Besserverdienenden finanzierbar. Der SSW stellt einen Regelungsbedarf fest. Es geht nicht darum, die Autonomie der Einrichtungsträger einzu
Die vergleichsweise geringe Spannweite bei der Kinderbetreuung im Kindergarten zeigt nämlich, dass es auch anders geht. Ich möchte hier nicht einer Angleichung nach oben das Wort reden. Der Besuch der Kindertagesstätten muss für Eltern finanzierbar bleiben und sich der Willkür entziehen und man darf dabei keine zu großen Spannweiten zulassen.
Über ein kostenfreies letztes Kindergartenjahr denken inzwischen alle nach. Das dafür notwendige Geld wird aber an anderen Stellen wie dem Elterngeld ausgegeben. Der SSW unterstützt alle Bemühungen für einen Ausbau der Infrastruktur für Kinder.
Eine Vorbereitung auf die Schule kann bereits im Kindergarten beginnen. Der SSW hat bereits mehrmals auf das Vorbild der dänischen Kindergärten hingewiesen, die im letzten Kindergartenjahr die Kinder nicht nur mit der Schule vertraut machen, sondern auch die Chance nutzen, eventuell bestehende Defizite - auch sprachlicher Art - noch vor Schulbeginn auszugleichen.
In Dänemark heißt das Pflichtprogramm für die Fünfjährigen „0. Klasse“. Durch eine gute Vorbereitung starten alle Kinder am Tag der Einschulung von der gleichen Startlinie aus. Das ist eine wichtige Voraussetzung, damit die Zahl der Wiederholer reduziert wird. Der Frust ist einfach geringer: bei Kindern, bei Lehrern und auch bei Eltern.
Kostenfreie Kindergartenplätze sind notwendig, aber sie reichen nicht aus; auch Qualität und Zielrichtung müssen stimmen. Das Wort Kinderbetreuung führt in die Irre und geht mir - ehrlich gesagt gegen den Strich. Es geht um eine gezielte Frühförderung mit einer pädagogischen Grundausrichtung und nicht darum, die Kinder gesund und sicher aufbewahrt - also betreut - zu wissen.
Deutschland hat die Förderungsmöglichkeiten in den ersten Lebensjahren viel zu lange vernachlässigt. Kinder spielen gern - zugegeben. Sie wollen aber mehr als nur toben. Kinder saugen alles Neue wie ein Schwamm auf: Bilder, Eindrücke, neue Worte und Bewegungen. Ich muss niemandem mit kleinen Kindern sagen, dass diese kleinen Energiebündel manchmal auch anstrengend sein können. Wer ihnen aber Input verweigert, ihnen keine Chance gibt, soziales Verhalten zu lernen, der verspielt eine große Chance. Ein kostenloses letztes Kindergartenjahr wird es nur geben, wenn die Ein
richtungen vom Land finanziell unterstützt werden, aber das geht nicht, wenn man falsche Prioritäten setzt und die Kindergartenfinanzierung deckelt.
Meine Damen und Herren, auch wir sind durchaus offen für einen Pflichtkindergarten; vielleicht nicht für die ganze Zeit, aber für das letzte Jahr, wie man es auch in Dänemark macht. So wollen wir sicherstellen, dass die Vorbereitung auf die Schule adäquat verläuft. Voraussetzung für einen solchen Pflichtkindergarten oder für ein letztes Pflichtjahr ist, dass die Finanzierung sichergestellt wird. Diese darf allerdings nicht zulasten der Eltern gehen. Denn es ist eine öffentliche Aufgabe, der sich Land und Bund annehmen müssen. Da dürfen die Kommunen nicht allein gelassen werden. Wenn das der Effekt ist, der in unseren Beratungen herauskommt, dann hat der Bericht doch noch einen Sinn gehabt.
Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms und erteile der Frau Abgeordneten Angelika Birk nach § 56 Abs. 4 das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Erdsiek-Rave! Ich möchte an dieser Stelle versuchen, das Licht um die Statistik zu erhellen, und muss da auf mehrere Jahre zurückblicken.
Es ist leider so - das betrifft das Verhältnis zwischen Kommunen und Land seit mindestens sechs, sieben Jahren -, dass die Kommunen bei der Frage der Kindertagesstätten und der Versorgung von Kleinkindern seit Jahren eine Remonstration - ich kann es nicht anders nennen - machen. Sie lassen das Land mit statistischen Daten verhungern und das betrifft insbesondere die große Fraktion, die in der Vergangenheit mit uns gemeinsam Verantwortung getragen hat - man hat es geschehen lassen. Eine Entschiedenheit der gesamten Landesregierung und auch einer großen Fraktion vor Ort hätte hier eine ganz andere Wirklichkeit der Statistik geschaffen. Man hat es geschehen lassen - egal, ob CDU- oder SPD-regiert -, dass nicht ordentlich erhoben wurde.
Der Kollege Baasch und ich haben uns hier damals abgestrampelt, um gesetzliche Grundlagen zu schaffen, um das Thema Elternbeiträge in den Griff zu bekommen.
- Ja, ich sage das hier einmal so deutlich. Man muss nicht so tun, als wäre die Vergangenheit grauer Nebel.
Ich möchte hier ausdrücklich die Kritik meiner Kollegin Heinold bestätigen: Es ist ein Skandal, wenn sich eine Landesregierung wie ein Tanzbär von den Kommunen in solchen Fragen durch den Ring führen lässt, weil die einfachsten Daten nicht da seien. Wenn das so in der Steuerstatistik aussähe, dann könnte dieses Land für alle sichtbar einpacken. Aber es geht ja nur um Kinder, es geht ja nicht um Geld.
Es ist aber ein Skandal, wenn dort, wo Statistiken gemacht werden, ihnen nicht gefolgt wird. Ich wohne in einer Stadt, in der man die örtliche Jugendhilfeplanung eigentlich nicht kritisieren kann. Obwohl in Lübeck gut gearbeitet wird, suchen Eltern von 46 Kindern zwischen drei und sechs Jahren mit Integrationsbedarf, also Kinder, die unsere besondere Fürsorge brauchen, händeringend nach einem Platz. Diese 46 Kinder bräuchten sofort eine ganz besondere Förderung im Kindergarten, Kinder, deren Eltern jede Woche anrufen und fragen: Wann habe ich endlich einen Platz? Selbst die bekommen keinen.
Jetzt komme ich noch einmal zum Thema Krippen und Ausbau. Wo Krippenplätze ausgebaut werden, werden sie zulasten der Plätze von Drei- bis Sechsjährigen ausgebaut. Frau Ministerin, das sorgt für die absurde Situation, dass Sie demnächst nicht mehr von 96 % Versorgung für die Drei- bis Sechsjährigen reden können, weil diese Plätze nämlich weggestrichen werden, weil man ja etwas für die Kleinen tun will.
Hier besteht tatsächlich Handlungsbedarf. Das kann jetzt nicht in der Kürze der Zeit ausgeführt werden.
Ich formuliere meinen letzten Satz. - Sich bequem zurückzulehnen und zu sagen, wir seien uns in der Familienpolitik alle einig, und auch noch die Kommunen pauschal zu verteidigen, Frau Franzen, ist wirklich schäbig.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Da wird von Frau Heinold die Aussage von Kreisen angezweifelt, dass sie keinen Ausbaubedarf haben. Sie behaupten, die Kommunen hätten keinen blassen Dunst davon, was bei ihnen passiert.
Lieber Kollege Kalinka, ich betrachte einmal die Situation im Kreis Plön. Wir haben einen Versorgungsstand von 90 %. Jeder, der einen Kindertagesstättenplatz für ein drei- bis sechsjähriges Kind haben will, kriegt ihn. Wir sind inzwischen auch in der Lage, dies beim Bedarf für ein- bis dreijährige Kinder zu gewährleisten.