Protocol of the Session on June 1, 2006

Ich war über den Beitrag der CDU sehr amüsiert. Ich erinnere mich an die Zeit - ich war noch nicht im Parlament; das war, glaube ich, 1994 -, als die CDU mit der Drohung eines landesweiten Volksentscheides die Kommunalpolitiker und die sonstigen Politiker der SPD in eine solche Angst vor einem Volksentscheid versetzt hat, dass sie damals sagten: Okay, wir führen das ein. Das heißt, die damalige Mehrheit der SPD hat damals auf Druck, aufgrund der Androhung eines Volksentscheides durch die CDU die Direktwahl eingeführt. Insofern löst der Beitrag von Herrn Kalinka bei mir historisches Amüsement aus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Abgeordneten Hentschel und erteile für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Ralf Stegner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete!

„Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab.“

Wahrscheinlich kennen Sie diesen Spruch, der den Dakota-Indianern zugeschrieben wird. Er wird manchmal verwendet, um zu illustrieren, welche abenteuerliche Strategien sich mancher einfallen lassen muss, um nicht das Offensichtliche eingestehen zu müssen. Als Ausweichstrategien werden dann die Kriterien geändert, die besagen, ob ein Pferd tot ist, der Reiter befördert oder ein Arbeitskreis gegründet, der das Pferd an sich analysiert.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will nicht respektlos erscheinen noch gar die quicklebendigen Landräte mit toten Pferden vergleichen. Ich will aber wohl die Frage stellen, ob die Direktwahl der Landräte wirklich weiter Bestand haben sollte.

Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht. Wir müssen wohl erkennen, dass die Direktwahl der Landräte eben nicht zu einem wirksamen Instrument der demokratischen Willensbildung geworden ist. Das zeigt sich an einer zum Teil grotesk niedrigen Wahlbeteiligung, auch an der Bewerbersituation. Die Wahlbeteiligungen sind extrem enttäuschend.

(Karl-Martin Hentschel)

Im Kreis Steinburg ist der langjährige Landrat Dr. Rogge bei einer Beteiligung von gerade noch 14,1 % erneut für drei Jahre zum Landrat gewählt worden. Eine demokratische Legitimation sieht anders aus.

Jüngst ist im Kreis Schleswig-Flensburg Landrat von Gerlach bei immerhin drei Mitbewerbern bei einer Wahlbeteiligung von 23,2 % gewählt worden. Bisheriger Tiefstand war die Wahl des von mir sehr geschätzten Dithmarscher Landrats Dr. Klimant im Jahr 2002, der bei einer Nichtwahlbeteiligung von 87,7 % im Amt bestätigt wurde.

Ich verbinde damit keinerlei Wertung der drei gewählten Herren Landräte, denen für ihr Amt nur Glück und Erfolg zu wünschen sind. Ich vermute aber, dass die Bürgerinnen und Bürger die Landräte in erster Linie als das wahrnehmen, was sie nach Gesetz und Verfassung sind, nämlich Verwaltungschefs ohne größere Handlungsspielräume jenseits der Verwaltung. Dementsprechend können und wollen sie die diesbezüglichen Qualitäten kaum beurteilen und bleiben der Wahlurne fern.

Vor diesem Hintergrund entbehrt übrigens der gelegentlich zu hörende Vorwurf, Herr Kollege Hildebrand, der Innenminister betreibe einen Rachefeldzug gegen die Landräte, nur weil elf Beamte beim Thema Verwaltungsregionen eine andere Meinung haben als ich, wirklich nicht einer gewissen Komik. Ich rate Ihnen übrigens auch, Ihre Informationsquellen ein bisschen zu diversifizieren und nicht nur den „Focus“ zu lesen.

Ob der Landtag diese Mitte der 90er-Jahre getroffene Entscheidung für die Direktwahl der Landräte ungeachtet dieser dramatischen Erosion der Legitimationsbasis beibehalten will, sollte überprüft werden.

Herr Kubicki, der Hinweis auf die Europawahl hinkt wirklich auf allen Beinen. Sie wollen doch nicht allen Ernstes ein Parlament, Sie gehören seit vielen Jahren einem an, mit Verwaltungsbeamten und deren Legimitation vergleichen. So können Sie das nicht gemeint haben.

(Beifall beim SSW)

Der SSW hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein Thema aufgegriffen, das lebhaft diskutiert wird. Ich erinnere an die Diskussionsbeiträge der Kollegen Astrup und Dr. Wadephul, aber auch an Kreispräsident Petersen und den Plöner Landrat Gebel.

Der SSW will allerdings auch die Direktwahl der Bürgermeister und Oberbürgermeister abschaffen, also - um im Bild zu bleiben - zugleich von einem gesunden Pferd absteigen, nur weil es zufällig ne

ben einem toten steht. Ich denke, dass es gute Gründe gibt, zwischen der Direktwahl der Landräte und der Direktwahl der Bürgermeister und Oberbürgermeister zu differenzieren. Bürgermeister und Oberbürgermeister haben eine sehr viel größere Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Warum?)

sie sind in der Regel lokale Identifikationsfiguren. Die Landräte sind weiter weg von den Bürgerinnen und Bürger, sie sind meist nicht unmittelbare Ansprechpartner, wie das für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und zum Teil auch für Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister gilt. Diesen Unterschieden finden wir übrigens auch in den kommunalverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Länder Baden-Württemberg und Brandenburg, die keine Direktwahl der Landräte kennen. Die Landräte sind reine Verwaltungschefs, sie sind von den Aufgaben, nicht von der Bedeutung her, eher mit Finanzdirektoren zu vergleichen, die auch weiterhin nicht direkt gewählt werden sollen. Ich meine, dass man durch eine gewisse Parallele auch da rechtfertigen kann, dass man die Rechtsvorschriften in der Kreisordnung und der Amtsordnung in diesem Punkt harmonisiert.

Vor allen Dingen kommt aber ein anderer positiver Effekt dabei heraus. Die Kreistage und damit das Ehrenamt insgesamt - das bleibt mein Kernanliegen bei der gesamten Verwaltungsreformdiskussion - würden gestärkt. Das hat mit Postengeschachere überhaupt nichts zu tun. Ich glaube nämlich sehr wohl, dass die Kreistage in der Lage sind zu entscheiden, wen sie als Chef der Verwaltung als geeignet ansehen. Dass wir dabei keine Qualifikationsanforderungen festlegen sollten, ergibt sich aus der Rechtssprechung. Denn die Rechtssprechung sagt: Stärkung des Ehrenamtes. Sie können selbst beurteilen, wen sie an die Spitze setzen. Das sollte man nicht durch Vorschriften regeln, die im Übrigen auch dem Demokratieabbau entgegenstehen.

Wo hingegen Regelungen nötig sind, fehlen sie teilweise im Gesetzentwurf des SSW. Darüber müsste man im Detail noch sprechen.

Ich glaube, der Landtag sollte sorgfältig beraten. Ich bitte Sie aber auch darum, so zu entscheiden, dass die Zeitpläne für das kommunale Verfassungsrecht - alles sollte ein Jahr vor den Kommunalwahlen fertig sein - eingehalten werden und wir kein neues Flickwerk bekommen.

Danach werden wir hoffentlich mit der breiten Mehrheit hier im Plenum entscheiden, ob wir das Pferd wechseln oder doch nur den Stall umstrukturieren. Bei aller Kreativität wird auch im letzteren

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Fall aus einem lahmen Ackergaul kein temperamentvolles Rassepferd werden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Minister. - Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man bekommt in diesem Haus gelegentlich Déjàvu-Erlebnisse. Ich habe eben vom Herrn Innenminister gehört, dass mit der Möglichkeit der Abschaffung der Direktwahl der Landräte das Ehrenamt gestärkt würde. Sein Vorgänger - und er war damals schon Staatssekretär in anderer Funktion, saß aber auch mit am Kabinettstisch -, der von mir geschätzte Kollege Wienholtz, hat bei der Debatte über die Einführung der Direktwahl von Landräten und Bürgermeistern erklärt, das Ehrenamt werde dadurch nicht geschwächt, im Gegenteil, das Ehrenamt werde dadurch gestärkt. Man muss sich jetzt entscheiden, ob die Direktwahl das Ehrenamt schwächt oder stärkt. Man kann jedenfalls nicht die Einführung mit der Stärkung begründen und die Abschaffung auch mit der Stärkung begründen. Ich halte die ganze Argumentation für relativ merkwürdig.

Ich habe mir einmal kommen lassen, was in der SPD immer noch als Beschlusslage der Partei gilt. Sie stammt von Oktober 2001 und hat sich bisher nicht geändert. SPD-Führung: Bekenntnis zur Direktwahl. Da gab es auch eine Diskussion über die schlechte Wahlbeteiligung, aber die SPD hat sich mit deutlicher Mehrheit - Parteitag im Oktober 2001 - zur Direktwahl der Bürgermeister und Landräte bekannt. Lothar Hay, der noch im Parlament sitzt - leider jetzt nicht hier, der mich wahrscheinlich aber am Lautsprecher hört - und Heide Simonis, die nicht mehr da ist, haben erklärt, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei der Direktwahl der Landräte und Bürgermeister sei ein Kernanliegen der Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben dazugelernt!)

- Ja, Herr Kollege Hentschel. Das Interessante ist, dass sich die Argumentation, die Sie vorhin zur Frage der Abschaffung der Fünfprozenthürde und des Einführens des Panaschierens und Kumulierens

vorgetragen haben, nicht mit dem deckt, was Sie gerade zur Frage der Direktwahl vorgetragen haben.

Ich möchte nur daran erinnern, dass wir - deshalb kommen Sie auf die glorreiche Idee, die Bürgermeister auszusparen - Herrn Saxe als hauptamtlichen Oberbürgermeister in Lübeck nicht hätten, wenn wir die Direktwahl abgeschafft hätten, denn die CDU hat dort die absolute Mehrheit. Mein Kollege Werner Kalinka, den ich hier lieber sehe als in Plön als Landrat, wäre leider nicht mehr unter uns, wenn wir die Direktwahl nicht hätten. Angelika Volquartz wäre nicht Oberbürgermeisterin in Kiel geworden - um nur einige Beispiele zu nennen. Das zeigt doch, dass die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Recht, anders zu entscheiden als die Parteien und die Fraktionen in den Kreistagen, durchaus Gebrauch gemacht haben.

(Beifall bei der FDP)

Selbstverständlich, Herrn Innenminister, ist die Wahl eines Landrates oder eines Oberbürgermeisters mit der Wahl eines Parlamentariers nicht zu vergleichen. Aber um diese Frage geht es gar nicht. Es geht um die Frage der Einräumung eines Rechtes. Den Menschen ist das Recht eingeräumt worden, selbst darüber zu entscheiden, wer gewählt werden soll. Sie sagen, wir machen die Frage, ob das Recht bestehen bleiben soll, von der Anzahl der Ausübenden abhängig. Den Menschen ist das Recht eingeräumt worden, Kommunalvertretungen zu wählen; ihnen ist das Recht eingeräumt worden, Landesvertretungen zu wählen; ihnen ist das Recht eingeräumt worden, den Bundestag und das Europaparlament zu wählen. Kommen Sie doch einmal her und sagen Sie, ab wann Sie dieses Recht beschneiden oder abschaffen wollen - denn nur darum geht es. Wenn die Landtagswahlbeteiligung unter 50 % sinkt, schaffen wir dann das Recht ab, dass die Menschen das selbst bestimmen können? Wenn die Kommunalwahlbeteiligungen unter 40 %, unter 30 % liegen, schaffen wir dann das Recht ab, dass die Bürger darüber entscheiden können?

Wir müssen uns doch umgekehrt fragen, warum immer weniger Menschen dieses Recht in Anspruch nehmen. Darauf gibt es mehrere Antwortmöglichkeiten: Sie sind zufrieden; sie sehen keine Alternative, keine Möglichkeiten. Und manchmal haben doch die beiden großen Parteien überhaupt kein Interesse daran, dass die Menschen merken, dass Wahlen sind. Ich habe am Wahlkampf in Schleswig-Flensburg zur Landratswahl teilgenommen. Es gab keine Berichterstattung darüber, weil die beiden großen Parteien sich darauf geeinigt hatten, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen.

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Auf dem Wahlzettel, Herr Minister, stand drauf: Gemeinsamer Vorschlag von SPD- und CDU-Fraktion. - Toll, kann man da nur sagen.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich bin gleich fertig, sofort. - Da sagen die Menschen in diesem Land: Wenn wir sowieso keine Möglichkeit der alternativen Wahl haben, wenn uns das so vorgesetzt wird, warum sollen wir da noch hingehen?

Aber es gibt glorreiche Beispiele dafür, darauf ist schon hingewiesen worden, dass die Menschen das Recht genutzt haben und sich anders entschieden haben. Es gibt kein sinnvolles Argument für die Abschaffung, jedenfalls nicht das der Wahlbeteiligung. Deshalb sind wir dagegen.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Frau Abgeordneter Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wahrlich nicht das erste Mal, dass wir dieses Thema miteinander diskutieren. Deshalb noch einmal: Bei der Direktwahl von Landräten, hauptamtlichen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern dreht es sich um die Wahl von Verwaltungschefs. Das ist deren Aufgabe. Es dreht sich nicht um die Wahl von Identifikationsfiguren oder um sonst etwas. Es dreht sich um die Wahl von Verwaltungschefs. Da sagt der SSW, damals, als es eingeführt wurde, und heute: Wir wollen die kommunale Vertretung, die kommunale Demokratie und die Kommunalpolitik stärken, nicht die Verwaltung.

(Beifall beim SSW)

Wir sagen - das ist das, was wir jetzt einbringen, wenn es um die Verwaltungsstrukturreform geht -: Wir wollen, dass Verwaltung und Politik auf kommunaler Ebene auf gleicher Augenhöhe miteinander agieren. Das ist nicht der Fall, wenn der Verwaltungschef oder die Verwaltungschefin - einige gibt es ja - direkt gewählt werden. Wir wollen, dass in den Kommunen gestaltet werden kann. Deshalb sagt der SSW auch, dass wir letztlich - das können wir im Land hier nicht allein entscheiden - auch eine neue Finanzverfassung der Kommunen brauchen.

Der Anlauf, den es in der letzten Wahlperiode hierzu auf Bundesebene gegeben hat, ist bedauerlicherweise nicht weitergeführt worden. Wir müssen die

Finanzen sichern; wir müssen sichern, dass die Kommunen mehr aus eigener Kraft gestalten und entscheiden können. Nur so werden wir letztlich auch die Kommunalwahlen wieder beleben können. Denn dann können Bürger sehen, wofür sie sich entscheiden, nicht für Identifikationsfiguren, nicht für Bürgermeister, die gut aussehen oder gut reden können, sondern dafür, was in ihrer Kommune zu geschehen hat. Das ist der Hintergrund unseres Ansatzes. Dieser Hintergrund ist heute genauso aktuell wie 1996 oder 2001, als wir unseren Gesetzentwurf erstmals eingebracht haben.