Protocol of the Session on June 1, 2006

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/794 an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gemeindeordnung und der Kreisordnung - Abschaffung der Direktwahl von hauptamtlichen Bürgermeistern und Landräten

Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/768

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Für die Abgeordneten des SSW hat dessen Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landratswahl im Kreis Schleswig-Flensburg, die am 7. Mai 2006 stattfand und an der nur 23 % der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger teilnahmen, hat es zum wiederholten Male bewiesen: Die Direktwahl von leitenden Verwaltungsbeamten in Kreisen und Städten war nicht nur inhaltlich falsch; sie ist auch noch ein Flop geworden. Angesichts von Wahlbeteiligungen zwischen 10 und 35 % bei Landratswahlen kann wohl kaum von mehr Demokratie gesprochen werden. Wenn sich zehn Jahre nach der Einführung der Direktwahl immer noch weniger als jede vierte Bürgerin oder jeder vierte Bürger an einer Wahl beteiligen, dann muss man sich fragen, ob diese Entscheidung richtig war.

Innenminister Stegner sieht dies laut Zeitungsberichten genauso und er hat öffentlich erklärt, er würde im Zuge der Verwaltungsreform gern auch die Landratswahlen abschaffen. Das begrüßt der SSW ausdrücklich, zeigt es doch, dass der Innenminister des Landes lernfähig ist. Ob die gesamte Landesregierung hinter diesen Äußerungen steht, ist noch ungewiss.

Deshalb hat der SSW heute einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Direktwahlen eingebracht. Sie wissen, dass dies kein neuer Gesetzentwurf ist. Die Position des SSW ist aber auch nicht neu. Wir waren schon 1996 gegen die Einführung der Direktwahlen von Landräten und Bürgermeistern. Das liegt daran, dass die Direktwahl aus unserer Sicht handfeste Nachteile hat. Die Landrats- und die Bürgermeisterwahlen werden nicht nur von den meisten Wählerinnen und Wählern ignoriert, sie schwächen auch den Einfluss der gewählten Kommunalpolitiker zugunsten der Verwaltungschefs.

Ich möchte an dieser Stelle den Kreispräsidenten des Kreises Schleswig-Flensburg Johannes Petersen von der CDU zitieren, der in einem Zeitungsartikel geschrieben hat:

„Mit der Einführung der Direktwahl hat man den gewählten Vertretern - also den Kreis-, Stadt- oder Gemeindevertretern - eine wichtige Befugnis genommen und damit das Ehrenamt empfindlich geschwächt.“

Ich sage: Wo er Recht hat, da hat er Recht. Mit der Einführung der Direktwahlen hat man quasi zwei demokratisch legitimierte Machtzentren in den Kommunen geschaffen, die leider nicht immer zum Vorteil des Gemeinwesens agieren. Dass der hauptamtliche leitende Verwaltungschef dabei leicht zum Sonnenkönig mutieren kann, wird man so mancherorts unterschreiben können. Die Direktwahlen sind schlicht systemfremd, weil „sich ein den Gesetzen verpflichteter Beamter einer politischen Wahl stellen muss“. Ich habe damit noch einmal Johannes Petersen zitiert.

Die Einführung der Direktwahl war also kein demokratischer Gewinn, sondern ein demokratischer Irrweg, den wir wieder verlassen müssen. Fragt man bei den Wählern nach, warum sie nicht zur Wahl gehen, so erhält man oft die Antwort, dass man die Kandidaten gar nicht kenne und auch nicht wisse, welche Aufgaben diese hauptamtlichen Verwaltungsbeamten eigentlich haben. Der nur geringe Zuwachs an demokratischer Beteiligung rechtfertigt den Schaden, der durch die Direktwahl entstanden ist, also in keiner Weise.

Unter diesen Umständen ist es besser, die Verwaltungsleitungen wieder von den Kreistagen und Ratsversammlungen wählen zu lassen, die von einem deutlich größeren Teil der Bevölkerung gewählt worden sind. Die Äußerungen von CDU- und SPD-Abgeordneten nach der Landratswahl im Kreis Schleswig-Flensburg lassen hoffen, dass es für diesen Schritt endlich eine Mehrheit im Landtag geben könnte.

Allerdings ist es aus Sicht des SSW unlogisch, wenn man nur die Direktwahlen der Landräte abschaffen will. Hier muss man konsequent sein und auch die Direktwahlen für Oberbürgermeister und hauptamtliche Bürgermeister wieder abschaffen, wie wir es in unserem Gesetzentwurf vorschlagen. Die Wahlbeteiligung war auch bei diesen Wahlen insgesamt nur ein wenig besser. In den großen kreisfreien Städten war sie sogar genauso schlecht wie bei den Landratswahlen. Dies gilt zum Beispiel für die Stadt Flensburg, in der bei der letzten Oberbürgermeisterwahl in beiden Wahlgängen nur knapp 30 % der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger an der Wahl teilgenommen haben.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

(Präsident Martin Kayenburg)

Auch bei der Direktwahl der Oberbürgermeister oder der Bürgermeister gilt, dass dadurch das Ehrenamt geschwächt worden ist. Wenn man also die Direktwahl der Landräte nicht mehr will, dann muss man auch die Bürgermeisterwahlen abschaffen. Das Argument einiger Direktwahlbefürworter, die Europawahlen würden trotz niedriger Wahlbeteiligung auch nicht abgeschafft, lasse ich ganz einfach nicht gelten. Dieser Vergleich hinkt, denn bei Europawahlen geht es um ein Parlament. Bei den Landratswahlen geht es hingegen nur um einen Verwaltungschef. Das ist ein qualitativer Unterschied, der einigen offensichtlich noch nicht bekannt ist.

Angesichts der wachsenden Bedeutung der Landräte und Oberbürgermeister, die zukünftig auch entscheidenden Einfluss auf die geplanten kommunalen Verwaltungsregionen haben werden, müssen diese Ämter wieder auf einer breiteren Legitimation durch die Bevölkerung fußen. Dies können wir nur erreichen, indem die Direktwahlen aufgegeben werden und die Verwaltungschefs wieder durch die kommunalen Parlamente gewählt werden.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Erst einmal aber kommt die Ausschussberatung.

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zehn Jahre später ist die Direktwahl wieder ein Thema. Der SSW ist zwar nicht die stärkste Fraktion, er steht aber nach meinem Eindruck mit seiner Meinung im politischen Raum nicht allein.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Sehr gut!)

Vor allem die geringe Wahlbeteiligung hat Zweifel daran aufkommen lassen, ob die Direktwahl weiter geboten ist. Wenn man dies objektiv abwägt, dann denke ich aber, dass man davon sprechen muss, dass es ein Pro und ein Kontra gibt. Das Pro besteht darin zu sagen, Kommunalpolitik soll attraktiv bleiben und stärker werden. Die Chance der Bürgerbeteiligung soll genutzt werden. Wenn die Bürger dies nicht in dem Maße ausnutzen, wie sie die Chance dazu haben, dann ist das ihre eigene Entscheidung. Diese Position zeigt bei realistischer Betrachtung jedoch: Die hoch gepriesene Chance ist angesichts der vergangenen zehn Jahre einer ge

wissen Ernüchterung gewichen. Die Direktwahl stärkt die Legitimation eines Amtsinhabers. Er wird - mit allen Chancen und Problemen, die sich darin verbergen - unabhängiger.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Die Balance in der kommunalen Familie leitet auch zu konträren Aspekten über. Nach meinem Eindruck spielen bei Direktwahlen Inhalte kaum eine Rolle. Es geht eigentlich wenig um Inhalte, Zielsetzungen und darum, wofür jemand steht. Es geht häufig darum, dass Stimmungsbilder entstehen oder gemacht werden. Beliebtestes Thema ist dabei immer die Pension. Meistens sprechen diejenigen, die sie schon haben, davon, dass andere nicht in den Genuss kommen sollten. Diese Pensionsdebatten sind Lieblingsthemen.

(Beifall bei CDU und SSW)

Sie schmälern in bedenklicher Weise die Chancen der Bürger, sich frei für eine Sache zu entscheiden. Ich möchte einen weiteren Nebenpunkt ansprechen: Nach meinem Eindruck sind geringe Wahlbeteiligungen für bestimmte Interessengruppen manchmal auch eine besondere Möglichkeit, sich einzubringen. Hier und da lohnt es sich, genauer hinzuschauen, wer für wen steht und wer sich für wen engagiert.

Fest steht insgesamt: Die Direktwahl wird von den Bürgern eigentlich nicht in dem wünschenswerten Maße angenommen, vielleicht auch deswegen, weil viele keine rechte Vorstellung davon haben, was das Amt eigentlich bedeutet. Sie erleben die kommunale Ebene in verschiedener Funktion, sie erleben das in der Verwaltung, sie erleben es vom Landrat, sie erleben es vom Kreistag, sie erleben es aus dem verschiedenen Zusammenwirken. Nach meinem Eindruck ist so recht bei vielen die Vorstellung nicht da, was sich eigentlich mit diesem Amt verbindet.

Ich denke, dieses ist ein Pro und Kontra, worüber wir zu sprechen haben. Was allerdings nicht geht wir haben dies schon gelegentlich gehört -: Die Direktwahl der Landräte wird abgeschafft und die Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister bleibt. Das kann natürlich nicht sein,

(Beifall bei der CDU)

dass wir eine solche Spaltung vornehmen. Dafür gibt es schlicht und einfach keinen Grund, es sei denn, man würde sich überlegen, für wen das welchen Vorteil hat.

(Zuruf von der CDU)

(Anke Spoorendonk)

- Wenn Kollege Ehlers etwas von hinten ansagt, muss man genau zuhören, aber die Entscheidung ist noch nicht getroffen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich abschließend so zusammenfassen: Die Debatte ist vielleicht noch einmal ein Anlass, über einiges mehr nachzudenken, was sich im kommunalen Bereich abspielt. Haben wir die Balance zwischen Hauptamtlichkeit und Ehrenamtlichkeit wirklich noch? Sie haben es in Ihrem Beitrag angesprochen. Da sind schon Zweifel erlaubt. Nach meinem Eindruck wird die hauptamtliche Schiene immer stärker und die ehrenamtliche wird im Ergebnis immer schwächer.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und SPD)

Das ist eine bedenkliche Richtung. Auch die Fragestellung, ob wir wirklich so gut beraten waren, den alten KA abzuschaffen, was mit dieser Frage ja möglicherweise zusammenhängt, ist eine, über die man einmal nachdenken sollte.

(Beifall beim SSW)

Ich möchte dies mit in die Diskussion einbringen. Auch bei der Fragestellung, ob Berichtspflichten eigentlich Kontrollrechte sind, darf man Zweifel haben. Berichte sind das eine, aber es ist nach meinem Gefühl eine relativ stumpfe Waffe.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Lassen Sie mich deswegen abschließend sagen, dies ist vielleicht auch eine Gelegenheit, nach einiger Zeit über die tatsächlichen Konflikte in der kommunalen Familie ein bisschen nachzudenken und zu sprechen, sich über eine Reihe von Fragen Gedanken zu machen. Aber es sollte der Grundsatz gelten, den der Minister in seinem Beitrag vorhin angesprochen hat: Wenn etwas bei einem Wahlgesetz geändert werden soll, dann sollte man gut überlegen, was man dort tut und in welcher Konstantheit man dies macht. Das sollte nicht von einer tagesaktuellen Stimmung abhängig sein. In dem Sinne sind wir zu einem Pro und Kontra in der Diskussion bereit.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Herrn Abgeordneten Werner Kalinka und erteile das Wort für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der SSW-Gesetzentwurf zur Abschaffung der Direktwahlen von hauptamtlichen Bürgermeistern und Landräten entspricht fast wortgleich einem SSWGesetzentwurf vom 30. November 2001, den wir damals komplett abgelehnt haben. Die damals wie heute gleich lautende schriftliche Begründung des SSW, Herr Kollege Kubicki, ist in ihren tragenden Elementen auch heute noch falsch.

(Beifall bei der FDP)

Die SSW-Behauptung, die Direktwahl habe nicht zu mehr direkter Demokratie geführt, ist deshalb falsch, weil bei Direktwahlen nicht mehr die Volksvertretung, sondern das Volk selbst über Bürgermeister und Landräte entscheidet. Direkter geht es nun wirklich nicht mehr. Dass Direktwahlen zu einem Mehr an direkter Demokratie führen, ist schon begrifflich eine Selbstverständlichkeit, Frau Kollegin Spoorendonk.

Komplett falsch ist auch die zweite schriftliche SSW-Behauptung, aus der Direktwahl folgten erweiterte Machtbefugnisse der Verwaltungschefs wir sind schon einmal in anderem Zusammenhang darauf eingegangen -, es gebe keine ausreichende demokratische Kontrolle und die kommunalen Parlamente würden geschwächt. Ob Bürgermeister oder Landräte direkt gewählt werden, hat natürlich auf die Kompetenzverteilung innerhalb der kommunalen Verwaltung überhaupt keinen Einfluss. Die Kompetenzen sind gesetzlich geregelt.

Zur angeblich nicht ausreichenden demokratischen Kontrolle der Verwaltungschefs nur so viel: In § 27 der Gemeindeordnung ist nachzulesen: „Die Gemeindevertretung trifft alle für die Gemeinde wichtigen Entscheidungen und überwacht ihre Durchführung.“ Das war vor den Direktwahlen so, das ist mit den Direktwahlen so, das wird auch so bleiben.