Protocol of the Session on May 3, 2006

geradezu wohltuend im Vergleich zum schwarz-roten Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein, der die Ausländerpolitik gerade einmal in 12 Zeilen, inklusive Überschrift, abhandelt.

Worüber aber reden wir beim Thema Einbürgerung? Es geht beim Thema Einwanderung um diejenigen zugewanderten Menschen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen wollen. Es geht nicht um diejenigen, die als Ausländer in Deutschland weiter leben wollen, sondern um die, die sich bewusst dafür entschieden haben, Deutsche zu werden.

In der Debatte um die Einbürgerung geht einiges schief. Das fängt damit an, dass man im Vertrag der großen Koalition in Berlin das Thema Einbürgerung unter dem Kapitel „Sicherheit für die Bürger“ abhandelt. Dort wird zunächst die Gefahr der allgemeinen Bedrohung durch den Terrorismus geschildert, bevor man zu den Anforderungen kommt, die Einzubürgernde zu erfüllen haben.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer so an das Thema Einbürgerung herangeht, hat nichts verstanden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei Landsleuten, die sich haben einbürgern lassen, handelt es sich um Menschen, die in der Regel bereits seit mindestens acht Jahren in Deutschland ihren ständigen legalen Aufenthalt haben, die ihre Familien ernähren können, die nicht vorbestraft sind und die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannt haben.

Herr Kollege Puls, Herr Kollege Lehnert, bevor man über die Frage des Strafmaßes nachdenkt, also darüber, von wo ab sich die Grenze verändern sollte, wäre es vielleicht interessant, sich mit Deliktstypen zu beschäftigen, weil sie unterschiedlich behandelt werden können. Beispielsweise kann eine Trunkenheitsfahrt entweder mit sechs Monaten, neun Monaten oder einer Geldstrafe geahndet werden. Ich will es also an Deliktstypen festmachen und nicht an der Frage der Tagessatzhöhe, um zu entscheiden, ob jemand Deutscher werden kann oder nicht.

Diese Menschen unter dem Kapitel Terrorismusgefahr zu behandeln, ist eine Beleidigung derjenigen, die sich freiwillig für unsere Gesellschaft und unser Staatswesen entschieden haben. Der Union gehen die bereits bestehenden Vorgaben jedoch nicht weit genug. Sie hat sich, wie man der Presse entnehmen kann, für weitere zu erfüllende Voraussetzungen

der Einbürgerung entschieden. Nach dem unrühmlichen hessischen Beispiel eines Einbürgerungstests, den nicht einmal viele der hier im Hause Anwesenden ohne entsprechende Vorbereitung bestanden hätten, will man nun bundesweit Einbürgerungswillige einem Wissens- und Wertetest unterziehen, um zu prüfen, ob sie hinreichend integriert sind beziehungsweise es mit dem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung wirklich ernst meinen.

Ministerpräsident Stoiber sagte es in einem Interview im ZDF noch deutlicher, Herr Kollege Wadephul: Man müsse als einbürgerungswilliger Ausländer die Alltagskultur in Deutschland akzeptieren und respektieren. Ich bitte Sie um Beantwortung der Frage: Was ist eigentlich Alltagskultur? Currywurst, Pommes rot-weiß? Gartenzwerge, Trainingsanzug in der Kneipe? Badelatschen? Ist Ditsche Alltagskultur? Oder, Herr Ministerpräsident, ist der Song von Andrea Berg „Du hast mich tausend Mal belogen, du hast mich tausend Mal verletzt“ oder gar der Titel „No, no, never“ von Texas Lightning, der als deutscher Beitrag zum Eurovision Song Contest angemeldet worden ist, die deutsche Alltagskultur, von der wir reden, zu der man sich bekennen soll?

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Meinen wir wirklich, dass die Menschen, die seit acht Jahren in diesem Land leben und arbeiten, nicht vorbestraft sind und sich zu unserem Staatswesen bekannt haben, noch einen Extra-Beweis dafür abliefern müssen, dass sie die Alltagskultur und Deutschland akzeptieren? Ich glaube, das können wir nicht ernst meinen.

Das Grundgesetz gilt in Deutschland gegenüber jedermann, egal ob Ausländer oder Deutscher. Alle, die hier leben, haben sich an die Regeln, die im Grundgesetz stehen und durch Einzelgesetze konkretisiert werden, zu halten. Es gibt keinen strafrechtlichen Freiraum für Menschen, die in Deutschland leben, egal, woher sie kommen, egal, mit welchem Hintergrund.

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Dr. Johann Wadephul [CDU]: Gut, dass er das einmal gesagt hat!)

- Das habe ich schon immer gesagt, Kollege Wadephul; das ist nicht neu.

Das Grundgesetz schreibt ausdrücklich nicht vor, dass man seine familiäre Herkunft, seine kulturellen Traditionen quasi als Preis für den Eintritt in die deutsche Staatsbürgerschaft aufzugeben hat. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass deutsche

(Wolfgang Kubicki)

Staatsanwälte es akzeptieren würden, wenn man sagte, man müsse strafrechtlich normiertes Verhalten von anderen hinnehmen, nur, weil sie einen anderen Hintergrund haben.

Im Gegenteil, es stellt jedem frei, das Leben nach seiner Fasson zu leben, solange er andere dadurch nicht unzulässigerweise in ihrer Freiheit einschränkt. Das sollten auch wir in den Diskussionen bedenken.

Kollege Wadephul, denken wir nur an die eigene Geschichte. Wie traurig wäre es gewesen, hätte man bei der Zuwanderung von Hugenotten oder Polen darauf bestanden, dass sie einen wesentlichen Teil ihrer Kultur abgeben, bevor sie in Deutschland integriert werden.

Nun können wir zur Kenntnis nehmen, dass sich die Union auf der Innenministerkonferenz mit ihrem Wissensund Wertetest nicht durchzusetzen scheint. Unter anderem kommt der Protest gegen die CDU aus der schleswig-holsteinischen Landesregierung in Person des Innenministers Dr. Stegner. Hierbei, Herr Minister, finden Sie unsere Unterstützung. Hierfür sage ich auch persönlich Dank.

Letztlich wird aber durch die Einbürgerungsdebatte von einer viel wichtigeren Debatte, die zuerst in Deutschland lebende Ausländer und nicht Neudeutsche in unserem Land betrifft, abgelenkt: der Integrationsdebatte. Dieser Diskussion müssen wir uns vorrangig und ernsthaft stellen und da bin ich wieder beim Papier des Innenministers, das wir gern konstruktiv begleiten wollen.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Kubicki und erteile der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk für den SSW das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demokratie lebt auch vom Verfahren, deshalb vorab eine Bemerkung zum Prozedere: Der Innenminister hat auf der Pressekonferenz am 27. April 2006 seine Leitlinien zur Frage der Einbürgerungsvoraussetzungen der Öffentlichkeit dargelegt. Der Landtag wurde an diesem Tag nicht unterrichtet. Es war auch nicht richtig klar, ob wir es mit den Leitlinien des Innenministers zu tun hatten oder ob dies die Position der Landesregierung insgesamt widerspiegelte. Wir hatten unsere Informationen aus den Zeitungen und das ärgerte mich.

Ich will redlicherweise aber hinzufügen, dass es so etwas auch in der Vergangenheit immer wieder einmal gegeben hat. Ich nehme aber für den SSW in Anspruch, dass wir das auch damals immer kritisiert haben.

Doch nun zum Inhalt! Der SSW begrüßt grundsätzlich den Ansatz, den der Innenminister in der Einbürgerungspolitik verfolgt. Neubürger und potenzielle Neubürger sind eine Chance und eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Wer stark ist, kann offen sein, kann Neue und Neues aufnehmen. Wer schwach ist, wird sich ängstlich abkapseln. Wir müssen begreifen, dass sich die deutsche Gesellschaft verändert; das hat sie übrigens immer schon getan.

Der SSW betont stets, dass die Einzubürgernden in der Gesellschaft ankommen müssen. Es geht nicht nur um den formalen Staatsbürgerstatus. Derartige Diskussionen verfangen sich schnell in formaljuristischen Staats- und Grundsatzdebatten, statt die Lösung gesellschaftlicher Konflikte des Zusammenlebens in den Vordergrund zu rücken.

Der Vertrag, den die deutsche Gesellschaft mit den Neubürgern eingeht, setzt Integrationswillen und Loyalität bei den Neubürgern sowie faire Chancen und Hilfen seitens der Gesellschaft voraus. Faire Hilfen sind ein ausreichendes und niedrigschwelliges Angebot an Sprach- und Integrationskursen sowie ein Grundvertrauen gegenüber den Neubürgern. Integration ist keine Einbahnstraße.

Die chancengleiche Teilhabe an Bildung ist eine Schlüsselgröße für die erfolgreiche Integration. Dies kann nicht genug betont werden. Das hat ja auch etwas mit der Debatte von vorhin zu tun. Es sei jedoch auch hier daran erinnert, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern ein Bildungssystem vorhält, das mit am selektivsten ist. Auf die Kritik des SSW zum gegliederten Schulsystem brauche ich hier nicht näher einzugehen, sie dürfte ausreichend bekannt sein. In Sachen Integration verschärft die Benachteiligung der Einwanderer den Handlungsbedarf. Darum sollten wir es mit der fairen Hilfestellung, der ausgestreckten Hand wirklich ernst meinen.

Die Vorstellung, dass man jemandem, der die deutsche Staatsangehörigkeit anstrebt, zunächst misstrauen und durch eine Gesinnungsschnüffelei seine wahren Motive ergründen müsste, ist pures obrigkeitsstaatliches Denken. Wer die deutsche Staatsbürgerschaft anstrebt, muss ausreichend Deutsch beherrschen und sich loyal erklären. Wir können nicht in die Köpfe hineinschauen und sollten es auch nicht versuchen.

(Wolfgang Kubicki)

Ich pflichte dem Innenminister bei, wenn er unterstreicht, dass Integration und nicht Assimilation das Ziel sein muss. Ich sage das bewusst auch als Vertreterin der dänischen Minderheit, in dem Wissen, dass Dänemark zurzeit eine Ausländerpolitik führt, die nicht das Prädikat liberal und modern verdient. Der SSW vertritt hier klar eine andere Position und wir messen nicht mit zweierlei Maß.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Es ist sicher eine nahe liegende Überlegung, die gleichen Anforderungen an Ausländer wie an Spätaussiedler in Bezug auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu stellen. Die Unterscheidung hat sich für den Einzelnen überlebt. Ich möchte jedoch unterstreichen - auch das aus den Augen einer Minderheitenvertreterin -, dass für die deutschen Minderheiten in Osteuropa als solches, die Verantwortung des deutschen Staates weiterhin besteht, auch mit der Perspektive, als Teil der Gesellschaft, als vollwertige und gleichberechtigte Bürger deutscher Herkunft dort, wo sie leben, anerkannt zu werden.

Ich fasse zusammen: Ich gebe dem Innenminister Recht, wenn er sagt, dass es schon jetzt hohe Hürden für die Einbürgerung gibt. Man wird nicht so einfach deutscher Staatsbürger oder deutsche Staatsbürgerin. Es leuchtet nicht ein, warum diese Regeln jetzt weiter verschärft werden sollen. Menschen wechseln ihre Staatsbürgerschaft, ihre nationale Identität nicht so einfach, wie man ein Hemd wechselt.

Nach den Erfahrungen, die wir im deutsch-dänischen Grenzland gesammelt haben, steht fest, dass die persönliche Identität ausschlaggebend ist, dass die persönliche Identität von Amts wegen nicht kontrolliert werden kann. Menschen müssen nicht beweisen, dass sie Deutsche sein wollen. Wenn sie sagen, dass sie es sein möchten, muss man ihnen Glauben schenken. Das ist der progressive Ansatz unserer Minderheitenregelung. Die hat es verdient, auch auf Bundesebene einmal wieder eine Rolle zu spielen.

(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW], Jutta Schümann [SPD] und Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich danke der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk. - Minister Stegner hat noch einmal um das Wort gebeten, was ich ihm hiermit erteile.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich für die überwiegend freundlichen Reaktionen herzlich bedanken. Ich fühle mich ermuntert, auf der Innenministerkonferenz meine Position zu vertreten. Ich möchte noch einen Satz zu Frau Spoorendonk sagen.

Ich habe vor der Innenministerkonferenz, wie es üblich ist, meine Position in der Pressekonferenz vorgestellt. Ich wäre natürlich sehr dankbar dafür, wenn im Vorfeld des Integrationsgipfels mein Konzept, das ich ja beigefügt habe, im Ausschuss beraten wird. Ich hätte ein Interesse daran, dass sich die Fraktionen des Landtages damit beschäftigen. Es ist ein übergreifendes Thema, es ist ein wichtiges Thema.

Wir haben hier im Norden in der Tat - wie ich glaube - einen besseren Umgang mit solchen Fragen als anderswo. Wir könnten einen guten Beitrag zum Integrationsgipfel leisten. Es wäre sehr in meinem Sinne, wenn wir auch im Ausschuss noch einmal diskutierten, was hinter dem Konzept steckt.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Danke, Herr Minister. - Das Wort für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion, Herrn Abgeordneten Dr. Johann Wadephul.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar dafür, dass wir nach einigen aufregenden öffentlichen Debatten heute eine sachliche Diskussion über die Inhalte haben führen können. Das tut dem Landtag gut und das steht uns gut zu Gesicht.

Wir stehen kurz vor einer Innenministerkonferenz. Der Tagesordnungspunkt heißt „Einbürgerung“. Es geht um Einbürgerungsfragen. Darüber soll auf der Innenministerkonferenz möglichst eine Einigung erzielt werden.

Ich bin dankbar, dass alle Fraktionen zum Ausdruck gebracht haben, dass es der Wunsch des hohen Hauses ist, dass die Innenministerkonferenz zu einer gemeinsamen Regelung kommt. Herr Innenminister, ich lege Wert darauf, dass dies möglichst gelingt.

(Anke Spoorendonk)

Wenn ich es richtig verfolge, sind wir bei der Frage der Einbürgerung eng beieinander. Die Union - die schleswig-holsteinische CDU-Landtagsfraktion hat sich das nie zu Eigen gemacht, aber andere - hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Frage eines Tests, mit dem Wissen abgefragt wird, nicht mehrheitsfähig ist. Das muss man zur Kenntnis nehmen und ich bin auch gar nicht traurig, dass das nicht mehrheitsfähig ist. Ich habe mich schon seit einigen Wochen dafür eingesetzt und gesagt, dass Staatsbürgerkurse das Richtige wären. Darauf scheint es wenn ich die Pressemitteilung richtig lese - jetzt auch hinauszulaufen.

Wir alle können heute in der „Welt“ lesen, dass sich der SPD-Innensenator von Berlin, der immerhin von einer rot-roten Koalition getragen wird, für verpflichtende Staatsbürgerkurse vor einer Einbürgerung ausspricht. Er sagt außerdem, dass der Kurs mit Erfolg abgelegt werden muss. Herr Kollege Puls, da haben wir beide noch einen kleinen Dissens. Sie haben gesagt, eine Teilnahme reicht, Herr Körting sagt, dass der Kurs mit Erfolg abgelegt werden müsse, etwa durch schriftliche Arbeiten oder durch die Feststellung, dass es eine ausreichende mündliche Beteiligung gegeben hat. Wir müssen ja zur Kenntnis nehmen, dass der eine oder andere Teilnehmer nicht nur aus einem Sprach-, sondern auch aus einem Schriftkreis kommt, der ganz anders ist als der deutsche. Es ist nicht ganz einfach, das jedes Mal in einem Test abzufragen.