Protocol of the Session on May 3, 2006

Meine Damen und Herren, jetzt den Bogen von Gewalt an Schulen zur vorschulischen Sprachförderung zu spannen, finde ich nicht unproblematisch. Ich will nämlich auch davor warnen, Gewalt unter Kindern und Jugendlichen, aber auch in der Gesellschaft überhaupt als reines Migrationsthema zu brandmarken.

(Beifall)

Dadurch entsteht ein schiefes und undifferenziertes Bild, aber gewiss hat Gewalt auch etwas mit Perspektivlosigkeit und Ausgrenzung zu tun. Das ist übrigens ein Phänomen, das keineswegs nur Migrantenkinder betrifft. Es hat vielmehr auch etwas mit Verrohung und dem Sinken von Hemmschwellen zu tun. Das wiederum hat mit familiärer Erziehung oder unakzeptablen Erziehungsstilen zu tun, meine Damen und Herren.

(Beifall)

In diesem Jahr ist - nun muss ich den Bogen spannen, weil Sie in Ihrem Antrag darauf abheben erstmals landesweit bei allen schulpflichtigen Kindern, also bei 28.000 Jungen und Mädchen, im Rahmen der vorgezogenen Schuleingangsuntersuchung der Sprachstand beobachtet und bewertet worden; ich möchte gern im Bildungsausschuss über den aktuellen Stand berichten. Ich hoffe sehr lassen Sie mich das abschließend sagen -, dass wir den betroffenen Kindern, die jetzt Sprachintensivförderung vor dem Schuleintritt erhalten, damit bessere Bildungs- und Startchancen in der Schule ermöglichen und damit zugleich einen Beitrag zur verbesserten Integration leisten.

(Beifall)

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Ich danke der Ministerin. - Da sie ihre Redezeit ein wenig überzogen hat, verlängern sich die Redezeiten der einzelnen Fraktionen entsprechend.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für den Antragsteller, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Aufschrei des Kollegiums in der Rütli-Schule in Berlin und die Reaktionen darauf haben wieder einmal deutlich gemacht: Kaum ein Thema eignet sich so sehr für politischen Populismus wie die Integration von Einwanderern. Dass das Thema Gewalt an der Rütli-Schule - dieses hat sicherlich auch etwas mit Einwanderung zu tun - so behandelt worden ist, ist nun wahrlich keine Erfindung von mir, sondern lässt sich sehr schön an dem ablesen, was in den letzten Wochen in der Presse stattgefunden hat.

Ministerpräsident Stoiber will Eltern wegen mangelnder Integration die Sozialleistungen kürzen und ihre Kinder zur Strafe in die Förderschule schicken. Minister Schönbohm will Kinder sogar in einen Schnupperknast einsperren. Die Abgeordnete Herold aus diesem Parlament will Kinder, die nicht ausreichend Deutsch können, gar nicht erst in die Schule lassen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Ich glaube, dass die Frage, wie wir auf Integrationsprobleme und auf Gewalt reagieren, mit entscheidend dafür ist, ob uns Integration und Gewaltbekämpfung gelingen. Frau Erdsiek-Rave hat natürlich Recht, wenn sie sagt, dass es in der Frage von Integration und von Gewalt an den Schulen nicht nur um ausländische, sondern genauso um deutsche Kinder geht. Es geht um die Situation in sozialen Brennpunkten. Dort sind die Schulen gefragt. Hier ist die Frage, ob die Schulen sich aktiv mit dem Problem auseinander setzen oder ob sie die Augen davor zumachen, ob Probleme gelöst werden oder nicht.

In den Berichterstattungen der letzten Wochen haben wir zum Glück eine ganze Reihe von positiven Beispielen auch aus Brennpunkten gehört, wo es durch Engagement und aktive Auseinandersetzung gelungen ist, Probleme einzugrenzen und in den Griff zu bekommen. Es wurde aber immer wieder betont, dass eines der großen Probleme, die wir ha

ben, darin liegt, dass wir die Problemkinder in den Hauptschulen der entsprechenden Stadtteile zusammenführen und sie so im Grunde von den anderen Schülern und Schülerinnen aus Elternhäusern, die vielleicht weniger mit diesen Problemen zu tun haben, isolieren und sie damit mit den Problemen allein lassen. Wir lassen auch die Lehrer in dieser Situation häufig allein. Deswegen wird in der RütliSchule nicht umsonst die Frage aufgeworfen: Warum lasst ihr uns allein? Es wurde immer wieder darüber diskutiert, dass die Trennung der Schularten gerade in den Problemstadtteilen ein großer Teil des Problems ist, mit dem wir es zu tun haben.

Ich möchte noch einmal auf die Sprüche eingehen, die Ministerpräsident Stoiber und Co. ausgesprochen haben. Ich möchte die Frage stellen, wie so etwas auf einen jungen Türken wirkt. Er hört heraus: Ich bin hier nicht gewollt. Ich habe keine Chance. Er macht sich Gedanken darüber, ob er in zwei Jahren genauso auf dem Sofa herumhängen wird wie seine großen Brüder. Er fragt sich, welche Alternativen es gibt. Ist die einzige Alternative, zu einem Mullah zu gehen und dort einen neuen Lebenssinn zu finden? Ich finde, es ist eine erschreckende Tatsache, dass türkische Jugendliche, die nicht in Deutschland aufgewachsen sind, sondern erst während ihrer Schulzeit nach Deutschland kommen, in Deutschland einen deutlich besseren Schulerfolg haben, obwohl sie erst nachträglich Deutsch lernen müssen, als türkische Jugendliche, die in Deutschland aufwachsen.

Warum ist das so? - Das ist so, weil diese Jugendlichen in der Türkei Selbstbewusstsein und Spaß am Lernen entwickeln konnten. Hier werden sie hingegen von Anfang an als dumme Ausländer sozialisiert und auf die Hauptschule abgeschoben.

Minister Stegner sagte vor zwei Wochen, es gab zwei Lebenslügen. Schade, dass er jetzt nicht hier ist. Erstens. Konservative bestreiten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Zweitens. Manche Grünen dachten, dass eine schwärmerische MultiKulti-Politik und Integration von allein gehen. Ich kann dazu nur sagen, dass Herr Stegner nicht mitbekommen hat, was in den letzten neun Jahren gelaufen ist. Meine Partei hat nie geglaubt, dass Integration umsonst zu haben ist. Bei jeder Haushaltsverhandlung haben wir Programme gefordert, während nicht nur die CDU, sondern auch so mancher Sozialdemokrat so getan hat, als handele es sich dabei um grüne Spielwiesen. Ich finde es auch nicht in Ordnung, wenn Lothar Hay nach dem, was wir in den letzten Jahren diskutiert haben, sagt, man solle die Kita-Standards abschaffen.

(Lothar Hay [SPD]: Das habe ich nie gesagt! Das ist eine Falschmeldung!)

- Das tut mir Leid. Ich habe das so in der Zeitung gelesen. Es ist gut, dass du gerade gekommen bist. Ich werde dazu nichts weiter ausführen und dich hier nicht weiter zitieren. Ich denke, wir müssen alles tun, um die Kinder zu stärken. Wir müssen sie stärken, indem die Kinder sowohl im Kindergarten Deutsch lernen als auch indem die deutschen Kinder aus sozial schwachen Familien integriert werden, sodass sie neben der Sprachkompetenz auch soziale, sportliche und naturwissenschaftliche Kompetenzen entwickeln, damit sie frühzeitig auf die Schule vorbereitet werden. Wir brauchen mindestens ein Jahr vor der Umschulung Sprachtests. Eventuell muss dies auch eher geschehen. In Nordrhein-Westfalen wurden diese Tests jetzt zwei Jahre vorher beschlossen. Frau Erdsiek-Rave, ein halbes Jahr davor ist zu spät.

Ich freue mich auch über die erfreulichen Signale dieser Debatte. Bundesbildungsministerin Annette Schavan sagte klar und deutlich: Schule und Integration gehören zusammen. Dies geht weit über die deutsche Sprache hinaus. Ministerin Erdsiek-Rave nannte die Töne von Stoiber, Schönbohm und Co. eine unverantwortliche Debatte.

„Schnupperknast, etwas Perverseres kann man sich gar nicht vorstellen, wenn es um junge Menschen und Kinder geht.“

Dem kann ich voll zustimmen.

„Wir müssen diese Kinder selbstverständlich einschulen. Hier herrscht Schulpflicht.“

So Frau Erdsiek-Rave. Sie plädiert für eine Vernetzung von Schule, Sozialhilfe und Jugendhilfe. Vielen Dank für die klaren Worte! Angesichts dieser Kakophonie zwischen den großen Parteien der großen Koalition habe ich den vorliegenden Antrag gestellt. Ich möchte wissen: Was ist die Linie dieser Koalition? - Integration oder Ausgrenzung? Stoiber oder Erdsiek-Rave? Ich bin gespannt, wofür Sie die Hand heben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Abgeordneten Hentschel. - Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Susanne Herold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem Atemzug mit Herrn Stoiber und Herrn Schönb

ohm genannt zu werden, ist als schleswig-holsteinische Parlamentarierin vielleicht nicht das Schlechteste. Vielen Dank dafür, Herr Hentschel.

Bildung ist der umfassende Prozess der Entwicklung und Entfaltung von Fähigkeiten, die Menschen in die Lage versetzen, Leistungspotenziale zu entwickeln sowie Handlungs- und Problemlösungsansätze zu erlangen. Junge Menschen in diesem Sinne zu bilden, kann nicht allein Aufgabe von Schule sein. Eine gelungene soziale Integration und die Befähigung zu einer selbst bestimmten Lebensführung bauen ebenso auf Bildungsprozesse in Familien, Kindertagesstätten sowie Einrichtungen der Jugendarbeit auf. Hier ist also die gesamte Gesellschaft gefordert. Deshalb greift der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN allemal zu kurz, um dem Problem der bestehenden Gewaltbereitschaft sowie der Problematik der Integration an Schulen gerecht zu werden.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ihre Forderung nach einer besseren Vernetzung von Schule, Jugendhilfe und Sozialarbeit, um Gewalt an Schulen vorzubeugen, ist längst Gegenstand gelebter Realität in SchleswigHolstein. Ich empfehle Ihnen hierzu zum Beispiel, den Jugendaktionsplan Schleswig-Holstein zu lesen, der im November 2005 von der Sozialministerin vorgelegt wurde. Hier finden Sie die Antworten auf die von Ihnen im Antrag aufgeworfenen Fragen mit Beschreibungen laufender und noch in 2006 umzusetzender Projekte. Die Fragestellung, ob die Landesregierung sicherstellen kann, dass alle Kinder mit Beginn der Schulpflicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, kann ich mit der Bitte um einen mündlichen Bericht über Konsequenzen zur Debatte über Gewalt an Schulen inhaltlich nur ganz schwer zusammenführen.

Ist es richtig, dass Sie, meine Damen und Herren von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hier in der Kategorie denken, dass Gewalt an Schulen ein ausländerbesetztes Thema ist, das von ausländischen Schülern ausgeht, die der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig sind? Ihr Antrag legt dies zumindest nahe. Mir scheint, dass Sie hier sehr undifferenziert eine Problemstellung ins Plenum einbringen, deren Popularität aufgrund der Vorkommnisse in Berlin zurzeit sehr hoch ist, jedoch in keinster Weise die Realität Schleswig-Holsteins widerspiegelt.

Gewalt an Schulen und mangelnde Sprachkenntnisse vor allem auf Migranten zu reduzieren, halte ich für äußerst gewagt. Ebenso fraglich erscheint die

(Karl-Martin Hentschel)

von Ihnen erhobene Forderung, dass ausreichende Deutschkenntnisse vor Beginn der Schulpflicht in Schleswig-Holstein gesichert sein sollen. In der Begründung sprechen Sie sich jedoch dafür aus, dass kein schulpflichtiges Kind aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse vom Unterricht ausgeschlossen werden darf. Wo wollen Sie denn nun hin? Soll das eine Voraussetzung sein oder soll das keine Voraussetzung sein? Die CDU-Fraktion hält Einschulungen ohne ausreichende Deutschkenntnisse für unverantwortlich. Ein Kind, das seine Lehrkräfte nicht versteht, kann auch nicht erfolgreich lernen und gerät ins Abseits. Das gilt nicht nur für Kinder aus Migrationsfamilien.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es für uns wichtig, dass ausreichende Deutschkenntnisse vor der Einschulung vermittelt werden. Diesem Umstand muss das neue Schulgesetz Rechnung tragen und tut es auch.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einmal festhalten: Um eine umfassende ganzheitliche Erziehung und Bildung der nachwachsenden Generation sicherzustellen, muss der gezielten Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Hier gilt es Probleme frühzeitig zu erkennen und den Anspruch auf individuelle Förderung einzulösen. Dies kann nur in enger Kooperation von Jugendhilfe, Schule und insbesondere Familie geschehen. Ich denke, hier ist Schleswig-Holstein auf einem guten Weg.

Wir können das im Bildungsausschuss vertiefen. Deswegen beantrage ich die Überweisung an den dafür zuständigen Bildungsausschuss.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke der Frau Abgeordneten Herold. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Dr. Henning Höppner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Debatten über Gewalt an Schulen verbinden sich meistens mit besonders spektakulären Fällen, die die Medien beschäftigen. Vor wenigen Jahren waren es die entsetzlichen Morde am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt - auch hierüber haben wir im Landtag gesprochen -, vor nicht allzu langer Zeit die systematische Misshandlung eines Schülers durch Mitschüler an der Berufsschule in Hildesheim und seit wenigen Wochen sind es die Zustände an der Berliner

Rütli-Schule. Inzwischen ist es üblich, das Thema Gewalt an den Schulen ganz wesentlich über die Hauptschulen darzustellen, die einen überwiegenden Anteil von Schülerinnen und Schülern aus nicht deutschsprachigen Familien haben, so auch gestern dargestellt in einem Bericht des Zweiten Deutschen Fernsehens ab 21 Uhr.

Die Ministerin hat den im Antrag geforderten mündlichen Bericht gehalten und sie wird uns weiter darüber unterrichten. Sie hat deutlich gemacht, dass die im Antrag der Grünen angesprochenen Problemfelder nicht erst jetzt ins Blickfeld der Landesregierung und des Landtages gerückt sind. Ich darf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der antragstellenden Fraktion der Grünen daran erinnern, dass Sie bis vor einem Jahr in der Regierungsverantwortung waren, insgesamt über neun Jahre hinweg, und auch Sorge getragen haben dafür, Gewaltprävention an Schule und Jugend vorzubereiten.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen wollen wir ja, dass sich das nicht ändert!)

Das fiel über zwei Wahlperioden hinweg auch in die Zuständigkeit der Jugendministerin, die Ihre Fraktion gestellt hat. Die Strategien der Gewaltprävention haben sich nicht verändert, sie sind auch nicht durch die neue Koalition oder die neue Landesregierung ausgesetzt worden oder infrage gestellt worden. Sie brauchen uns auch nicht daran zu erinnern. Es sind die Strategien, die Sie genau kennen und mit entwickelt haben. Von daher habe ich ein bisschen Verständnisprobleme bei Ihrem Antrag.

An Ihrem Antrag stört mich aber, dass Sie zwei Problemfelder zusammengezogen haben, die nicht in einem Begründungszusammenhang stehen. Es ist richtig, dass unzureichende Sprachkenntnisse zu Missverständnissen führen können und sich damit in Aggressionen entladen. Es ist aber falsch, dass Kinder und Jugendliche mit mangelhaften Deutschkenntnissen besonders disponiert sind, Ausübende oder Opfer von Gewalt zu werden.

Psychisches und physisches Mobbing, gewalttätige Übergriffe oder sogar Herausbildung von so genannten Modeerscheinungen der Gewaltausübung gegen völlig willkürlich ausgewählte, dem Täter im Regelfall nicht einmal bekannte Opfer sind weder schichtenspezifisch noch an die Zugehörigkeit zu bestimmten Ethnien gebunden. Nach meiner Kenntnis haben wir jedenfalls in Schleswig-Holstein und in unseren Schulen auch keine vergleichbaren Erfahrungen, wie sie in Berlin gemacht worden sind, zum Beispiel mit der Tatsache, dass es gewalttätige

(Susanne Herold)

Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen unterschiedlicher ausländischer Herkunft untereinander gibt. Wir haben in Schleswig-Holstein auch keine Schulen mit einem derart überwiegenden Anteil an ausländischen Kindern.