Zweiter Punkt. Die Stärkung der sozialen Dimension ist ein landespolitischer Schwerpunkt. Wir können die Akzeptanz eines neuen verfassten Europas nur steigern, wenn das europäische Sozialmodell definiert wird, denn ohne soziale Gerechtigkeit wird auch der Binnenmarkt nicht erfolgreich funktionieren. Beides gehört zusammen.
Deshalb ist auch der Vorschlag eines Protokolls zum Verfassungsentwurf durchaus offensiv zu diskutieren. Auch das spricht der Bericht an. Es ist eine Perspektive, auf die wir uns einstellen sollen.
Ein dritter Punkt: Meerespolitik. Das bleibt einer der Schwerpunkte unserer Politik in SchleswigHolstein. Ich bin gespannt, wie wir dieses Thema über das Grünbuch - vorgeschlagen wurde der April 2006 als möglicher Termin - diskutieren werden. Es ist eine Erfolgsgeschichte und bleibt auch eine Erfolgsgeschichte.
Lassen Sie mich damit zum vierten Punkt überleiten. Ein Schwerpunkt ist auch die Ostseekooperation, die wir neu definieren wollen und die zumindest in Teilen eine andere Schwerpunktsetzung nach sich zieht. Auch das ist ein richtiger Ansatz, der in diesem Bericht deutlich wird, den die Kon
kurrenz im Ostseebereich ist viel stärker geworden. Wir haben nationale Parlamente, die dort mit uns konkurrieren. Wir sind sehr klug beraten, wenn wir sagen, wir müssen uns die Nischen suchen, wo wir weiterhin Motor sein können. Wir sollten nicht meinen, dass wir mit großen nationalen Anbietern sozusagen auf gleicher Höhe konkurrieren können.
Lassen Sie mich dann noch - fünftens - etwas zur INTERREG-Förderung sagen. Es bleibt ein Finanzinstrument von hoher Bedeutung, übrigens auch für die kommunalen Politiker, die hier fehlen. Darüber sollten wir in naher Zukunft als Extrapunkt ausführlich diskutieren.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch zwei Punkte besonders betonen. Erster Punkt. Gerade im Zusammenhang mit INTERREG sollten wir im Bericht der Nordseekooperation - ich gebe zu, mein Lieblingsthema - etwas mehr Platz einräumen. Der Vortrag im Europaausschuss vor kurzem - viele von Ihnen waren dabei - machte deutlich: Wir sind ein Land zwischen den Meeren. Wenn wir davon sprechen, ist das nicht nur ein Tourismusmotto, sondern auch eine geostrategische Einschätzung und bedeutet, die Nordseekooperation, der Raum Nordsee muss weiterhin unsere Aufmerksamkeit bekommen. Ich habe hier aufgeschrieben „mare frisicum“.
Zweiter Punkt. Im Bericht wird auch auf die Zusammenarbeit mit Dänemark verwiesen. Auf diesem Feld wird sich in einiges bewegen. Ich begrüße ausdrücklich, dass darauf verwiesen wurde, die Gemeinsame Erklärung zur regionalen Zusammenarbeit mit Süddänemark zu überarbeiten. Das wird wirklich ein wichtiger Punkt sein. Ich werde dafür werben, dass wir diesen Punkt sehr stark parlamentarisch diskutieren. Das war in der Vergangenheit nicht immer so, das hat gefehlt.
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Ausschussdebatte. Einige Punkte sind genannt worden. Wir werden in die Diskussion einsteigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Europabericht berührt eine Vielzahl von Themen, die hier im Rahmen einer Fünfminutenrunde natürlich nur in Auswahl angesprochen werden können. Zunächst von meiner Seite eine Anmerkung zu einer guten Nachricht: Die Landesregierung geht davon aus, dass sich die Rückflüsse aus dem Strukturfonds für Schleswig-Holstein ungefähr auf dem bisherigen Förderniveau in den nächsten Jahren stabilisieren werden. Das ist in der Tat eine sehr erfreuliche Entwicklung, denn vor nicht allzu langer Zeit klangen die Ankündigungen oder das, was im Gespräch war für die künftige Entwicklung, sehr viel besorgniserregender. Aber keine Rose ohne Dornen, es ist im Bericht der Regierung darauf hingewiesen worden, dass es innerhalb des Strukturfonds zu Verschiebungen insbesondere zulasten des Bereichs ESF - Europäischer Sozialfonds - kommen wird. Über die daraus resultierenden Konsequenzen werden wir uns mit Sicherheit im Parlament, zumindest in den Ausschüssen, befassen müssen.
In der Europapolitik sind in jüngster Zeit einige wirklich erfreuliche Entwicklungen zu verzeichnen. Ich denke da insbesondere an die unter dem Oberbegriff „bessere Rechtssetzung“ angestrengten Bemühungen zum Abbau überflüssiger Bürokratie. Wir Liberale wünschen uns in dieser Hinsicht allerdings weitere und konsequentere Entscheidungen. Hier liegt nämlich nach unserer Überzeugung auch ein Schlüssel - es ist eines der Begründungselemente für dieses wichtige Thema - für die Überwindung der in vielen EU-Mitgliedsländern zu beobachtende Europamüdigkeit oder Europaskepsis, Stichwort Ergebnis der Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Das ist nur ein Zeichen für die Stimmungslage, die sich in erheblichen Teilen der EU entwickelt hat. Weniger zentralistische Regelungswut ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Zustimmung der Bürger der EU zur europäischen Integration wieder wächst.
Ich nenne ein Beispiel von vielen, um es auch einmal mit einem konkreten Thema aus unserem Arbeitsbereich zu unterfüttern. Wir haben in der jüngsten Vergangenheit im Landesparlament wiederholt über die Ausweisung von FFH-Gebieten diskutiert. Das ist ein Thema, das auch viele Bürger im Lande betrifft. Da war vonseiten der Landesregierung, und zwar in wechselnder parteipolitischer Besetzung, immer zu hören, man müsse bei der Anmeldung bestimmte Dinge vornehmen. Wenn es in diesem Rechtsbereich in Zukunft eine größere Flexibilisierung im Sinne regionaler Gestaltungsspielräume ge
ben könnte, könnte man das, was an Ärgernissen und Europafeindlichkeit daraus resultiert, mit Sicherheit vermeiden.
Die Arbeit an einer Neuausrichtung der EU-Gesetzgebung ist ein ganz wichtiger Punkt, auch um das zu erreichen, was unter dem Stichwort EU-Verfassungsdiskussion angesprochen wurde. Wir müssen uns hier wirklich um Verbesserungen bemühen, um die Akzeptanz für eine weitere europäische Integration in der Bevölkerung zu verstärken.
Meine Damen und Herren, die Note ungenügend muss man der EU-Politik erteilen hinsichtlich der notwendigen Neuorientierung der EU-Forschungspolitik. Es ist bislang finanziell überhaupt nicht hinreichend unterfüttert. Wie man das Ziel der Lissabon-Strategie erreichen will, bis 2010 auf einen Anteil von 3 % des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung zu kommen, steht völlig in den Sternen. Mit Nachdruck unterstützen wir Liberale die Einrichtung eines Forschungsförderungsinstrumentariums auf europäischer Ebene, das ähnlich wie auf nationaler Ebene die Deutsche Forschungsgemeinschaft nach Wettbewerbskriterien Spitzenforschung finanziert.
Ich halte es für besonders wichtig, dass diese Förderprogramme auf die Kooperation zwischen Forschungseinrichtungen und Forschungsstätten in unterschiedlichen EU-Ländern abheben. Gemeinsam an wissenschaftlichen Projekten zu arbeiten, und zwar in Instituten unterschiedlicher Länder, ist ganz wichtig. Die gemeinsame Arbeit an der Lösung von Problemen, die im Interesse aller Europäer einer Lösung zugeführt werden müssen, ist eines der wichtigsten Mittel, um ein deutliches Plus an europapolitischer Sinnstiftung zu erreichen, ein höheres Maß an europäischer Identität. Ein größeres WirGefühl in Europa lässt sich vor allem durch solche Kooperationsvorhaben verwirklichen. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Forschungsbereich, sondern das gilt ganz allgemein. Hier haben insbesondere auch die INTERREG-Programme ihren besonderen Nutzen und ihren großen Wert.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Fraktionsvorsitzenden, Frau Abgeordneter Anne Lütkes, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Europabericht 2003/2004 schon in der Überschrift davon sprechen durfte, dass neue Herausforderungen und große Chancen auf Europa zukämen, und das an dem Jahrhundertprojekt der europäischen Verfassung festmachen konnte, muss der diesjährige Bericht leider - wie wir alle wissen die jetzige Verfassungssituation deutlich beschreiben und richtigerweise darauf hinweisen, dass Europa in einer schwierigen Situation ist, obwohl der Einfluss, die Zusammenarbeit, die Bedeutung Europas stetig zunimmt. Leider nehmen - wie hier schon mehrfach dargelegt - die Akzeptanz, das Getragenwerden, die politische Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für Europa ab. Das ist einer der vielen Gründe dafür, dass sich ein Landesparlament in Gänze, heute nur in Teilen immer wieder für Europa zu interessieren hat.
Herr Minister, die Formulierung, dass Europa zu Hause beginnt, finde ich nett, schön und treffend, wie auch der Bericht insgesamt viele treffende und weiterführende Formulierungen mit sich bringt, auch wenn er nicht in der Lage ist, den Ausweg aus der Verfassungskrise aufzuzeigen. Das verbindet Schleswig-Holstein aber mit der gesamten EU.
Wir haben festzustellen, dass die eigenständige, nationale Steuerungsmöglichkeit dramatisch abnimmt. Es gibt - auch das ist wichtig festzuhalten keine Alternative zu der weiteren europäischen Vereinigung, zu dem Vereinigungsprozess.
Der Bericht stellt konsequent die unterschiedlichen Möglichkeiten und Strategien dar; er setzt konsequent Schwerpunkte, von der Lissabon-Strategie um nur ein Stichwort zu nennen, das hier schon genannt worden ist - bis hin zur Betonung des gemeinsamen Binnenmarktes. Auch das ist aus grüner Sicht nach wie vor eines der wichtigsten Ziele, auch wenn die Dienstleistungsrichtlinie, wie sie jetzt auf dem Tisch liegt, sicher nicht die idealtypische Regelung ist.
Richtig ist auch, dass der Bericht - ich will das hier nur beispielhaft erwähnen - die Aussage trifft, sich auch zukünftig darauf konzentrieren zu wollen, die regionale Wirtschaft, die kleinen und mittleren Unternehmen im so genannten klassischem Sinn zu fördern. Das findet unsere ungeteilte Zustimmung.
Zu der gesamten Förderkulisse, zur gesamten Fördermöglichkeit, auch zur Höhe der Förderung ist schon etwas gesagt worden. Ich möchte mich hier wie so oft bei Europafragen auf den Kollegen Fischer beziehen und darauf hinweisen, dass die Kompetenz, die Annahme, das Umgehen mit den
europäischen Fördermöglichkeiten vor Ort bei den Kommunen durchaus steigerungsfähig ist. Wir hatten im Europaausschuss neulich eine sehr klare Äußerung eines Vertreters der Landesregierung, der die kommunale Kompetenzsteigerung anmahnte. Vielleicht habe ich zu schnell gelesen, aber ich habe diese klaren Worte im Bericht selber nicht wieder gefunden, ebenso wenig wie klare Worte darüber, dass eine gerechte Strukturförderung, eine gerechte Verteilung der Fördermittel für ganz Schleswig-Holstein zu garantieren ist.
Dennoch - um es zu wiederholen -: Der Bericht ist eine gute Schwerpunktsetzung, er listet die Vorhaben der Kommission auf und findet immer wieder den Bezug zu Schleswig-Holstein. Der Bericht zeigt aber auch auf, dass Europapolitik nicht nur eine Sache des Europaausschusses ist, sondern der gesamte Bericht aus meiner Sicht - ich möchte das förmlich beantragen, Herr Präsident - in die Mitberatung der Fachausschüsse gehört.
Ein Blick in die Anlagen zeigt dies deutlich. Wir alle wissen, dass Europa ein gemeinsamer Wirtschaftsraum werden muss, dass dieser Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aber nur wachsen kann, wenn dieses Europa ein rechtsstaatliches Europa zum Nutzen für jeden Menschen vor Ort wird, das die rechtlichen Rahmenbedingungen an der Grundrechte-Charta ausrichtet. Aus meiner Sicht ist die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen in ihrer Gänze auch eine Aufgabe, die die Landesregierung mit zu tragen hat.
Gestatten Sie mir noch kurz, auf drei Punkte aus der Anlage beispielhaft hinzuweisen. Erstens weisen Sie zu Recht darauf hin, dass das Arbeitsrecht in Europa neu gestaltet werden soll. Ich vermisse aber die Verbindung einerseits zur Mittelstandsförderung und andererseits zu der richtigen sozialen Ausrichtung der europäischen Politik.
Zweitens hat mich Ihre Ausführung zum europäischen Mahnverfahren ein bisschen entsetzt. Ein Blick ins Gesetz eröffnet ungeahnte Perspektiven. Der Staatssekretär ist ja Öffentlichrechtler; insofern mag ihm § 690 ZPO entgangen sein. Da haben Sie wahrlich Falsches geschrieben. Das Mahnverfahren in Deutschland ist etwas anders. Das ist deshalb wichtig, weil das Mahnverfahren ein ganz großes Instrument für die kleinen und mittleren Betriebe zur Durchsetzung ihrer Forderung ist.
Drittens fehlen mir Ausformulierungen zur Harmonisierung des Sachen-, aber insbesondere des Familienrechts. Sie weisen auf Einzelteile des Familien
rechts hin, ohne dazu Stellung zu nehmen, wie Sie die Begleitung der notwendigen Harmonisierung des gesamten Rechtsgebietes vornehmen.
Herr Präsident, wenn ich das noch sagen darf: Ich würde es ansiedeln in dem Schwerpunkt „Regionen stärken, Arbeit schaffen, Umwelt erhalten“. Dazu gehört auch die Harmonisierung der großen Rechtsgebiete, die für die Menschen so wichtig sind.
Für die Abgeordneten des SSW erteile ich deren Vorsitzenden, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Bericht ist gründlich, er ist lesenswert und er ist ein gutes Nachschlagewerk. Also herzlichen Dank für diesen Bericht. Interessant finde ich auch, dass der Bericht von einem selten gesehenen europapolitischen Realismus und Pragmatismus geprägt ist. Vorbei sind die Zeiten, wo das Hohelied eines gemeinsamen Europas und unkritisch eine blühende Zukunft der europäischen Zusammenarbeit gepriesen wurde. Der Europabericht 2006 spricht die aktuellen Probleme der Europäischen Union klar aus und zeigt die Handlungsmöglichkeiten und die politischen Herausforderungen des Landes in der europapolitischen Zusammenarbeit deutlich auf.
So verschweigt die Landesregierung im Europabericht auch nicht, dass die Europäische Union nach den gescheiterten Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden in einer äußerst schwierigen Lage ist. Die Akzeptanz der EU ist stark gesunken und hängt nicht zuletzt - wie es auch im Bericht steht - mit der Angst der Bürgerinnen und Bürger um Wohlstand und Arbeitsplätze in den Zeiten der Globalisierung zusammen. Die Kommission und der Ministerrat haben daher den Ratifizierungsprozess zur Europäischen Verfassung erst einmal eingefroren und wollen die Zeit nutzen, um gemeinsam mit den Bevölkerungen über die Zukunft der Europäischen Union zu diskutieren.
Aus Sicht des SSW müssen die gescheiterten Volksabstimmungen über die Europäische Verfassung und die Vertrauenskrise der EU zu einer Neubestimmung der europäischen Zusammenarbeit genutzt werden. Dabei plädieren wir dafür, dass man sich von der Idee eines europäischen Bundesstaates endgültig verabschiedet.