Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben festzustellen, dass die Europäische Union nach der Euphorie der Erweiterung ziemlich verkatert aus dem letzten Jahr gekommen ist. Wir stecken immer noch in der Phase der Ernüchterung. Die Denkpause - jetzt heißt es Reflexionsphase - ist beschlossen worden. Das Gute daran ist letztlich die stärkere Hinwendung zu einer pragmatischen und realistischen Politik: eine Politik, die die wirtschaftliche Entwicklung und den sozialen Ausgleich aus
gewogen berücksichtigt, eine Politik, die weder den Verfassungs- noch den Erweiterungsprozess aufgibt, eine Politik, die aber - und das ist das Wesentliche - einen Gang zurückschaltet und damit den europäischen Institutionen sowie den Bürgerinnen und Bürgern eine Chance gibt, Atem zu holen und die rasanten Entwicklungen der letzten Jahre zu verarbeiten. Das ist der richtige Weg, um Europa aus seiner Identitätskrise zu führen.
In Schleswig-Holstein können wir eine Menge dafür tun, damit dies gelingt. Denn die Europäische Union nimmt einerseits immer größeren Einfluss auf die Landespolitik, andererseits können wir wenn wir es richtig anstellen - auf der Brüsseler Bühne ein gewichtiges Wort mitreden. Beiden Aspekten widmet sich der vorliegende Europabericht.
Lange Zeit ähnelte das Verhältnis zwischen den Bundesländern und der EU dem Wettlauf zwischen Hase und Igel. Die EU war immer schneller und die Länder hechelten diesen Initiativen hinterher. Die Landesregierung bemüht sich deswegen seit einiger Zeit mit Erfolg um eine vorausschauende Europapolitik. Der vorliegende Europabericht 2006 ist Ausdruck dieses Bemühens. Der Bericht bildet den politischen Fahrplan für die Europapolitik der gesamten Landesregierung. Er definiert Ziele und bringt Transparenz in die europapolitische Diskussion. Der Bericht macht deutlich, dass Europapolitik konkrete Landespolitik und damit auch Ausdruck der Kontinuität unserer Europapolitik ist.
Diese Kontinuität ist möglich, weil die europapolitischen Grundsätze zwischen den Fraktionen in Schleswig-Holstein nie wirklich umstritten waren. Das ist vielleicht auch der Grund, warum nur die „happy few“ bei der Diskussion hier dabei sind. Denn hier sind heute keine Kontroversen auszutragen.
In dieser Einigkeit liegt auch ein wichtiger Standortvorteil für uns und mit dem Bericht legen wir die strategischen Bereiche der Landespolitik 2006 fest, in denen wir mit europäischen Instrumenten Schwerpunkte setzen wollen.
Ich nenne hier vier Beispiele. - Erstens. Mit den Mitteln der Struktur-, Landwirtschafts- und Sozialfonds werden wir die Regionen stärken, Arbeit schaffen und die Umwelt schützen. Bereits im Fe
bruar hat das Kabinett entsprechende Eckpunkte für ein Zukunftsprogramm Schleswig-Holstein verabschiedet.
Drittens. Wir bleiben Motor der Ostseekooperation, die noch stärker als Standortpolitik für SchleswigHolstein ausgebaut wird. Hier sollte auch die Wirtschaft eine größere Chance sehen, insbesondere im Hinblick auf die Exportmöglichkeiten.
Viertens. Wir verbessern die Europafähigkeit unseres Landes und das Europaministerium wird hier stärker als bisher Partner für Verbände und Institutionen sein.
Meine Damen und Herren, der Bericht benennt ferner jene Teile des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission, die von besonderer Bedeutung sind und politisches Handeln in Kiel und Brüssel notwendig machen. Für die Landesregierung haben wir einen frühzeitiges politisches Monitoring entwickelt, das - wo nötig - die Zusammenarbeit der Ressorts organisiert und politische Schwerpunkte weiter konkretisiert.
Der Bericht sorgt dafür, dass Landtag, Verbände und Öffentlichkeit künftig viel konkreter darüber informiert sind, vor welchen europäischen Entscheidungen wir alle stehen und - das ist besonders wichtig - wo wir Einfluss nehmen können und müssen. Die Europapolitik wird so aus dem für viele Akteure angenehmen Dämmerlicht in die Öffentlichkeit gezogen.
Der Bericht formuliert die europapolitischen Hausaufgaben der Landesregierung so konkret, dass das Parlament und die Öffentlichkeit uns daran messen können. Ich gebe zu: Das kann die Regierung und die einzelnen Ressorts unter Erfolgsdruck setzen, aber das ist auch gewollt und wir sind selbstbewusst genug, dieses zu erfüllen. Das macht meines Erachtens diesen ersten Europabericht in dieser Form für uns alle so wertvoll.
Ich danke Herrn Minister Uwe Döring für seinen Bericht. - Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU hat der Herr Abgeordnete Manfred Ritzek das Wort.
der Europapolitik - beide Politikbereiche des Landes Schleswig-Holstein wollen den Menschen mitnehmen. Wir wollen Politik machen für Menschen und Regionen oder - wie es im Bericht heißt -: „Europa fängt zu Hause an“.
Ich möchte mich in meinen Ausführungen mehr auf die Aktivitäten und Verbindungen zu den Menschen und weniger auf operative und strategische Maßnahmen, Vereinbarungen, Verträge und so weiter konzentrieren. Denn ich halte Ersteres für wichtig und - der Minister erwähnte es - der Mensch muss mitgenommen werden.
Die Europäische Kommission legt millionenschwere Imagekampagnen auf, um die Hirne und Herzen der Menschen zu erreichen. Wir machen es durch konkrete Politik für die Menschen.
„Die Chancen für Schleswig-Holstein in Europa nutzen“, so die Überschrift des Berichtes der Landesregierung. Der Bericht geht auf viele Schwerpunkte ein - sie seien kurz erwähnt -: auf die Umsetzung der EU-Strukturreform des Zeitraumes 2007 bis 2013, auf landespolitische Schwerpunkte wie Arbeit und Europa, auf Schleswig-Holstein als maritime Modellregion, auf die herausragende Funktion und Präsenz unseres Landes in der Ostseekooperation, auf die Kooperation mit Hamburg mit unseren partnerschaftlich und vertraglich verbunden europäischen Partnern im Rahmen der INTERREG- und STRING-Projekte und auf die Zusammenarbeit mit unseren verschiedenen Büros in den unterschiedlichen Ländern.
Ich begrüße es auch, dass Sie, Herr Minister, kritisch auf weitere Expansionen der Europäischen Union eingehen und ganz klar auf die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien als Voraussetzung für die Aufnahme neuer Länder in die Europäische Union hinweisen. Das gilt für gegenwärtige und zukünftige Aufnahmeverhandlungen. - Wie gesagt: Auf diese einzelnen Aspekte des Berichtes möchte ich nicht weiter eingehen; darüber können wir im Europaausschuss diskutieren.
Die Europapolitik - und das muss ich Ihnen sagen, Herr Minister - ist bei unserer Landesregierung und insbesondere bei Ihnen in den allerbesten Händen. Das beweist auch der Bericht.
Sie beziehen uns in den notwendigen Informationsfluss und bei der Mitgestaltung von Entscheidungsprozessen ein, so zum Beispiel bei dem Instrument der Subsidiaritätskontrolle. Die Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Minister, in unserem Land ist wirk
„Europa fängt zu Hause an“, so heißt es in Ihrem Bericht. Die wachsende Bedeutung europäischer Zusammenhänge in Wirtschaft, Politik und Verwaltung macht es notwendig, dass nicht nur die breite Öffentlichkeit insgesamt, sondern auch wichtige Zielgruppen, Institutionen und gesellschaftliche Akteure über die sie betreffenden europäischen Inhalte Kenntnis haben und die sich daraus ergebenden Chancen zu nutzen.
Der Bericht betont die Bedeutung des Wirtschaftsraumes Europa, der uns alle Chancen bietet, die wir nutzten müssen. Besonders wurde in dem Bericht der Landesregierung klar zum Ausdruck gebracht, dass die in der Lissabonstrategie definierten Ziele neben Dynamik in Wachstum, Wirtschaft und Wissenschaft auch auf einen größeren sozialen Zusammenhang gerichtet sind.
„(Die) so genannte soziale Dimension ist unverzichtbare Voraussetzung für eine breite Akzeptanz des europäischen Einigungsprozesses in der Bevölkerung. Eine ausschließliche Orientierung der EU-Politiken an der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft wird von der Landesregierung daher entschieden abgelehnt. Vielmehr muss es darum gehen, zu einem ausgewogenen und tragfähigen Verhältnis zwischen ökonomischen und sozialen Interessen zu gelangen.“
Meine Damen und Herren, dem kann ich nur zustimmen. Menschen müssen zu Europa Vertrauen haben und gewinnen.
Die Aussage zur sozialen Komponente der Europapolitik wird untermauert durch das Bekenntnis, dass Arbeit und Beschäftigung vor Ort bleiben und vorhandene Arbeitskapazitäten nicht ohne Aussicht auf gleichwertige Beschäftigung an anderer Stelle in die Unterstützung der staatlichen Transferleistungssysteme abwandern müssen. Bekennen wir uns doch gemeinsam und eindeutig hier und heute dazu, und setzen wir uns mit anderen Bundesländern dafür ein, dass keine EU-Strukturmittel - unabhängig von der Höhe der Investitionssumme - an andere EU-Länder gezahlt werden dürfen, wenn diese erkennbar und zwangsläufig zu Arbeitsverlagerungen führen. Diese Aussagen haben nichts mit dem Thema Globalisierung zu tun. Darüber können wir sicher auch einmal separat debattieren.
Verwendung der neuen Strukturmittel zu Geltung. Wir werden diese Thematik aktuell weiter diskutieren müssen. Dieser Bericht und auch die uns bereits zugeleiteten Berichte über die Eckpunkte für den arbeitsmarktpolitischen Teil des Zukunftsprogramms Schleswig-Holstein aus Ihrem Ministerium und der Bericht über die Eckpunkte für den wirtschaftspolitischen Teil aus dem Wirtschaftsministerium geben uns eine gute Grundlage für zielorientierte verantwortungsvolle Förderungen für unser gesamtes Land.
Ich komme zum letzten Satz. - Eine ständige Dynamisierung und Aktualisierung ist zugesagt. Wir möchten als Parlament an diesem Prozess teilnehmen. Wir wollen und werden unsere Chance in Europa nutzen.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung zur Vorbemerkung des Berichtes beginnen. Die Entscheidung, den Europabericht auf einen jährlichen Turnus umzustellen und damit Ausblick auf die zukünftigen Schwerpunkte zu geben, ist eine durchaus richtige gewesen, denn dadurch entsteht nicht nur eine bessere europapolitische Koordinationsmöglichkeit für Parlament und Regierung, sondern es wird auch ein Anlass für eine regelmäßige Debatte geschaffen. Ich glaube, das ist bei dem Thema - auch wenn ich sehe, welche Aufmerksamkeit das Thema erregen kann oder sollte - ein wichtiger Anlass. Erst einmal Dank an das Ministerium für den Bericht und Dank für diese Umstellung.
Der Bericht ist deshalb wichtig, weil gerade in den vor uns liegenden Jahren zentrale Herausforderungen zu bestehen sein werden. Die Debatte über die europäische Verfassung ist längst zu einer eigenständigen Realität geworden. Die verordnete Denk
pause ist zu Ende, und die deutsche Ratspräsidentschaft 2007 wirft ihre Schatten deutlich voraus. Ich will auch sagen, wir erwarten viel von dieser Ratspräsidentschaft, denn nach den britischen und österreichischen Vorlagen, die wir entgegennehmen mussten, ist eine Steigerung möglich. Die Fragen um die es geht - die Verfassung ist genannt worden - stehen jetzt an zur Entscheidung, nicht in drei oder vier oder fünf Jahren. Die werden vielmehr in den nächsten Jahren entschieden. Die Ratspräsidentschaft ist also eine Chance für Schleswig-Holstein, aktiv am so genannten Plan D der EU-Kommission - Demokratie, Dialog und Diskussion - teilzunehmen. Der Bericht gibt uns dafür die richtige Basis.
Lassen Sie mich auf fünf Schwerpunkte ganz kurz eingehen. Erster Punkt: Die Umsetzung der Reform des Strukturfonds ist ein zentraler Bereich. Es beruhigt außerordentlich, dass sich die Rückflüsse für unser Land in etwa auf dem jetzigen Förderniveau stabilisieren werden, so hoffen wir das, und die Förderung ab 1. Januar 2007 möglich ist. EFRE und ESF stärken die regionale Wettbewerbsfähigkeit, denn ohne diese Instrumente wären viele Projekte nicht umsetzbar. Ich finde es richtig, dass das Problem der privaten Kofinanzierung im Bericht angesprochen wird. Auch hier werden wir eine Lösung erreichen müssen.
Zweiter Punkt. Die Stärkung der sozialen Dimension ist ein landespolitischer Schwerpunkt. Wir können die Akzeptanz eines neuen verfassten Europas nur steigern, wenn das europäische Sozialmodell definiert wird, denn ohne soziale Gerechtigkeit wird auch der Binnenmarkt nicht erfolgreich funktionieren. Beides gehört zusammen.