Protocol of the Session on March 22, 2006

(Sylvia Eisenberg)

sinnvolle Änderungsvorstellungen zu berücksichtigen. „Sinnvoll“ heißt allerdings nicht, dass sie nur den Vorstellungen und Interessen des Antragstellers entsprechen, sondern dass sie zuerst den Interessen der Auszubildenden und den Finanzierungsmöglichkeiten des Landes gerecht werden. Uns ist klar, dass kein Auszubildender begeistert ist, wenn er für den Besuch der Berufsschule einen weiten Weg auf sich nehmen muss. Die Erreichbarkeit der Berufsschulen mit den vorhandenen Nahverkehrsstrukturen muss deshalb auch ein Entscheidungskriterium für uns sein. Das Konzept der Landesregierung trägt diesem Aspekt Rechnung.

Die FDP geht in ihrem Antrag davon aus, dass die vermehrte Bildung von Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen mit dem Ziel von der Eigenverantwortung der in RBZ umgewandelten Berufsschulen unvereinbar wäre. Dies ist schlicht und einfach nicht der Fall, weil die RBZ in enger Zusammenarbeit mit den Ausbildern und den Trägern der beruflichen Weiterbildung fachliche Profile entwickeln sollen. Es ist unabweisbar, dass es auch für die RBZ Vorgaben geben muss. Sie sind zwar selbstständige Einrichtungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber sie sind auch Bestandteile eines gesamten Berufsbildungssystems in Schleswig-Holstein. Sie sind nicht einsame Inseln, sondern sie müssen miteinander kooperieren. Wir müssen natürlich auch für Berufe, die nicht so häufig nachgefragt werden, in Abstimmung mit anderen Ausbildungsmöglichkeiten schaffen. Das heißt, wir können die Steuerungsrechte und -pflichten des Landes nicht auf die Ressourcenzuteilung beschränken, sondern wir müssen zukünftig auch dies insgesamt steuern.

Ich beantrage deshalb, den Antrag der FDP nicht an den Bildungsausschuss zu überweisen - das gilt auch für den Antrag der Grünen -, sondern ihn bereits heute in der Sache abzulehnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Frau Abgeordneten Jutta Schümann. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun der Herr Abgeordnete Herr KarlMartin Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Rede von Frau Eisenberg dachte ich, das Ganze hätte sich tatsächlich erledigt. Sie haben ja gesagt, das sollten die Schulen doch selber

regeln, das könnten sie doch selber regeln. Das ist genau das, was der Antrag fordert. Genau das, was Frau Eisenberg gesagt hat, fordert der Antrag. Leider kennt sie wahrscheinlich das Konzept gar nicht. Es ist nämlich so, dass dieses Konzept den Abgeordneten bis heute nicht zugestellt worden ist, obwohl wir im Ministerium angerufen haben. Da wurde uns gesagt, das Konzept sei schon alt, es gebe jetzt ein neues Konzept, das würden wir bekommen. Das haben wir aber auch nicht bekommen. Heute erfahren wir, es gibt mittlerweile ein drittes Konzept. Das ist ausgesprochen interessant.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das erinnert mich ein bisschen an Hase und Igel. Wir sind aber das Parlament und nicht Hase und Igel. Ich finde, die Umgangsformen mit dem Parlament sollte das Ministerium noch ein bisschen üben.

Zum Zweiten: Wir haben in der letzten Legislaturperiode - darauf bin ich stolz - einen Modellversuch mit dem Ziel beschlossen, dass die Berufsschulen selbstständig werden sollen. An diesem Modellprojekt haben 15 Berufsschulen, also ein Drittel der Berufsschulen, teilgenommen und haben in den letzten fünf Jahren ihre Selbstständigkeit immer mehr entwickelt. Nun hat die Landesregierung beschlossen - das begrüße ich auch sehr -, dass jetzt alle Berufsschulen selbstständig werden sollen. Es sollen autonome Berufsbildungszentren werden, die sich selber verwalten, mit eigenem Etat, mit eigener Leitung, so wie man sich das vorstellt. Sie sollen selber ihre Lehrer einstellen, also tatsächlich autonome Schulen werden, ihre eigenen Verträge mit der Wirtschaft über ihre Ausbildungsinhalte schließen und so weiter. Das ist alles sehr begrüßenswert und ein großer Fortschritt.

In dieser Situation kommt jetzt die Landesregierung und fängt an, detailliert bis ins Kleinste zu regeln, was diese Berufsschulen tun sollen. Ich finde, das ist kontraproduktiv.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich habe den Eindruck, da sind Korinthenkacker am Werk.

(Widerspruch)

- Ist das Wort auch nicht erlaubt? Tut mir Leid, dann nehme ich das zurück.

Es sind also Leute am Werk, deren Tätigkeit in den Berufsschulen vor Ort unterschiedliche Reaktionen auslöst. Ich habe mit einigen Berufsschulen telefo

(Jutta Schümann)

niert. Bei den einen sind diese Reaktionen Lachanfälle, bei den anderen ist es das entsetzte Aufstöhnen: Was kommt da schon wieder?

Der Verband der Berufsschullehrer hat in seiner Stellungnahme gesagt, zentralistische Steuerungsinitiativen seien nicht mit einer Entwicklung zu mehr Eigenständigkeit vereinbar. Das finde ich richtig. Das Konzept der Landesregierung habe viel Unruhe an den Schulen und in den Ausbildungsbetrieben hervorgerufen. Der Verband vermutet sogar, dass das Ministerium das öffentlich vertretene politische Bekenntnis zur Entwicklung der Beruflichen Schulen in Richtung größerer Selbstständigkeit im eigenen Verwaltungsapparat nicht durchsetzen kann.

Meine Damen und Herren, ich frage ich mich, ob ein solches Papier überhaupt erforderlich ist. Kann die Entscheidung über die Einrichtung von Fachklassen nicht zunächst einmal überwiegend den Standorten überlassen werden?

(Jutta Schümann [SPD]: Nein!)

Wenn es dann Probleme gibt - es ist ja durchaus nicht alles im Einvernehmen zu klären -, dann, finde ich, kann man eingreifen. Ich finde es auch sinnvoll, dass man die Regionalen Berufsbildungszentren dazu verpflichtet, untereinander Absprachen zu treffen, sodass entsprechende Klassengrößen eingehalten werden. Aber das alles seitens des Ministeriums zu regeln, widerspricht genau dem Prozess hin zur Autonomie. Ich glaube, da steckt auch ein bisschen klassisches sozialdemokratisches Staatsverständnis dahinter: Es muss immer alles von oben geregelt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich habe deshalb einen Änderungsantrag in der Richtung gestellt, dass eine Abstimmungspflicht aufgenommen werden soll, dass aber - insoweit finde ich den Antrag richtig - die Dinge grundsätzlich vor Ort geregelt werden sollten. Wenn es tatsächlich Probleme gibt, dann ist die Schulaufsicht gefordert. Das ist ein völlig anderer Weg. Selbstständig vor Ort zu entscheiden und im Zweifelsfall einzugreifen, ist ein völlig anderer Weg als zu sagen: Es muss von vornherein alles von oben geregelt werden.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Dann kann man sich die Autonomie wirklich schenken.

Meine Damen und Herren, wer das Papier liest, hat den Eindruck, das Imperium kann nicht loslassen. Autonomie der Schulen ist offensichtlich auch ein Lernprozess für die zuständigen Ministerialreferate. Dabei wollen wir Ihnen gern helfen, indem wir den vorliegenden Antrag im Ausschuss diskutieren und zu einer gemeinsamen Lösung kommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hentschel. Für den SSW hat offensichtlich Lars Harms das Wort. In der Rednerliste steht Anke Spoorendonk. Ich wäre schon dankbar für richtige Listen, meine Damen und Herren.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass ich jetzt spreche, liegt einfach daran, dass der Landtagspräsident Frau Spoorendonk zu einem Gespräch gebeten hat und sie mich wiederum gebeten hat, die Rede hier zu halten. Das will ich zumindest zu ihrer und zu unserer Ehrenrettung sagen.

Als die Landesregierung im Jahre 2003 ein Konzept zur vermehrten Einrichtung von Berufsschulklassen und Landesberufsschulen vorstellte, zeigte die Debatte im Landtag, wie wichtig es ist, sich nicht ausschließlich von statistischen Überlegungen leiten zu lassen. Für den SSW, der das Konzept nicht grundsätzlich ablehnte, stand zumindest fest, dass die ländlichen Berufsschulstandorte nicht als Verlierer aus einer solchen Neugestaltung hervorgehen dürften. Weiterhin pochten wir darauf, dass der Dialog mit der Wirtschaft und mit den Ausbildungsbetrieben in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist.

Diesen Plan scheint die Landesregierung nun weiterentwickeln zu wollen; denn seit Anfang Februar befindet sich das neue Konzept in der Anhörung. Daraus geht unter anderem hervor, dass anscheinend weiterhin nach der Bezirksfachklassenregelung verfahren werden soll, auch wenn es die Umwandlung der Beruflichen Schulen in Regionale Berufsbildungszentren den Schulen möglich macht, eigenständig zu entscheiden.

Konkret kann dies dazu führen, dass die Gewerbliche Schule in Flensburg künftig nicht mehr in den Aufbau von Mechatronik-Fachklassen investieren darf, weil die Berufsschule in Husum nun auch Mechatroniker ausbildet. Drolligerweise hat man in

(Karl-Martin Hentschel)

Husum ebenfalls die Sorge, dass die Mechatroniker-Ausbildung wegfällt. Man sieht: Hier besteht eine große Unsicherheit. Dabei stehen diese beiden Bildungsangebote aus Sicht des SSW nicht im Gegensatz zueinander. Im Gegenteil! Sie ergänzen sich hervorragend und sie sind Ausdruck dafür, wie wichtig es ist, solche Angebote gemeinsam mit den Dualpartnern und der Wirtschaft zu entwickeln. Sie müssen ja unter anderem auch vorgehalten werden, um an den einzelnen Standorten eine qualifizierte Weiterbildung zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass gerade der Bereich der Mechatroniker für den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt im nördlichen Landesteil von entscheidender Bedeutung ist.

Ein bisschen mehr Eigenverantwortung für die Schulen wäre sicherlich die Lösung des Problems. Mit anderen Worten: Es gibt viele Ungereimtheiten, die konterkarieren, was politisch als Ziel formuliert wird. Das gilt nicht zuletzt auch, wenn man das Konzept zur Einrichtung von Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen vor dem Hintergrund des RBZ-Modells betrachtet. Denn wie war noch mal die Zielsetzung? - Die Regionalen Berufsbildungszentren sollten eigenverantwortlich handelnde und wirtschaftlich selbstständige Bildungsdienstleister sein. Zu Recht verweist der Kollege Klug in seinem Antrag darauf, wie unter diesen Voraussetzungen die Steuerung auszusehen hat. Man kann also nicht alles haben, in etwa nach dem Motto: Ein bisschen schwanger zu sein, ist auch schön. Wollen wir die neuen RBZ, dann müssen wir diesen neuen Zentren zubilligen, dass sie sich mit ihren Partnern auch dafür entscheiden können, Fachangebote vorzuhalten, die nicht ganz der Statistik, dafür aber den Qualitätskriterien entsprechen.

Meine Damen und Herren, das war die Rede meiner Kollegin Spoorendonk. Sie hat mir hier noch etwas handschriftlich aufgeschrieben, nämlich dass Ausschussüberweisung eigentlich okay sei. Ich habe den Eindruck, das kriegen wir wohl nicht durch. Sie hat mir dann geschrieben, der Antrag der Grünen sei vom Grundsatz her in Ordnung - das glaube ich ihr voll und ganz -, aber in der Umsetzung vielleicht nicht ganz unproblematisch.

(Holger Astrup [SPD]: Das glaube wiederum ich voll und ganz! - Heiterkeit)

- Trotzdem, lieber Kollege Astrup, werde ich im Namen des SSW beiden Anträgen zustimmen, weil die Zielrichtung, weil die Intention genau die richtige ist. Wir sollten mehr Eigenverantwortung im Schulsystem fördern. Ich denke, das erreichen wir eher mit den beiden Anträgen, die jetzt vorliegen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms für die gute Vertretung. - Für die Landesregierung hat nun die Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bildungsministerium hatte einen Auftrag, und zwar vom Landesrechnungshof und nicht umsonst und nicht von ungefähr vom Finanzausschuss des Landtages, gemeinsam mit den Vertretern des Landkreistages, des Städteverbandes und der betroffenen Schulträger ein Konzept zu entwickeln. Dieses Konzept haben wir im Jahre 2003 vorgelegt, und zwar im Konsens. Dieser Konsens enthielt den Vorschlag, die Beschulung in Bezirksfachklassen und Landesberufsschulen auszuweiten. Dafür gab es gute Gründe. Ich komme noch darauf zurück. Merkwürdigerweise hat über die Gründe all dessen, was wir jetzt machen, so gut wie niemand gesprochen.

Das ist also offenbar Konsens. Darüber bin ich schon einmal froh. Von diesem Konzept sollten übrigens schon damals 60 Berufe an 30 Schulstandorten betroffen sein. Allen Beteiligten war seinerzeit bewusst - diese Problematik hat sich überhaupt nicht verändert -, dass man sich dabei immer in dem Spannungsfeld zwischen der notwendigen Zusammenführung von Ausbildungsberufen einerseits und einer möglichst betriebsnahen Schulung andererseits befindet. Aber Veränderungen waren und sind natürlich notwendig, weil sich die Nachfrage kontinuierlich verändert hat.

Die Berufsschulen in Schleswig-Holstein bieten derzeit Unterricht in insgesamt 150 Ausbildungsberufen an und dies für eine immer weiter rückläufige Zahl von Auszubildenden im dualen System.

Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben im Laufe der letzten 20 Jahre im Bereich der dualen Ausbildung und vor allem im gewerblichen Bereich einen Schülerrückgang von fast 40 % zu verzeichnen. Dementsprechend müssen die Bezirksfachklassen neu gebildet werden, nach Möglichkeit so, dass einerseits betriebsnahe und andererseits qualitätssichernde hochwertige Angebote erhalten bleiben. Alle Länder stehen derzeit vor diesem Problem, weil die Ausbildungszahlen im dualen System überall rückläufig sind.

(Lars Harms)

Ein Beispiel noch. In Schleswig-Holstein schließen derzeit 100 junge Menschen einen Ausbildungsvertrag im Bereich der Land- und Baumaschinentechnik ab. Noch aber beschulen landesweit 12 Standorte diesen Beruf, der eine hohe technische Sachausstattung erfordert. Es muss jedem einleuchten: Für insgesamt 100 Auszubildende kann dieses Niveau nicht an allen 12 Standorten vorgehalten werden, jedenfalls nicht unter dem Grundsatz eines effizienten Mitteleinsatzes. Deswegen ist es nötig, die Zahl der Standorte deutlich auf fünf Standorte zu reduzieren, die dann auch eine gute und qualifizierte Ausbildung anbieten können.

Die Neuordnung der Standorte ist auch aus einem anderen Grund erforderlich. In den letzten Jahren sind bundesweit abgestimmte Rahmenlehrpläne entwickelt worden, die für jeden Beruf die Beschulung in Lernfeldern vorsehen. Früher konnten bestimmte Berufe gemeinsam beschult werden, aber die notwendige, richtige und von der Wirtschaft auch gewollte Ausdifferenzierung führt dazu, dass dies nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr im bisherigen Umfange möglich ist. Wenn die Lernfelder im ersten und zweiten Ausbildungsjahr identisch sind, zum Beispiel bei den angehenden Industrieund Konstruktionsmechanikern, dann werden die Schülerinnen und Schüler nach wie vor gemeinsam beschult, aber wenn die Lernfelder unterschiedlich sind, ist das leider nicht mehr möglich.

Genau darum geht es bei der Fortschreibung des Bezirksfachklassenkonzeptes, also um vernünftige Lösungen, die ein möglichst ortsnahes und niveauvolles wirtschaftliches Angebot sicherstellen.