Protocol of the Session on March 22, 2006

Wir alle wissen, dass ein barrierefreies Bauen nicht überall möglich ist. Man kann nicht alles schnell verändern. Dennoch kann auch einmal schnell eine Rampe errichtet werden, zum Beispiel zum Wahltag, damit jeder Bürger ohne Hindernisse wählen kann.

Ich sehe es als weit weg von der Wirklichkeit an, in welcher Form Sie das kommunale Leben hier dargestellt haben. Das kommunale Leben ist viel praxisnäher und -orientierter. Es regelt die Dinge besser, als Sie es mit irgendwelchen gesetzlichen Vorschriften oder Verordnungen machen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte auf § 16 e unserer Gemeindeordnung eingehen. Da gibt es die Überschrift „Anregungen und Beschwerden“. Dort heißt es:

„Die Einwohnerinnen und Einwohner haben das Recht, sich schriftlich oder zur Niederschrift mit Anregungen und Beschwerden an die Gemeindevertretung zu wenden. Die Zuständigkeiten der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister werden hierdurch nicht berührt. Die Antragstellerinnen und Antragsteller sind über die Stellungnahme der Gemeindevertretung zu unterrichten.“

Ein Informations- und Unterrichtungsanspruch ist damit gesetzlich normiert. Das ist nicht irgendetwas.

Die praktische Wirklichkeit ist doch folgendermaßen: Wenn jemand in einer Gemeinde irgendetwas haben möchte, dann spricht er das an und geht in die Gemeinderatssitzung. Ich möchte einmal die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister erleben, der nachher sagt: Ich kümmere mich nicht darum.

Der Unterschied zu manchen Leuten oben im Bundestag und im Landtag ist, dass diese sich um solche Dinge nicht kümmern müssen, weil kein Mensch diese Leute direkt ansprechen kann. Die Bürgermeisterin und der Bürgermeister vor Ort dagegen müssen jeden Tag und jede Stunde Rede und

(Dr. Heiner Garg)

Antwort stehen. Das ist in der ganzen Diskussion der Unterschied.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann Ihnen das aus eigener Betroffenheit bestätigen. Ich bin in Dobersdorf Bote, Telefonist der Bürgermeisterin und so weiter zugleich. Von daher könnte ich Ihnen noch viele weitere lebendige Beispiele schildern.

Meine Damen und Herren, freiheitliche kommunale Arbeit und freiheitliche Selbstverwaltung bedingen Vertrauen in die auf kommunaler Ebene handelnden Menschen. Eigentlich ist dieser freiheitliche Ansatz auch derjenige der FDP. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Vorschriften. Ob im Übrigen eine Gemeindeordnung so dick sein muss, wie sie zurzeit ist, darüber werden wir uns auch noch einmal unterhalten. Wir brauchen keine weiteren gesetzlichen Vorschriften, sondern politisches Verantwortungsbewusstsein.

Herr Kollege Dr. Garg, ich frage Sie: Wie viele Beispiele für einen konkreten Regelungsbedarf haben Sie hier vorgetragen? Ich habe konkret keines gehört.

Deswegen ist meine Bitte an Sie: Überlegen Sie wirklich noch einmal, ob wir uns bezüglich Ihres gut gemeinten Ansatzes und Ihres gut gemeinten Willens, den wir aus tiefer Überzeugung unterstützen - Sie kennen meine sozialpolitische Haltung -, nicht auf eine andere Form verständigen können. Mit gesetzlichen Vorschriften sollten wir in einer Zeit, wo die Kommunen immer weniger Geld, aber mehr Belastungen haben, sehr vorsichtig sein. Nicht mehr, sondern weniger gesetzliche Vorschriften sind das Gebot der Zeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Werner Kalinka. - Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Peter Eichstädt das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der FDP ist in seiner Absicht durchaus positiv. Menschen mit Beeinträchtigungen sollen die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teilzuhaben.

In den letzten Jahren sind gerade in unserem Land große Fortschritte erzielt worden. Dass es trotzdem noch viel zu tun gibt, steht außer Frage. Ob der vor

liegende Gesetzentwurf geeignet ist, dies zu befördern, wird von meiner Fraktion allerdings bezweifelt.

Der Entwurf übernimmt - das haben Sie vorhin schon herausgearbeitet, Herr Kollege Garg - fast wörtlich die Bestimmungen, die wir seinerzeit für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in § 47 f der Gemeindeordnung beschlossen haben. Ich meine allerdings, mich zu erinnern, dass Sie von der FDP damals nicht zugestimmt haben.

Die Verpflichtung, Kinder und Jugendliche an Planungen und Vorhaben der Gemeinden angemessen zu beteiligen, ist sinnvoll und notwendig, weil diese Personenkreise eben nicht die Möglichkeit haben, ihre Rechte direkt durch Mitwirkung in den Gemeindevertretungen gewährleistet zu sehen. Sie sind aufgrund ihres Alters noch nicht wählbar und dürfen auch nicht wählen.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, das ist ein wesentlicher Unterschied.

Die Regelung für Kinder und Jugendliche hat sozusagen auch einen pädagogischen Aspekt, weil sie dazu auffordert, junge Menschen am Gemeinwesen und seiner Gestaltung schon früh im Rahmen demokratischer Prozesse zu beteiligen. Sie soll gewissermaßen auch so etwas wie eine Vorschule zur demokratischen Mitgestaltung durch junge Menschen darstellen. Das macht Sinn und in vielen Gemeinden funktioniert es hervorragend.

An dieser Stelle sage ich, weil Sie, Herr Dr. Garg, es angesprochen haben, ganz eindeutig: § 47 f GO steht bei uns nicht zur Disposition. Er hat sich bewährt. Das sage ich nicht, damit meine Kollegin Sandra Redmann in Zukunft noch mit mir redet, sondern weil meine Fraktion das in ihrer Gänze so sieht. Da werden wir nicht wackeln; keine Sorge! Allerdings ändert das auch nichts an unserer Skepsis gegenüber Ihrem Vorschlag. Aber wenn Sie gewollt haben, dass wir uns zu diesem äußern, dann haben Sie vielleicht ein kleines Ziel erreicht.

Bei erwachsenen Menschen mit Behinderung geht eine solche Regelung, wie wir sie in § 47 f haben, eher am Ziel vorbei, weil ihnen all diese Beteiligungsrechte zumindest rechtlich bereits offenstehen. Wir haben in der Vergangenheit in unserem Gemeinwesen ein gutes System installiert, den Belangen behinderter Menschen Gehör zu verschaffen. Zuerst ist natürlich das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen des Landes Schleswig-Holstein zu nennen, das das Ziel verfolgt, Benachteiligungen behinderter Menschen umfassend zu beseitigen und zu verhindern sowie gleichwerti

(Werner Kalinka)

ge Lebensbedingungen auch für Menschen mit Behinderung zu schaffen.

Dieses Gesetz richtet sich auch an die Träger der öffentlichen Verwaltung in den Kommunen und regelt umfänglich und vorbildlich die Belange behinderter Menschen und ihre Möglichkeiten zur Teilhabe. In vielen anderen Bundesländern beneidet man uns um dieses Gesetz, da es wirklich sehr gut ist.

Viele Dinge sind in diesem Gesetz verankert, die der Gleichstellung Behinderter dienen. Dazu gehört das Klagerecht auch für Verbände, ganz wesentlich aber der Behindertenbeauftragte des Landes mit seinem unabhängigen Status und umfänglichen Gestaltungsmöglichkeiten. So ist es nicht zuletzt der Behindertenbeauftragte des Landes, Ulrich Hase, der hervorragende Arbeit leistet und dem Parlament wirksam auf die Finger klopft.

Darüber hinaus sind wir der Auffassung, dass die Aufnahme eines § 47 g in die Gemeindeordnung, wie vorgeschlagen, entbehrlich ist, weil durch diverse Rahmenrichtlinien und Gesetze, die ich hier in fünf Minuten überhaupt nicht alle aufzählen kann, Menschen mit Behinderung schon Mitsprache- und Beteiligungsmöglichkeiten in vielfältiger Form haben.

In § 3 der Landesbauordnung - das ist schon erwähnt worden - haben wir geregelt, dass auf die Belange von Menschen mit Behinderung in besonderer Weise Rücksicht genommen werden muss. In § 1 Abs. 6 des Baugesetzbuchs heißt es, dass Menschen mit Behinderung bei der Planung berücksichtigt werden müssen. In der Arbeitswelt sorgt § 94 des SGB IX über die Schwerbehindertenvertretungen in Betrieben dafür, dass die Belange von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit Handikaps beachtet werden.

Darüber hinaus - ich denke, das ist wichtig im Zusammenhang mit Ihrer Initiative - können Gemeinden schon jetzt gemäß § 47 der Gemeindeordnung und Kreise gemäß § 42 der Kreisordnung, wenn sie es wollen - ich meine, sie sollten es wollen -, Beiräte für die Belange Behinderter einrichten und Beauftragte für die Wahrung der Interessen Behinderter einsetzen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Eichstädt, sie müssen das tun!)

Wir werden uns im Ausschuss gern mit Ihrem Einwand befassen, den ich wegen des Zeitdrucks, den Sie kennen, jetzt nicht aufgreifen kann. Wir werden uns im Ausschuss aber auch mit der Frage beschäftigen, ob uns dieser Antrag dem Ziel wirklich näher

bringt, die Belange behinderter Menschen durch eine weitere Sonderstellung in der Gemeindeordnung zu verbessern. Wir haben Zweifel daran; das habe ich gesagt. Wir sind uns aber durchaus bewusst, dass wir hier offensichtlich eine andere Auffassung haben als der Behindertenbeauftragte des Landes, die er kürzlich in einem Brief den Abgeordneten mitgeteilt hat. Aber das lässt nur eine angeregte Diskussion erwarten.

Wir werden Ihren Vorschlag im Innen- und Rechtsausschuss diskutieren, die Mitberatung des Sozialausschusses bei diesem Thema ist selbstverständlich.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke Herrn Abgeordneten Peter Eichstädt. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Abgeordnete Monika Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion unterstützt die Initiative der FDP. Wir begrüßen den vorgelegten Gesetzentwurf. Der aufgezeigte Weg - es ist gesagt worden - orientiert sich am Erfolgsbeispiel der Kinder- und Jugendbeteiligung in den Gemeinden, die als verpflichtende Aufgabe in der Kommunalverfassung steht. Mit diesem Modell ist Schleswig-Holstein bundesweit zum Vorreiterland geworden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Was gut ist und was sich bewährt hat, kann, soll und muss zur Nachahmung dienen.

Der vorgelegte Gesetzesentwurf ist einfach, er ist effektiv und kann kostenneutral umgesetzt werden. Er lässt einen breiten Gestaltungsspielraum für die Verantwortlichen vor Ort. Anstatt starre Strukturen oder Verfahren vorzugeben, definiert er das zu erreichende Ziel. Das ist gut so, denn auf diese Weise haben die Kommunen die Chance, ihren jeweiligen Gegebenheiten entsprechend Umsetzungsstrategien auszuprobieren, aufzubauen und nötigenfalls auch wieder zu verändern.

Eine Möglichkeit der Beteiligung von Menschen mit Behinderung sind kommunale Behindertenbeauftragte, wie es sie beispielsweise in Norderstedt und Bad Segeberg gibt. Eine weitere Möglichkeit sind die Behindertenbeiräte, wie die Landeshauptstadt Kiel sie beispielsweise hat. Anhörungen, Ausschreibungen, Fachgespräche, Arbeitsgruppen, Mo

(Peter Eichstädt)

delle und Projekte - dem Engagement und dem Gestaltungswillen sind vor Ort keine Grenzen gesetzt.

Herr Kalinka, aber Ihr Verständnis - und das haben Sie sehr deutlich und plastisch geschildert - von der Beteiligung von Menschen mit Behinderung ist tatsächlich ein deutlich anderes, als es im Gesetzentwurf steht. Der Gesetzentwurf möchte eine verpflichtende Beteiligung der Menschen, bevor der Planungsprozess beginnt.

(Beifall der Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Heiner Garg [FDP])

Sie sagen, man solle die Kommune doch gestalten lassen und wenn die Rampe vergessen worden ist, kann der behinderte Mensch immer noch beim Bürgermeister klopfen und fragen, ob er noch eine Rampe bekommt. Herr Kalinka, das ist nicht unser Weg.