Herr Hentschel, ich kann mich sehr gut an Besuche von Schülergruppen hier im Parlament und an Ihre Rede vor den demonstrierenden Schülerinnen und Schülern am Mittwoch erinnern, anlässlich derer Sie vehement und aus populistischen Gründen gegen eine landesweit einheitliche Aufgabenstellung in Abitur- und Abschlussprüfungen argumentiert und polemisiert haben. Sollte jetzt ein Sinneswandel bei Ihnen eingetreten sein, so kann ich wiederum nur sagen: Willkommen bei uns im Boot.
Lassen Sie uns in Ruhe an der Novellierung des Schulgesetzes arbeiten und unterstützen auch Sie den konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten, um das neue Schulgesetz umzusetzen, dessen Inhalte im Wesentlichen im Koalitionsvertrag festgelegt sind.
Ich danke Frau Abgeordneter Eisenberg. - Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Detlef Buder das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beginnen wir mit einer Binsenweisheit: Die Schulen befinden sich bundesweit im Umbruch. Die Initialzündung dafür ist von der ersten PISA-Untersuchung ausgegangen. Wer das schon länger betreibt, der erinnert sich vielleicht an das Instrument des Deutschen Bildungsrates. Wir haben seit dieser Zeit in Deutschland in den Schulen ständig Bewegung. Man kann so, wie das hier vermittelt wurde, nicht davon sprechen, dass sich in Schleswig-Holstein nichts getan hätte. Seit dieser Zeit gibt es ständig eine große Anzahl an inhaltlichen und strukturellen Reformen. Dazu gehört auch, dass wir in diesem Jahr ein neues Schulgesetz erarbeiten werden. Dabei werden wir sehr genau auf das hören, was uns die Verbände und Interessenvertretungen, aber auch die Pädagoginnen und Pädagogen sowie die Eltern und Schüler zu sagen haben. Im Übrigen haben wir in unserem Koalitionsvertrag dazu schon sehr deutliche Vorarbeit geleistet.
Wir dürfen darüber aber nicht vergessen, dass der Komplex Schule schon immer in Bewegung war. Schleswig-Holstein hat sich bereits in den frühen 90er-Jahren auf den Weg gemacht, die Eigenverantwortung der Schulen und zugleich die Mitbestimmung innerhalb der schulischen Gremien zu erweitern.
Wir waren bundesweit Vorreiter. Wir waren sozusagen als ganzes Land ein Modellversuch und sind damit gut gefahren. Schule ist nicht statisch. An den Schulen bewegt sich vieles. Wir haben vorhin über den bilingualen Unterricht gesprochen. Ich verweise hier auf die RBZ-Diskussion, Geld statt Stellen oder die Lehrer- und Lehrerinnenauswahl in der Eigenverantwortung der Schulen. Niemand hat ernsthaft vorgeschlagen, den Raum der Schulen wieder einzuschränken und die Mitwirkungsrechte von Schülerinnen, Schülern und Eltern zurückzunehmen.
Das Land trägt zusammen mit den Schulträgern die Verantwortung für weit über 1.000 Schulen. Es ist nach meiner Überzeugung unsere Aufgabe, für diese vielen Schulen einen transparenten und berechenbaren Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Schulen die Freiheit haben müssen, ihren Unterricht und ihre Angebote, die über den Unterricht hinausgehen, zu gestalten. In diesem Zusammenhang mag ich überhaupt keinen Sinn darin erkennen, auf das Allheilmittel des Modellversuchs zu
rückzukommen. Modellversuche machen Sinn, um ein punktuelles Projekt zu testen, wie das zum Beispiel bei dem bilingualen Angebot der Fall ist. Darüber haben wir vorhin gesprochen.
Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN läuft aber darauf hinaus, dass eine Schule in diesem Land quasi aus dem schleswig-holsteinischen Schulsystem ausgegliedert und völlig dereguliert wird. Das soll für die Schulgremien gelten, das soll für die Organisation des Unterrichts angewendet werden und das soll auch für die Einstellung der Lehrer und den Haushalt der Schule gelten. Als sozusagen salvatorische Klausel kommt hinzu, dass die Schule allerdings das Recht haben soll, auf einzelne dieser Deregulierungsbereiche zu verzichten. Vermutlich ist den Antragstellern klar geworden, dass sich wohl kaum eine Schule bereit finden wird, auf der Basis von anything goes zu arbeiten. Damit greife ich noch einmal die Bilingualität auf.
Unklar bleibt der Umfang der Versuchs. Normalerweise finden Modellversuche an einzelnen Schulen statt. Im Antrag ist vage von Schulen aller Schularten unter Einschluss von Privatschulen die Rede. Auch die Begründung überzeugt nicht. Wenn die Unterstützung durch Schulaufsicht und IQSH nach Auffassung mancher Schulen unzureichend ist wofür es mancherlei Gründe geben mag -, dann wird dieses Problem durch solch einen isolierten Modellversuch nicht gelöst. Ich vermag einem solchen Experiment nichts abzugewinnen, am allerwenigsten im Interesse der betroffenen Schulen und ihrer Schülerinnen und Schüler.
Ich halte es für aussichtslos, durch eine Beratung im Bildungsausschuss einen Antrag zu entwerfen, der für uns und für den Antragsteller gleichermaßen konsensfähig wäre. Daher beantrage ich, den vorliegenden Antrag abzulehnen.
Ich danke Herrn Abgeordneten Buder. - Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schulen brauchen Freiheit von obrigkeitlicher Bevormundung. Erlasse und Anweisungen, die bis ins Detail in das Schulleben eingreifen, sind von Übel. In diesem Sinne tritt die FDP für eigenverantwortliche Schulen ein. Diese Schulen sollen zwar allgemeine Vorgaben - vor allem hinsichtlich der Bil
dungsstandards und der jeweiligen Lernziele - beachten, aber sie sollen in ihrer pädagogischen Arbeit darin frei sein, wie sie diese Ziele erreichen. Dies kann auch Bereiche der Organisation des Unterrichts einschließen, wie zum Beispiel die Frage, ob man den Unterricht in Form von einem 45-Minuten-Unterrichtstakt oder in Form von einem stärker verblockten Unterricht gestaltet. Mit welchen Ansätzen man die Ziele erreicht, ist vor Ort zu entscheiden.
Generell muss sich der Grundtenor in den Beziehungen zwischen dem Staat auf der einen Seite und den Schulen auf der anderen Seite ändern. Statt einer Kultur des Misstrauens brauchen die Schulen einen Vertrauensvorschuss. Erst dann, wenn erkennbar irgendetwas aus dem Ruder läuft, ist die im Grundgesetz verankerte staatliche Aufsicht im Zweifelsfall zum Eingreifen aufgefordert. Um es an einem konkreten Beispiel deutlich zu machen: Ich meine, dass hier im Lande der Grundgedanke der Eigenverantwortlichkeit verletzt wird, wenn etwa das Bildungsministerium den Berufsschulen vorschreibt, an welchem Standort jeweils für welchen konkreten Ausbildungsberuf Unterrichtsangebote bestehen sollen. Wir haben eine Ressourcensteuerung, die durch Personalressourcen gegeben ist. Wenn man im Ministerium so konkret im Detail festlegt, was vor Ort gemacht wird, dann wir der Grundgedanke einer eigenverantwortlichen Schule eindeutig verletzt.
Das ist erst recht in einem Bereich der Fall, in dem wir über regionale Berufsbildungszentren diskutieren, die ja mehr Eigenverantwortung mit sich bringen sollen. Gleiches gilt im Zuge dieses Entscheidungsprozesses im Ministerium. Wie ich weiß, wird die monatliche Berichtspflicht solcher künftigen RBZ diskutiert. Auch die monatliche Berichterbestattung bedeutet Misstrauen und Verwaltungsaufwand, der die wünschenswerten Freiräume gleich wieder aufhebt.
Allgemein möchte ich feststellen: Man muss aufpassen, dass nicht durch Kreuzung unterschiedlicher Interessen ein seltsames Kunstprodukt aus betriebswirtschaftlichem Controlling, leninistischer Kontrollmanie und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für die notleidende Ministerialbürokratie entsteht.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns anschauen, was aus dem RBZ-Konzept wird. Davon kann man sicherlich manches auf alle Schulen übertragen. Ob man nun unbedingt noch einen Modellver
such braucht, davon bin ich nicht ganz überzeugt. Auf jeden Fall kann ein Modellversuch nach meiner festen Überzeugung nicht nach dem Prinzip „alles ist möglich“ ablaufen.
Es darf nicht nur darum gehen, das Ergebnis der Schulen am Ende der Schulzeit im Sinne von Output-Kontrolle zu überprüfen, sondern es muss auch klar sein, welche Lernziele in welchen Schritten im Zeitablauf von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe erreicht werden sollen, zum Beispiel in welchem Umfang etwa Kenntnisse im Rechnen am Ende der Grundschulzeit da sein sollen, in welchem Umfang die Lesefähigkeit der Kinder in bestimmten Abschnitten erreicht werden soll. Das muss auch zwischendrin beispielsweise über die Instrumentarien, die wir alle kennen, wie Vergleichsarbeiten und Ähnliches, überprüft werden können. Solche konkreten Vorgaben, was vermittelt sein soll - ohne den konkreten einzelnen Wissensbestand zu definieren -, welche Kompetenzen in bestimmten Schritten da sein sollen, müssen festliegen.
Karl-Martin Hentschel, es ist durchaus problematisch, im organisatorischen Bereich das Prinzip „anything goes“ einzuführen. Man darf da nicht die Kehrseite unterschätzen. Der den Schulen damit aufgebürdete Aufwand an Selbstorganisation und Regelung der eigenen Struktur ist nicht zu unterschätzen. Selbst die großen beruflichen Schulen, die jetzt als RBZ mit der Frage konfrontiert sind, zum Beispiel die doppelte Buchführung einzuführen, haben da schon zu schlucken, obwohl sie auf erhebliche kaufmännische Vorkenntnisse im berufsbildenden Bereich zurückgreifen können. Wenn ich da an die allgemein bildenden Schulen denke die würden durch solche Anforderungen wie Rechenschaftspflicht regelrecht erschlagen werden.
Wenn Sie Begriffe wie „Globalbudget“ und „Finanzhoheit“ in Ihrem Modellversuchsantrag ins Feld führen, dann darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass die Rechenschaftspflicht die Kehrseite ist und dass es den Schulen Probleme bereiten würde, diese zusätzliche Verwaltungsarbeit zu leisten.
Ich meine, der grüne Modellversuchsenthusiasmus ist eben doch noch ein ferner Widerhall aus dem alternativen Kinderladen von anno 68, sozusagen Karl-Martins fröhliches Kindergeschrei.
Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Klug. - Das Wort für den SSW hat dessen Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weist selbst darauf hin, dass es in einer Reihe von Bundesländern Modellversuche zu diesem Thema gibt oder gegeben hat. Das Anliegen des Antrages hat somit nichts Exotisches an sich. Für die Weiterentwicklung von Schule ist es aus Sicht des SSW immer schon wichtig gewesen, den Horizont der Entscheidungsträger durch Schulversuche zu erweitern.
Schon 2003 schrieb ,,Die Zeit“ in einem längeren Artikel unter der Überschrift ,,Lizenz zum Rechtsbruch", dass deutsche Schulen - neben österreichischen - nach einer Erhebung der OECD den geringsten Einfluss darauf haben, wie und was sie unterrichten, auf welche Weise sie ihr Geld ausgeben und wen sie einstellen oder entlassen. Bis heute gelten Lehranstalten hierzulande als nachgeordnete Dienststellen einer Behörde, in denen Beamte staatliche Vorgaben umzusetzen haben.
„Dabei scheint der Nürnberger Trichter den Kultusministerien das Vorbild zu liefern“, schreibt „Die Zeit“ weiter. In etwa nach dem Motto: Je mehr Erlasse und Verordnungen oben in die Schule hineingestopft werden, desto bessere Ergebnisse liefert sie.
Nun kann es sein, dass dieses alles auf SchleswigHolstein nicht zutrifft. Dennoch bin ich der Meinung, dass auch die Schulen bei uns mehr Luft zum Atmen benötigen.
Konkret stellt sich uns aber die Frage, ob wir diesem Ziel zum jetzigen Zeitpunkt mit der Initiierung eines Modellversuches gerecht werden. Das soll heißen: Dem SSW ist es schon wichtig, dass wir ehe wir uns für einen Schulversuch aussprechen erfahren, was im neuen Schulgesetz über die Autonomie von Schule steht. Denn wichtiger noch als Projekte zum Thema „selbstständige Schule“, die immer von Erfolg gekrönt sein werden, ist uns die Weiterentwicklung des schulischen Lebens insgesamt. Wir sprechen uns damit nicht gegen den Antrag der Grünen aus, sind aber der Meinung, dass wir die Gunst der Stunde nutzen sollten, um eine bessere Schule für alle zu bekommen. Das Stichwort lautet: Änderung des Schulgesetzes.
Zum einen darf man nämlich nicht darüber hinwegsehen, dass Schulautonomie zu mehr Ungleichheit zwischen den Lehrbetrieben führen wird. Hier liegt aus Sicht des SSW langfristig das wahre Problem.
Wenn Schulen zum Beispiel selbst um die besten Lehrer werben, wenn sie eigene Profile entwickeln, dann drohen die Qualitätsunterschiede immer größer und immer offensichtlicher zu werden. Dem gilt es gesamtgesellschaftlich entgegenzusteuern, denn schon heute hat in Deutschland die Frage, wo ein Kind zur Schule geht, einen hohen Einfluss darauf, was es lernt. Damit kein Missverständnis auftaucht: Wir sprechen uns nicht per se dagegen aus, dass Schulen selbst Lehrkräfte einstellen und entlassen können. Wir weisen aber auf dieses grundsätzliche Problem hin.
Zum anderen kann es nicht so sein, dass wir uns unter dem Stichwort Qualitätsentwicklung im Rahmen der Schulgesetzdebatte nur über mehr Kontrolle, Vergleichsarbeiten und Schul-TÜV unterhalten. Die andere Seite dieser Medaille heißt aus Sicht des SSW mehr Selbstständigkeit für unsere Schulen. Nur so wird ein Schuh daraus.
Die Befürchtungen, die Autonomie bringe Anarchie hervor, haben sich bislang als unberechtigt erwiesen. Die Schulen gehen mit ihren Freiheiten sparsam um. Das zeigen die Modellversuche, die es gegeben hat. Viele möchten von einer größeren Selbstständigkeit eigentlich gar nichts wissen. Das sagt zum Beispiel der Schulforscher Hans-Günter Rolff, der den Schulversuch in Nordrhein-Westfalen wissenschaftlich begleitet hat.
Uns ist es wichtig, in dieser Situation zu sehen, was im neuen Schulgesetz zum Thema Selbstständigkeit und Autonomie von Schulen steht. Daran werden wir das Schulgesetz letztlich messen. Wir sind nicht der Meinung, dass wir mit einem Schulversuch zum jetzigen Zeitpunkt weiterkommen. Leuchttürme sind wichtig - keine zwei Meinungen dazu -, aber bei der Weiterentwicklung von Schule geht es aus unserer Sicht darum, dass alle Schulen aus eigener Kraft zu strahlen beginnen.
Wir wollen es den Schulen nicht zu leicht machen, sich weiterzuentwickeln. Wenn man einen Schulversuch macht, könnten sich andere, wenn sie ein bisschen geschubst werden, eher bedeckt halten. Das wollen wir auf keinen Fall.
Wir hätten uns gewünscht, dass dieser Antrag an den Ausschuss überwiesen würde. Wir werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten, weil wir - wie ich dargelegt habe - mit dem Zeitpunkt nicht zufrieden sind.
Erstens. Natürlich darf die Evaluation nicht nur am Ende stehen, sondern sie muss ständig stattfinden, wie es ja auch konzipiert ist. Möglicherweise soll in der dritten oder vierten Klasse, in der siebenten Klasse, in der zehnten Klasse, in der dreizehnten Klasse jeweils der Stand der Schulen über Vergleichsarbeiten evaluiert werden. Es geht nicht darum, die Schüler zu beurteilen. Denn dann haben sie beim Zentralabitur das Problem, dass, wenn ein Schüler schwache Lehrer hat, der Schüler bestraft wird, nicht die Schule.