Ich danke dem Herrn Abgeordneten Klaus Klinckhamer. - Bevor ich dem Kollegen Dr. Höppner das Wort erteile, möchte ich auf der Tribüne sehr herzlich Mitglieder der Volkshochschule Tellingstedt und der Volkshochschule Wankendorf begrüßen. Seien Sie uns herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über den Reformbedarf aller sozialen Sicherungssysteme in Deutschland angesichts der demographischen Entwicklung und der Finanzierungsproblematik besteht kein Dissens. Das gilt auch für die Agrarsozialversicherung, die vollständig durch den Bund ge
regelt ist. So hat sich die große Koalition in Berlin im Koalitionsvertrag verpflichtet, die agrarsoziale Sicherung zukunftsfest zu gestalten - ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag -:
„Das eigenständige System der landwirtschaftlichen Sozialversicherung wird langfristig nur gewährleistet werden können und zukunftsfest bleiben, wenn die Systeme modernisiert, die Beiträge und Leistungen chancengleich an andere Sozialsysteme angepasst und schrittweise mit den allgemeinen sozialen Sicherungssystemen verzahnt werden.“
Dieses ist ein Schwerpunkt auch der nationalen Agrarpolitik, denn mit rund 3,7 Milliarden € werden hier rund 72 % des deutschen Agrarhaushaltes jährlich ausgegeben.
Bei der in dieser Legislaturperiode des Bundes anstehenden Reform müssen aber sowohl die Besonderheiten der Landwirtschaft in der Bundesrepublik als auch die Belange der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in Schleswig-Holstein berücksichtigt werden. In der Landwirtschaft, auch angesichts des Status der Landwirte als „freie Unternehmer“, gibt es ein besonders großes Missverhältnis zwischen aktiven Beitragszahlern und passiven Zahlungsempfängern, also den Altenteilern. Der Kollege Klinckhamer hat das eben schon erwähnt. Denken Sie daran, als 1972 diese Regelung durch den Bund eingerichtet wurde, hatten wir in SchleswigHolstein noch fast 60.000 Betriebe, 30 Jahre später nur noch ein Drittel davon. Es ist daher schlichtweg unmöglich, die Beitragszahler deutlich stärker zur Kasse zu bitten. Wir würden die Arbeit in der Landwirtschaft zu stark verteuern und so Arbeitsplätze vernichten. Die heutige Finanzierung, schwerpunktmäßig über den Bundeshaushalt, ist also nicht nur ein Stück Agrarsozialpolitik, sondern auch ein Stück Wirtschaftsförderung für den ländlichen Raum.
Die schleswig-holsteinische landwirtschaftliche Sozialversicherung hat in den letzten Jahren erhebliche Kosteneinsparungen durch Personalabbau erreicht. Die Beitragsstruktur für unsere Landwirte ist daher besonders günstig. Sie würde verloren gehen, wenn wir bundesweit einheitliche Strukturen und Kostenrahmen schaffen würden.
Dies alles, lieber Kollege Hildebrand, ist Inhalt des vorliegenden FDP-Antrages, und ich will nicht verhehlen, dass ich ihn mit großer Sympathie betrachte. Es ist jedoch gegenwärtig noch nicht der Zeitpunkt, diesen Antrag abschließend zu beraten. Wir müssen uns Zeit nehmen, und es wird Zeit brauchen, vernünftige Lösung zu entwickeln, die so
wohl den finanziellen Herausforderungen gerecht werden als auch den Landwirten in Schleswig-Holstein eine zukunftsfähige Sozialversicherung garantieren. Daher müssen wir uns auch Zeit nehmen, um die im Berliner Koalitionsvertrag angesprochene laufende Bewertung durch den Bundesrechnungshof abzuwarten, die die im Jahr 2001 erfolgte Organisationsreform der landwirtschaftlichen Sozialversicherungsstrukturen zum Gegenstand hat.
Ich bitte wie der Kollege Klinckhamer um Überweisung in den Umwelt- und Agrarausschuss und in den Ausschuss für Soziales.
Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Höppner und erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.
Die Agrarversicherung ist deswegen ein besonderes Problem, weil, wie wir alle wissen, die Zahl der Bauern drastisch abgenommen hat, seit diese Versicherung eingeführt wurde. Als sie eingeführt wurde, gab es in Schleswig-Holstein 60.000 Bauern, heute zahlen 10.000 Bauern einen Beitrag. Es ist logisch, dass das nicht kostendeckend sein kann, und deshalb wird über die Hälfte der Mittel vom Staat subventioniert. Einer der größten Subventionstöpfe im Agrarbereich ist die Sozialversicherung. Das ist logisch.
Es ist auch verständlich, dass darüber nachgedacht wird, was man ändern kann. Es ist auch logisch, dass man sagt, eine besondere Versicherung für Bauern sei eine unnötige Bürokratie. Da macht es Sinn, nachzudenken, ob man sie in die allgemeine Sozialversicherung eingliedert. Ich sehe allerdings das Problem, wenn in die allgemeine Sozialversicherung eingezahlt wird, dass dann die Begehrlichkeiten des Staates dazu führen, dass Beitragszahler wie Arbeiter und Angestellten dann für die Bauern die Defizite bezahlen. Das kann nicht Sinn der Re
Es gibt einen weiteren Grund, warum die Eingliederung nicht möglich ist, das sind die unterschiedlichen Strukturen. Die Beiträge und die Leistungen der Agrarversicherung orientieren sich an den Hektarzahlen. Das lässt sich natürlich schlecht übertragen auf die normalen Lohnabhängigen, weil die keine Hektar haben. Deswegen würde dies, wenn wir sie eingliedern würden, zu enormen Verwerfungen führen. Einige würden wesentlich mehr bekommen, andere würden wesentlich weniger bekommen, ähnlich bei den Beiträgen. Das heißt, wir würden sehr starke Strukturverwerfungen haben. Dagegen war die Eingliederung der DDR-Versicherungen ein Klacks und selbst da haben wir heute noch unzählige Prozesse wegen des Gerechtigkeitsproblems zu führen. Auch dieser Grund der enormen Verwerfungen, die eintreten würden, spricht also gegen eine Eingliederung.
Dazu kommt das Problem, das die FDP angesprochen hat, die regionalen Strukturen. In Süddeutschland haben wir überwiegend Bauern, die Nebenerwerbsbauern sind. Der Grossteil der Bauern in Deutschland sind Nebenerwerbsbauern, in Schleswig-Holstein haben wir aber überwiegend Haupterwerbsbauern. Das sind völlig unterschiedliche Strukturen, die auch nicht einfach zu nivellieren sind. Das ist auch eines der Probleme.
Von daher ist die Frage: Was kann man tun? Grundsätzlich unterstütze ich das Ziel, die Landwirtschaft in die allgemeine Sozialversicherung einzugliedern und insgesamt zu einem einheitlichen Sozialversicherungssystem zu kommen. Das geht aber meiner Ansicht nach nur, wenn man die alten Ansprüche unverändert bestehen lässt und wenn man diejenigen, die neu einzahlen, in das allgemeine Sozialversicherungssystem eingliedert. Das ist der einzige Vorschlag, den ich für händelbar und sinnvoll halte.
In diesem Sinne schlage ich vor, dass wir angesichts der unterschiedlichen Positionen, die noch ausdiskutiert werden müssen, den Antrag der FDP dem Agrar- und Umweltausschuss überweisen und dort ausführlich diskutieren, damit es dann zu einer Empfehlung an die Landesregierung kommt. Ich halte es für richtig, was gesagt worden ist, dass das Parlament in dieser Frage der Landesregierung eine Empfehlung gibt, wie sie sich zu verhalten hat.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel. - Für den SSW erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuvor sei mir ein Hinweis erlaubt. Ich spreche jetzt nicht als agrarpolitischer, sondern als sozialpolitischer Sprecher, weil es sich hier nach unserer Auffassung eindeutig um ein sozialpolitisches Thema handelt.
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft zieht sich wie ein roter Faden durch die EU-Agrarreform der letzten Jahrzehnte. Wir wissen bereits heute, dass wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht haben. Die Betriebe in Norddeutschland, speziell in Schleswig-Holstein, stehen im Verhältnis zu ihren Kollegen im Süden glücklicherweise ökonomisch gut da. Gerade der Strukturwandel bereitet der Landwirtschaft und damit auch dem agrarsozialen Sicherungssystem erhebliches Kopfzerbrechen, wenn es um die künftige Ausgestaltung des sozialen Sicherungssystems geht. Jedes Jahr verliert die landwirtschaftliche Sozialversicherung in Schleswig-Holstein rund 3 % der Betriebe und somit auch Pflichtversicherte, die in die Versicherung einzahlen. Dass sich dieses System irgendwann nicht mehr selber trägt, wissen wir bereits seit Jahren. Im Übrigen ist dies auch eine Folge der Liberalisierung der Krankenversicherung. Da ist es schon ein bisschen komisch, dass gerade die FDP nun die Auswirkungen dieser neugewonnenen Freiheit in einem ausgewählten Sektor zurückdrehen will.
Die landwirtschaftliche Sozialversicherung ist in vier Sparten aufgeteilt: Alterssicherung der Landwirte, landwirtschaftliche Krankenversicherung, landwirtschaftliche Pflegeversicherung und landwirtschaftliche Unfallversicherung. Für SchleswigHolstein bedeutet dies: Der Bund übernimmt eine Defizithaftung bei der Alterssicherung mit rund 70 % der Ausgaben. Die landwirtschaftliche Unfallversicherung wird deshalb mit 30 % Bundesmitteln bezuschusst. Die landwirtschaftliche Krankenversicherung wird weitaus überwiegend aus Bundesmitteln finanziert. Die Pflegeversicherung wird über einen bundesweiten Ausgleichsfonds finanziert.
Diese Zahlen machen deutlich, dass der Bund an der Aufrechterhaltung dieses Systems einen erheblichen Anteil hat. Da wir wissen, dass der Bund immer wieder auf der Suche nach Möglichkeiten zur Einsparung von Geld ist, wissen wir auch, dass er immer wieder Anläufe unternommen hat, das Sy
stem der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu reformieren. Diese Schritte wurden von der landwirtschaftlichen Sozialversicherung stets begleitet. So hat es beispielsweise in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Zahl der Träger von 20 auf nunmehr acht reduziert wurde, um Verwaltungsaufwendungen einzusparen.
Wichtig war bei den Reformüberlegungen aus schleswig-holsteinischer Sicht, dass man keine bundesweite Versicherung haben wollte und künftig auch nicht haben will. Ich meine, dass es dafür einen guten Grund gibt. Denn dadurch würden die Landwirte in Schleswig-Holstein zu Nettozahlern werden. Die gravierenden regionalen Strukturunterschiede der landwirtschaftlichen Betriebe zugunsten unserer Landwirtschaft würden sich finanziell negativ auf die schleswig-holsteinischen Betriebe auswirken. Das kann von uns aus regionaler Sicht nicht gewollt sein. Deshalb ist eine Beibehaltung des Systems, das bloß auf eine bundesweite Basis gestellt ist, nicht im Interesse Schleswig-Holsteins und seiner Landwirte.
Da wir aber um weitere Veränderungen nicht umhin kommen, sollten die Träger der landwirtschaftlichen Sozialversicherung sowie die Bauernverbände aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen ausloten, wie weit eine weitere enge Zusammenarbeit aus ihrer Sicht möglich wäre, inwieweit sie notwendige Reformen der Sozialversicherung tragen können und wie vor allen Dingen der Übergang zu einer Verzahnung mit dem allgemeinen Sozialversicherungssystem im Norden gemeinsam vollzogen werden kann. Letztlich müssen wir nämlich erkennen, dass weitgreifende Reformen in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung schon längst überfällig waren.
Inwieweit sich die landwirtschaftlichen Sozialversicherungen in nächster Zeit am Markt orientieren können, hängt einzig und allein davon ab, was der Bund künftig zu zahlen gewillt ist. Da sollten wir uns nichts vormachen. Der Bund wird in nächster Zeit irgendwann nach und nach aussteigen wollen und fordern, dass sich die Landwirte ähnlich versichern wie die anderen Bürger. Langfristig kommen wir also nicht umhin, das landwirtschaftliche in das allgemeine Sozialversicherungssystem zu übertragen. Daher ist die schrittweise Verzahnung mit dem allgemeinen Sozialversicherungssystem der einzige richtige Weg. Unsere Landwirte und die Sozialversicherung sollten diesen Weg vorher selbstständig abstecken, statt darauf zu warten, dass etwas mit ihnen geschieht. Wir sollten unseren Landwirten dazu unsere Unterstützung zusagen. Das Herumdoktern
Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Jetzt erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Christian von Boetticher das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte es mir jetzt einfach machen und sagen: Ich warte auf die Empfehlung des Landtages. Trotzdem will ich ein paar Dinge aus meiner Warte dazu sagen.
Ich bin froh, dass wir uns alle darüber einig sind, dass die landwirtschaftliche Sozialversicherung aus guten Gründen ein soziales Sondersystem ist. Das ist mehrfach angeklungen. Die Argumente dafür sind aufgezählt worden. Ich stelle jedenfalls zum Teil eine breite Meinung in dieser Richtung fest.
Aber eines ist auch klar: Die Reform des Sozialstaats, die wire auf allen Ebenen angegangen, führt dazu, dass man über neue Wege in der Agrarsozialpolitik nachdenken muss, aber natürlich unter Berücksichtigung der Besonderheiten. Diese bestehen in der Generationengerechtigkeit und in der Verlässlichkeit. Letztlich geht es um eine finanzielle Absicherung der bäuerlichen selbstständigen Familien gegen Alter, Unfall, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und für den Todesfall. Das sind ganz wichtige Rahmenbedingungen für unsere deutsche und - bei uns im Norden - schleswig-holsteinische Landwirtschaft. Da muss man sehr präzise sein.
Wenn wir in den Koalitionsvertrag gucken, sehen wir, dass ein zentrales Anliegen die Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist. Hierzu hat Minister Seehofer vor dem Bundestag in einer Regierungserklärung deutlich gesagt ich zitiere -: „Wir brauchen eine ständige Fortentwicklung und schrittweise Verzahnung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung mit dem allgemeinen sozialen Sicherungssystem.“
Das ist im Prinzip sicherlich ein nachvollziehbarer Ansatz. Aber angesichts des Erfolges, den wir in den letzten Jahren mit dem Sondermodell gehabt haben, führt das zunächst einmal zu einer Verunsicherung. Das spürt man in den Gesprächen auch mit den Landwirten. Warum ist das so? Es geht ums Geld.
Wenn man den Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministers anschaut, sieht man, dass dort 4 Milliarden € an Ausgaben für die soziale Sicherung insgesamt 70 % des Einzelplans des Landwirtschaftsministeriums ausmachen. Das ist natürlich der mit Abstand größte Ausgabenblock. Darum ist das, lieber Kollege Harms, auch ein Thema für den Landwirtschaftsminister, nicht für den Sozialminister.
Die Reformüberlegungen stehen beim Bund noch am Anfang. Jetzt gleich Befürchtungen zu äußern, weil Herr Seehofer ein Bayer ist und es deshalb gegen die erfolgreichen norddeutschen Regionalmodelle gerichtet sei, ist etwas, dem ich widersprechen muss. Wir haben nicht umsonst einen Staatssekretär Lindemann. Er kommt aus Niedersachsen. Dadurch haben wir im Bundesministerium ein gutes „check and balance“-System zwischen nordund süddeutschen Interessen.
Aber an der Stelle geht es natürlich auch um den sozialen Frieden im ländlichen Raum. Wir wissen, dass sich der Strukturwandel verschärft hat. Daher ist es schlichtweg nicht möglich, den weniger werdenden aktiven landwirtschaftlichen Unternehmerinnen und Unternehmern die gesamten Soziallasten ihrer Branche aufzubürden. Darum sage ich noch einmal ganz deutlich: Das agrarsoziale Sicherungssystem, das auf die besonderen Verhältnisse der Landwirtschaft als Unternehmer ausgerichtet bleiben muss, bedarf auch zukünftig der solidarischen Mitfinanzierung durch den Bund. Daraus kann man den Bund nicht entlassen. Aber die Debatte ist vor dem finanziellen Hintergrund vorhanden. Für mich als schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsminister geht es darum, in diese Debatte auch die schleswig-holsteinischen Interessen einzubringen. Herr Hildebrand, Sie haben das deutlich gesagt.
Eine wesentliche Konsequenz der Reformpläne wäre nämlich die Aushebelung der Regionalisierung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Eine Integration der regionalen Sozialversicherungsträger in ein bundesdeutsches System würde für den Norden eine relative Schlechterstellung mit sich bringen. Warum? - Wir sind eben anders strukturiert als die süddeutschen Bundesländer. Bei uns sind die Beiträge deutlich günstiger als woanders. Die Belastung würde im Falle einer Integration vor allem auf die Beitragszahler verschoben werden. Es handelt sich hierbei um Faktoren, die man in der Debatte berücksichtigen muss. Wir werden unsere schleswig-holsteinischen Interessen intensiv einbringen.