Protocol of the Session on May 6, 2009

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Dabei dürfen wir jedoch nicht stehen bleiben. Staaten und Regionen müssen auf der Basis gesicherten Rechts selbst entscheiden dürfen, welche Gentechnik-Pflanzen sie verbieten oder ob sie sich ganz gegen den Einsatz von grüner Gentechnik aussprechen wollen. Nach unserer Überzeugung kann dies

(Dr. Axel Bernstein)

am besten durch die rechtlich abgesicherte Erklärungen von gentechnikfreien Regionen erfolgen. So ist am effektivsten das Ziel zu erreichen: Der vorsorgende Schutz von Mensch und Umwelt muss auch bei der Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft oberste Priorität haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik werden das langwierige Doppelspiel der CSU in Bayern und der CDU/CSU-Fraktion auf Bundesebene sicherlich in Erinnerung behalten: Für Bayern fordern Ministerpräsident Seehofer und Umweltminister Söder gentechnikfreie Regionen. Gleichzeitig wird auf Bundes- und Europaebene bis zum allerletzten Moment eine Hängepartie durch Nichtfestlegung betrieben. So haben CDU und CSU Ende April den SPD-Vorschlag abgelehnt, im Bundestag als deutsche Haltung festzulegen, dass die Entscheidung über den Anbau von GVO-Pflanzen auf der Ebene der Nationalstaaten und Regionen erfolgen soll.

Das ist der richtige Weg, den wir weiter verfolgen wollen, und darüber werden wir mit unserem Koalitionspartner in Kiel weiter sprechen müssen.

(Minister Dr. Christian von Boetticher: Kleinstaaterei!)

In ganz Europa wird inzwischen die Forderung nach Gentechnikfreiheit in zusammenhängenden Regionen gestellt. Die Teilnehmer der 5. Europäischen Konferenz der gentechnikfreien Regionen haben Ende April ein EU-weites Moratorium für die Zulassung und den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Organismen angeregt. Heute, nachdem sechs EU-Mitgliedstaaten den Anbau von MON810 verbieten, und angesichts der rasanten Zunahme gentechnikfreier Regionen in ganz Europa - es sind über 180 - ist der Augenblick für ein Moratorium so günstig wie nie. Das Moratorium sollte genutzt werden, erstens um die EU-Gesetzgebung zu überdenken und die regionale Selbstbestimmung zu stärken, zweitens um die Risikobeurteilung im Sinne des Vorsorgeprinzips neu festzulegen und drittens um die gentechnikfreie Landwirtschaft hinsichtlich der Vielfalt und der genetischen Potenziale von Pflanzen und Nutztieren stärker zu fördern.

Gentechnikfreie Landwirtschaft und gentechnikfreie Lebensmittel entsprechen dem Willen der Bevölkerungsmehrheit in Europa. Das hat der Kollege Matthiessen schon erklärt. Das muss für uns ein Maßstab sein. Für Europas Bäuerinnen und Bauern, Konsumentinnen und Konsumenten ist die nachhal

tige Nahrungserzeugung ohne Gentechnik die Strategie für heute und macht auch die Landwirtschaft zukunftsfähig. Das gilt insbesondere auch für Schleswig-Holstein.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Höppner und erteile für die FDP-Fraktion Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand das Wort.

(Claus Ehlers [CDU]: Der ist auf unserer Sei- te!)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat schon beinahe etwas Tröstendes: Auch wenn wir uns sonst auf nicht mehr viel in der schleswigholsteinischen Landespolitik dieser Tage verlassen dürfen - auf die geradezu Pawlowschen Reflexe der Grünen gegen alles, was mit Gentechnik zu tun hat, können wir uns verlassen.

(Beifall des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Kollege Matthiessen, gerade eben haben Sie die hohe Qualität und den guten Ruf der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft hervorgehoben, den sie behalten müsse, und gesagt, wir müssten alles dafür tun, dass das so bleibe. Wenn Sie morgen irgendwo sehen, dass ein Bauer Gülle oder Mineraldünger aufs Feld bringt, beschimpfen Sie ihn als Grundwasserverschmutzer. - Das sind Ihre Positionen bei diesem Thema.

(Beifall bei FDP und CDU)

Nachdem Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner den weiteren Anbau von Bt-Mais MON810 abgelehnt hat - was für den Einzelfall auch gerichtlich bestätigt wurde -, fordern die Grünen heute ganz generell, dass die Landesregierung erneut den Beitritt Schleswig-Holsteins zum europäischen Netzwerk „Gentechnikfreie Regionen“ erklären soll.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthiessen?

(Dr. Henning Höppner)

(Jürgen Weber [SPD]: Er hat doch noch gar nicht angefangen!)

Herr Kollege, können Sie belegen, dass ich an irgendeiner Stelle einem Bauern, den ich beim Düngerstreuen beobachtet habe, unterstellt habe, dass er das Grundwasser vernichtet, wie Sie das eben behauptet haben? Oder antizipieren Sie das für mein zukünftiges Verhalten?

- Herr Kollege Matthiessen, ich traue Ihnen zumindest solche Gedanken zu. Wenn wir das nächste Mal im Umweltbereich über solche Dinge sprechen, werde ich Sie daran erinnern. Im Moment habe ich hier leider nicht die entsprechenden Auszüge vorliegen.

Schleswig-Holstein soll also gentechnikfreie Zone werden. Das ist geradezu abenteuerlich, auf jeden Fall ist es weltfremd. Wenn wir beispielsweise allein an angebauten Soja denken, der weltweit zu 80 % genverändert ist, stellen wir fest, wir können uns dem auch in Schleswig-Holstein gar nicht entziehen. Schließlich ist es die Aufgabe der Landwirte zu entscheiden, welche Sorte sie anbauen wollen. Das ist nicht die Aufgabe der Landesregierung. Die Landesregierung hat nur die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Landwirte die nötige Freiheit haben zu entscheiden, wie sie mit welcher Sorte wirtschaften wollen, und die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen festzulegen.

Daher war Schleswig-Holstein gut beraten, als es vor vier Jahren seinen Austritt aus dem europäischen Netzwerk „Gentechnikfreie Regionen“ erklärt hat. Selbstverständlich kann man für oder gegen grüne Gentechnik sein. Aber diese Entscheidung sollte jeder Landwirt und jeder Verbraucher für sich selber treffen dürfen. Jede Bürgerin und jeder Bürger soll - gern mit Unterstützung von umfassenden Kennzeichnungen - selbst entscheiden können, ob sie oder er beispielsweise ein Lebensmittel aus oder mit gentechnisch veränderten Pflanzen haben will. Bei Arzneimitteln ist das übrigens ganz selbstverständlich. Da wird oftmals noch nicht einmal gefragt, ob gentechnisch veränderte Inhaltsstoffe Verwendung gefunden haben. Aber das dient ja der unmittelbaren Aufrechterhaltung der Gesundheit, da akzeptiert man das, aber bei der grünen Gentechnik ist es eine ganz andere Sache.

Meine Damen und Herren, im letzten Antrag der Grünen vom Mai 2005 hatten die Grünen die Möglichkeit für eine Koexistenz beim Anbau von gentechnisch freien und gentechnisch veränderten Fut

ter- und Lebensmitteln noch ausdrücklich unterstützt. Heute ersetzen sie ihre damaligen Überlegungen durch ein lautes „das funktioniert in der Praxis nicht“. Lautstärke ersetzt indessen keine Argumente.

Argumente, die für ein gedeihliches Nebeneinander von konventioneller und gentechnisch modifizierter Landwirtschaft sprechen, gibt es genug. Das fängt mit der Tatsache an, dass heute bereits weltweit auf über 80 Millionen ha - auf über 80 Millionen ha! - Anbaufläche gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen. Das entspricht nahezu einem Zehntel der Fläche von Europa. Es ist eine Illusion anzunehmen, dass sich dieses gentechnische Rad - noch dazu von Schleswig-Holstein aus noch einmal zurückdrehen ließe.

Weiterhin ist es eine Tatsache, dass der Bedarf sowohl an Nahrungsmitteln, aber auch an Biomasse zur Weltenergieversorgung nach Meinung aller Experten in Zukunft noch erheblich größer werden wird. Eine Ausweitung der Flächen für die landwirtschaftliche Produktion ist dafür nur sehr begrenzt möglich, und dabei beziehe ich mich jetzt nicht nur auf Schleswig-Holstein. Aber wem es ernst ist mit dem Klimaschutz und wer deshalb keine Waldrodungen, auch nicht in Südamerika oder Indonesien, will, der muss bereit sein für neue Lösungswege.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Und dieser Weg führt uns bei steigendem Bedarf dahin, die Flächenerträge weiter steigern zu müssen. Intensive Bemühungen um neue Fruchtfolgen und Anbausysteme gibt es bereits, und natürlich kommt an dieser Stelle neben den konventionellen Züchtungsmethoden auch wieder die Gentechnik ins Spiel. Wollen wir in Schleswig-Holstein allen Ernstes die Augen vor diesem Bedarf verschließen? Es ginge mit Sicherheit zulasten gerade der armen Länder, die nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um auch nur ihre Nahrungsmittelvorräte auf dem Weltmarkt einkaufen zu können.

Bleibt abschließend noch das Argument der Wirtschaftsund Technologiefreundlichkeit in Deutschland und in Schleswig-Holstein. Aus gutem Grund haben die Bundesregierung, aber auch die Landesregierung die Pflanzengenomforschung in diesem Land mit nicht unerheblichen Mitteln unterstützt. Was für ein Widerspruch, diese Entwicklung, das heißt die Anwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen nunmehr mit allen Mitteln verhindern zu wollen!

(Günther Hildebrand)

Die Frage, wie wichtig die Biotechnologie für den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland, aber auch für Schleswig-Holstein ist, verdient ein eindeutiges Ja. Alles andere kostet den Standort Deutschland nur weitere hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Wir brauchen Biotechnologie in der Landwirtschaft, erst recht, wenn wir, wenn Deutschland Einfluss behalten will bei der Ausgestaltung und Anwendung biotechnologischer Verfahren und zudem den Anschluss an die internationale Entwicklung nicht verlieren will.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand und erteile für den SSW im Landtag dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der gestrigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Braunschweig, das Anbauverbot der Maissorte MON810 bestehen zu lassen, wurde auch die Entscheidung der Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner bestätigt - und man kann ihr bestimmt nicht nachsagen, dass sie der grünen Gentechnik feindlich gegenübersteht. Aus Sicht der Richter besteht mit der Ausbringung der genannten Sorte eine Gefahr für Tiere und andere Pflanzen, die derzeit nicht abschätzbar ist. Umweltschützer sehen darin die Gefahr, dass das Gift, das die Pflanze gegen Schädlinge produziert, auch von anderen Insekten aufgenommen wird und so in den natürlichen Kreislauf geraten und dort Schaden anrichten könnte. Dass der Saatgutkonzern Monsanto dies anders sieht, ist klar. Es bleibt also abzuwarten, ob der Konzern die nächste gerichtliche Instanz ansteuern wird.

Verwunderlich ist nach der Reaktion der Bundeslandwirtschaftministerin und dem gestrigen Gerichtsurteil jedoch, dass MON810 bereits seit 1998 in der EU kommerziell angebaut werden darf. Aber Deutschland wäre nicht das erste Land in der EU, das die Ausbringung von MON810 untersagt. Eine Reihe anderer Länder der EU, wie Österreich, Ungarn, Griechenland, Frankreich und Luxemburg, haben dies schon getan. Man fragt sich daher, was in den letzten zehn Jahren geschehen ist, dass sogar eine schwarze Landwirtschaftsministerin ihre Bedenken äußert und sich für ein Verbot ausspricht und von unabschätzbaren Gefahren spricht.

Ganz aktuell in Sachen Ausbringung von genmanipulierten Pflanzen ist auch der Streit zwischen Frau Aigner und ihrem Länderkollegen Backhaus, bei dem es darum geht, dass das Bundesministerium dem versuchsweisen Anbau der genveränderten Kartoffel Amflora die Genehmigung erteilt hat. Die Größe des genehmigten Anbaufeldes führte jedoch Herrn Backhaus auf den Plan, der die Rücknahme der Genehmigung fordert - zum einen, weil diese Kartoffel in der EU nicht zulässig ist, und zum anderen deshalb, weil bei solch einer großen Versuchsfläche die Sicherheit von Mensch und Umwelt nicht zu gewährleisten ist. So Herr Backhaus.

Beide Beispiele machen deutlich, dass wir es mit einer Materie zu tun haben, die unkalkulierbare Risiken in sich birgt. Keiner kann eine hundertprozentige Sicherheit garantieren und gewährleisten, dass genveränderte Pflanzen letztlich keine negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur haben. Denn Freilandversuche sind keine Laborversuche, und es besteht einfach die Gefahr der unkontrollierten Ausbreitung. Man weiß nicht, was am Ende dabei herauskommt. Dabei ist es egal, ob das Versuchsfeld 100 m2 oder 20 ha groß ist - Bienen können nicht unterscheiden zwischen gentechnisch veränderten und gentechnikfreien Pflanzen. Das soll heißen, dass Landwirte in unmittelbarer Nahbarschaft, die sich bewusst gegen die Ausbringung gentechnisch veränderter Pflanzen auf ihren Feldern entschieden haben, trotzdem nicht frei von Kontamination sind.

Was wir daher machen können, ist, die Etablierung von gentechnikfreien Regionen zuzulassen und vor allem zu fördern, auch finanziell zu fördern, damit zumindest in bestimmten Regionen - und eine Region kann auch Schleswig-Holstein sein - die Sicherheit besteht, dass gentechnikfrei produziert wird. Dafür müsste vor Ort geworben werden, und man müsste die Vorteile der Gentechnikfreiheit für die Vermarktung regionaler Produkte deutlich hervorheben. So würde die Ausweisung als geschütztes Gebiet nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance bedeuten.

Es muss aber weiterhin die Möglichkeit geben, dass sich Regionen unterschiedlich entwickeln. Die Regionen, die die Chancen der Gentechnik nutzen wollen, sollen dies können, genauso wie die Regionen, die auf die Vermarktung von gentechnikfreien Waren setzen. Erst wenn wir dies gewährleisten, nutzen wir die vollen Möglichkeiten, die sich durch die Bio- und Gentechnologie ergeben können. Dabei muss allerdings auch sichergestellt sein - und das ist sehr wichtig -, dass gentechnikhaltige Pro

(Günther Hildebrand)

dukte entsprechend deutlich gekennzeichnet werden; denn das geschieht immer noch nicht.

(Beifall bei der SPD)

Erst dann hat der Bürger die freie Wahl, welche Produkte er kaufen will. Ich glaube, dann würde sich dieser Gentechnikwahn von allein erledigen, weil man damit dann kein Geld mehr verdienen könnte.

Die aktuellen Beispiele machen deutlich, dass die grüne Gentechnik noch sehr umstritten ist, weil die Folgenabschätzung durch den Einsatz von genveränderten Pflanzen noch nicht abgeschlossen ist. Solange wir nicht genau wissen, welche Auswirkungen der Einsatz genveränderter Pflanzen hat, muss die Sicherheit für Mensch und Natur Vorrang haben.

Aber wir sehen auch, dass man sich als gentechnikfreie Region sehr gut vermarkten kann. Deshalb unterstützen wir den Antrag der Grünen. Wir würden uns wünschen, dass man mit der Landwirtschaft und mit der Ernährungswirtschaft über diesen Weg diskutiert und dann gemeinsam diesen Schritt geht; denn es ist nicht nur im Interesse der Politik, sondern auch im Interesse der Landwirtschaft und der Ernährungswirtschaft, dass wir unserer eigenen Landwirtschaft wirklich ein Label aufdrücken, mit der man sie auf dem Markt vermarkten kann. Mit Gentechnik kann man sich nicht vermarkten; mit Gentechnikfreiheit kann man beim Bürger, beim Kunden etwas gewinnen. Ich glaube, dass sehen die Leute in der Landwirtschaft und in der Ernährungswirtschaft in ihrer Mehrheit auch so.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)