Es tut mir leid, dass es ein bisschen später geworden ist, aber ich möchte über eine große Bevölkerungsgruppe sprechen, die am Monatsende leider kein Geld mehr zum Mittagessen hat, die dann noch ein bisschen länger warten muss, nämlich bis zum Anfang der nächsten Woche, bis wieder etwas auf dem Konto ist. Denn wer auf soziale Transferleistungen angewiesen ist, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, befindet sich genau in dieser unangenehmen Situation.
Die meisten Menschen leiden darunter, nicht selbstständig für sich sorgen zu können, und der Leidensdruck wird umso größer, je mehr Menschen vom Leistungsbezieher abhängig sind, also vom Staat. Es ist unwürdig, wenn Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter beim Thema Bedarfsgemeinschaften zu Kontrollbesuchen jedes Zimmer, jedes Bad und die Küche auf Hinweise untersuchen, ob es sich um eine echte Lebensgemeinschaft handelt oder um eine Zweck-Wohngemeinschaft. Unzumutbar ist es, wenn Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher nachweisen müssen, dass sie keine Partnerschaft haben, obwohl sie in derselben Wohnung leben. Aber genau das hat der Gesetzgeber in Berlin vor einiger Zeit so beschlossen. Seither sind die Gerichte gut beschäftigt. Diesen Peinlichkeiten muss ein Ende bereitet werden.
Der Staat muss aufhören, sich in die Privatsphäre einzumischen. Ein einfacher Weg ist, im Sozialgesetzbuch die Bedarfsgemeinschaften abzuschaffen
und den Leistungsanspruch auch für das Arbeitslosengeld II ausschließlich individuell zu ermitteln. Dann sind auch die vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen in diesem Bereich beendet. Eine Winwin-Situation für alle, Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher, Behördenleute, Richterinnen und Richter. Deshalb bin ich Arbeitsminister Uwe Döring für seine klaren Worte zur Abschaffung der Bedarfsgemeinschaften außerordentlich dankbar.
Ich möchte deshalb - das mag etwas ungewöhnlich sein - das sehr deutliche, klare und knappe dpa-Gespräch vom 31. Januar zitieren, in dem er sich zu dieser Frage äußerte:
„Die Flut der Klagen von Hartz-IV-Empfängern kann nach Ansicht des schleswig-holsteinischen Arbeits- und Justizministers Uwe Döring nur mit Gesetzesänderungen eingedämmt werden. ‚Bei uns haben die Verfahren von 3.800 im Jahr 2006 auf mindestens rund 6.000 zugenommen; die Zahl der Sozialrichter mussten wir binnen vier Jahren von 40 auf 71 erhöhen’, sagte der SPD- Politiker im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Döring fordert, ‚die Bedarfsgemeinschaften’ abzuschaffen, den Anspruch auf Wohnraum nach Personenzahl gestaffelt in Quadratmetern festzulegen und Verknüpfungen mit anderen Gesetzen wie dem BAföG aufzulösen.
‚Nur mit Änderungen am Sozialgesetzbuch II werden wir es schaffen, dass die Entscheidungen nachvollziehbar werden, mehr Betroffene sie akzeptieren und die Prozesshanselei aufhört’, sagte der Minister.“
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW sowie der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Bernd Schröder [SPD])
„Im Grunde können wir auch nicht von einer Klageflut reden, denn nach Flut kommt Ebbe, aber Ebbe ist hier nicht zu sehen.’ Der Aufwand an den Gerichten sei enorm. ‚Eilverfahren dauern über drei Monate, bei Hauptsacheentscheidungen nähern wir uns der Zwei-Jahres-Grenze.’ Schon in einfachen Fällen seien Leistungsbescheide so kompliziert, dass niemand ohne Spezialwissen sie verstehe. Zudem hätten Klagen ungewöhnlich oft Erfolg: ‚Das ist in 30 bis 38 % der Fälle so.’
Letzter Auslöser für Dörings Vorstoß war das Urteil des Bundessozialgerichtes, wonach die Kürzung der Hartz-IV-Gelder für Kinder auf 60 % der Regelleistung verfassungswidrig ist. Von den mit großem Kontrollaufwand und Tricksereien verbundenen ‚Bedarfsgemeinschaften’ will Döring auf Einzelansprüche umstellen. ‚Jeder wird nach seinem individuellen Bedarf unterstützt, und wer die Wohnung gemietet hat, bekommt noch das Geld dafür dazu - das war's’, sagte er. ‚Wer wann mit wem schläft, geht den Staat nichts an“.“
„Im Hinblick auf den ‚angemessenen Wohnraum’ schlägt Döring eine Verordnung vor: Darin müsse anhand der Personenzahl definiert werden, wie viel Quadratmeter einem Einzelnen oder einer Familie mit Kindern jeweils zustehen. Auf dieser Grundlage ergäben sich dann die Kosten, die in Abhängigkeit vom örtlichen Preisniveau zu übernehmen wären.“
„Im Grundsatz sei der Hartz-IV-Kurs mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie dem Prinzip ‚Fördern und Fordern’ richtig, sagte Döring. Die Praxis offenbare aber zu viele Probleme. So sollten auch wie in der Finanzverwaltung Bescheide für vorläufig erklärt werden, wenn Grundsatzfragen offen sind. ‚Das würde die Zahl der Klagen senken und die Ungerechtigkeit vermeiden, dass jemand, der nicht selbst geklagt hat, nach entsprechenden Urteilen leer ausgeht.’“
Sie alle haben aufmerksam zugehört. Ich finde, es hat sich sehr bewährt, dass wir Justiz und Arbeit bei dieser Landesregierung in einem Haus haben. Da hat einmal jemand über den Tellerrand geguckt.
Ich danke der Frau Abgeordneten Angelika Birk. Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Torsten Geerdts.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kollegin Birk hat am 1. Februar die „Lübecker Nachrichten“ gelesen und am 11. Februar einen Antrag formulieren lassen. Viel mehr haben wir eben auch nicht gehört.
(Dr. Heiner Garg [FDP]: Zehn Tage! - Ange- lika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie werden die von mir zitierten Argumente doch nicht in Abrede stellen!])
Es war ein Aneinanderreihen von Textbausteinen und Zitaten. Eigene Ideen, einen eigenen Gedanken haben wir nicht gehört.
Ich will unsere Auffassung dazu sagen. Sie haben recht, dass wir das vorliegende Gesetz evaluieren müssen. Darin stimmen wir mit dem Arbeitsminister überein. Wir stimmen auch bei den Kritikpunkten überein, die er genannt hat. Das machen wir allerdings schon seit einigen Debatten im SchleswigHolsteinischen Landtag.
Da geht es zunächst um die völlig unübersichtlichen Leistungsbescheide. Die kritisieren wir seit vielen Jahren gemeinsam. Wir sind genauso entsetzt, dass wir an dieser Stelle nur wenig vorankommen. Das wollen wir unterstreichen.
Wir sind auch der Auffassung, dass es völlig unhaltbar ist, dass wir in den letzten Jahren die Zahl der Sozialrichter allein aufgrund dieser Tatsache von 40 auf 71 im Land Schleswig-Holstein steigern mussten.
Wir reden über Lebenszeitrichter. Das können wir uns in dieser Form dauerhaft in der Tat nicht leisten.
Die andere Zahl, die von Uwe Döring genannt worden ist, lautet: Es gab im Jahr 2006 3.800 Verfahren in dieser Frage, und es sind mittlerweile um die 6.000. Da gibt es in der Tat Handlungsbedarf. Ich bin froh, dass der Arbeitsminister das deutlich macht. Die Erfolgsquote derjenigen, die klagen, ist überproportional hoch. Auch das stellen wir fest. Aus diesem Grund halten wir es auch für richtig, an dieses Thema heranzugehen.
Handlungsbedarf sehen wir als CDU-Fraktion beispielsweise bei den Kosten der Unterkunft. Wir sollten die Ansprüche auf Wohnraum nach der Personenzahl staffeln und in Quadratmetern festlegen, sodass das nicht überall vor Ort in den jeweiligen Ämtern ausgeknobelt werden muss. Wir brauchen ganz klare Richtgrößen. Wir brauchen Verlässlichkeit.
Wir sollten aber auch über die Punkte reden, in denen wir nicht einig sind. Uns trennt nach wie vor, dass wir als CDU, als SPD ganz klar sagen: Bei uns steht in dem gesamten Reformwerk das „Fordern und Fördern“ im Mittelpunkt. Wir reden bei der Diskussion, die wir jetzt führen, nicht über mehr Geld für die Betroffenen, sondern über Gerechtigkeit und das Herstellen von Rechtsfrieden. Darum geht es dem Arbeits- und Justizminister schwerpunktmäßig in dieser Diskussion.
In Ihrem Debattenbeitrag, Frau Birk, ist mir der Punkt „Lohnabstandsgebot“ zu kurz gekommen. Diesen Punkt haben Sie nicht genannt. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt.
liebe Frau Birk, dass die Menschen zur Arbeit gehen. Die unteren Einkommen müssen weiter sagen: Es ist gerecht in Deutschland, wenn ich einer Beschäftigung nachgehe. Diesen Diskussionspunkt lassen Sie völlig fallen. Aus diesem Grund trennen sich am Ende wahrscheinlich wieder unsere Wege.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Anmerkung machen, die mir wichtig ist. Es geht um die ARGEn. Darüber werden wir wahrscheinlich in der nächsten Tagung reden. Dieses Problem ist viel drängender und problematischer,
weil wir ein Ergebnis haben müssen. Wir müssen an dem Ergebnis weiterarbeiten, Herr Kollege Hentschel.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Birk, die sich da ordnungsgemäß aufgebaut hat?
(Heiterkeit - Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war despektier- lich, Frau Präsidentin!)
Ich möchte zum Lohnabstandsgebot folgende Frage stellen: Sehen Sie Möglichkeiten, die Arbeitgeber daran zu hindern, sich ständig durch Lohndumping den Beträgen von ALG II anzunähern?