Protocol of the Session on September 28, 2005

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Artikel 10 Grundgesetz schützt das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. „Beschränkungen“, so sagt das Grundgesetz, „dürfen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung“ - so weiter - „dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie“ - die Beschränkung - „dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.“

Ein solches Gremium ist das so genannte G-10Gremium, von dem hier die Rede ist. In SchleswigHolstein ist nach § 1 des Gesetzes oberste Landesbehörde, also die Behörde, die Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vor Ort anordnen kann, der Innenminister. Der Innenminister unterrichtet eine Kommission über die von ihm angeordneten Beschränkungsmaßnahmen vor deren Vollzug und er unterrichtet in Abständen von höchstens

sechs Monaten ein Gremium, das aus drei vom Landtag bestimmten Abgeordneten besteht.

Über Gremienbesetzungen entscheiden in SchleswigHolstein wie anderswo die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse. Abweichend davon haben wir in dem Dreiergremium - Herr Kollege Wadephul hat darauf hingewiesen - freiwillig dem Herrn Oppositionsführer nicht nur die Mitgliedschaft, sondern sogar den Vorsitz eingeräumt. Die Oppositionsfraktionen sind damit in zweifacher Hinsicht überobligatorisch vertreten. Der Geist der großen Koalition erweist sich gerade in diesem Punkt nicht als kritikwürdig, sondern als vorbildlich, Frau Kollegin Lütkes.

(Beifall bei SPD und CDU)

Der von den Grünen beantragten Mitgliedschaft jeder Fraktion im G-10-Gremium bedarf es unserer Auffassung nicht. Auch andere Bundesländer arbeiten mit begrenzten Mitgliederzahlen. Im Übrigen halten wir es nicht für sinnvoll, nach jeder Landtagswahl entsprechend dem jeweils im Einzelfall vorliegenden Wahlergebnis sämtliche Landesgesetze daraufhin zu überprüfen, ob sämtliche Landtagsfraktionen in sämtlichen Landtagsgremien vertreten sind.

(Beifall des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Sowohl eine nach jeder Wahl mögliche, für Gremienarbeit unangemessene Vielzahl von Landtagsfraktionen als auch eine nach jeder Landtagswahl nicht auszuschließende Landtagsexistenz von Fraktionen mit rechts- oder linksextremistischer Ausrichtung bestärkt uns in unserer Position, es in diesem Gremium bei der Begrenzung auf drei Mitglieder zu belassen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden und Oppositionsführer, dem Kollegen Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Redebeitrag des Kollegen Dr. Wadephul war ich innerlich unglaublich ergriffen.

(Heiterkeit)

- Ja, ich war aufgewühlt. Ich kann mich vor allem deshalb kaum beruhigen, weil ich die große Geste, mit der die Union erklärt hat, es sei kein Abtreten eines Sitzes an die FDP, insbesondere nicht an mich als Person, gewesen, zur Kenntnis nehmen muss. Herr Kollege Wadephul, ich hätte der Union die Größe gar

(Wolfgang Kubicki)

nicht zugetraut, dass sie für den Fall, dass die Fraktionsvorsitzende der Grünen Oppositionsführerin geworden wäre, auch an Frau Lütkes einen einsprechenden Sitz abgetreten hätte. Es geschehen in diesem Lande noch Zeichen und Wunder.

(Beifall bei der FDP)

Kollege Wadephul, ich habe schon immer gesagt, dass ich Jamaika schöner finde als den Senegal. Senegal hat die Farbkombination Rot, Gelb, Grün. Dass sich die Union jetzt mit derart wehenden Fahnen von dem einen ins andere Lager begibt, ist auch in diesem Lande bemerkenswert.

Es mag nicht verwundern, dass die FDP aus grundsätzlichen Erwägungen heraus dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmt, alle Fraktionen des Landtags in dem G-10-Gremium repräsentiert zu sehen. Frau Kollegin Lütkes, das ist keine Form der Annäherung, sondern eine grundsätzliche Haltung der FDP in der Frage, wie man Minderheitsrechte ausgestaltet. Das war schon früher unsere Auffassung und das ist auch heute unsere Auffassung. Es hätte mir allerdings große Freude bereitet, wenn Sie in der Zeit, in der Sie in der Regierung gesessen haben, die gleiche Position vertreten und dafür Sorge getragen hätten, dass die damaligen kleineren Fraktionen wie FDP oder SSW auch im G-10-Gremium vertreten gewesen wären.

(Beifall bei der FDP)

Das war damals nicht Ihre Intention. In der Tat gibt es keine logische Begründung dafür, warum wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission eine entsprechende Regelung verankert haben, für die auch gelten würde: Wenn mehrere Fraktionen in den Landtag einziehen würden, so müssten wir eine neue Regelung finden. Herr Kollege Puls, warum soll bei der Parlamentarischen Kontrollkommission für die Geheimdienste - also den Verfassungsschutz - gelten, dass alle kontrollieren, bei der Frage der Telekommunikationsüberwachung aber nicht?

Beim Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff und zur Einschränkung von Telekommunikation gibt es - wenn man das vor dem geistigen Auge noch einmal Revue passieren lässt - einen erhöhten Bedarf an Kontrolle, und zwar auch an parlamentarischer Kontrolle, die durch das Parlament insgesamt gewährleistet werden muss. Herr Kollege Wadephul und Herr Kollege Puls, wir sind weit davon entfernt zu sagen, dass die jetzige Regelung bedenklich wäre. Allerdings müssen wir im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wirklich darüber nachdenken, ob wir die Oppositionsfraktionen insgesamt nicht stärker an der Kontrolle beteiligen.

Wie gesagt, das erklärt, warum wir aus grundsätzlichen Überlegungen und im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Ergebnis gelangt sind, den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu unterstützen.

Kollege Puls und Kollege Wadephul, ein letzter Satz: Ich war dabei, als die DVU im Landtag war. Ich kann dazu nur sagen: Man bekämpft extremistische Ansichten nicht durch Formalien. Man bekämpft sie in einer offensiven politischen Auseinandersetzung.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das muss man immer im Auge behalten. Im Gegenteil: Wenn man versucht, durch Formalien das normale demokratische Partizipationsrecht zu unterlaufen, so gibt man den Extremen Wasser auf ihre Mühlen. Das ist das Letzte, was man tun kann.

Die Einigung, die wir damals hatten, war wie folgt: Die demokratischen Parteien treten - trotz der Unterschiede in der jeweiligen Sache - gegenüber diesen Extremen geschlossen auf. Der Erfolg hat uns Recht gegeben. Er bestand nicht in Formalien, sondern in der Auseinandersetzung. Ich bitte deshalb noch einmal um ein Nachdenken darüber, ob man dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht zustimmen kann.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Vorsitzenden, Frau Kollegin Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg: Ich fand es gut, dass der Kollege Puls kurz gesagt hat, worum es ging. Ich denke dabei nicht zuletzt an diejenigen, die die Debatte mitverfolgen wollen.

Zur Beschlussempfehlung zum Entwurf der Novelle dieses so genannten G-10-Gesetzes muss ich sagen, dass diese zu meinem großen Bedauern die deutliche Handschrift einer großen Koalition trägt. Wer Böses denkt, der kann behaupten, dass sich jetzt der Eindruck aufdrängt, dass sowohl die parlamentarische Beteiligung als auch die regierungsunabhängige Kontrolle als überflüssiges Beiwerk betrachtet wird, denn die Opposition kommt dabei als Ganzes zu kurz. Der Landtag verliert nicht dadurch seine Funktion, dass die beiden größten Parteien des Parlaments nun die Regierung stellen. Demokratie besteht nun mal zum

(Anke Spoorendonk)

größten Teil aus Verfahren. Wir werden uns also nicht damit abfinden, dass die Oppositionsfraktionen ausgegrenzt werden sollen. Das ist kein Heldenstück der großen Koalition.

Die Art und Weise der Besetzung dieses G-10Gremiums ist an sich kein großer politischer Punkt. Dafür ist das Thema auch nicht öffentlichkeitswirksam genug. Wer das Ganze jedoch hinterfragt, der wird sehen, dass es auch nicht wenig ist. Der SSW befürchtet, dass mittels dieser Vorlage parlamentarische Mechanismen ausgehöhlt werden. Wenn es uns selbst nicht so genau darauf ankommt, dann stützen wir parlamentsskeptische Haltungen. Freedom dies by inches. - Freiheit stirbt scheibchenweise. Das sagen die Engländer, die den Parlamentarismus in der Neuzeit erfunden haben. Die schleichende Entmachtung des Landtags ist aus der Sicht des SSW die weitaus größere Gefahr als die, dass extremistische Fraktionen in das G-10-Gremium entsandt werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum sage ich noch einmal: Im Zweifel müssen wir uns für die Demokratie und für das Parlament, also für den Souverän entscheiden. Darum lehnen wir diese Beschlussempfehlung ab. In Richtung regierungstragende Fraktionen sage ich noch einmal: Geben Sie sich einen Ruck, wagen Sie mehr Demokratie!

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

Ich danke der Kollegin Anke Spoorendonk und erteile für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Stegner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das schleswigholsteinische Ausführungsgesetz zum G-10-Gesetz setzt Verfahrens- und Kontrollvorschriften des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses in Landesrecht um und gilt seit 1968. Seit diesem Zeitpunkt besteht unbeschadet aller zwischenzeitlich erfolgten Änderungen des G-10-Gesetzes selbst eine Berichtspflicht des Innenministeriums gegenüber einem Abgeordnetengremium, das die parlamentarische Kontrolle der Durchführung dieses Gesetzes ausübt. Herr Kollege Puls hat auf die Details hingewiesen, die ich hier nicht wiederholen möchte.

Seit fast vier Jahrzehnten hat der Landtag - vertreten durch dieses Gremium - in einem höchst sensiblen

Bereich ohne Schwierigkeiten und Probleme gewirkt, und zwar ungeachtet seiner jeweiligen Zusammensetzung. Das ist eine Tatsache, die dafür sprechen dürfte, dass hier eine praktikable und auch der Sache angemessene Lösung gefunden worden ist. Die Begrenzung der Anzahl der Mitglieder dieses Gremiums trägt natürlich auch den besonderen Sicherheits- und Geheimschutzbelangen Rechnung. Die Zusammensetzung ist auch rechtlich unbedenklich. Insofern bedarf es aus meiner Sicht keiner gesetzlichen Änderung. Dass natürlich die Kontrollintensität gewaltig zunehmen wird, wenn der Herr Oppositionsführer die Führung hat, davon gehe ich aus. So, wie er ist, ist das eine furchterregende Vorstellung für den Innenminister. Ansonsten haben Sie - wie ich gerade gehört habe - im Vergleich mit dem großen Senegal eher Vorlieben für das kleine Jamaika. Das mag so sein. Ich denke aber, Sie werden die Opposition in diesem Haus gewaltig vertreten.

Lassen Sie mich im Ernst noch etwas anderes anmerken: Die Koalitionsparteien haben - wie Sie wissen - verabredet, das Landesverfassungsschutzgesetz dem Recht des Bundes anzupassen. In diesem Zusammenhang wird auch über die Ausgestaltung der parlamentarischen Kontrolle zu reden sein. Das muss man überdenken, denn der Bund hat zum Beispiel das G10-Gremium bereits 1999 abgelöst und dessen Rechte auf das Parlamentarische Kontrollgremium - vergleichbar unserer Parlamentarischen Kontrollkommission - übertragen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ob wir diesen Schritt im Zuge der Anpassung des Verfassungsschutzrechts auch gehen sollten, sollten wir offen diskutieren. Ich empfehle daher, heute die Frage der Besetzung der Gremien - gleich ob G-10Gremium oder Parlamentarische Kontrollkommission - in diesem Zusammenhang erneut aufzugreifen und unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte zu diskutieren.

Dazu gehört allerdings auch das, was der Kollege Dr. Wadephul gesagt hat. Ich sage das in allem Ernst. Die Auseinandersetzung mit den Rechten ist schwieriger, wenn man sich des Verdachts erwehren muss, man manipuliere mit den Dingen, die man beschlossen hat, herum. Das ist ein ernsthaftes Problem. Ich bin immer eher für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Rechten, von denen wir uns nicht wünschen, dass sie in die Landtage einziehen. Es ist aber immer schwierig, wenn man die Regularien, die man hat, manipuliert, um Dinge abzuwehren. Das ist nicht sehr überzeugend. Deshalb sollten wir das sehr ernsthaft betrachten.

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Auch wenn ich relativ jung selbst Parlamentarier bin, muss ich sagen, bei diesem Thema geht es weniger um Regierung und Opposition oder Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen, sondern um Regierung und Parlament. Deswegen kann man sehr wohl darüber reden, wie man das macht, und muss in dieser Frage nicht in den üblichen Formationen denken und die Regularien machen, wie das in anderen Fragen der Fall ist. Wir sollten uns dem offen stellen und das in dem Zusammenhang beraten, den ich eben angesprochen habe.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stegner. - Frau Abgeordnete Anne Lütkes!

Entschuldigen Sie, Herr Präsident. Ich habe mich kurzfristig gemeldet wegen des Schlusssatzes des Herrn Innenministers, der empfohlen hat, in der von ihm vorgetragenen Weise über das Gesetz zu beraten. Das würde mich sehr freuen, wenn wir nicht in der zweiten Lesung wären. Ich bedauere also, dass die gerade gegebene Stellungnahme der Landesregierung nicht im Innen- und Rechtsausschuss mit der Ausführlichkeit und auch mit dieser Perspektivbildung vorgetragen worden ist. In der zweiten Lesung jetzt zu sagen, lasst uns einmal überlegen, wie Opposition, Regierungsfraktionen und Regierung gemeinsam dieses sehr schwierige Thema der Kontrolle der Dienste und Maßnahmen der Überwachung gemeinsam regeln, das finde ich ein bisschen schade. Warum haben Sie das nicht früher getan, Herr Minister? - In diesem Sinne, Herr Minister, erwarten wir insofern Ihre Vorschläge für die Zukunft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister Dr. Stegner, ich erteile Ihnen das Wort.