Wie war das denn eigentlich vor der Wahl? - Die „Welt“ vom 27. Dezember 2004: Simonis will sich nicht vom SSW tolerieren lassen. „Lübecker Nachrichten“ vom 19. Dezember 2004: Ministerpräsidentin Heide Simonis hat einer Minderheitsregierung bereits eine klare Absage erteilt. In den Augen der Menschen sei die duldende Partei das Engelchen, die geduldete Partei das Ferkelchen.
Nach der Wahl betonen in den ersten Tagen Lothar Hay und Anke Spoorendonk unisono: Wir beabsichtigen keine Änderung der Geschäftsordnung. Keine weiteren Privilegien für den SSW!
Und jetzt? - Jetzt bemühen Sie die Juristen und bemühen das Bundesverfassungsgericht, ziehen die Verfassungsrechtler zur Rechtfertigung Ihres Tun heran, bemühen den Spiegelbildlichkeitsgrundsatz und das Transparenzgebot - wobei Sie es doch selbst in der Hand haben - und stellen die Arbeitsfähigkeit dieses Parlaments auf der Grundlage der bisherigen Geschäftsordnung infrage.
Nichts ist mehr übrig von Ihren vollmundigen Ankündigungen, dass Ihr neues Konstrukt zu mehr Demokratie hier im Haus führen werde. Nein, Sie stellen von vornherein die Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse infrage und konstruieren sich Ihre Mehrheiten, indem Rot-Grün dem SSW ein weiteres Privileg aufdrängt und der SSW - wir werden es sehen - es sich aktiv durch sein Abstimmungsverhalten nimmt.
Ich habe das sehr bewusst so formuliert. Denn anders als bei der Änderung des Wahlrechts übernimmt der SSW bei der Entscheidung über die Geschäftsordnung eine aktive Rolle. Mit der Einführung des Grundmandats ist der SSW anders als in der Vergangenheit nicht mehr nur mit Rede- und Antragsrecht in den Ausschüssen vertreten, er soll nach lan
ger Zeit wieder Stimmrecht bekommen. Nur in der ersten und in der vierten Wahlperiode, als der SSW auch über Fraktionsstärke verfügte, war dies der Fall.
Ob nunmehr das von Ihnen beabsichtigte Konstrukt tatsächlich die Arbeitsfähigkeit des Hauses gewährleistet, bleibt dahingestellt. Denn in Zukunft müssen die Abgeordneten des SSW in besonderer Weise in den Gremien präsent sein. Zwei Abgeordnete in acht Ausschüssen, da muten Sie den Kollegen vom SSW und uns einiges zu.
Wir nehmen Sie hier in die Pflicht und erstmals auch in die Mithaftung für das Ergebnis rot-grüner Politik im Land.
Wir werden der Änderung der Geschäftsordnung und der damit verbundenen weiteren Einführung eines Privilegs für den SSW nicht zustimmen. Lassen Sie mich abschließend sagen: Juristisch mag das, was Sie von Rot-Grün sich gemeinsam mit dem SSW hingebogen haben, in Ordnung sein; moralisch ist es das nicht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war typisch für Holger Astrup. Statt uns zu sagen, was legitim ist, wir wollen nämlich die Mehrheitsverhältnisse im Ausschuss sichern und unsere Macht so absichern, versucht er uns demokratietheoretisch zu erklären, welch segensreiche Wirkung im Wahlergebnis liegt. Man versucht, den SSW, nachdem die Fraktionen von Rot-Grün das seit neun Jahren nicht gemacht haben, nun mit einem Grundmandat zu versehen und ihn somit voll in die parlamentarische Arbeit einzubinden. Holger Astrup, wenn es Sozialdemokraten gibt, die immer noch glauben, dass man Menschen draußen im Lande auf diese Art und Weise verdummen kann, dann ist euch noch nicht genug angetan worden. Ihr werdet dann erleben, dass die Menschen bei den nächsten Wahlen das Ihrige dazu beitragen, euch weiter zu dezimieren, statt euch mit weiteren Aufgaben zu betrauen. Das haben sie gar nicht gebraucht. Artikel 12 der Landesverfassung sagt, die Opposition ist die Alternative zu den regierungstragenden Fraktionen.
- Herr Kollege Hentschel, dass Sie von der Verfassung nichts verstehen, leuchtet mir ein. Sie erlauben mir aber doch, zu zitieren. Artikel 12 der Landesverfassung hat einen entsprechenden Wortlaut. Daran sollten Sie sich vielleicht gewöhnen. Den habe ich zitiert.
Mit dem Tolerierungsabkommen hat der SSW signalisiert, dass er nicht mehr in der Opposition sein will, weil er erklärt hat, er trage die Regierung mit, und zwar zunächst in wesentlichen Fragen. Man habe es sich auch vorbehalten, gegebenenfalls anders abzustimmen. Das hat sich mittlerweile erledigt, denn das Begründungselement dafür, dass der SSW in den Ausschüssen sitzen muss, ist, dass die Regierungsmehrheit in jedem Fall gesichert werden muss. Ich betone, in jedem einzelnen Fall. Das bedeutet, liebe Anke Spoorendonk, dass der SSW jetzt für all das, was in Schleswig-Holstein passiert, mit die Verantwortung trägt. Wir werden deutlich machen: Alles, was in Schleswig-Holstein läuft oder nicht läuft, liegt in originärer Verantwortung des SSW. Das werden die Leute draußen im Zweifel auch mit sich selbst und dem SSW ausmachen müssen.
Was folgt daraus? Ich halte es nur für konsequent, dass die Geschäftsordnung geändert wird, aber dennoch frage ich, was daraus folgt. Für mich und für die FDP-Fraktion hat der SSW seine Unschuld verloren.
Er hat ein Privileg, denn er ist als Minderheitenpartei von der Fünfprozenthürde befreit, damit die parlamentarische Vertretung von Minderheiten gewährleistet wird. Ich bestreite nicht, dass das Mandat des SSW ein vollwertiges Mandat ist. Mit dieser Entscheidung hat der SSW sich aber eindeutig in eine politische Ecke gestellt. Er hat sich gegenüber allen anderen demokratischen Parteien zum Mitbewerber erklärt. Er hat damit dokumentiert, dass es keine gemeinsam getragene Minderheitenpolitik mehr gibt, weil der SSW jetzt definitiv gegen Union und FDP steht.
Er hat dafür nach unserer Auffassung die Begründungselemente beseitigt, warum es weitere Privilegierungen dieser Art geben darf. Ich sage ausdrücklich: Wir akzeptieren das. Wir betrachten den SSW jetzt als gleich zu wertenden und gleichgewichtigen politischen Konkurrenten im Wettbewerb. Chancengleichheit und Wettbewerbsgleichheit gelten aber für jede
Partei, die sich anmaßt oder die erklärt, dass sie - wie jetzt der SSW - gestaltend über die Grenzen hinweg wirken wird. Wenn dies heute beschlossen wird, so gibt es kein Begründungselement mehr für die Privilegierung des SSW. Das werden wir deutlich machen, denn Chancengleichheit heißt auch Wettbewerbsgleichheit.
Wettbewerbsgleichheit bedeutet, dass der SSW sich den gleichen Regeln stellen muss wie alle anderen am politischen Prozess in Schleswig-Holstein mitwirkenden Parteien. Darauf werden wir hinweisen und darauf werden wir hinwirken. Ich sage das ganz deutlich. Wir akzeptieren das. Der SSW muss - so denke ich - diese Konsequenz auch akzeptieren. Er darf für sich nicht mehr in Anspruch nehmen, was ihn von uns allen anderen unterscheidet. Er will auch nicht mehr von uns allen anderen unterschieden werden. Er will in allen Bereichen gleichberechtigt tätig sein. Er muss sich dann auch gleich behandeln lassen.
Ich sage es noch einmal: Ich halte es für das Schlimmste, was sich diese Ministerpräsidentin Heide Simonis antun kann und was sich auch die SPD antun kann. Wir werden akzeptieren, dass die SPD eine Minderheitenpolitik, die im Verlauf von 50 Jahren in Schleswig-Holstein gemeinsam getragen worden ist, auf diese Art und Weise infrage stellt und den SSW in diese Rolle hineinbringt.
Ich glaube, dass ist das Bedenklichste, das wir am heutigen Tage feststellen können. Wir werden sehen, was davon übrig bleibt.
(Anhaltender Beifall bei FDP und CDU - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren üble Drohungen! - Unruhe)
Die bilateralen Unterhaltungen können nachher im Flur fortgesetzt werden. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Kollegin Heinold das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine vom SSW tolerierte rot-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein ist Neuland und meine Fraktion freut sich auf die nächsten Jahre und auf die neue Form der Zusammenarbeit.
Nun gilt es, eine verfassungskonforme Lösung für die Sitzverteilung in den Ausschüssen sicherzustellen. Unser heutiger Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung und zur Schaffung eines Grundmandats auch für den SSW beruht auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Verfassungsgericht hat sehr klar begründet, dass und warum sich die im Plenum vorhandene Mehrheit auch in den Ausschüssen widerspiegeln muss. Es geht schlicht um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments, die nur gesichert ist, wenn die Ausschüsse grundsätzlich ein verkleinertes Abbild des Plenums sind. Diese Spiegelbildlichkeit, die wir mit der Änderung der Geschäftsordnung herstellen, ist also keine rot-grüne Erfindung, sondern sie ist verfassungsrechtlich geboten. Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass die Opposition dieser Änderung nicht zustimmt.
Es kann nicht im Interesse der CDU sein, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bewusst zu missachten und eine Lähmung des Parlaments in Kauf zu nehmen.
Wir müssen feststellen, dass weder CDU und FDP noch SPD und Grüne eine Mehrheit im Landtag haben, so schwer es auch fällt. Letztlich sind die Stimmen des SSW ausschlaggebend, wenn sich CDU und FDP sowie SPD und Grüne zusammenschließen. Um dies in den Ausschüssen widerzuspiegeln, müssen wir ein Grundmandat für den SSW schaffen. Die Landesverfassung schreibt uns vor, dass wir uns eine Geschäftsordnung geben, die einen ordnungsgemäßen Geschäftsgang des Parlaments sicherstellt. Ein Kommentar zur Landesverfassung von 1995 stellt fest, dass wir bei der Gestaltung als Parlament einen weiten Gestaltungsspielraum haben.
Ich appelliere an die Opposition, mit dem heutigen Tag den Wahlkampf zu beenden, Tatsachen und Mehrheiten zu akzeptieren und im Interesse des Landes mit uns darüber zu streiten, welches inhaltlich die besten Konzepte für das Land sind.
Wer keine Mehrheit im Plenum hat, der kann auch nicht den Anspruch stellen, eine Mehrheit in den Ausschüssen zu haben, was ohne eine Änderung der Geschäftsordnung der Fall wäre. Dabei spielt es keine Rolle, wer sich als Wahlgewinner oder als Wahlverlierer sieht und wer die stärkste Fraktion im Landtag stellt. Die CDU hatte 2001 in Hamburg zwar prozentual verloren, während die SPD leicht gewonnen hat
te, und insgesamt 10 % weniger der Stimmen als die SPD, dennoch wählte die CDU mithilfe des Rechtspopulisten Schill den Bürgermeister Ole von Beust.
Ich kann verstehen, dass Ihnen das peinlich ist. Es ist also falsch zu behaupten, dass die stärkste Fraktion automatisch einen Anspruch auf die Bildung der Regierung hat. Auch ist es normal, mit knappen Mehrheiten zu regieren. Es gilt noch immer der Satz: Mehrheit ist Mehrheit, den der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Joachim Hörster, 1995 im Bundestag aussprach, als er das verfassungsrechtliche Gebot begründete, dass sich bei der Besetzung der Ausschüsse die vom Wähler getroffene Entscheidung widerspiegeln muss.