Protocol of the Session on June 20, 2003

Bedeutend ist die Einführung der doppelten Abstimmungsmehrheit im Ministerrat und in der Kommission. Damit wird neben der Stimmenmehrheit auch die Gewichtung der Größe der Bevölkerung der einzelnen Staaten Grundlage der Entscheidungen sein. Dadurch wird das Gewicht Deutschlands bei den europäischen Entscheidungen deutlich erhöht.

Bezogen auf das Subsidiaritätsprinzip und die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente wird die klare Aufgabenverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in zwei beigefügten Protokollen präzisiert. Für

(Manfred Ritzek)

Deutschland heißt das, dass künftig sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat bei vermuteten Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip ein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof haben.

Für uns im Landtag bedeutet das, dass wir im Parlament frühzeitig über all das unterrichtet werden müssen, was in Europa für uns Bedeutendes geschieht. Das gilt insbesondere für die Unterrichtung durch die Landesregierung. Das Frühwarnsystem kann nur funktionieren, wenn wir rechtzeitig und umfassend informiert werden.

(Beifall)

Wir müssen wissen, dass wir nichts zurückbekommen, aber dass wir viel verteidigen können, und das müssen wir auch tun.

Der Ausschuss der Regionen, der besser „Versammlung der Regionen“ heißen sollte, erhält mit der neuen Verfassung ein Klagerecht bei der Verletzung der eigenen Rechte und der Subsidiaritätsrechte. Wir müssen aber auch fordern, dass die Vertreter unseres Parlaments im AdR zu Gesetzgebungsvorschlägen der Europäischen Union konkrete Änderungsvorschläge machen. Das geht nur, wenn auch die AdRVertreterin uns rechtzeitig über Gesetzgebungsmaßnahmen informiert. Wer weiß in diesem hohen Hause, was im ersten Halbjahr im AdR besprochen wurde?

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ulrike Rodust!)

Herr Abgeordneter Ritzek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Rodust?

Herr Ritzek, haben Sie die Protokolle des Ausschusses der Regionen, die immer nach der Tagung versendet werden, nicht lesen können?

- Ja, wahrscheinlich habe ich sie nicht bekommen.

Dann gucken Sie bitte auf Ihrem Rechner nach! Sie kriegen sie alle hier im Hause.

- Wunderbar, vielleicht geht die Übermittlung jetzt besser.

Im zweiten Teil sind in 54 Artikeln die Grundrechte der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger aufgeführt, und zwar im Wortlaut der Ende 2000 in Nizza angenommenen Charta der Grundrechte. Damit erhalten die Grundrechte Verfassungscharakter, sie werden

rechtsverbindlich und damit einklagbar beim Europäischen Gerichtshof.

Der umfangreichste, dritte Teil mit 340 Artikeln, der erst Mitte Juli fertig gestellt sein wird, listet die Politikfelder und die Arbeitsweise der Union auf. Es gibt einige Bereiche, die angesprochen worden sind, in denen es noch keine eindeutige Zuordnung gibt, ob es ein Mehrheitsabstimmungsrecht gibt oder eine Abstimmung durch Veto erfolgen kann. Darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen.

Der vierte Teil mit verbleibenden neun Artikeln regelt Schlussbestimmungen wie zum Beispiel die Möglichkeit der Verfassungsänderung, aber auch des Austritts aus der Europäischen Union.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ja. - Wir als Parlamentarier müssen uns intensiv um die europäischen Politikfelder kümmern, besonders dort, wo wir Mitgestaltungsrechte haben, über unseren Bundesrat und über den AdR. Wir müssen aber auch unsere Politikfelder verteidigen.

Lassen Sie uns die Aufgabe, europäische Bürger zu werden, intensiv, fraktionsübergreifend angehen. Ich bitte um Überweisung an den Europaausschuss.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Behm.

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Der europäische Verfassungskonvent hat seine Aufgabe erfüllt. Nach 16 Monaten harter Arbeit liegt der Entwurf für eine europäische Verfassung vor. Nach mir im Moment vorliegenden Meldungen sollen die Regierungschefs in Thessaloniki einstimmig signalisiert haben, dem Entwurf zuzustimmen.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Der 13. Juni 2003 wird als ein historisches Datum in die Geschichte eingehen. An diesem Tag wurde der Kompromiss zwischen den Vertretern von Parlamenten und Regierungen aus 28 Staaten, dem Europaparlament und der Europäischen Kommission über die Zukunft der Europäischen Union im Verfassungskon

(Joachim Behm)

vent erzielt. Die europäische Verfassung macht die EU transparenter, effizienter und demokratischer.

(Beifall im ganzen Haus)

In allen drei Bereichen sind zwar in Zukunft weitere Anstrengungen notwendig, aber das Fundament ist gegossen, auf dem die Europäische Union weiter aufgebaut werden kann.

Man muss nicht blind sein für die Schwächen, die der vom Konvent nach 16-monatigem Ringen vorgelegte Verfassungsentwurf aufweist. Das klang auch schon in den vorangegangenen Reden zum Teil an. Er enthält vieles, was unentschieden und daher unvollkommen ist. Das sieht auch die FDP-Fraktion so. Wer sucht, wird tausend Mängel finden. Dennoch, alle Seiten sind Kompromisse eingegangen, aber das Gesamtresultat ist zunächst einmal wichtiger als die Gewinne und Verluste der Einzelinteressen.

(Vereinzelter Beifall)

Die Konventmethode hat - bei aller Kritik, zuletzt durch den luxemburgischen Premierminister Juncker - echten europäischen Mehrwert gebracht.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Dem Konvent ist es gelungen, über die fundamentalen Fragen Europas eine öffentliche Debatte anzustoßen. Mit der europäischen Verfassung wird deutlich, dass die EU nicht nur ein großer Markt ist, sondern auch ein einzigartiges politisches Projekt.

(Beifall im ganzen Haus)

So stellt allein die bloße Tatsache, dass der Entwurf überhaupt zustande gekommen ist, eine außerordentliche und unerwartete Leistung dar. Ich erinnere an die Empfindungen und Gefühle, die wir vor drei, vier Monaten oder gar noch vor sechs Monaten hatten. Es ist verblüffend: Obwohl fast jeder Teilnehmer des Konvents sagt, er habe sich eigentlich einen besseren Verfassungsvertrag gewünscht, obwohl viele Beobachter den Entwurf unvollkommen nennen, herrscht ein befreites, gutes Gefühl. So sehr eint die Konventmitglieder das Bewusstsein, etwas Unerwartetes, Wegweisendes geleistet zu haben. Und das ist auch gut so.

Der Konvent hat Berge versetzen müssen. Sein Auftrag war, die Quadratur des Kreises herzustellen, eine "mission impossible". Einen konstitutionellen Rahmen zu schaffen für 25 souveräne Staaten - dafür gab es kein Vorbild. Die Gewichte zwischen großen und kleinen Mitgliedern mussten austariert werden. Rat, Kommission, Parlament und der neue Außenminister mussten in ein vernünftiges Verhältnis zueinander

gebracht, die Handlungsfähigkeit des Verbandes gestärkt und zugleich das demokratische Element unterstrichen werden. Dass der Konvent an diesen teilweise widersprüchlichen Zielsetzungen nicht zerbarst, ist zweifellos mit ein Verdienst seines Präsidenten Giscard d'Estaing. Die Eigenwilligkeit einer starken, souveränen Persönlichkeit war notwendig, die Beratungen immer wieder aus der Sackgasse zu holen und zu verhindern, dass unter dem Strich nur ein Sammelsurium minimalistischer Kompromisse herauskam.

(Zurufe)

- Darüber kann man natürlich stundenlang diskutieren und streiten, Herr Fischer.

Der nun vorliegende Entwurf verstellt nichts, er lässt Entwicklungen und Perspektiven zu, ist aber natürlich seinem Wesen nach ein eng gewobener Interessenausgleich, den die Staats- und Regierungschefs in Thessaloniki nur bei Gefahr erheblicher Nebenwirkungen werden aufschnüren können. Aber offensichtlich - das Signal liegt vor - wird das nicht der Fall sein.

Meine Damen, meine Herren, bei aller Enttäuschung - auch bei der FDP - über einzelne Punkte des Verfassungsvertrages, wie etwa der Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und einer zu umfassend definierten Rolle der Europäischen Union im Bereich der Koordinierung der Wirtschaftspolitik, bedeutet der Verfassungsentwurf einen wichtigen Schritt zu einer demokratischeren, bürgernäheren und transparenteren Union.

(Beifall im ganzen Haus)

Zur Erinnerung: Der Konvent hatte unter anderem den Auftrag, die Verteilung der Aufgaben zwischen der nationalen und der europäischen Ebene besser abzugrenzen. Der Verfassungsentwurf erfüllt diesen Auftrag durch die Schaffung von drei Kompetenzkategorien. Frau Rodust ist darauf schon eingegangen, deswegen wird Ihnen das bekannt vorkommen, was ich jetzt sage. Die EU verfügt - abhängig vom Politikfeld - über ausschließliche, geteilte und ergänzende Kompetenzen. Gleichzeitig wurde den teilweise seit langem erhobenen Länderforderungen nach mehr Subsidiarität, begrenzter Einzelermächtigung sowie Verhältnismäßigkeit ein Stück weit Rechnung getragen. Für die Durchführung der EU-Aufgaben wurde ein einheitlicher Rahmen geschaffen, in dem das Europaparlament, die Europäische Kommission und der Ministerrat ihre jeweilige Rolle für die europäische Politik wahrnehmen.

(Joachim Behm)

Das Europäische Parlament wird in diesem Dreieck gestärkt, denn es wählt in Zukunft den Chef der europäischen Exekutive, den Präsidenten der Kommission, für fünf Jahre. Damit entsteht eine direkte Verbindung zwischen den allgemeinen und direkten Parlamentswahlen und dem Regierungssystem in Brüssel.

(Beifall der Abgeordneten Ulrike Rodust [SPD])

Auch die Kommission wird durch diese parlamentarische Legitimation gestärkt, was in einer Union mit mehr als 25 Mitgliedstaaten dringend notwendig ist, damit sie ihre Unabhängigkeit gegenüber nationalen Interessen wahren kann. Die Kommission muss auch in Zukunft der europäische Motor sein.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])