Protocol of the Session on June 18, 2003

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Achtens. Egal wie man zum Nordstaat steht, wir müssen die Zusammenarbeit der norddeutschen Länder in der Praxis weiter ausbauen, mit Hamburg, aber auch mit den anderen norddeutschen Ländern. Die Fusion der Landesbanken, die Integration der Datenzentralen, die einheitlichen Fahrkarten für Busse und Bahnen, die Integration der Statistischen Landesämter, alles das sind erste erfolgreiche Schritte. Es ist schon bemerkenswert, es ist geradezu amüsant, wenn Herr Carstensen zwei von diesen Maßnahmen als Forderungen, die er mit seiner neuen Regierung umsetzen will, auf dem Landesparteitag verkündet, obwohl die schon längst beschlossen sind und umgesetzt werden.

Wir werden aber auch in Zukunft weiter denken und ich kann Herrn Carstensen gute Beispiele dafür bringen, was noch umgesetzt werden muss, nämlich die Zusammenlegung der Eichämter, der Verfassungsschutzbehörden, die Abstimmung der Studienangebote an den Hochschulen und so weiter. Wir sind gespannt, wer mitzieht.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Neuntens. Wir wollen die Verwaltungsstrukturreform zügig vorantreiben. Ich begrüße den Aufruf von Minister Buß letzte Woche, kommunale Leistungszentren in der Fläche zu bilden. Ja, wir wollen eine Verwaltungsstrukturreform auch in den Kommunen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Karl-Martin Hentschel)

Dafür wollen wir in erster Linie finanzielle Anreize schaffen.

(Zuruf von der CDU)

Lieber Herr Maurus, zu Ihrer Lage auf Sylt: Auf Sylt sind bereits fünf Gemeinden dafür, dass Sylt sich zu einer Gemeinde zusammenschließt. Demnächst sind es sechs. Wenn dann die einzige Gemeinde, die noch blockiert, Kampen ist, dann weiß doch jeder, warum Kampen blockiert. Dann ist doch die Frage, soll denn eine Verwaltungsstrukturreform auf Sylt daran scheitern, dass Kampen dagegen ist? Dann sage ich ganz deutlich, darüber muss geredet werden können, da dürfen wir keine Tabus aufstellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin dafür, dass dann auch solche Entscheidungen getroffen werden können, Herr Maurus, mit dem Willen eines Großteils der Bevölkerung von Sylt, wo Sie herkommen. Ihre Gemeinde ist auch dafür.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Beim Standardabbau ist es unser Ziel, nach Möglichkeit neue Strukturen zu schaffen. Wir wollen den Ämtern demokratische Verwaltungen an die Seite stellen und wollen nach Möglichkeit, dass das schon 2008 bei den Kommunalwahlen geschieht. Daran werden wir die anderen Parteien messen, Ihre besonders.

Beim Standardabbau sind wir offen für konkrete Vorschläge,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Seit wann?)

aber bitte nicht mit Generalklauseln wie im Standardabbaugesetz der CDU. Selbst der Landesrechnungshof hat Ihnen nun bescheinigt, dass das, was Sie vorgeschlagen haben, in Mecklenburg umgesetzt worden ist. Nach mehreren Jahren Praxis ist Folgendes passiert: Es hat vier Anträge von Gemeinden gegeben, einen Standardabbau in einem Punkt vorzunehmen. Davon konnten zwei bestätigt werden, weil es um Landesvorschriften ging, zwei betrafen Bundesvorschriften. So kriegt man keinen Standardabbau hin. Wenn man das will, muss man konkret sagen, was man will, muss ganz konkrete Punkte nennen. Dazu sind Sie aufgefordert. Die Landesregierung hat in mehreren Runden zum Standardabbau Vorschläge gemacht und diese Dinge sind systematisch abgearbeitet, es ist alles dokumentiert. Jeder von Ihnen war aufgefordert, eigene Vorschläge zu machen. Alle Vorschläge, die von Ihnen gemacht worden sind, sind eingearbeitet worden. Wenn Sie neue Vorschläge haben, kommen Sie nach vorn, tragen Sie die hier

vor, aber erzählen Sie nicht, Sie machten Generalgesetze, die anschließend nichts bringen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch für die Opposition gilt: Wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen, virtuelle Töne gelten nicht.

(Unruhe)

Herr Abgeordneter Hentschel, einen Augenblick. - Meine Damen und Herren Abgeordnete, die Lobby befindet sich draußen.

Sie haben wieder das Wort.

Zehntens. Das A und O jeglichen Sparens ist bekanntlich die Personalpolitik. Seit Rot-Grün regiert, haben wir über 10.000 Stellen ausgelagert und 2.000 Stellen in Ministerien und Landesämtern echt abgebaut. Das sind fast 20 %. Nach einer Berechnung des Instituts für Weltwirtschaft hatte Schleswig-Holstein 2002 von allen Westländern die geringsten Personalausgaben mit 1.053 € je Einwohner. Das ist ein konservatives Institut, das sicherlich unverdächtig ist.

Am 5. Juni 2003 forderte Kollege Wiegard von der Union einen Abbau der reinen Verwaltungsstellen von 22.000 um 4.400 Stellen. Wohlgemerkt, es gibt in Schleswig-Holstein noch 9.600 reine Verwaltungsstellen. Er wollte 4.400 Stellen von 22.000 abbauen. Leider hat er sich da um mehr als 100 % verrechnet. Aber bei der Reduzierung des Weihnachtsgeldes kriegen Sie kalte Füße. Hier rate ich der Opposition: So nicht, Herr Wiegard. Große Töne spucken, sich bei den Zahlen völlig verrechnen, und wenn es konkret wird, passen; das geht nicht.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, uns stehen spannende Zeiten bevor. Ich fordere die Opposition auf: Beteiligen Sie sich konstruktiv an den Reformen und hören Sie auf, ununterbrochen finanziell haltlose Versprechungen zu machen. Ob in Niedersachsen, ob in Hamburg, ob in Hessen, jedes Mal hat der Regierungswechsel für die Staatskasse Mehrausgaben in dreistelliger Millionenhöhe gebracht, um die Wahlversprechen zu finanzieren. Ich werde darum kämpfen, dass das in Schleswig-Holstein nicht passiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Karl-Martin Hentschel)

Hören Sie auch auf mit dem Zirkus im Untersuchungsausschuss, Herr Kerssenbrock. Sie glauben doch selbst nicht, dass Heide Simonis der Typ ist, der geheime Verschwörungen auf Geburtstagsfeiern plant. Setzen Sie Ihre Energien lieber produktiv für das Land ein. Max Frisch sagte einmal: „Die Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihm bloß den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Ich spüre diesen produktiven Zustand in der Bevölkerung, und ich spüre ihn auch in meiner Partei. Die Entschlossenheit, die Probleme anzugehen, auch wenn es schwierig ist, war nie so groß. Also im Sinne der Ruck-Rede unseres ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog: Lassen Sie uns rucken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der letzten Landtagstagung Anfang Mai, in der wir bekanntlich einen Nachtragshaushalt für 2003 beschlossen haben - ich sage das im Hinblick auf einen späteren Tagesordnungspunkt -, hat es wahrlich auf Bundes- wie auf Landesebene viele Turbulenzen - um nicht zu sagen Hiobsbotschaften in Hülle und Fülle - gegeben: das vernichtende Ergebnis der Mai-Steuerschätzung, das Eingeständnis des erneuten Überschreitens der Maastricht-Kriterien, die weiter negativ anhaltenden Konjunkturerwartungen, die Arbeitslosenzahlen, der Hilferuf der fast bankrotten Kommunen - und dann auch noch die dramatischen Unterschüsse in allen vier großen Sozialversicherungssystemen, bei der Rente, den Krankenkassen, der Arbeitslosen- und der Pflegeversicherung. Alles dies macht deutlich: Die Bundesrepublik befindet sich an einem Scheideweg. Gemeinsam sind wir nun gefragt, dafür zu sorgen, dass daraus keine Sackgasse wird.

Als eines der 16 Bundesländer kann sich SchleswigHolstein natürlich nicht von dieser betrüblichen Entwicklung abkoppeln, zumal viele der entscheidenden Weichenstellungen in Berlin oder in Brüssel getroffen werden. Auch wenn es in einigen Bereichen - etwa beim Wirtschaftswachstum 2002 oder bei den Existenzgründungen - im Ländervergleich ein gutes Abschneiden für Schleswig-Holstein gegeben hat, müssen wir erkennen, dass die Lage auch bei uns sehr Ernst ist. Die höchsten Arbeitslosenzahlen in Schleswig-Holstein seit 50 Jahren - mit einem Anstieg der

Arbeitslosigkeit um 17.000 oder um 14,8 % innerhalb eines Jahres - sprechen für sich.

Auch die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist für unsere Jugend so schlecht wie lange nicht mehr. Seit Oktober 2002 hat es einen Rückgang bei den Ausbildungsstellen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 2.000 Stellen oder um 12,2 % gegeben. 7.200 jungen Erwachsenen, die Ende Mai 2003 noch eine Ausbildungsstelle suchten, standen nur 4.100 freie Stellen gegenüber, 800 weniger als im Mai des Vorjahres - trotz größter Anstrengungen der Landesregierung und des Bündnisses für Ausbildung in Schleswig-Holstein.

Dazu kommt ein erheblicher Anstieg der Konkurse. Die Schließungen von Werken oder der Verlust von vielen Arbeitsplätzen bei großen Betrieben führten in diesem Frühjahr leider immer wieder zu Schlagzeilen. Auf regionaler Ebene kommt in naher Zukunft noch die Schließung des Marinefliegergeschwaders 2 in Eggebek/Tarp mit dem Verlust von mehreren Tausend Arbeitsplätzen hinzu. - Eine schwerwiegende Fehlentscheidung der Bundesregierung, die aus regionalpolitischer Sicht nicht leicht zu verkraften sein wird!

Die Ergebnisse der Steuerschätzung waren auch für Schleswig-Holstein - sowohl für das Land als auch für die Kommunen - katastrophal und diese Zahlen basieren sogar noch auf einer optimistischen Annahme für die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre. Gerade in der letzten Woche hat das Statistische Landesamt in einem Kurzbericht dargelegt, dass die vereinnahmten Steuern in Schleswig-Holstein - einschließlich des Länderfinanzausgleichs sowie der Bundesergänzungszuweisungen - 2002 im Verhältnis zu 2001 um 123 Millionen € oder um 2,3 % zurückgingen, während die Ausgaben durch die schlechte konjunkturelle Entwicklung gleichzeitig angestiegen sind.

Der Handlungsbedarf in Bund und Land ist also enorm. Deshalb ist es auch richtig, dass die Landesregierung heute diese Regierungserklärung zur politischen und wirtschaftlichen Situation gibt. Das ist angesagt. Es ist auch deshalb wichtig, weil sich in letzter Zeit manchmal der Eindruck erhärtet, dass sich schon bei Manchem im Lande die Parole breit macht, die besagt: Abwarten bis 2005 und nach der Landtagswahl weitersehen. Das wird so aber nicht funktionieren. Wir kommen nicht weiter, wenn wir die Probleme - in Anlehnung an einen alten GraffitiSpruch - wie einen Fisch behandeln, den wir so schnell wie möglich wieder ins Wasser verfrachten möchten.

(Anke Spoorendonk)

Sicherlich könnten wir noch einige Jahre so weiter wursteln wie bisher und vielleicht noch relativ gut von der Substanz leben, aber irgendwann werden wir dann höchstwahrscheinlich vor einem Zusammenbruch der gesamten staatlichen Ordnung stehen. Wir müssen erkennen, dass wir alle - und damit meine ich Politikerinnen und Politiker genauso wie Unternehmerinnen und Unternehmer oder die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes - es versäumt haben, unser gesellschaftliches System, das ja auch jahrzehntelang hervorragend funktioniert hat, beizeiten für die Herausforderungen einer globalisierten Umwelt fit zu machen. Viele unserer Nachbarländer haben den notwendigen Reformprozess Anfang der 90er-Jahre in Gang gesetzt, während wir bei uns weiter Stillstand hatten.

Dafür gibt es natürlich Erklärungen: Eine Erklärung ist die Bewältigung der Folgen der deutschen Einheit, die Politik und Wirtschaft in den 90er-Jahren sehr beschäftigte. Eine andere Erklärung ist eben auch, dass die Bundesrepublik ein Erfolgsmodell war. Wer ändert schon gern ein erfolgreich erprobtes Modell? Ein weiterer wichtiger Faktor sind sicherlich die mächtigen Interessengruppen, die keine Veränderungen wollen. Doch spätestens seit Mitte der 90er-Jahre waren die heutigen Probleme unserer Sozialversicherungssysteme, unseres Bildungssystems oder die Verkrustungen unseres Arbeitsmarktes schon deutlich erkennbar und bereits zu der Zeit hätte eine Umkehr erfolgen müssen.

Die rot-grüne Bundesregierung hat zwar seit 1998 auf einigen Gebieten wichtige Reformen durchgeführt. Doch verführt durch den kurzweiligen wirtschaftlichen Boom von 1999 bis Anfang 2001 hat sie es leider versäumt, den notwendigen Wandel in Deutschland voranzutreiben. Seit der Wiederwahl der Bundesregierung im letzten Herbst haben wir in Berlin ein politisches Schauspiel und ein Durcheinander erlebt wie selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt zwar den berühmten Spruch: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“aber ich halte mich lieber an die optimistischere Variante: „Es ist nie zu spät, etwas Neues anzufangen“. Unter diesem Motto hat sich Bundeskanzler Schröder im März ja zu seiner so genannten Agenda 2010 durchgerungen. Man kann die Agenda 2010 befürworten oder ablehnen - und bei der morgigen Debatte über die sozialen Sicherungssysteme werden wir uns ja mit den Details auseinandersetzten -, aber eines ist heute schon klar: Die Vorschläge der Agenda 2010 werden weder hinten noch vorn ausreichen, um dieses Land aus der Krise zu führen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Hört, hört!)

Bestenfalls sind sie ein kleiner Schritt, um aus der Misere herauszukommen. Schlimmstenfalls ist es nur ein kurzweiliges „Herumdoktern“ an einigen Stellschrauben des Systems, das sogar die wirtschaftliche Krise noch verstärken könnte. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung hat in einer Untersuchung ermittelt, dass die Agenda 2010 zu einem kurzfristigen Abbau von rund 100.000 Arbeitsplätzen führen wird, weil die Binnenkonjunktur weiter geschwächt wird. Dabei möchte ich in Klammern hinzufügen, dass wir die Vorschläge der CDU/CSU - beispielsweise im Gesundheitsbereich - genauso als „Herumdoktern“ ansehen.

Wenn es also einen positiven Aspekt bei der aktuellen Diskussion um das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform auf 2004 gibt, dann ist es der, dass jetzt auch die Bundesregierung die schlechte Binnenkonjunktur als das wirkliche Übel erkannt hat. Konkret bedeutet dies, dass man sich in einer Übergangsphase von einer zu restriktiven Haushaltspolitik verabschieden muss.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Die Gewerkschaften und auch der wenig beliebte ehemalige Finanzminister Oskar Lafontaine vertreten ja schon seit einigen Jahren die These, dass die wirtschaftliche Schwäche durch eine Belebung der Binnennachfrage überwunden werden könnte.

Wir brauchen also einen Kickstart der Binnenkonjunktur, um die viel zu hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. Dabei gibt es verschiedene Ansätze: zum einen die Stärkung der Nachfrage durch Steuersenkungen - das ist die neoliberale Variante, die wir aus den USA und aus Großbritannien kennen - oder zum anderen die Stärkung der Nachfrage durch gezielte staatliche Investitionen beispielsweise in Infrastruktur oder Bildung. Diese Variante vertritt der DGB. Sie ist zum Beispiel auch beim Regierungswechsel in Dänemark 1993 erfolgreich von den Sozialdemokraten angewandt worden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ach, Anke!)