Protocol of the Session on June 18, 2003

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ach, Anke!)

Beide Varianten, lieber Kollege Garg, reißen kurzfristig große Löcher in die öffentlichen Haushalte. Aber langfristig würden sich durch den Abbau der Arbeitslosigkeit und durch höhere Steuereinnahmen die öffentlichen Kassen wieder füllen.

So weit die Theorie. Allerdings gibt es bei der Steuersenkungsvariante, die vonseiten der Bundesregierung bevorzugt wird, ein Problem, das auch angesprochen werden sollte. Die Bürgerinnen und Bürger

(Anke Spoorendonk)

werden die gesparten Steuern nur dann in den Konsum investieren, wenn sie Vertrauen in die Politik haben. Ansonsten wird es sich jeder Einzelne doch zweimal überlegen, ob er sein Geld nicht lieber für bessere Zeiten horten sollte. Mangelndes Vertrauen in die Politik wird in der jetzigen Situation zu einer höheren Sparquote, zu Stagnation und schlimmstenfalls zu Deflation führen, wie es sie bereits seit zehn Jahren in Japan gibt. Dies wurde kürzlich in einem „Spiegel“-Bericht auch als Gefahr für Deutschland dargestellt.

Weder die Bundesregierung noch die Opposition im Bundesrat haben in den letzten Jahren und Monaten viel dazu beigetragen, dass das notwendige Vertrauen in die Politik gestiegen ist. Die einen führen einen Zickzackkurs und die anderen blockieren im Bundesrat jeden vernünftigen Fortschritt.

(Beifall beim SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Gut, dass es den SSW gibt!)

- Lieber Kollege Garg, nein, der SSW nicht. Vor dem Hintergrund der geführten Debatte möchte ich auch noch einmal Folgendes sagen: Mir platzt allmählich der Kragen, wenn ich mir vor Augen halte, welche Schaukämpfe hier heute Morgen geführt worden sind, während heimlich gemeinsame Spargelessen veranstaltet werden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich habe keinen Spargel gegessen! - Holger Astrup [SPD]: Das ist ein unsinniger Vergleich! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Was hast du gegen Spargel?)

- Lieber Kollege Astrup, ich meine, man sollte doch einmal versuchen, sich zu dämpfen, und man sollte versuchen zu sehen, was man gemeinsam im Parlament durchführen könnte.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Menschen in Deutschland wissen sehr wohl, was die Stunde geschlagen hat. Auch das ist heute schon mehrfach gesagt worden. Das ist sozusagen die andere Seite der Medaille unserer Wissensgesellschaft. Die allermeisten Menschen haben die politischen Spielchen der Politikerinnen und Politiker satt. Sie wollen Ergebnisse und eine verlässliche Politik. Sie lassen sich nicht an der Nase herumführen.

Wenn sich Bund und Länder also auf einen langfristig angelegten und berechenbaren politischen Kurs zum Umbau unserer Gesellschaft einigen würden, wären die Bürgerinnen und Bürger auch bereit, eigene Opfer zu bringen. Das, denke ich, ist die gute Nachricht.

Genau an dieser Stelle will die Landesregierung ansetzen; denn über den Bundesrat will sie zukunftweisende Entscheidungen für das Land herbeiführen. Das begrüßt der SSW ausdrücklich. Wir begrüßen auch, dass die Landesregierung erkannt hat, dass wir uns nicht allein aus der Misere heraussparen können, sondern dass wir alle Maßnahmen ergreifen müssen, um die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Deshalb unterstützen wir auch die Forderung, durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer die Senkung der Lohnnebenkosten zu erreichen.

In ihrem neuen Buch fordert die Ministerpräsidentin sogar noch radikalere Reformen, so zum Beispiel die Einführung eines steuerfinanzierten Sozialsystems und eine Grundrente. Diese Forderungen decken sich mit den Zielsetzungen des SSW, zu einer Reform der sozialen Sicherungssysteme nach skandinavischem Vorbild zu kommen. Aber davon morgen mehr.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich wird das allein nicht reichen. Die Ministerpräsidentin hat in ihrer Regierungserklärung heute Morgen weitere wichtige Weichenstellungen angekündigt.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Welche denn?)

Nur ein wirklicher Abbau der Arbeitslosigkeit wird also langfristig zur Haushaltssanierung des Landes beitragen können. Dieses Ziel muss am Anfang aller Bemühungen stehen.

Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur wird es sehr darauf ankommen, wie schnell die A 20 und die westliche Elbquerung gebaut werden können. Daher ist es positiv, dass der Weiterbau der A 20 in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans aufgenommen worden ist.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Der Bau der westlichen Elbquerung wird von der Entscheidung der Landesregierung in Niedersachsen abhängen. An diesem Projekt wird sich zeigen, ob die viel gepriesene norddeutsche Zusammenarbeit in der Praxis funktioniert. Ich kann der CDU nur empfehlen, sich mit ihren Kollegen in Niedersachsen zusammenzusetzen.

Für die wirtschaftliche Entwicklung der schleswigholsteinischen Westküste bleibt der Bau der westlichen Elbquerung eine Kernforderung des SSW.

Im Bereich des Schienennahverkehrs gibt es bereits seit einigen Jahren gute Fortschritte. Die Rettung der

(Anke Spoorendonk)

Interregiostrecke Flensburg - Hamburg durch die Übernahme der Flex AG und die Vergabe der Westküstenbahn an die NOB sind positive Beispiele für eine zukunftweisende und gelungene Privatisierung von Verkehrsdienstleistungen. Unser Dank gilt an dieser Stelle - das möchte ich auch sagen - dem Wirtschafts- und Verkehrsminister. Wir hoffen, dass er auch allmählich einsieht, dass Kiel-Holtenau in Zukunft kein Thema mehr sein sollte.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der CDU)

Um auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich sein zu können, brauchen wir gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und zwar sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der privaten Wirtschaft. Daher brauchen wir ein modernes und leistungsfähiges Bildungssystem. Wir kennen aber alle zur Genüge die Mängel unseres Bildungswesens. Diese lassen grüßen. Auch das ist heute schon mehrfach gesagt worden. Zwar begrüßt der SSW die vielen kleinen Schritte zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung, der Lehrerausbildung und der Unterrichtsqualität. Es sind Maßnahmen in Angriff genommen worden, die zu einer Verbesserung der Unterrichtsqualität und der Unterrichtsversorgung führen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Die Lehreraus- bildung wird schlechter! - Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jede Änderung ist für Sie schlecht! Nur wenn sie von der FDP kommt, ist das anders! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Das gilt für die Grünen genauso!)

- Das ist in Ordnung, lieber Kollege. - Wir vermissen aber - das will ich denn auch noch einmal sagen -, dass endlich auch die Strukturen an den Schulen infrage gestellt werden. Nur wer langfristig die Strukturen ändert und beispielsweise die Schülerinnen und Schüler länger zur Grundschule gehen lässt, wird entscheidend vorankommen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine sechsjährige Grundschule ist wirklich angesagt. Ich kann allen nur empfehlen, sich einmal anzuschauen, was in den Schulen der dänischen Minderheit geleistet wird. Ich habe es bereits mehrfach angesprochen: Wenn man die Schulen im ländlichen Raum erhalten will, dann sollte man die Schulen der dänischen Minderheit als Vorbild betrachten.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Hochschulbereich ist die Landesregierung mit der Umsetzung der Vorschläge der ErichsenKommission ein gutes Stück weitergekommen. Viele der Ansätze - das habe ich im Landtag bereits bei der ersten Beratung der Empfehlungen der ErichsenKommission gesagt - finden unsere Unterstützung. Dennoch gibt es aus Sicht des SSW weiterhin nicht nur Licht, sondern auch Schatten. Besonders bitter ist für uns immer noch die geplante Schließung der Fachhochschule Eckernförde; denn vieles spricht dafür, dass der Erhalt dieses Standortes für das Land die kostengünstigste Lösung ist.

Die Landesregierung hat glücklicherweise erkannt, dass eine Verlagerung der Studiengänge des Instituts für Internationales Management der Universität Flensburg an die Fachhochschule die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gefährdet hätte. In Klammern bemerkt: Der Kollege Kayenburg scheint dies noch nicht richtig erkannt zu haben. Zumindest ging das so aus seiner Rede hervor. Also, dieses Problem ist vom Tisch.

Allerdings darf der Erhalt der deutsch-dänischen Studiengänge nicht gegen die anderen Vorschläge der Erichsen-Kommission ausgespielt werden. Die Kommission hat deutlich gemacht, dass die Hochschulen im Land nur dann wettbewerbsfähig sind, wenn sie ihr individuelles Profil schärfen können. Vor diesem Hintergrund ist der Beschluss der Landesregierung, weiterhin Teile der Realschullehrerausbildung in Kiel zu belassen und die Diplompädagogik nur teilweise in Flensburg zu konzentrieren, ein Fehler. Solche Doppelangebote verhindern die notwendige Profilbildung der Universität Flensburg als vermittlungswissenschaftliches Kompetenzzentrum des Landes. So heißt es in den Empfehlungen der Erichsen-Kommission.

Es ist auch falsch, der Universität Kiel die Entscheidung zu überlassen, ob sie am Modellversuch zur Umstellung der Lehramtsausbildungen auf Bachelor- und Master-Studiengänge teilnimmt. Diese Reform kann nur funktionieren, wenn sie konsequent für alle Schularten erfolgt. Hier hätten wir uns mehr Mut von der Landesregierung gewünscht und weniger Rücksichtnahme auf die auch in diesem Landtag doch sehr starke Lobby der CAU zu Kiel. Die Landesregierung muss jetzt eine grundlegende Reform anpacken, denn es wird auf lange Sicht keine zweite Chance geben.

Mehr Mut fordern wir auch im Bereich der Verwaltungsreformen auf Landes- und Kommunalebene. Die von der Landesregierung im Frühjahr vorgestellten 49 Punkte zur Verwaltungsstrukturreform müssen jetzt in Angriff genommen werden. Natürlich hat die Beantwortung der Großen Anfrage über die Verwaltungsstrukturreform gezeigt, dass die Implementie

(Anke Spoorendonk)

rung nicht immer so zügig und effizient vonstatten geht, wie wir uns das vorstellen. Realistisch gesehen aber läuft uns die Zeit davon. Deshalb begrüßt der SSW, dass diese Vorschläge endlich zeitnah umgesetzt werden sollen.

Allerdings lehnen auch wir die Forderung der CDU zum Arbeitsplatzabbau in den Verwaltungen ab. Wer glaubt, so aus dem Nichts 4.400 Stellen bei der Landesverwaltung einsparen zu können, sollte diese Vorschläge auch wirklich konkretisieren und nicht zur öffentlichen Verunsicherung der Beschäftigten des Landes beitragen.

(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Jürgen Weber [SPD])

Im Übrigen sind diese Beschäftigten durch die Ankündigung, den Beamten das Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu kürzen, schon genügend unter Druck gesetzt.

Wir bleiben dabei: Das Land braucht in Zukunft leistungsfähige und motivierte Beamte und Angestellte, wenn das Ziel, den öffentlichen Dienst zu modernisieren, Ernst genommen werden soll. Da gibt es genügend anzupacken. Ich erinnere noch einmal daran, dass es heute, im Jahr 2003, eigentlich nicht angehen kann, dass in der öffentlichen Verwaltung immer noch sieben, acht Stellen unterzeichnen müssen, wenn eine Vorlage umgesetzt werden soll.

Auch die finanzielle Situation der Kommunen in Schleswig-Holstein ist dramatisch. Wir brauchen daher schnellstmöglich eine Gemeindefinanzreform, um die Einnahmen der Städte und der Gemeinden zu verbessern und zu verstetigen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dem Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Auch hier kann der SSW die Bemühungen der Landesregierung auf Bundesebene unterstützen. Allerdings glauben wir auch, dass man von den Kommunen selbst zukunftsfähige Lösungen, zum Beispiel freiwillige Zusammenlegungen von kleinen Gemeinden, einfordern muss.

(Jürgen Feddersen [CDU]: Auf keinen Fall!)

Es kann nicht angehen, dass Schleswig-Holstein am Anfang des 21. Jahrhunderts noch immer knapp 1.100 Kommunen hat, während unser nördliches Nachbarland mit 270 Kommunen auskommt und jetzt sogar eine Verkleinerung auf circa 60 Großkommunen plant. Hier müssen unsere Kommunen mehr Mut aufbringen.

Mit dieser Regierungserklärung sollte es laut Pressemitteilung um mehr als um eine Stellungnahme zur

aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation auf Bundes- und auf Landesebene gehen. Im Kern haben wir es auch mit einer Grundsatzrede der Ministerpräsidentin zu tun gehabt. Der Blick zurück ist aus unserer Sicht weniger wichtig als die Perspektiven, die sich daraus für die nächsten Jahre und damit auch für die Zeit nach 2005 ergeben.