Protocol of the Session on April 4, 2003

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Jost de Jager [CDU])

Durch den Mord an dem elfjährigen Jakob von Metzler aus Frankfurt - Sie haben es ausgeführt, Kollege Geißler - erhielt die Debatte über Folter als Vernehmungsmethode grausame Aktualität. In Frankfurt wurde die Androhung von Gewalt bei der Polizei angeordnet, um den Aufenthaltsort des kleinen Jungen von dem dringend Tatverdächtigen zu erfahren. Die Beamten der Frankfurter Polizeibehörde taten dies in der Hoffnung, den Jungen noch lebend anzutreffen. Es sollte sich herausstellen, dass diese Hoffnung vergebens war. Nur ein Polizist hatte den Ge

(Wolfgang Kubicki)

waltanweisungen widersprochen. Das allein muss uns zum Nachdenken bewegen.

Dieser Fall eröffnete eine bundesweite Diskussion. Wie es bei diesen Diskussionen immer ist, zweifelte die Mehrheit der Bevölkerung am Sinn einer Rechtsordnung, die an der Vorstellung von unveräußerlichen Rechten auch dann festhält, wenn sie einem Menschen zugute kommen, der eines so widerwärtigen Verbrechens wie der Erpressung, der Entführung und Ermordung eines Kindes dringend verdächtigt ist. So menschlich nachvollziehbar die Aktion der beteiligten Beamten in dieser Situation war, so falsch war sie auch. Jede Form von Folter ist verboten und zu ächten.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für den liberalen Rechtsstaat gibt es keine Alternative. Dazu gehört, dass wir das Recht - selbst in seiner Fehlbarkeit - über den Anspruch auf totalen Selbstschutz, absolute Kontrolle und lückenlose Gerechtigkeit stellen. Unsere Verfassung bindet jedes staatliche Handeln. Kollege Geißler hat darauf hingewiesen, die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht es im Grundgesetz. Artikel 104 des Grundgesetzes besagt darüber hinaus, dass festgehaltene Menschen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden dürfen. Diese Norm wird noch durch Artikel 3 und Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention untermauert. Hinzu tritt die Erklärung der Vereinten Nationen über den Schutz vor Folter und anderen grausamen oder unmenschlichen Behandlungen. Übrigens müssten wir die Vereinten Nationen verlassen oder den Vertrag aufkündigen, wollten wir dies ändern. Dort wird Folter in einer Weise definiert, dass der Fall von Frankfurt mit Sicherheit darunter gefallen wäre. Sie legt jedem Staat die Verpflichtung auf, „bei der Ausbildung von Strafvollzugspersonal sowie anderer Träger staatlicher Gewalt, die für Häftlinge verantwortlich sein können, sicherzustellen, dass das Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vollständig behandelt wird“. Auch in § 136 a der Strafprozessordnung ist geregelt, dass die Androhung von Gewalt bei Vernehmungen von Tatverdächtigen verboten ist. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, das fortzuentwickeln - was auch der Bundesverfassungsgerichtsrichter Professor Hassemer erklärt hat und was im amerikanischen Recht übrigens zwingend wäre -, sodass allein aus diesem staatlichen Fehlverhalten ein absolutes Strafverfolgungshindernis folgen würde. Die Amerikaner sind da grausamer als wir, sie machen das selbst bei Mord und Massenmorddelikten. Wenn Verfahrensregeln nicht eingehal

ten werden, ist das Verfahren zu Ende. Dort hat das Prozessrecht einen noch größeren Stellenwert als bei uns, weil sie glauben, dass Gerechtigkeit nur aus der Einhaltung der prozessrechtlichen Vorschriften geboren werden kann.

Schließlich genügt ein Blick auf die Entstehung des Folterverbots in unserer Verfassung, um die Bedeutung dieser Schutznorm wirklich zu begreifen. Das Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt ist eine direkte Reaktion auf die Erfahrungen des Naziterrors von 1933 bis 1945. Es gehört zu den zentralen Fortschritten in der deutschen Nachkriegsordnung, an denen das „Nie wieder!“ überdeutlich wird. Insofern war es unverständlich, dass einige wenige irregeleitete Juristen - ich hätte mich gefreut, wenn wir bei der Debatte hier den Kollegen Mackenroth hätten begrüßen können - an hervorgehobener Stelle mit ihren Stellungnahmen teilweise das Verhalten der Frankfurter Polizeibeamten zu rechtfertigen versuchten. Unser Bundesinnenminister wird in der „Zeit“ sogar mit den Worten zitiert:

„Der Polizeibeamte hatte keine schlechten Absichten, als er Schmerzen androhte.“

Abgerundet wurde die Diskussion von Bundesjustizministerin Zybries, die dem Rechtsstaat keinen Gefallen tat - das sage ich ausdrücklich -, als sie im Zusammenhang mit den Vorgängen in Frankfurt in den „Lübecker Nachrichten“ erklärte, im Fall Metzler könne man dem Beamten einen rechtfertigenden Notstand zubilligen; im Zweifel werde man den Polizisten freisprechen. Von Herrn Schily sind wir ja spätestens seit den „Sicherheitspaketen“ einiges gewöhnt - da wundere ich mich gar nicht mehr; auch was seine Herkunft angeht -, eine Justizministerin aber, die als Hüterin des Rechtsstaates Gewaltanwendung als Vernehmungsmethode durch solche Sätze tolerabel macht, hat in ihrem Amt nach meiner Auffassung nichts zu suchen.

Dennoch - da gebe ich dem Kollegen Geißler ausdrücklich Recht - ist der heutige Antrag der SPD überflüssig. Ich bitte einfach den Kollegen Puls, noch einmal in sich zu gehen und sich zu fragen, ob er den Antrag nicht zurückzieht. Er ist deshalb überflüssig, weil es genügend Bestimmungen gibt, die die Anwendung von Gewalt oder Folter gegenüber Tatverdächtigen verbieten. Man muss Selbstverständliches nicht dauernd wiederholen, denn sonst nährt man Zweifel, dass dieses Selbstverständliche noch Gültigkeit besitzt. Aus diesem Grund, Herr Kollege Puls - nur aus diesem Grund -, werden wir an der Abstimmung definitiv nicht teilnehmen, weil wir nicht glau

(Wolfgang Kubicki)

ben, dass wir unsere Verfassung ständig neu beschließen müssen.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In Artikel 1 Abs. 1 unseres Grundgesetzes - das ist hier schon zitiert worden -, heißt es:

„Die Würde die Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Das steht fest und ist sogar von der Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Abs. 3 Grundgesetz erfasst. Das darf sogar durch Verfassungsänderungen nicht berührt werden. Ich glaube, auch das ist hier schon gesagt worden.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deutschland ist außerdem Vertragspartei der UNKonvention gegen Folter und der Europäischen Menschenrechtskonvention und auch insoweit daran gebunden, dass es Folter unter gar keinen Umständen in diesem Land geben darf und durch nichts, durch keinen übergesetzlichen oder sonstigen Notstand gerechtfertigt sein kann.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Grundrecht der unantastbaren Würde des Menschen wird daher in Rechtsprechung und Schrifttum übereinstimmend so ausgelegt, dass die Durchführung von Folterungen einschränkungslos verfassungswidrig ist. Teilweise wird es als so selbstverständlich angesehen, dass die bekannten Kommentierungen des Grundgesetzes dieses nicht einmal mehr erwähnen. Das ist womöglich der einzige Fehler, der hier passiert ist. Denn mir ist unverständlich, wie gestandene Juristinnen und Juristen an einer solchen Stelle ins Wanken kommen können. Das ist mir schier unverständlich.

Eine bundesgesetzliche Klarstellung erscheint mir - lieber Kollege Puls, das muss ich leider so sagen - daher auch nicht erforderlich.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Ich teile allerdings die Sorge des Kollegen Puls angesichts dessen, was zurzeit in Hessen in dieser Angele

genheit passiert beziehungsweise nicht passiert. Das muss ich hier auch deutlich sagen. Ich glaube nicht, dass es Sinn hat, sich hier billigen Beifall einzuheimsen.

Meine Fraktion und ich stimmen dem Antrag in der vorliegenden Form und in der Sache zu.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Abgeordneter Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon absurd: Nahezu alle Menschen in Deutschland sind sich darüber einig, dass Saddam Hussein weg muss, da sein brutales Regime im Irak Menschen verfolgt und foltert. Die Mehrheit in Deutschland oder zumindest einige meinen auch, dass die Türkei nicht in die EU aufgenommen werden darf, solange dort die Menschenrechte nicht eingehalten werden. Einige oder die Mehrheit in Deutschland findet aber auch, dass ein bisschen Folter in Deutschland ganz okay wäre.

Dabei ist Folter - wie meine Kolleginnen und Kollegen schon ausgeführt haben - immer eine Verletzung der Menschenrechte. Es gehört zu den grundlegendsten Werten des modernen Europas, dass Folter unter keinen Umständen gerechtfertigt ist. Das gilt auch für die Fälle, in denen diese Misshandlung möglicherweise geeignet wäre, das Leben Dritter zu retten. Man soll nicht vergessen, dass die Menschen, die sich hierzu spontan geäußert haben, das in erster Linie gedacht haben.

Wenn man die Einzelfälle sieht, wie den Fall des kleinen Jakob von Metzler, fällt es manchem schwer, das zu akzeptieren. Aber der Staat darf sich nicht das Recht herausnehmen, eine Menschenrechtsverletzung durch Folter gegen das Leben eines anderen Menschen aufzurechnen.

Bei Folter geht es nämlich nicht nur um die körperliche Unversehrtheit eines Menschen, sondern es geht auch darum, durch Misshandlung seinen Willen zu brechen. Und das ist mit das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann. Folter verletzt die Menschenwürde, deshalb gilt das Verbot der Folter auch ohne Einschränkungen.

Es ist auch nicht legitim, hier verschiedene Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Welche absurden Konsequenzen es hätte, wenn man es doch tun würde, zeigt schon ein einfaches Beispiel: Vermutlich würden viele Menschen sagen, dass ein überdehntes

(Silke Hinrichsen)

Handgelenk oder ein gebrochener Finger bei einem Verhör nicht so schlimm sind wie der Tod eines Menschen. Aber was tun, wenn dann der vermeintlicher Täter immer noch nicht aussagt? Will man dann weiterhin abwägen? Ist eine Hand auch weniger Wert als ein Menschenleben, ein Arm oder vielleicht ein Auge? Wo ist Schluss? Wann hört die Verhältnismäßigkeit der Mittel auf? Dann, wenn am Ende ein Menschenleben gegen ein Menschenleben steht? Die Rechtsgüterabwägung in solchen Fällen ist ein absurde Denkweise, die der Staat unter keinen Umständen beginnen darf.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzgeber kann nicht in die Strafprozessordnung schreiben, dass ein gebrochener Finger noch in Ordnung geht, ein Schädelbruch aber nicht mehr. So hart es sich anhört, aber das wäre die Konsequenz vieler Meinungen in den Diskussionen über das Folterverbot, gerade im Zusammenhang mit dem Fall von Jakob Metzler.

Die Begründung, Rechtfertigung durch Notstand, die es auch gibt, kann und darf nicht für Folter gelten, denn das Folterverbot ist absolut und entzieht sich gerade einer Abwägung der Rechtsgüter.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, weshalb es falsch ist, das Foltern zu gestatten. Bis heute gilt in unserem Rechtssystem nämlich die Unschuldsvermutung. Kein Polizist der Welt darf mich schuldig nennen, bevor ich nicht gestanden habe beziehungsweise ein Richter in einem Gerichtsverfahren darüber befunden hat. Das gehört auch zu den Menschenrechten. Wenn die Polizei sich dafür entscheidet, den Folterknecht zu holen, um eine Aussage zu erzwingen - weil Beamte mich für schuldig halten und weil sie meinen, dass es um Leben und Tod geht -, dann kommt auch dieses einer Vorverurteilung gleich.

Alle Menschen in Deutschland, die dafür waren, den Mörder des kleinen Jakob zu foltern, sollten sich eines klarmachen: Wenn der Staat Folter zulassen würde, dann könnten auch unschuldige Menschen gefoltert werden, wenn Polizisten sie für schuldig halten. Das kann jeden treffen, so hart es klingt. Gerade unsere Menschenrechte dürfen nicht geopfert werden, um im Einzelfall durch staatliche Folter Menschenleben zu retten oder Terror zu verhindern. Dann würden nämlich die Freiheit und die Rechtsstaatlichkeit, die wir ja gerade mit den Menschenrechten verteidigen wollen, gegen einen Polizeistaat ausgetauscht.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile das Wort Herrn Minister Buß.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Landesregierung – und das will ich zugleich im Namen der Justizministerin noch einmal feststellen – ist das Folterverbot ein absolut unverzichtbarer Teil unseres Rechtsstaates.

(Beifall im ganzen Hause)

Die nationale Rechtslage ist eindeutig. Ich will die Rechtsgrundlagen jetzt nicht wiederholen, dazu sind dankenswerterweise ausreichend Ausführungen gemacht worden. Die von einem Vorgesetzten erteilte Weisung ist keine Rechtfertigung für den Angewiesenen. Er bleibt für sein Tun selbst verantwortlich. Die Ächtung der Folter und das Folterverbot sind Regelungsgegenstand vieler internationaler Übereinkommen und Konventionen, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, so die Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte, das Antifolterübereinkommen der Vereinten Nationen, von Herrn Kubicki erwähnt. Sie legen fest, dass selbst außergewöhnliche Umstände, mithin Situationen, die nicht mit denen in Frankfurt vergleichbar sind, also Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder öffentlicher Notstand, nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden dürfen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die internationalen Konventionen ergänzen und bestätigen unsere nationale Rechtslage. Die Normen sind für alle staatlichen Stellen, insbesondere auch für die Polizeivollzugsbeamtinnen und –beamten bindend. Die Frauen und Männer der Landespolizei SchleswigHolstein wissen das und handeln danach. Die genannten Grundsätze sind Teil der Aus- und Fortbildung, in der neben der Vermittlung von Fachwissen ein Verständnis einer übergeordneten ethischen Grundhaltung vermittelt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mit jeder Lockerung des Folterverbots gäbe der Rechtsstaat sich selbst auf. Ich denke, das sollten wir alle gemeinsam verhindern.