Protocol of the Session on April 2, 2003

unter welchen Bedingungen, auch unter den Bedingungen eines Mandats der Vereinten Nationen nicht an Aktionen gegen den Irak beteiligen. Das hat den Druck nicht erhöht, sondern geschwächt. Das ist ein Manko. Das muss künftig geändert werden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Ziel ist nunmehr der Regimewechsel in Bagdad und die Errichtung einer stabilen freiheitlichen und vor allen Dingen demokratischen Ordnung. Ich sehe die begeisterten arabischen Massen vor meinem geistigen Auge, die bei Wahlen künftig diejenigen politischen Kräfte unterstützen werden, die sich um ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu den USA bemühen. Das genaue Gegenteil wird der Fall sein. Ich sehe, in welcher Form die Nachkriegsordnung im Irak durch die Koalition der Willigen errichtet wird. Kollege Stritzl, wir werden sehen, inwieweit die Amerikaner dazu bewogen werden können, ein wahrhaft demokratisches Regime zu errichten.

Man kann nicht behaupten, die Geltung des Rechts durchsetzen zu wollen, wenn man dabei selbst das Recht verletzt. Nur dort, wo das Recht die Macht begrenzt, ist Freiheit. Wo die Macht das Recht begrenzt, herrscht Willkür. Das ist das Letzte, was wir bereit sind, zu akzeptieren.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das amerikanische Volk ist durch die Anschläge vom 11. September 2001 tief getroffen worden. Wir müssen das verstehen und in unsere Überlegungen einbeziehen. Wir müssen aber unseren amerikanischen Freunden - und es sind unsere Freunde - sagen, dass nicht jede Berufung auf das Recht zur Selbstverteidigung jede Aktion rechtfertigt. In diesem Zusammenhang macht es mich betroffen, dass sowohl der amerikanische Außenminister als auch der amerikanische Verteidigungsminister Syrien und dem Iran mit Konsequenzen gedroht haben; Konsequenzen aufgrund von Haltungen, von denen wir gar nicht wissen, ob sie diese Haltungen haben. Ich nehme das sehr ernst. Der amerikanische Verteidigungsminister hat Syrien vorgeworfen, dem Irak Waffen geliefert zu haben und den Iran davor gewarnt, weiter nach Massenvernichtungswaffen zu streben. Rumsfeld wörtlich zu den Syrern:

„Wir betrachten dies als einen feindlichen Akt und werden die syrische Regierung zur Rechenschaft ziehen.“

Wir sollten diese Ankündigungen sehr ernst nehmen. Eine solche militärische Eskalation in der Nahost

(Wolfgang Kubicki)

Region führt zu einem globalen Konflikt. Was nach dem 11. September 2001 als ein Kampf gegen den Terrorismus begann, könnte sich dann in einem Kampf der Kulturen verfestigen: Westliche Zivilisationen gegen arabische Kultur; Christentum gegen Islam. Das wäre der größte anzunehmende Katastrophenfall.

(Beifall bei FDP und SPD)

Die Folge wäre Terror überall und jederzeit auf der ganzen Welt und auf unabsehbare Zeit. Das muss verhindert werden. Wir brauchen hierzu eine entschlossene Anstrengung in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Nur dann, wenn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union anfangen, mit einer Stimme zu sprechen, können wir auch das Gewicht mit in die Verhandlungen bringen, um tatsächlich Einfluss zu nehmen. Bisher waren und sind wir zerstritten. Das muss sich ändern. Wir müssen die Verantwortung Europas in dieser Frage neu definieren.

Es wird die vordringliche Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland sein, den Anschluss an die Mehrheit der anderen europäischen Nationen zu finden, um die Europäische Union zu stärken und nicht weiter zu schwächen. Wir können den beiden vorliegenden Resolutionsanträgen aufgrund der von mir dargelegten Gründe nicht zustimmen. Wir haben versucht, einen möglichst ausgewogenen Resolutionsentwurf vorzulegen, der die Zustimmung des Hauses hätte erfahren können. Wir werden unserem Entwurf zustimmen und die beiden anderen Entwürfe bedauerlicherweise ablehnen. Wir bedauern, dass es nicht zu einer gemeinsamen Entschließung kommt.

(Beifall bei FDP, SPD und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute über den Irak reden. Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, während im Irak die Panzer rollen, Hunderttausende von Menschen sich vor Bomben verkriechen, Menschen sterben und unsere eigenen Kinder auf den Straßen demonstrieren.

Wir sind uns sicher einig: Das Regime von Saddam Hussein ist ein verbrecherisches Regime, das bekämpft werden muss. Der Irak war ein wohlhabendes Land und befand sich fast auf europäischem Niveau.

Nach 20 Jahren und zwei Kriegen hat Saddam Hussein daraus einen Hungerstaat gemacht, denn das Bruttosozialprodukt ist um 90 % gesunken. Dies ist ein fast beispielloser Vorgang. Es war richtig, dass die UNO den Irak in den letzten Jahren mit einem Wirtschaftsboykott, dem Ölembargo und mit zahlreichen Resolutionen zu immer weiteren Abrüstungsschritten gezwungen hat. Es gibt allen Grund, diesen Diktator zu stürzen. Wenn die USA aber behaupten, sie bekämpften im Irak das Regime und den Terrorismus, dann stimmt das leider nicht. Das Vorgehen der USA schwächt nicht die Diktaturen im arabischen Raum, es stärkt sie. Es führt zu einer beispiellosen Solidarisierung von Millionen Menschen in der ganzen Welt mit einem Verbrecher.

Das Vorgehen der USA im Nahen Osten ist auch für die demokratisch denkenden Menschen in der ganzen Welt unglaubwürdig. Es sind reiche saudi-arabische Familien, die über ihre weltweit verzweigten Firmenimperien in zahlreichen Ländern islamischfundamentalistische Bewegungen finanzieren. Sie finanzieren Moscheen und Armenspeisungen, auf denen ihr Einfluss beruht. Sie zahlen Renten an Familien von Selbstmordattentätern. Eine der bedeutendsten dieser Familien ist die Familie bin Laden, die unter anderem in den USA an zahlreichen Firmenstandorten ungestört aktiv ist.

Das saudische Regime ist eines der brutalsten und undemokratischsten Regimes der Welt. Und doch wird es von den USA unterstützt. Auch im Nachbarstaat Katar regiert ein feudal-totalitäres Regime. Der Innenminister von Katar ist Scheich Abdullah bin Kaleb. Nach Angaben von Richard Clarke, dem ehemaligen Chef der Terrorismusabwehr in den USA, ist er in der Vergangenheit als aktiver Unterstützer von El Kaida bekannt. Er ist mit dem Chefplaner des 11. Septembers, Scheich Kalid Mohammed, eng befreundet. Was tun die Amerikaner gegen Katar? Nichts. Im Gegenteil, sie haben dort ihre Kommandozentrale für den Irak-Krieg und unterstützen das Regime nach Kräften.

Diese Art von Politik hat leider Tradition. Die USA haben im Iran den totalitären Schah Reza Palehwi unterstützt und mit Waffen ausgerüstet. Die USA haben in Afghanistan die fundamentalistische Bewegung der Mudschaheddin mit Waffen ausgestattet. Schließlich haben die USA auch Saddam Hussein mit Waffen ausgerüstet, damit er gegen den Iran Krieg führt. Erst in dem Moment, in dem eines dieser Regimes sich gegen die Interessen der USA stellte, änderten die USA ihre Politik und entdeckten ihr Herz

(Karl-Martin Hentschel)

für die Demokratie. Das ist in den Augen vieler Menschen der Welt leider nicht glaubwürdig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, solange die USA in dieser Art Terroristen und Diktatoren unterstützen, bleibt der Kampf gegen den Fundamentalismus und den Terrorismus unglaubwürdig.

Deshalb stelle ich fest: Mit dem Angriff auf den Irak bekämpft Bush im Irak nicht den Terrorismus, sondern stärkt ihn leider. Er treibt weitere Millionen Menschen in die Hände von Fundamentalisten.

Das ist der Grund, warum wir diesen Krieg ablehnen. Deswegen haben wir aus unserem Landtagsantrag die internationale Frage des Völkerrechts herausgenommen. Denn sie hätte Konsequenzen. Dem müssen wir uns im Moment einfach stellen. Wir sind nicht in der Lage zu exekutieren. Das ist unser Problem in Deutschland. Es ist leider so und das hängt auch mit der deutschen Situation, mit unserer Stärke und der Situation der Europäischen Union zusammen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was ist das für ein Argument, Herr Hentschel!)

- Auch ich persönlich halte - da stimme ich mit Ihnen überein, Herr Kubicki - den Irak-Krieg für völkerrechtswidrig. Ich nehme aber auch zur Kenntnis, dass ein sozialdemokratischer Ministerpräsident wie Tony Blair anderer Auffassung ist. Jedoch sage ich Ihnen auch, Herr Kubicki: Wir würden diesen Krieg auch dann ablehnen, wenn ein internationales Gericht feststellte, dass die UNO-Resolution 1441 oder eine andere den Angriff der USA deckt. Auch wenn der Sicherheitsrat einer Resolution der UNO zugestimmt hätte, würde sich nichts daran ändern, dass dieser Krieg falsch ist, weil er nicht das bewirkt, was er bewirken soll.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bedauere, dass wir nicht zu einer gemeinsamen Resolution kommen. Ich kann viele Teile Ihrer Resolution, Herr Kubicki, übernehmen. Aber es gab eben einen Punkt, an dem wir unterschiedlicher Auffassung sind. Ich komme darauf gleich zurück.

Ich möchte an dieser Stelle auch auf die Vorwürfe von Frau Merkel eingehen, die sie gegenüber dem Bundeskanzler und dem Außenminister vorgetragen hat. Frau Merkel sagt: Deutschland ist isoliert. Ich stelle fest: Milliarden Menschen in allen fünf Erdteilen unterstützen die Haltung unserer Regierung. Neun Zehntel der Regierungen dieser Welt tun das Gleiche. Darunter sind so wichtige Länder wie Russland, China und Indien. Aber selbst treue Verbündete

der USA wie Mexiko und Chile, die in hohem Maße ökonomisch und politisch von den USA abhängig sind, haben die deutsche Position unterstützt. Nein, Frau Merkel, nicht Deutschland ist isoliert, sondern die USA sind es.

Frau Merkel sagt weiterhin, die frühere Erklärung Deutschlands gegen den Krieg im Irak habe den Krieg befördert. Auch dies ist falsch. Gerade die klare Haltung Deutschlands, eines der engsten Verbündeten der USA, und die daraufhin erfolgte Unterstützung durch die Veto-Macht Frankreich haben vielen anderen Staaten überhaupt erst den Mut gegeben, in diesem Kielwasser ihre eigene Meinung zu vertreten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Großes Verständnis habe ich auch dafür, dass dies in einigen osteuropäischen Ländern aufgrund ihrer historischen Erfahrungen anders gesehen wird. Aber ich kann ihnen nicht Recht geben. Die große Stimmung in Teilen der Welt und die Wirkungen des Angriffs gerade in der gesamten islamischen Welt, aber auch in großen Teilen Asiens und Lateinamerikas sprechen dagegen. Selbst wenn dieser Krieg schnell gewonnen wird, wird er in jedem Fall furchtbare Narben hinterlassen. Er wird die Menschheit auf ihrem Weg zu einer friedlichen, gerechten Welt um Jahre zurückwerfen. Das Vertrauen der Menschen im arabischen Raum, in Asien, Afrika und Lateinamerika, dass die reichen Länder des Nordens zu einer fairen Partnerschaft fähig und willens sind, wird nachhaltig gestört.

Die Welt steht im 21. Jahrhundert vor riesigen Problemen. Die größten sind die Armut, die Überbevölkerung, die Knappheit der Rohstoffe und der Ressourcen und die Umweltzerstörung. Um diese Probleme zu lösen, brauchen wir weltweite Standards für Demokratie, sozialen Ausgleich, Umweltschutz, faire Wirtschaftsbeziehungen und die Regulierung von Finanzbeziehungen. Dafür brauchen wir ein weltweites Ordnungssystem, welches diese Standards garantiert. Nur dann haben die armen Länder des Südens eine Chance.

Wir werden dieses System nicht durch unilaterale Alleingänge der USA erreichen. Das geht nur über die UNO, über Konferenzen wie die von Rio, deren Protokoll von 170 Staatschefs dieser Erde unterschrieben wurde, und über Einrichtungen wie den Internationalen Gerichtshof. Es ist kennzeichnend, dass die USA aus diesen beiden Institutionen ausgeschert sind.

Es geht nur, wenn die reichen Länder den armen zu einem fairen Ausgleich die Hand reichen.

(Karl-Martin Hentschel)

Ich frage: Kann das funktionieren? Ich glaube, es kann funktionieren. Dafür gibt es ein wunderbares Beispiel, das deutlich macht, wie es gehen kann. Dieses wunderbare Beispiel ist die Europäische Union. Die Europäische Union hat Standards für Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und die friedliche Lösung von Konflikten aufgestellt. Diese Standards der Europäischen Union sind auf 24.000 Seiten in den Richtlinien der EU kodifiziert. Jedes Land, das Mitglied werden will, muss diese Standards akzeptieren. Dafür aber bekommen die Mitglieder offenen Zugang zum europäischen Markt und sie bekommen Ausgleichszahlungen.

Dieses System ist erfolgreich. Die Länder, die aufgenommen wurden, haben eine rapide wirtschaftliche Entwicklung genommen. Länder wie Griechenland, Spanien und Portugal haben ihre Diktatoren abgeschüttelt und sich demokratisiert, um in die Europäische Union zu kommen. Viele Länder stehen heute Schlange, um dem nachzufolgen. Deshalb ist heute Europa das Vorbild für die Welt, nicht mehr die USA.

Im nächsten Jahr stehen große Entscheidungen auf diesem Weg vor uns. Europa soll eine Verfassung, eine gewählte Regierung und einen gewählten Präsidenten bekommen. Europa soll eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bekommen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn das in Europa im nächsten Jahr gelingt, dann ist das eine riesige Chance dafür, dass dem unilateralen Weg der USA etwas entgegengesetzt wird und wir international zu einem gemeinsamen Vorgehen der Völker zurückfinden. Ich glaube, das ist auch der entscheidende Schritt dazu, dass wir in der Bekämpfung von Terrorismus, Fundamentalismus und mörderischen Diktatoren Erfolg haben können. Wir können mit Panzern und Bomben zwar Städte zerstören und Diktaturen absetzen, aber demokratisch, sozial und ökonomisch blühende Länder können nur die Völker selber aufbauen. Deshalb brauchen wir ein starkes Europa und eine starke UNO.

Herr Kubicki, das ist der Grund, aus dem ich im Moment in den Vordergrund stelle: Wir müssen alles tun, um die Gemeinschaft der Völker zu stärken und die Einbindung möglichst vieler Länder zu erreichen, damit die Europäische Union zusammengeführt wird und nicht haarspalterische Diskussionen über die Frage geführt werden müssen, ob wir jetzt aus der NATO austreten sollten oder nicht. Dies halte ich im Moment für die entscheidende Frage.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen appelliere ich an Sie: Stimmen Sie unserer Resolution zu. Wir glauben, dass wir damit einen

Weg beschreiten, der für den Frieden in der Welt der richtige ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was rechtfertigt eigentlich, was wir jetzt tagtäglich an Elend, Tod und Zerstörung in den Medien sehen? Salam Hussein ist fraglich ein Diktator, der die Iraker und die Menschenrechte mit Füßen tritt. Unbestritten ist auch, dass er die Weltgemeinschaft lange vorgeführt hat. Das verurteilen wir auf das schärfste. Aber das allein ist kein Grund für einen Krieg.