Protocol of the Session on February 20, 2003

(Heiterkeit im ganzen Haus)

warum wenden Sie denn nicht diese Ideologie bei den Berufsgruppen an, die so gern FDP wählen? Warum fordern Sie hier nicht, die festen Honorarsätze für Rechtsanwälte

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sofort! Weg mit den Kammern! Weg mit der BRAGO!)

oder für Ärzte und Architekten aufzuheben? Warum fordern Sie nicht Aufhebung der Tarife im öffentlichen Dienst und Bezahlung der Beamten nach Lust und Laune des Ministers? Ach, so liberal sind Sie also nicht? Aber Sie stellen sich hierhin und fordern, dass Bauarbeiter nicht nach Tarif bezahlt werden dürfen. Sie wagen es zu fordern, dass Firmen, die ihren Arbeitern einen Tariflohn zahlen, keine Aufträge mehr bekommen dürfen. Das ist nicht nur eine menschenverachtende Ideologie, was Sie hier vorführen, das ist auch wirtschaftsfeindlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach rund zwei Jahren Arbeit an diesem Thema ist es nun endlich soweit. Der Landtag beschließt heute ein Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen. Schon im Mai 2001 - das ist also schon sehr lange her - hat der SSW einen Vergabegesetzentwurf in den Landtag eingebracht, der vorsah, alle öffentlichen Aufträge der Tariftreuepflicht zu unterziehen. Diese umfassende Regelung war politisch leider nicht durchsetzbar. Gleichwohl konnten wir uns mit Rot-Grün über einen gemeinsamen Gesetzentwurf zum Tariftreuegesetz einigen, der mit auf unserem Vergabegesetzentwurf basiert. So

sind seinerzeit zum Beispiel schon alle in der Anhörung zum Vergabegesetzentwurf gehörten Stellungnahmen mit in die Überlegungen zum heutigen Tariftreuegesetz eingeflossen. Somit haben wir zum gleichen Thema zweimal eine umfangreiche Anhörung sowohl mündlicher wie schriftlicher Art durchgeführt. Das ist im Gesetzgebungsverfahren äußerst vorbildlich.

(Beifall bei SSW und SPD)

Schon in der ersten Lesung haben die drei Antragsteller angekündigt, dass sie wohlwollend prüfen wollten, ob das Gesetz außer für das Bauwesen auch noch für andere Bereiche gelten soll. Genauso sollte geprüft werden, ob auch die Kommunen mit ins Boot kommen sollen oder ob sie zumindest mit ins Boot kommen können sollen. Beide Themen wurden in einer zweiten Anhörung eingehend beraten, und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass eine Erweiterung des Geltungsbereichs und eine Einbeziehung der kommunalen Ebene sinnvoll und möglich ist.

Nun liegt uns das wohl umfassendste und modernste Tariftreuegesetz vor, das sicherlich auch Vorbild für andere Bundesländer sein wird.

Ich habe die Entstehungsgeschichte des Tariftreuegesetzes deshalb geschildert, weil es in der deutschen parlamentarischen Kultur immer noch sehr ungewöhnlich ist, dass eine Nichtregierungspartei, in diesem Falle der SSW, mit einer Gesetzesinitiative bei den Regierungsparteien Gehör findet,

(Lachen bei CDU und FDP)

im Gegensatz zum Beispiel zur FDP, und dann so intensiv an der Ausgestaltung des Gesetzes mitarbeiten kann. Das ist wahre Demokratie. Für diese Offenheit möchte ich mich ganz ausdrücklich bei Rot-Grün bedanken.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Immer wieder gab es in den vergangenen Monaten erhebliche Widerstände von CDU und FDP gegen das Gesetz. Das ist auch sicherlich politisch zu verstehen, da doch Rot-Grün und der SSW in ein typisch schwarz-gelbes Politikfeld eingedrungen sind

(Lachen bei CDU und FDP)

und sich Forderungen des Mittelstandes nicht nur zu Eigen gemacht haben,

(Beifall bei SSW und SPD)

sondern diese Forderungen aus der Wirtschaft, aber auch aus dem gewerkschaftlichen Bereich sofort in eine Gesetzesvorlage umgemünzt haben.

(Lars Harms)

Die inhaltlichen Argumente, die Schwarz-Gelb hervorgebracht hat, sind wenig überzeugend. Sie überzeugen noch nicht einmal die Arbeitgebervertreter, die dieses Gesetz weitgehend unterstützen, wie die Anhörung auch gezeigt hat.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Da wird immer wieder das Argument angeführt, die Tariftreue dürfe nicht gefordert werden, weil dies gegen EU-Recht verstoße. Gerade die Kommissionsvorlagen und die Direktiven auf EU-Ebene, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, erlauben die Tariftreue. Dies ist auch mehrfach in den jetzt zweijährigen Beratungen belegt worden. Die EU fordert Rahmenbedingungen, in denen sich der Wettbewerb entwickelt. Hierzu zählen ausdrücklich auch Rahmenbedingungen arbeitsrechtlicher Art und hinsichtlich sozialer Standards. Genau dies erfüllen wir jetzt.

Dann wird immer wieder das noch ausstehende Urteil zum Berliner Vergabegesetz angeführt. Bei diesem Urteil wird es voraussichtlich um zwei Dinge gehen:

Erstens. Bleibt die Koalitionsfreiheit der Tarifvertragsparteien erhalten, wenn Tariftreue gefordert wird? Hier kann man jetzt schon sagen, dass dies der Fall sein wird, da ja nicht nur ein Tarif gelten wird, sondern sich die Tariftreue auf vergleichbare Tarife erstreckt. Außerdem bezieht sich die Tariftreue nur auf den jeweiligen öffentlichen Auftrag.

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsiden- ten)

Ich möchte einmal wieder um etwas mehr Aufmerksamkeit bitten.

Welcher Tarif sonst darüber hinaus in einem Unternehmen gezahlt wird, steht nicht zur Debatte. Somit ist die Koalitionsfreiheit in jedem Fall gesichert. Diese Bestätigung haben wir auch von den Gewerkschaften und von den Arbeitgeberverbänden. Ich verweise wieder auf die Anhörung.

Zweitens. Findet ein Wettbewerb statt oder hat ein Marktteilnehmer, vor allem der Gesetzgeber, eine unangemessene Marktmacht? In Bezug auf Berlin stellt sich die Frage deshalb, weil sich in den vergangenen Jahren in Berlin eine gewisse Anbieterkonzentration im Baubereich herausgebildet hat. Und nur dafür gilt ja das dortige Gesetz. Allerdings greift das Tariftreuegesetz ja nicht in die eigentliche Vergabe ein, sondern regelt nur die Rahmenbedingungen, zu

denen alle konkurrieren können. Somit wird es hier keine Wettbewerbseinschränkungen geben. Gleichzeitig wurde beim Berliner Vorlagebeschluss angeregt, zu prüfen, ob das Land Berlin als Gesetzgeber und einziger Nachfrager - denn es gibt dort keine Kreise und Kommunen - nicht über eine unvereinbare Marktstellung verfügt. Ich glaube, dass dies in Berlin nicht der Fall ist. Aber selbst wenn es dort der Fall ist, wäre es für uns unmaßgeblich. Denn auf jeden Fall ist dies nicht in Schleswig-Holstein der Fall, da hier neben dem Land auch die Kommunen und Kreise Nachfrager sind.

Somit können wir feststellen, dass diese Einwände auch nicht stichhaltig sind und somit auch keine Haftungsrisiken bestehen, wie manch einer immer suggerieren will. Die Einwände sind sogar so wenig stichhaltig, dass das Bayerische Vergabegesetz, das es seit 1997 gibt, überhaupt noch nicht beklagt worden ist und in der Zwischenzeit in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und im Saarland Tariftreuegesetze beschlossen wurden und in anderen Ländern ebenfalls die Gesetzgebungsverfahren angelaufen sind.

Ich möchte nun aber noch auf einige Bestimmungen im Gesetz eingehen, die wichtig zu betrachten sind. Da ist zum einen der Geltungsbereich. Natürlich gilt das Gesetz für den Baubereich. Den fatalen Rückgang in der Baukonjunktur und dessen Folgen brauche ich hier nicht näher zu beschreiben. Interessant ist aber vielleicht eine Zahl, die direkt mit dem Tariftreuegesetz und seiner Wichtigkeit zusammenhängt. In den letzten fünf Jahren sind allein im Hochbau durch das Land Bauleistungen in Höhe von rund einer halben Milliarde € ausgeschrieben worden. Bedenkt man dann noch, dass ja auch die Kreise und Kommunen ausschreiben, kann man ermessen, wie wichtig es für unsere regionalen Bauunternehmen ist, wieder eine Chance im Wettbewerb zu bekommen.

Diese Chance, die unsere Unternehmen sicherlich ergreifen werden, wird den Unternehmen nun durch das Tariftreuegesetz gegeben.

Weiter wird das Gesetz für die Abfallentsorgungswirtschaft gelten. In der Anhörung zum Gesetz wurde sehr deutlich, wie die Lage in diesem Bereich ist. Durch Ausschreibungen kommt es zu einem knallharten Wettbewerb, der vornehmlich auf Kosten der tarifgebundenen Unternehmen geht. Nicht nur die öffentliche Hand selber führt die Abfallentsorgung durch, sondern auch private Abfallentsorgungsunternehmen oder auch Logistikunternehmen sind hier beteiligt. Aber auch das Duale System Deutschland ist nicht nur Beteiligter, sondern unterliegt inzwischen ebenfalls einer massiven Konkurrenz von Unternehmen aus der Logistikbranche. Inzwischen sind

(Lars Harms)

sogar schon einige Fälle bekannt geworden, in denen Unternehmen Ausschreibungen der öffentlichen Hand gewannen, obwohl sie nicht den entsprechenden Tarif der Abfallentsorgungswirtschaft gezahlt haben. Hier musste daher sehr schnell gehandelt werden, und wir haben schnell gehandelt.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als dritter Part wurde der Schienenpersonennahverkehr mit in den Geltungsbereich des Gesetzes aufgenommen. Schon seit einigen Jahren werden durch das Land mit Erfolg regionale Strecken im schleswig-holsteinischen Netz ausgeschrieben. In einer Entschließung des Landtages im vergangenen Jahr haben wir beschlossen, dass bei Ausschreibungen im SPNV die Tariftreue berücksichtigt werden sollte. Im Übrigen geht dies auch auf eine Initiative des SSW zurück. Dem Inhalt dieser Entschließung kommen wir nun nach, was völlig natürlich ist, indem wir die Tariftreue für den SPNV ins Gesetz aufnehmen.

Es bestand ferner der Wunsch, den gesamten ÖPNV, also auch die Busverkehre, mit aufzunehmen. Der Wunsch entstand vor dem Hintergrund, dass die EU Ausschreibungen im ÖPNV verbindlich vorschreiben wollte. Die entsprechende Kommissionsvorlage ist derzeit erst einmal auf Eis gelegt worden, sodass kein Ausschreibungszwang besteht und die zuständige Kommunalpolitik somit auf Ausschreibungen verzichten kann und meiner Meinung nach auch sollte. Sollte sich hier etwas ändern, müsste man gegebenenfalls noch einmal darüber reden, den Geltungsbereich des Gesetzes nachträglich zu erweitern. Nur, so weit sind wir noch nicht.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir es den Kreisen und Kommunen ermöglichen, das Gesetz ebenfalls anzuwenden. Somit haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass die Kreise und Kommunen ebenfalls tariftreu ausschreiben und sich ebenfalls daran beteiligen, die Rahmenbedingungen für die heimische Wirtschaft zu verbessern. Dies setzt natürlich entsprechende Beschlüsse voraus. Dadurch wird aber eine breite Diskussion im Lande ausgelöst, die wir für sehr positiv halten, zumal dadurch auch die Kommunalpolitik die Möglichkeiten der Einflussnahme erhält, die sie mit Recht einfordert. Der Kreis Nordfriesland hat schon im Vorwege einen Beschluss gefasst, dass das neue Tariftreuegesetz Grundlage einer Ausschreibung im Abfallwirtschaftsbereich sein soll. Dieser Beschluss wurde dort im Übrigen einstimmig - mit den Stimmen der CDU - gefasst. Die FDP spielt wie so oft keine Rolle in Nordfriesland.

(Martin Kayenburg [CDU]: Der SSW auch nicht!)

Ich hoffe, dass noch viele Kreise und Kommunen diesem Beispiel folgen, damit unsere heimische Wirtschaft ihre Chancen im Wettbewerb zurückgewinnt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Weiter haben wir schärfere Regeln in Bezug auf Nachunternehmer mit in den Gesetzestext aufgenommen. So können nun die beteiligten Nachunternehmer direkt zur Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Tariftreuegesetz angehalten werden und sie müssen entsprechende Sanktionen befürchten. Durch das Wort „Beteiligte“ wird der Kreis der Betroffenen erweitert.

Eine ähnliche Erweiterung ist in Bezug auf die gültigen Tarife vorgenommen worden. Es werden nicht mehr, wie ursprünglich angedacht, die einschlägigen Tarifverträge zugrunde gelegt, sondern es gelten jetzt die geltenden Tarife. Dies hat zur Folge, dass mehrere unterschiedliche geltende Tarife zugrunde gelegt werden können, was die praktischen Anwendungsmöglichkeiten des Gesetzes verbessert.

(Martin Kayenburg [CDU]: Wie bitte?)

Auch ist eine Pflicht zur Überprüfung von ungewöhnlich niedrigen Angeboten in das Gesetz mit aufgenommen worden, eine Forderung im Übrigen gerade aus dem Baubereich. Ist ein Angebot von mehr als 10 % preiswerter als die anderen - -

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss.