schädlichen Eingriff weiter zu schwächen und die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Deshalb lehnen wir das Tariftreuegesetz ab.
Zum Gesetzgebungsverfahren: Es wurden und werden in Deutschland viele ökonomisch unsinnige Gesetze erlassen. Aber es ist ein Novum und ein Skandal, dass die Regierungskoalition ein Gesetz durchpeitschen will, von dem sie weiß, dass es nach Ansicht eines der höchsten Gerichte unseres Landes verfassungswidrig und höchstwahrscheinlich europarechtswidrig ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das dürfen wir nicht zulassen. Ich appelliere an die juristisch Verständigen bei SPD und Grünen, es nicht so weit kommen zu lassen.
Dabei ist es unerheblich, ob das Bundesverfassungsgericht das Berliner Vergabegesetz letztendlich für verfassungswidrig erklärt; denn der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hält das Berliner Gesetz für verfassungswidrig, darf es nur nicht rechtskräftig feststellen. Er muss von Rechts wegen abwarten, wie das Verfassungsgericht entscheidet, und das sollten auch wir tun. Bereits die Tatsache, dass das höchste deutsche Zivilgericht seine verfassungsrechtlichen Bedenken für so schwerwiegend hält, dass es das Verfassungsgericht anruft, sollte uns vorsichtig werden lassen; denn wir sind als Abgeordnete zwar nur unserem Gewissen verpflichtet, aber als gesetzgebende Gewalt an die Verfassung gebunden. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen einer rechtsstaatlichen Demokratie und einer Bananenrepublik. Wer, wenn nicht wir als Parlament sollte die Verfassung ernst nehmen?
Schon allein aus diesem Grund sollten wir die Beratungen über den vorliegenden Gesetzentwurf ruhen lassen, bis das Verfassungsgericht entscheidet.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund: den begründeten Verdacht, dass der vorliegende Gesetzentwurf auch gegen Europarecht verstößt und das Land dadurch in finanzielle Schwierigkeiten bringen könnte. Denn im Gegensatz zum deutschen Recht gibt es im europäischen Recht das Institut des legislativen Unrechts. Hiernach steht Betroffenen Schadensersatz zu, wenn sie durch europarechtswidriges staatliches Handeln benachteiligt werden. Hier machen wir mit der Tariftreue vielleicht ein Fass mit einem ganz tiefen Boden auf und vergeben eine Lizenz zum Gelddrucken an Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer.
Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen und sage Ihnen voraus, dass genau das passieren wird. Ein ostdeutsches Unternehmen bewirbt sich um einen Auftrag des Landes, den es eigentlich gar nicht erfül
len kann. Es bewirbt sich trotzdem, weil man mit der Tariftreue Geld verdienen kann, ohne etwas bauen zu müssen. Das geht so: Wenn das Unternehmen nicht den Zuschlag bekommt, legt es bei der Vergabekammer Widerspruch wegen der Benachteiligung durch die Tariftreue ein. Der Widerspruch wird selbstverständlich abgelehnt, weil das Tariftreuegesetz ja parlamentarisch beschlossen ist. Das Unternehmen geht vor Gericht, der Auftrag des Landes liegt auf Eis und die Bauwirtschaft hat gar nichts davon; denn wie das OLG entscheiden wird, kann ich Ihnen voraussagen: Es wird sagen: Wir warten ab, was das Verfassungsgericht macht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte das Unternehmen vor Gericht Recht bekommen, was nicht unwahrscheinlich ist, bekäme es von den schleswigholsteinischen Steuerzahlern Geld dafür, dass bei uns nicht gebaut wird. Damit diese Schreckensvision nicht Wirklichkeit wird, sollten wir die Beratungen über das Tariftreuegesetz mindestens so lange ruhen lassen, bis das Bundesverfassungsgericht über das Berliner Vergabegesetz entschieden hat. Das sind wir der Demokratie, dem Rechtsstaat und unserer Wirtschaft schuldig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich vertrete heute Nachmittag meinen Kollegen Herrn Hentschel. Bevor ich hier seine Rede halte, vorab zu Ihnen, Herr Kubicki. Das ist ja alles nicht neu. Immer wenn Ihnen die Argumente ausgehen, kommen Sie mit Verfassungsbruch. Ich sage nur, die Grundwasserabgabe haben wir locker gewonnen, obwohl Sie uns den Untergang des Abendlandes angekündigt haben.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Martin Kayenburg [CDU]: Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden!)
Lohndumping auf den Baustellen ist gang und gäbe. Das Land und die Kommunen leisten dem mit ihren Ausschreibungen regelmäßig Vorschub.
Wenn wir zulassen, dass Firmen die Zuschläge für öffentliche Bauten bekommen, die mit Leiharbeitern arbeiten, die wiederum für Löhne arbeiten, von denen keine Familie mehr leben kann, dann haben schleswig-holsteinische Unternehmen, die die mit der Gewerkschaft vereinbarten Tariflöhne zahlen, keine Chance. So kann es nicht weitergehen. Wir können doch nicht sonntags gegen Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit Reden halten und am Werktag auf unseren Baustellen Firmen arbeiten lassen, die über Subunternehmen genau dies betreiben, weil wir Aufträge vergeben haben, die anders gar nicht erfüllt werden könnten.
(Martin Kayenburg [CDU]: Was erzählen Sie für einen Blödsinn! Finanziert die Regie- rung Schwarzarbeit?)
Ähnliches gilt, wie wir im Ausschuss gehört haben, für die Abfallwirtschaft. Wenn wir wie bisher weitermachen, ohne Mindestlohnstandards in die Ausschreibungen mit aufzunehmen, dann kommen wir in unerträgliche Situationen. Dann bekommen Firmen, die nach Tarif zahlen, keinen einzigen Auftrag mehr. Sie müssen ihre Arbeiter entlassen und schicken stattdessen Kolonnen aus Osteuropa hier auf Tour, die jeweils für sechs Wochen herkommen und dann durch eine neue Kolonne ersetzt werden. Einen solchen Zustand werden wir als Politiker vor Ort niemandem erklären können.
Deshalb fordert die Bauwirtschaft in SchleswigHolstein einmütig seit über zwei Jahren die Verabschiedung eines Tariftreuegesetzes. Da wir ja eine sehr vergessliche Opposition haben, habe ich etwas Papier mitgebracht.
„Sehr geehrter Herr Hentschel, wir möchten auf diesem Weg noch einmal eindringlich an die fast einmütige politische Entschlossenheit der Parteien im Schleswig-Holsteinischen Landtag anlässlich des Tages der Bauwirtschaft auf der NORDBAU 2001 erinnern, mit uns zusammen das Projekt des Landesvergabegesetzes noch in diesem Jahr zu verabschieden.“
Da kommt doch die FDP tatsächlich vorige Woche in den Wirtschaftsausschuss und sagt, wir würden das Gesetz durchpeitschen.
Anfang letzten Jahres haben wir erneut die Verabschiedung des Gesetzes, und zwar diesmal im Jahr 2002 zugesagt,
falls der Bundestag nicht ein bundesweit einheitliches Gesetz verabschiedet. Genau das hat der Bundestag im Mai getan. Nur, und das wissen Sie sehr gut, meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Parteifreunde haben die Verabschiedung im Bundesrat blockiert. Die Federführung hatte ausgerechnet Bayern. Ja, und da schauen wir doch einmal in unseren Papierstapel. Was haben wir denn hier? Ich zitiere: Drucksache 514/3498, Bayerischer Landtag, 2. Februar 2000, Gesetzentwurf der Staatsregierung über die Vergabe von Bauaufträgen im Freistaat Bayern.
In diesem Gesetz werden alle Landesbehörden, aber auch die Gemeinden, Gemeindeverbände und sonst der Aufsicht des Freistaates Bayern unterstehenden juristischen Personen sowie Vereinigungen, Einrichtungen und Unternehmen, die mehrheitlich in öffentlicher Hand sind, verpflichtet, Aufträge nur an Firmen zu vergeben, die eine Tariftreueerklärung unterschreiben.
Ihre Freunde aus Bayern haben ein Tariftreuegesetz, verhindern im Bundesrat ein aber einheitliches Bundesgesetz.
Jetzt kommen Sie von der Union hierher und sagen uns, wir sollten kein solches Gesetz in SchleswigHolstein verabschieden, sondern auf eine bundesweite Lösung warten, oder argumentieren noch mit Verfassungsbruch.
Finden Sie das nicht auch irgendwie verlogen, meine Damen und Herren? Toll ist auch, was die FDP hier geboten hat. Obwohl wir versprochen hatten, das Gesetz noch im vorigen Jahr zu verabschieden, haben wir uns zusätzlich zwei Monate Zeit gelassen, um alle Stellungnahmen gründlich zu bearbeiten. Dann kommen Sie nach fast zwei Jahren Diskussion über das Thema mit einem Gutachten. Dieses Gutachten hätten Sie schon vor zwei Jahren machen können, aber Sie legen es genau einen Tag vor Verabschiedung des Gesetzes im Ausschuss vor und sagen, wir dürften jetzt nicht entscheiden, weil wir Ihr Gutachten nicht berücksichtigt hätten.
(Martin Kayenburg [CDU]: Erzählen Sie doch nicht so einen Quatsch! - Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])
Trotzdem haben wir das Gutachten geprüft. Dieses Gutachten enthält viele Abwägungen und Konjunktivsätzen. Aber es enthält nichts Neues. Es enthält genau die Argumente, die schon seit Jahren diskutiert werden. Jetzt schauen Sie einmal her, was ich hier habe. Dies ist ein Stapel Gesetze. Das sind alles Vergabegesetze von der gleichen Art, wie wir sie heute hier verabschieden. Gesetze aus CDU-geführten Ländern, aus CSU-geführten Ländern und aus SPDgeführten Ländern - FDP-geführte Länder gibt es ja nicht -
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir bedauern das genau wie Sie auch! - Martin Kayenburg [CDU]: Grün-geführte Länder gibt es auch nicht!)
Alle diese Gesetze sind zum Teil seit Jahren in Kraft. Und Sie erzählen uns, wir würden hier verfassungswidrig handeln. Wenn das stimmen würde, hätten Sie selbst die Möglichkeit gehabt, im letzten Sommer im Bundesrat ein bundesweites Gesetz zu verabschieden und die Rechtszweifel zu beseitigen. Warum haben Sie das nicht getan?
Es ist schon ein erstaunliches Ereignis, wenn die Spitze der schleswig-holsteinischen Bauwirtschaft in den Wirtschaftsausschuss des Landtages kommt und darum bittet, der Staat möge Sorge dafür tragen, dass die Tarifverträge eingehalten werden. Die Bauwirtschaft ist nicht gerade bekannt für sanfte Umgangsformen. So mancher Gewerkschaftsfunktionär kann ein Lied davon singen, mit welchen Methoden es Gewerkschaftsarbeit auf dem Bau schwer gemacht wird. Aber jetzt kommen die Firmen und Gewerkschaften gemeinsam zu uns in den Landtag und bitten um Hilfe. Sie bitte uns gemeinsam darum, ein Gesetz
zu verabschieden, damit die Löhne, die sie gemeinsam vereinbart haben, gelten, damit die Arbeiter in den Betrieben nicht arbeitslos werden und von den Löhnen, die sie auf dem Bau verdienen, ihre Familie ernähren können. Sie bitten uns darum, ein Gesetz zu verabschieden, das es in vielen anderen Bundesländern längst gibt. Und was machen Sie? Für Sie gibt es nur Ihre Ideologie. Ihnen sind Ihre Theorien vom freien Markt wichtiger als die Realität der Menschen im Land.