Protocol of the Session on February 20, 2003

Es dokumentiert nicht nur das genaue Gegenteil Ihrer Äußerungen; darüber hinaus weiten Sie mit dem Lohn der Baustelle regionale schleswig-holsteinische Tarife zum Flächentarif auf ganz Europa aus. Genau diese Widersprüchlichkeit zwischen Reden und Handeln ist der Stoff, aus dem die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Albträume in Deutschland gestrickt werden. In allen Pressemitteilungen von Rot-Grün wird stets betont, dass es vordringlich um Hilfe für die Bauwirtschaft geht. In der Pressemeldung vom 21. Januar 2003 aus den „Kieler Nachrichten“ steht in einer Schlagzeile: „SPD: Tariftreue soll den Bau schützen“. Hier gab Kollege Müller zu Protokoll, dass das Land ein interessanter Auftraggeber für Bauinvestitionen in Höhe von mehr als 1 Milliarde € sei.

Der Wirkungsgrad für die Bauwirtschaft liegt ausweislich der Kleinen Anfrage der Kollegin Aschmoneit-Lücke bei 215 Millionen €, wobei der Tiefbau aus der Relevanz dieses Gesetzes herausfällt, da er kapitalintensiv, aber nicht lohnintensiv ist. Wir bauen unsere Deiche nicht mehr wie zu Zeiten von Theodor Storm. Es bleibt für den Hochbau eine Restsumme von 88 Millionen €. Welcher Anteil dieser marginalen Summe allerdings auf schleswig-holsteinische Unternehmen entfällt, kann die Landesregierung mangels einer entsprechenden Statistik nicht mitteilen. Dem dramatischen Rückgang bei den Auftragseingängen der schleswig-holsteinischen Bauwirtschaft wird man nicht durch Reichrechnen gerecht, sondern durch eine Haushaltspolitik, die den dringenden Bedarf an infrastrukturellen Maßnahmen auch bereitstellt. Dagegen verstoßen Sie in diesem Land seit mehr als 13 Jahren. Zur Wirkung dieses Gesetzes bemerkt der Fachverband Sanitär, Heizung und Klima in seiner Stellungnahme zur Anhörung am 27. November 2002:

„Insgesamt halten wir den vorliegenden Entwurf für ein fragwürdiges politisches Feigenblatt.“

Was Sie, meine Damen und Herren auf der linken Seite dieses Hauses, unter dem Deckmantel, der Bauwirtschaft helfen zu wollen, auf den Tisch des Hauses gelegt haben, ist ein übles Täuschungsmanöver.

(Beifall bei der CDU)

Es geht nicht um den Bau. Mit diesem Gesetz zollt Rot-Grün den Gewerkschaften Tribut

(Widerspruch des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

und nimmt dabei weitere Schädigungen der Bauwirtschaft und des Arbeitsmarktes billigend in Kauf. Mehr Sicherheit und Transparenz bei der Auftragsvergabe ist notwendig. Mit diesem Gesetz erreichen Sie das Gegenteil.

Fazit: In der Wirkung bedeutet dieses Gesetz hohe Rechtsunsicherheit bei der Auftragsvergabe, mehr Bürokratie und mehr Hindernisse für den Arbeitsmarkt. Einzige Nutznießer sind die Gewerkschaften. Ihre Macht nimmt zu. Der Staat im Staate wächst.

Meine Damen und Herren, diesem „Trojanischen Pferd“ werden wir nicht zustimmen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns hier schon mehrfach über Sinn und Unsinn der Tariftreue gestritten, heute jedoch erhält die Debatte eine neue Qualität.

Es hat sich nichts daran geändert, dass wir die so genannte Tariftreue für wirtschaftlich schädlich halten und deshalb den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen. Aber ich bin dem Kollegen Müller durchaus dankbar und rege an, einmal über seine Worte nachzudenken, dass er großes Vertrauen in die Kommunen und ihr vernünftiges Verhalten setzt, dass wir dieses Gesetz also brauchen, um das bisherige unvernünftige Verhalten von Herrn Rohwer und seiner Landesverwaltung in die Grenzen zu weisen. Das ist auch neu.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich habe ja erfahren, Herr Kollege Müller, dass die sozialdemokratische Landesregierung in der Vergangenheit mit Lohndumping und anderen Dingen den

(Wolfgang Kubicki)

Arbeitnehmern in Schleswig-Holstein und anderswo in die Tasche gegriffen hat.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Das hätten wir, Herr Wirtschaftsminister, nie gesagt, aber dass Ihre eigene regierungstragende Fraktion das zum Maßstab für dieses Gesetz macht, finde ich wirklich bemerkenswert.

Neu ist aber, dass die regierungstragenden Fraktionen wissentlich ein Gesetz beschließen wollen, das höchstwahrscheinlich verfassungswidrig ist.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das sagen Sie bei jedem Gesetz!)

- Bisher, Frau Kollegin Heinold, haben Sie aber auch bei jeder Sache, die Sie angestrengt haben, eins auf die Nase bekommen. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Recht ist eben etwas anderes als das, was Sie mit Ihrer Mehrheit beschließen wollen. Recht orientiert sich an Grundsätzen. Das sollten Sie beachten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Außerdem besteht der begründete Verdacht, dass die Tariftreue auch gegen geltendes europäisches Recht verstößt. Wenn dies der Fall wäre, beginge der Schleswig-Holsteinische Landtag legislatives Unrecht. Dies könnte in letzter Konsequenz dazu führen, dass auf die Bundesrepublik Deutschland und damit das Land Schleswig-Holstein Schadensersatzforderungen zukommen.

(Lars Harms [SSW]: Auf Bayern und Sach- sen-Anhalt!)

Beides, der mögliche Verfassungsbruch und der mögliche Bruch europäischen Rechts, sollten in einer Demokratie ausreichen, ein Parlament zu veranlassen, die Verabschiedung des in Rede stehenden Gesetzentwurfs zu verschieben, bis die entsprechenden Fragen geklärt sind.

Herr Kollege Harms, Ihr Zwischenruf bezüglich Bayerns nützt auch nichts. Wo kein Kläger, da kein Richter. Aber ich kann Ihnen garantieren: In Berlin gibt es einen Kläger, da gab es Richter und auch hier wird es Kläger und Richter geben, allerdings mit der Folge, dass durch diesen Prozess wahrscheinlich Schadensersatzforderungen ausgelöst werden, denen sich das Land Schleswig-Holstein ausgesetzt sehen wird.

(Lars Harms [SSW]: Eben nicht!)

- Warten wir es doch einfach in Ruhe ab, Herr Harms.

In Schleswig-Holstein sollen der Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie mit Füßen getreten

werden. Es gibt meines Erachtens nur eine Erklärung für dieses Verhalten der Koalition: Die Umfragen für die SPD sind vor der Kommunalwahl so schlecht, dass einige Sozialdemokraten sogar schon bereit sind, den offenen Verfassungsbruch zu riskieren, getreu dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich völlig ungeniert.

Wir machen das nicht mit. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab.

(Unruhe -Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Kubicki, bitte einen Augenblick. - Ich möchte das Haus um etwas mehr Aufmerksamkeit bitten und darum, nicht Unterhaltungen von Bank zu Bank zu führen.

Zunächst zum Inhaltlichen: Das Ziel der Tariftreue ist, dafür zu sorgen, dass schleswig-holsteinische Firmen nicht von preiswerteren Firmen unterboten werden, sondern Aufträge und Arbeitsplätze bei der heimischen Wirtschaft bleiben. Dieses Ziel ist einleuchtend. Aber durch die Tariftreue wird es nicht verwirklicht werden können. Diejenigen, die behaupten, die Tariftreue würde zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, sind Träumer. Die Tariftreue wird den Wettbewerb in den betroffenen Branchen einschränken und dadurch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen sowie die Beschäftigung vermindern, die Arbeitslosigkeit erhöhen, die Kunden dieser Branchen schlechter stellen und folglich den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein weiter schwächen.

Der Wirtschaftsminister ist ja Ökonom, wie ich immer wieder höre. Wir können uns darüber gern noch einmal unterhalten, zum Beispiel anhand der Bauwirtschaft. Durch die Tariftreue wird Bauen für das Land teurer. Wenn dem nicht so wäre, brauchten wir kein Tariftreuegesetz. Allein mit dem Entwurf des Gesetzes belegen die Antragsteller ja schon, dass sie ziemlich sicher sind, dass das Land Aufträge an Unternehmen vergibt, die nicht Tariflohn zahlen. Also wollen sie die Landesregierung zwingen, in der Zukunft hiervon Abstand zu nehmen und den Zuschlag teureren Anbietern zu erteilen. Das bedeutet, das Land wird weniger Bauaufträge vergeben.

Es glaubt doch niemand wirklich, dass die Landesregierung mehr Geld für Baumaßnahmen in den Haushalt einstellen wird. Im besten Fall wird in Zukunft genau so wenig Geld für Bauinvestitionen eingeplant wie bisher. Gemessen an den Erfahrungen aus der Vergangenheit ist wahrscheinlich, dass Rot-Grün die

(Wolfgang Kubicki)

Investitionsmittel weiter absenkt. Das heißt, es wird der gleiche oder ein geringerer Betrag für Aufträge, deren Zahl dadurch sinken wird, ausgegeben. Weniger Landesaufträge bedeuten weniger Aufträge für die Bauwirtschaft und einen geringeren Bedarf an Bauarbeitern und in der Folge mehr Arbeitslose.

(Beifall bei FDP und CDU)

Dadurch wird die Krise am Bau verschärft und nicht gelindert. Eine gut gemeinte Absicht der wirtschaftlich Ahnungslosen wendet sich gegen die Erfinder und treibt Unternehmen in den Ruin und Menschen in die Arbeitslosigkeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich wird es die eine oder andere schleswig-holsteinische Baufirma geben, die von der Tariftreue profitiert. Aber gleichzeitig wird es vielen schlechter gehen, nämlich denjenigen, die keinen Auftrag mehr bekommen, weil das Land weniger Aufträge vergeben kann. Gleichzeitig werden die Steuerzahler schlechter gestellt; denn das Land kann nur weniger bauen lassen, weshalb die Steuerzahler bei gleicher Belastung weniger Schulen, Straßen und Radwege erhalten.

(Lachen des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

- Ich finde es ganz toll, dass Sie lachen, Herr Harms. Aber ein bisschen rechnen können Sie vielleicht noch. Ich kann es Ihnen vielleicht auch noch einmal erklären.

(Lars Harms [SSW]: Der Kollege hat die Weisheit für sich gepachtet!)

- Das hat mit Weisheit nichts zu tun, sondern ist sehr leicht nachzuvollziehen.

(Beifall bei FDP und CDU - Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ziehen wir alles bei der Minder- heitenpolitik ab!)

Einen Punkt, den man dabei nicht außer Acht lassen sollte, füge ich noch an: Schließlich vergibt das Land Bauaufträge nicht in erster Linie, damit es der Bauwirtschaft besser geht, sondern das Land lässt bauen, um den Bürgerinnen und Bürgern mehr öffentliche Güter zur Verfügung stellen zu können. All dies führt insgesamt dazu, dass die gesellschaftlichen Kosten der Tariftreue höher sind als ihr Nutzen.

Seit Jahren weisen alle Experten nachdrücklich darauf hin, dass die strukturelle Wirtschaftsschwäche und die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und damit in Schleswig-Holstein durch zu viele gut gemeinte, aber tatsächlich schädliche Eingriffe in die Wirtschaft bewirkt werden. Es besteht aus unserer Sicht kein Grund, die Wirtschaft durch einen zusätzlichen

schädlichen Eingriff weiter zu schwächen und die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Deshalb lehnen wir das Tariftreuegesetz ab.