Protocol of the Session on January 23, 2003

Die CDU setzt auf Chancengerechtigkeit, auf Förderung und Forderung sowie Leistungskontrollen und die Professionalität der Lehrkräfte. Lassen Sie uns alte Hüte aus der Bildungspolitik der 70er-Jahre gemeinsam über Bord werfen - für die Zukunftsfähigkeit unserer Kinder.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Jürgen Weber das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Eisenberg, bei so vielen alten Hüten, wie Sie sie noch aufhaben, werden Sie Schwierigkeiten haben, sie in kurzer Zeit über Bord zu werfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch einmal den Rückblick ins letzte Jahr wagen und deutlich machen, dass in der Tat der PISA-Schock einiges in Bewegung gebracht hat. Prozesse des Nachdenkens über unsere Schulen, auch selbstkritische Bestandsaufnahmen und die Erarbeitung von Schritten zum Handeln und Gestalten sind etwas, was im letzten Jahr auf den Weg gebracht worden ist.

Bei einem habe ich noch sehr genau das im Ohr, was im letzten Jahr alle beteuert haben: die Ergebnisse der PISA-Studie ernst zu nehmen, sie ohne Hast und ideologische Scheuklappen auszuwerten. Davon sind wir, auch wenn ich den heute vorliegenden Antrag heranziehe, schon wieder ein Stück weit entfernt.

Nichtsdestotrotz will ich noch einmal ausdrücklich betonen: Im Interesse einer vernünftigen Schulentwicklung und vor allem natürlich im Interesse unserer Kinder müssen alle - ich unterstreiche: alle - Verbesserungsvorschläge sorgfältig geprüft, sorgfältig gewogen und bewertet werden. Das gilt dann natürlich auch für die Vorschläge, die hier heute mit dem CDU-Antrag beraten werden.

Dabei ist es mir allerdings auch wichtig, in der Vorbemerkung deutlich zu machen und daran zu erinnern, was als Commonsense unter Bildungsfachleuten nach Auswertung der PISA-Studie im letzten Jahr auf dem Tisch lag. Da trifft es sich ganz gut, dass erst vor 14 Tagen die Unternehmensberatung McKinsey genau in diese Richtung konkrete Empfehlungen für eine Schulreform formuliert hat. Nun sind die Leute von McKinsey sicherlich unverdächtig, in den ausgetretenen Gräben der Bildungsdebatten der letzten 20 Jahre zu stecken. Umso bemerkenswerter ist es festzuhalten, dass vier große Reformbereiche von ihnen formuliert werden: Erstens individuelle Schülerförderung und spätere institutionelle Trennung von Schultypen, zweitens ein größeres Gewicht auf frühe Bildungsphasen, drittens ein konsequentes Qualitätsmanagement und viertens eine stärkere Eigenverantwortung und Leistungsorientierung der Schulen.

(Jürgen Weber)

Damit werden genau die Punkte unterstrichen, die auch die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Henning Höppner [SPD])

Gerade die stärkere individuelle Schülerförderung, die Beachtung der Bedeutung individuellen Lernerfolgs sind die zentrale Botschaft, die dem deutschen Schulsystem ins Stammbuch geschrieben worden ist. Wir haben deshalb im letzten Sommer auf Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen aus der PISA-Studie beschlossen, und zwar Konsequenzen in der Richtung: zur Stärkung der Grundschule, zur Verbesserung der Orientierungsstufe, zur Stärkung der Hauptschule, zur besseren Vermittlung von Grundkompetenzen, zum Einstieg in Ganztagsangebote und zur Ausweitung von Ganztagsangeboten und zu festen Halbtagsangeboten im Grundschulbereich und zur stärkeren Eigenverantwortung von Schulen.

Davon ist mittlerweile eine Menge in Vorbereitung beziehungsweise am Beginn der Umsetzung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist es schön, dass auch die CDU einen Teil dieser Punkte, die wir im letzten Jahr beschlossen haben, noch einmal als Antrag auf den Tisch legt. Das ist schön - wie gesagt -, wenn aber eigentlich auch überflüssig, weil das schon passiert. Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die auf dem Weg sind wie zum Beispiel die Verlässliche Grundschule.

In der kurzen Zeit ist es nicht möglich, auf alle Unterstellungen und Fehlinformationen, die sie hier verbreitet haben, Frau Eisenberg

(Widerspruch der Abgeordneten Sylvia Ei- senberg [CDU])

- zum Beispiel den Abzug von Lehrerstellen aus anderen Grundschulen und Ähnliches mehr -, im Detail einzugehen. Die Ministerin will dazu sicherlich auch noch Stellung nehmen. Dazu werden wir an anderer Stelle ausführlich beraten müssen. Die Zeit dafür ist hier nicht gegeben. Das bezieht sich übrigens auch auf die Behauptung, in Schleswig-Holstein würde bis Klasse 9 niemand mehr sitzen bleiben. Auf alle diese hanebüchenen Sachen kann ich jetzt im Detail nicht eingehen.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Das waren Ihre Vorstellungen im Sommer, Herr Weber!)

- Es waren zu keinem Zeitpunkt unsere Vorstellungen, dass bis Klasse 9 in Schleswig-Holstein alle nicht mehr sitzen bleiben können.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Natürlich!)

Aber die Zeit ist nicht gegeben, um sich jetzt mit allen diesen Unterstellungen im Detail zu befassen.

Ich will deutlich machen, dass wir auch im Hinblick auf die Einführung verbindlicher Deutschkurse vor Eintritt in die Grundschule einiges auf den Weg gebracht haben, dass diese Dinge nicht nur in der Planung sind, sondern - wie bekannt ist - bereits in zwei Regionen im Lande erprobt werden, um dann flächendeckend eingesetzt werden zu können.

Ein weiterer Punkt ist die Beschreibung von Mindeststandards und das Erarbeiten von Beispielaufgaben, um die Leistungen der Grundschulen vergleichbarer und für alle transparenter zu machen. Auch Sie wissen vermutlich, dass das IPTS hieran bereits arbeitet und dass für das Fach Deutsch in der Klassenstufe 4 bereits Arbeitsunterlagen an die Schulen gegangen sind.

Auch das wird Ihnen bekannt sein: SchleswigHolstein und Bayern haben für die Kultusministerkonferenz die Federführung bei der Erarbeitung von Musteraufgaben auf Bundesebene.

(Zuruf der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU])

Sie sehen also, eine ganze Reihe von Punkten, die Sie in Ihrem Antrag fordern, sind bereits auf dem Weg. Andere Dinge könnte ich hier ergänzend sagen.

Auch Ihre Forderung, die schulartbezogene Orientierungsstufe zu erhalten, ist eine weitere Eule, die Sie nach Athen tragen. Aber es ist natürlich auch klar, dass wir ein Stück mehr engere Kooperation der weiterführenden Schulen in unserem Land brauchen. Ich vermute, dagegen wird nicht einmal die Opposition etwas haben. So weit, so gut, wenn auch nicht besonders neu.

Allerdings wäre unsere CDU nicht unsere CDU, wenn nicht noch ein gehöriger Schuss Bildungspolitik von gestern in ihr Antragspaket hineingemischt würde. Man muss der CDU sicherlich dankbar sein, dass sie mit dem vorliegenden Antrag noch einmal ihr Grundverständnis von Auslese als Vorrang vor Chancengleichheit so deutlich formuliert, dass es auch jeder nachvollziehen kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] - Sylvia Eisenberg [CDU]: Sie arbei- ten hier mit Unterstellungen!)

(Jürgen Weber)

Meine Damen und Herren, wir nehmen zur Kenntnis, dass Sie nach der PISA-Studie eben nicht pädagogisch auf die viel zu frühe Trennung 10-jähriger Kinder, auf unterschiedliche Bildungswege reagieren wollen. Sie knüpfen zwar - das konzediere ich - zum einen an das Maßnahmepaket an, das wir im letzten Jahr im Sommer beschlossen haben, zum anderen fügen Sie bekannten Auffassungen zur frühen Selektion sogar noch neue Akzente hinzu.

Ich will als Beispiel Ihr Mix an Vorschlägen zur Neuregelung des Schulübergangs im Bereich der Sekundarstufe I herausgreifen, also bei der Orientierungsstufe. Sie wollen Doppelabweichungen von der Grundschulempfehlung ausschließen. Das ist, wie Sie wissen, längst vorgeschlagen und bereits in der Anhörung.

(Zuruf der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU])

Sie wollen Beratungsgespräche, wenn Elternwille und Empfehlung abweichen. Auch das ist längst vorgeschlagen und, wie Sie wissen, auch schon längst in der Anhörung und Beratung.

Aber dann wird es in der Tat abenteuerlich: Sie wollen allen Ernstes die Aufnahme an eine weiterführende Schule von einem standardisierten Test oder einer Aufnahmeprüfung der weiterführenden Schule abhängig machen. Dazu kann man sicherlich unter dem Gesichtspunkt des Elternwillens einiges sagen - das will ich hier beiseite lassen -, aber ein anderer Punkt scheint mir viel gravierender zu sein.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer die Schullaufbahn, wer die weitere Bildungskarriere einer Schülerin oder eines Schülers von einem einzigen Test abhängig machen will, der ist bildungspolitisch wirklich von allen guten Geistern verlassen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zeigen Sie mir auf diesem Globus ein einziges erfolgreiches Schulsystem, bei dem individuelle Leistungsprognosen, Lernberichte, Lernpläne und Gutachten zugunsten des Ergebnisses eines einmaligen standardisierten Tests über den Haufen geworfen werden! - Sie werden so etwas kein zweites Mal finden.

Deswegen erstaunt es mich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Landespresse dies zu Recht als eine Rolle rückwärts beschrieben hat.

Nun muss man sich natürlich - auch das will ich gern zugeben - mit schulpolitischen Vorschlägen nicht

immer im Mainstream öffentlicher Meinung bewegen.

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Eisenberg, das Kernproblem aber ist: Sie wollen nicht verstehen, dass bei allen Erfordernissen von Leistungsvergleichen die individuellen Lernfortschritte von Kindern nicht nur im Förderunterricht oder in Förderstufen eine Rolle spielen müssen, sondern sie ein Stück Bewertungsprinzip sind, auf die sich die Organisation von Schule und Unterricht generell zubewegen muss.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist für uns ein ganz wesentlicher Punkt und steht diametral dem entgegen, was Sie vorschlagen. Das unterstreichen übrigens auch Ihre Vorschläge zur Frühestbenotung und zu den so genannten Kopfnoten. Auch wenn Sie in Ihrem Antrag klarere Regeln für die Querversetzung nach oben schaffen wollen, über die man ohne Frage im Detail reden kann, wird sich natürlich im Kern nichts daran ändern, dass die Querversetzung nach unten die Regel ist, auf die wir mit pädagogischen Maßnahmen - ich unterstreiche: mit pädagogischen Maßnahmen - reagieren müssen. Man kann über die vorliegende Orientierungsstufenverordnung sicherlich im Detail streiten und reden; sie weist aber auf jeden Fall in die richtige Richtung.

Ich komme zum Schluss. In Ihrem Antrag mischt sich längst Beschlossenes und auf den Weg Gebrachtes mit mehrfach hier diskutierten und verworfenen Punkten. Das jüngste Beispiel ist die vor zwei Monaten geführte Diskussion zum Thema Stundentafel. Was jetzt essentiell neu ist in Ihrem Antrag, scheint mir besonders misslungen. Eine Rolle rückwärts wollen wir nicht und werden wir nicht zulassen. Deswegen ist der Antrag, den Sie vorlegen, in der Summe - ich betone: in der Summe - für die SPD-Fraktion nicht zustimmungsfähig. Wir sind aber gern bereit, über alle Details im Ausschuss mit Ihnen weiter zu beraten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich darf auf der Tribüne neue Gäste begrüßen: Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer der Realschule Tellingstedt. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Wir fahren in der Debatte fort. Ich erteile das Wort für die Fraktion der FDP Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug.