Protocol of the Session on January 22, 2003

(Thorsten Geißler)

Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Man könnte aber auch formulieren: Wer sicher ist, dass abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet und weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Er wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten.

Das werden wir zu berücksichtigen haben, wenn wir Entscheidungen zu treffen haben, die sicherstellen, dass unsere Bürger in Sicherheit und ohne Furcht vor Kriminalität leben können, wenn wir gleichzeitig den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen wollen, damit individuelle Entfaltungschancen des Einzelnen nicht beeinträchtigt werden, aber auch nicht das Gemeinwohl, weil informationelle Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Insofern freue ich mich auf weiterhin gute Zusammenarbeit im Bereich der Datenschutzpolitik, auch wenn dabei Konflikte immer wieder zielführend, unvermeidbar und wünschenswert sind.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

In der Presseloge hat zwischenzeitlich der Landesdatenschutzbeauftragte Platz genommen, der diese ausführliche Diskussion mit besonderem Interesse verfolgt. Ich begrüße ihn sehr herzlich.

(Beifall)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz, Herr Dr. Bäumler, hat es zutreffend ausgedrückt. Wir haben in den letzten Jahren beim Thema Datenschutz einen Wertwandel beobachten müssen. Noch Anfang der 80er-Jahre wurde uns allen im Rahmen der Debatte um die Volkszählung die Bedeu

tung des Schutzes der persönlichen Daten vor Augen geführt. Wer aber die Gesetzgebung in den letzten 20 Jahren aufmerksam verfolgt hat, musste insbesondere im Bereich der Polizei- und Strafverfolgungsgesetze feststellen, dass der Datenschutz gegenüber den Sicherheitsbehörden scheibchenweise abgebaut wurde. Weder christlich-liberale noch rot-grüne Regierungen haben sich hier zurückgehalten.

(Silke Hinrichsen [SSW]: Auch die FDP nicht!)

Letzter Höhepunkt waren die so genannten SchilyPakete, die vor dem Hintergrund der schrecklichen Attentate des 11. September 2001 in New York und Washington hastig verabschiedet wurden.

Nun droht im Nahen Osten Krieg und damit wird auch die Gefahr terroristischer Aktivitäten in Europa und insbesondere bei uns wieder akuter in das Bewusstsein gebracht. Als Folge ist zu befürchten, dass einige Hardliner, mögen sie Schily oder Schill heißen, eine Debatte um schärfere Gesetze und weitere Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte lostreten werden. Ich nenne da nur als Beispiel die schon seit langem in der Schilyschen Wunschkiste schmorende Vorfeldermittlungsbefugnis der Polizei, nach der die Polizei schon vor dem Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat ermitteln kann.

Wir können hier ein Zeichen setzen, indem wir den Wertewandel umkehren und für die Grundrechte und eine freiheitlich-liberale Gesellschaft eintreten.

(Beifall bei der FDP)

Der Anfang sollte darin bestehen, den Menschen reinen Wein einzuschenken und ihnen zu sagen, dass eine hundertprozentige Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. Das hat nicht zuletzt wieder der Flug eines Verwirrten über der Frankfurter Innenstadt gezeigt.

Ich bin der SPD-Fraktion daher dankbar, dass sie uns mit ihrer Großen Anfrage zum Thema Datenschutz die Gelegenheit gibt, uns wieder einmal grundsätzlich zu positionieren. Diese Debatte gibt uns die Möglichkeit, bestehende Regelungen zu überprüfen und zu hinterfragen, ob sie letztlich geeignet und erforderlich waren. Außerdem sind Regelungen, die mangels personeller oder sachlicher Ausstattung der Ermittlungsbehörden nicht vollzogen werden können, schon allein deswegen überflüssig.

So gab es bis vor kurzem noch einen erheblichen Rückstau bei der Abarbeitung der so genannten DNA-Altfälle. Den Kriminalpolizeistationen lagen Datensätze mit teilweise mehreren hundert Straftätern vor, die unter das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz

(Günther Hildebrand)

fielen, die aber mangels entsprechender IT-Ausstattung nicht eingelesen werden konnten. Wir hoffen, dass dieser Mangel mittlerweile behoben wurde. Ansonsten wäre die Erhebung der Daten schlichtweg überflüssig.

Brauchen wir die so genannten Großen Lauschangriffe? In Schleswig-Holstein wurden seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in zwei Verfahren akustische Wohnraumüberwachungsmaßnahmen vollzogen. In nur einem der beiden Verfahren führte der „Große Lauschangriff“ zu bedeutsamen Erkenntnissen für das Verfahren. Bundesweit gab es im gleichen Zeitraum 87 Anordnungen für eine solche Abhörmaßnahme. Das sind circa 1,8 Anordnungen pro Jahr und Bundesland. Wenn die Erfolgsquote Schleswig-Holsteins mit 50 % repräsentativ für das Bundesgebiet ist, dann ergibt das nicht einmal eine erfolgreiche Abhörmaßnahme pro Bundesland und Jahr. Herr Kollege Geissler, ich bin schon der Meinung, dass man auch darüber nachdenken sollte, ob diese Maßnahme wirklich das gebracht hat, was wir uns seinerzeit davon erhofft haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Auf jeden Fall können wir aber feststellen, dass zumindest von der Richterschaft dieses Instrument sehr restriktiv eingesetzt wird.

Was soll uns das sagen? Die Landesregierung kommt zu dem Ergebnis, dass die weitere Anwendung dieses Instruments über einen längeren Zeitraum abgewartet werden sollte, um genügend aussagekräftige Rechtstatsachen für repräsentative Aussagen zu erlangen. Ich glaube nicht, dass die Richterschaft in Zukunft ihre bisherige Anordnungspraxis aufgeben wird. Wie lange sollen wir dann aber warten, bis wir repräsentative Aussagen machen können? Ehrlich wäre es einzuräumen, dass sich der so genannte Große Lauschangriff, der einen ganz erheblichen rechtlichen Einschnitt in die verfassungsmäßig garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung darstellt, faktisch als überflüssig erwiesen hat.

Kommen wir zum Thema Rasterfahndung. Was hier alles passieren kann, hat uns Ende 2001 ein Beispiel aus Sachsen gezeigt. Dort ging eine Diskette mit sämtlichen melderechtlichen Daten einer Kleinstadt in der Post verloren. Meine Fraktion hat seinerzeit mit erheblichen Bedenken der Änderung unseres Landesverwaltungsgesetzes für die Rasterfahndung zugestimmt. Wir haben aber immer noch erhebliche Bedenken gegen diese Ermittlungsmethode. Vergessen wir nicht, je mehr im Interesse der inneren Sicherheit

der vorbeugende Rechtsgüterschutz durch die Rasterfahndung intensiviert wird, desto mehr wird die Verbrechensbekämpfung in das Vorfeld verlegt und der justizförmigen Kontrolle entzogen. Als Folge werden unbeteiligte Dritte bei der Rasterfahndung wegen des abstrakt formulierten Rasters mit einbezogen, obwohl sie nichts mit der Polizei zu tun haben und auch nicht als Störer oder als gefährlich einzustufen sind. Die begrenzende Kraft des konkreten Tatverdachts geht dabei verloren.

Herr Dr. Bäumler hat dieses Problem schon mehrfach angesprochen und wünscht sich eine einschränkende Ergänzung der bestehenden Regelung im Landesverwaltungsgesetz. Er dringt darauf, dass eingreifende Maßnahmen nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr zulässig sind. Wir sollten diesen Vorschlag einmal überdenken und diese Forderung gegebenenfalls umsetzen.

(Beifall bei der FDP)

Kommen wir zum Bereich des Internets. Überall wo neue Techniken und Wirtschaftszweige entstehen, kommt es zu kriminellen Handlungen. So ist es auch im Bereich der elektronischen Medien. Sie entwickeln sich rasend auf der technischen Seite. Dazu kommt, dass aufgrund der vielfältigen internationalen Netzwerke und Verflechtungen eine Kontrolle krimineller Handlungen kaum regelbar, geschweige denn kontrollierbar ist. Es ist daher nur schwer möglich, dem Strafverfolgungsinteresse des Staates bei gleichzeitiger Beachtung des Datenschutzes nachzukommen.

Die Diskussion wird immer insbesondere dann schwierig, wenn wieder ein Fall von zum Beispiel Kinderpornografie im Internet bekannt wird. Niedersachsen hat erst im letzten Jahr einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Ermittlungsmaßnahmen wegen des Verdachts des Missbrauchs von Kindern in den Bundesrat eingebracht. In dem Entwurf war unter anderem eine Vorratsspeicherung von sensiblen personenbezogenen Daten in großem Umfang zum Zwecke möglicher polizeilicher oder geheimdienstlicher Ermittlungen vorgesehen. Es war mutig und richtig, dem Gesetzentwurf im Bundesrat nicht zuzustimmen. Dafür unsere Anerkennung.

Eine ganz andere Problematik findet sich im Bereich des Gesundheitswesens. Dort soll es nach Auffassung der Landesregierung eine Chipkarte geben, die über die gesamte Krankengeschichte eines Patienten Auskunft gibt. Bei jedem Einlesen der Karte hat also der behandelnde Arzt die Möglichkeit, auf Informationen zurückzugreifen, die der Patient ihm vielleicht gar nicht offenbaren will. Was geht zum Beispiel

(Günther Hildebrand)

einen Zahnarzt die letzte Knieoperation an? Nun könnte man meinen, diese Informationen würden auch von der ärztlichen Schweigepflicht umfasst und daher seien die Bedenken nur begrenzt. Darum geht es aber nicht. Es ist das ureigenste Recht der Patienten, selbst zu entscheiden, wem sie ihre sensibelsten Daten anvertrauen. Eine Ausgabe an alle Kassenmitglieder, verbunden mit einer Vorlagepflicht wäre damit nicht vereinbar.

Im Tätigkeitsbericht 2002 des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz wird auf die Pläne hingewiesen, ein zentrales Register mit den Gesundheitsdaten von 90 % der Bevölkerung zu schaffen. Das wäre dann in der Tat ein Datenbestand, der erhebliche Begehrlichkeiten wecken würde. Ein Patientenausweis ohne die Freiwilligkeit bei der Verwendung lehnen wir daher ab.

(Vizepräsident Thomas Stritzl übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Datenschutz sind keine Luxusgüter, die wir uns in ruhigen Zeiten leisten können. Es sind vielmehr Grundlagen unseres Gesellschaftssystems.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Irene Fröhlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir haben als Abgeordnete auch den Auftrag, uns in schwierigen Zeiten zum Rechtsstaat und seinen Prinzipien zu bekennen.

(Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich das Wort der Abgeordneten Irene Fröhlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will eine Vorbemerkung machen. Aus meiner Sicht ist der Datenschutz mit der Technikfolgenabschätzung vergleichbar, die ich mir jedenfalls für andere Technologien wünsche, die wir Menschen entwickeln und bei denen wir dann immer feststellen, dass die Folgen und Verwicklungen eine Komplexität entwickeln, die wir ursprünglich nicht mit konzipieren konnten und die wir hinterher auch nur schwer in den Griff bekommen. Dass es im Zuge der Einführung von elektronischer Kommunikation und Information gelingen konnte, nahezu gleichzeitig und nahezu auch gleich stark einen Schutz und eine Evaluation dieser Technologie einzuführen, ist, finde ich, ein

gutes Beispiel dafür, dass es uns eigentlich auch in anderen Bereichen der Technologieentwicklung so gelingen müsste.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Bereich der Datenverarbeitung werden fast täglich Fakten geschaffen, allerdings nicht von der Landesregierung und auch nicht hier im Landtag. Vieles verändert sich durch rasante technische Entwicklungen und die Gesetzeskompetenzen für die Regelung der Datenverarbeitung in wirtschaftlichen Betrieben, die ja einen großen Teil der Datenverarbeitung ausmacht. Diese liegt in Berlin.

Es bleibt aber auch für uns auf Landesebene genug zu tun. Da ist zunächst der zurzeit aktuelle Bereich der Datenverarbeitung zum Zweck der Gefahrenabwehr, insbesondere die Rasterfahndung. Als Reaktion auf die Terroranschläge in den USA vom 11. September 2001 hatten die Sicherheitsbehörden erstmals seit den Tagen der RAF vor über 20 Jahren in großem Umfang die Ermittlungsmethode der Rasterfahndung genutzt. Aufgrund der Ermittlungen in den USA stand fest, dass einige Täter längere Zeit in Deutschland gelebt und offenbar von hier aus die Anschläge geplant hatten. Anderthalb Jahre später ist die Bilanz ernüchternd. Es ist bisher kein Fall bekannt geworden, durch den ein so genannter Schläfer aufgrund der Rasterfahndung enttarnt werden konnte.

Zudem wurden in anderen Bundesländern Rasterfahndungsmaßnahmen ohne erforderliche richterliche Anordnung getroffen. Das BKA wertet die Daten der Landeskriminalämter zentral aus, obwohl es dazu gesetzlich nicht befugt ist. Das sind gewiss Dinge, auf die wir unser Augenmerk richten und die wir auch verändern müssen.

Nach nunmehr anderthalb Jahren müssen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zur Datenspeicherung und -erhebung kritisch mit dem Ziel überprüft werden, den gebotenen Ausgleich zwischen kollektiver Sicherheit und individuellen Freiheitsrechten immer wieder herzustellen. In Schleswig-Holstein liegt uns dazu erstmals der periodische Bericht des Innenministers vor, der sorgfältig ausgewertet werden muss. Insofern widerspreche ich der Auffassung der Landesregierung: Eine Evaluation des automatisierten Datenabgleichs sollte nicht erst dann erfolgen, wenn die zeitliche Befristung der entsprechenden Gesetzesgrundlage ausläuft. Vielmehr müssen wir schon jetzt die jährlichen Berichte des Innenministers dazu nutzen, diese Maßnahme kritisch zu überprüfen, zu begleiten, um am Ende unsere Schlüsse zu ziehen.

(Irene Fröhlich)

Ein weiteres, originär auf Landesebene zu bestellendes Feld ist der Bereich Jugend- und Medienschutz mit all seinen Facetten. Ganz besonders wichtig ist die Vermittlung von Medienkompetenz. Die Große Anfrage bestätigt mir zu meiner Freude wieder einmal, dass dieses Wort in Schleswig-Holstein kein Fremdwort ist. Allerdings stelle ich infrage, ob es sinnvoll ist, dass die rundfunk- und internetorientierte Medienkompetenz, wie die verschiedenen Projekte zeigen, in den Händen verschiedener Stellen liegt; denn die Fragen, die sich im Umgang mit den Medien stellen, sind im Wesentlichen doch die gleichen.