Protocol of the Session on December 18, 2002

Niemandem kann es wirklich helfen, wenn wir die Zukunftsaussichten in der jetzigen Situation rosiger malen, als sie es in Wirklichkeit sind. Wir brauchen in Berlin und ebenso hier in Kiel Mut, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. Sicher ist in jedem Fall, dass uns die Konjunkturentwicklung auch im nächsten Jahr keinen Weg aus dem Tal der Tränen zeigen wird. Wenn ich auf die von mir aus gesehen linke Seite des Hauses gucke, so wird niemand aus der Fraktion der SPD und der Fraktion der Grünen behaupten, dass die rot-grüne Bundesregierung zurzeit - neudeutsch formuliert - gut aufgestellt ist. Der Bundeskanzler greift erst in den letzten Tagen - und hoffentlich auch über den Jahreswechsel hinaus - in einer Weise in die Politik ein, die seiner Rolle entspricht. Er zeigt Gott sei Dank endlich wieder Führung.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zu lange blieb es den Ressortministern und Parteistrategen aus unseren Reihen überlassen, ihre unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Vorschläge in den Äther zu blasen. Das hat nicht zur Beruhigung, sondern eher zur Verwirrung beigetragen. Allerdings kann man die Opposition - sowohl in

Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 77. Sitzung - Mittwoch, 18. Dezember 2002 5791

(Lothar Hay)

Berlin als auch hier in Kiel - nur warnen, mit Häme zu reagieren, denn eine Alternative zu den jetzt in Berlin ergriffenen Maßnahmen ist von Ihnen weder in Berlin noch hier in Kiel angeboten worden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist Unsinn! Da fangen wir an zu lachen!)

Damit meine ich in erster Linie die Themen Gesundheitswesen und Rentenreform. Wenn es Vorschläge von ihrer Seite gibt, so sind sie aus meiner Sicht nicht die Alternative. Wichtig ist aus meiner Sicht, an dieser Stelle deutlich zu machen: Wir brauchen eine Reform des Gesundheitswesens und des Rentenwesens, die auch in konjunkturell schwachen Zeiten trägt.

(Beifall bei SPD und SSW)

Ich habe die Hoffnung, dass - aufgrund der geringeren Entfernung zwischen Berlin und Skandinavien als zwischen Berlin und dem Mittelmeerraum - die positiven Erfahrungen Skandinaviens beim Umbau des sozialen Sicherungssystems ein Vorbild sind, von dem man lernen kann. Aus meiner Sicht ist dies der richtige Weg, um zu einem verlässlichen und zukunftsgerichteten System der sozialen Sicherung zu kommen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zurufe von der CDU)

Ich freue mich, dass auch die Opposition etwas lebhafter wird. Lassen Sie mich auf ein Thema eingehen, das wir mit großer Ernsthaftigkeit diskutieren sollten. Ich meine damit die im Laufe der letzten Zeit - von Historikern - gemachten Vergleiche zwischen Brüning und Schröder. Bei Vergleichen besteht immer die Gefahr, dass man sich vergaloppiert, wenn man denn, wenn es auch nur andeutungsweise einige vergleichbare Punkte gibt, die große Gleichsetzung macht. Die Gefahr, die wir durchaus ernst nehmen sollten, ist die Gefahr, dass die jetzige Situation unserer Demokratie, die stabil ist, mit einer schwachen Situation der Endphase der Weimarer Republik verglichen wird. Wir sollten aufpassen, dass wir diesen Vergleich nicht unnötig machen, denn dadurch wird etwas impliziert, was unserer Demokratie letztlich Schaden zufügen würde.

(Beifall bei SPD und SSW)

Mit Interesse habe ich gelesen, was der Historiker Arnulf Baring gesagt hat: Er fordert eine außerparlamentarische Bürgeropposition, die, von der verbreiteten Parteienverdrossenheit getragen, mit dem bestehenden Parteiensystem aufräumen soll. Dies kann bei jedem Demokraten nur Kopfschütteln auslösen.

(Beifall bei SPD und SSW - Zuruf des Ab- geordneten Uwe Greve [CDU])

Ich habe mitbekommen, dass besagter pensionierter Historiker demnächst beim Neujahrsempfang der FDP das Wort ergreifen wird. Ich bin schon gespannt, welche neuen historischen und wissenschaftlich untermauerten Weisheiten uns via FDP mitgeteilt werden. Ich glaube, wir können uns jetzt schon wieder auf einen Gag gefasst machen. Es ist wohl die Spaßpartei, die solche Vorschläge macht. Ich halte dieses Thema für zu ernst, als dass wir es so durch den Kakao ziehen sollten.

(Beifall bei der SPD - Zuruf des Abgeordne- ten Uwe Eichelberg [CDU])

Lassen Sie uns einen weiteren Punkt kritisch aufgreifen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Die größte Witz- figur ist Herr Schröder!)

- Herr Dr. Klug, ich bin der Meinung, ein Bundeskanzler muss sich der Kritik stellen. Eine Äußerung, wie Sie sie gemacht haben, ist seinem Amt abträglich. Das sollten Sie sich vielleicht einmal merken.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir müssen bei all dem aufpassen, wie die Wirkung nach außen ist, und zwar nicht nur in den eigenen Reihen.

In Berlin wird jetzt darüber diskutiert, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, um Wahlaussagen zu prüfen. Ich glaube, damit sind wir auf einem vollkommen falschen Weg.

(Zuruf von der CDU: Lügen!)

In diesem Zusammenhang, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, sollten vielleicht wir einmal bei unserem Zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss darüber nachdenken, ob er aufgrund der bisher erbrachten Ergebnisse nicht sehr schnell beendet werden muss.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Herr Abgeordneter Hay, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Strauß?

(Lothar Hay)

Lassen Sie mich jetzt auf den Haushalt 2003 eingehen.

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und FDP)

Nach den Prognosen des Arbeitskreises Steuerschätzung ist für 2003 von einem Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes von 1,5 % statt vorher gesagt 2,5 % auszugehen. Diese Steigerungsrate wird von den Wirtschaftsweisen inzwischen auf 1 % korrigiert. Nach meiner Einschätzung, die sich auf Berichte in den Medien gründet, ist eher der Wert von 1 % realistisch. Viel hängt in dieser labilen Lage von der Stimmung ab. Nachdem der US-Verbraucherindex im Oktober auf den tiefsten Stand seit 1993 gefallen ist, erleben wir in den USA wieder einen langsamen Anstieg. In dieses Bild des langsamen Anstiegs passt auch, dass die US-Konjunktur wieder greift. Ob wir es wollen oder nicht: Die Leitwirtschaftsnation USA bestimmt auch bei uns in Deutschland Wachstumserwartungen und Stimmungen. Wir sollten aufpassen, nicht durch Stimmungen, für die wir auch selbst verantwortlich sind und die wir selbst erzeugen können, einen falschen Eindruck zu vermitteln. Deutschland ist nicht in einer Rezession, sondern Deutschland ist zurzeit in der Verharrung, Deutschland verharrt zurzeit in einer Stagnation.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Lieber Herr Kollege Kubicki, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf eine Äußerung eingehen, die Sie in der Debatte über den Nachtragshaushalt 2002 gemacht haben. Sie haben dort das Schreckgespenst einer Abwehr der Bonität der Bundesrepublik Deutschland durch die Rating-Agenturen an die Wand gemalt. Fakt ist: Noch genießen die Bundesanleihen auf den internationalen Kapitalmärkten eine herausragende Stellung.

(Zuruf von der CDU: Noch!)

Bund und Länder müssen für ihre Kreditaufnahmen niedrigere Zinsen zahlen als etwa Frankreich oder Italien. Allerdings hat sich der Zinsabstand zu den Anleihen der anderen Länder der Eurozone bereits deutlich verringert. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass der Markt die Kreditwürdigkeit Deutschlands nur noch unwesentlich höher bewertet als die der anderen Staaten Europas. Aber nun kommt der entscheidende Schluss - das war gestern durch die entsprechende Kommentierungen der Rating-Agenturen auch in der „Süddeutschen Zeitung“ nachzulesen -: Einen Verlust der derzeitigen Bestnote Triple A hält die Mehrzahl der Rating-Agenturen aber eher für unwahrscheinlich. Es ist eine gewisse Vorsorge aufgrund der Asienkrise. Aus meiner Sicht gilt es, hier

die Zeichen ernst zu nehmen, aber nicht Stimmung zu machen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Zu den Dingen, die wir ernst nehmen müssen, gehört auch das, was gestern von der OECD gesagt worden ist. In Deutschland sind die Lohnnebenkosten zu hoch und der Anreiz, Arbeit zu übernehmen, ist zu niedrig. An diesen beiden Punkten müssen wir arbeiten.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Einen positiven Anstoß zur Konjunkturentwicklung könnten auch die Banken geben, wenn sie denn bereit wären, die durch die Senkung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank günstigeren Refinanzierungsmöglichkeiten an die Kunden weiterzugeben. Die Kritik der Ministerpräsidentin an dem Verhalten der Banken, an den Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank unterstützt die SPD-Fraktion ausdrücklich. Wir sind der Meinung, dass die günstigeren Refinanzierungsmöglichkeiten der Banken und Sparkassen direkt an die Kunden, an die mittelständische Wirtschaft, weitergegeben werden müssen. Das ist ein Anstoß für eine bessere Konjunkturentwicklung.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen darf ich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes von 1986 hinweisen, in dem die Kreditinstitute bei günstigeren Refinanzierungskonditionen verpflichtet sind, diese in Form einer Zinssenkung auch an die Verbraucher weiterzugeben. Das Aktenzeichen, Kollege Kubicki, kann ich Ihnen gern nachreichen, wenn Sie es haben wollen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich habe im Mo- ment keine Kredite!)

Eine weitere ständig wiederholte Behauptung - auch Herr Wiegard wiederholt sie immer sehr gern - ist, die Steuereinnahmen des Landes seien in den letzten Jahren real gestiegen. Herr Wiegard, die Steuereinnahmen des Jahres 2002 werden in absoluten Zahlen nicht einmal die Einnahmen des Jahres 1998 erreichen. Wenn ich von „Einnahmen“ spreche, meine ich die Steuereinnahmen, die Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich und die Bundesergänzungszuweisungen. Wenn Sie dies als immer noch nicht dargelegt betrachten, bitte ich Sie, einmal den Umdruck 15/2830 zur Hand zu nehmen. Dort ist dies explizit aufgeführt. Für 2003 bedeutet es, dass, wenn die Prognosen zutreffen, die Einnahmen des Landes nur unwesentlich über den Einnahmen des Jahres 1999 liegen werden. Das ist die eigentliche Ursache:

(Lothar Hay)

Die sinkenden realen Einnahmen des Landes. Das müssen wir einfach als Fakt festhalten.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin bei solchen Prognosen vorsichtig. Das Steuervergünstigungsabbaugesetz ist nicht mit eingearbeitet worden. Die Gesetze, die vielleicht in den letzten Tagen dieses Jahres noch im Bundesrat geltendes Recht werden, sind nicht mit eingearbeitet worden.

Damit bin ich bei dem Thema, das die Gemüter im Augenblick sehr stark bewegt, das Thema, welche neue Steuer kommt. Ich habe vorhin schon etwas dazu gesagt. Man soll nicht lange darüber diskutieren, sondern Entscheidungen treffen. Wir Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein haben immer die Wiedereinführung der privaten Vermögensteuer aus Gerechtigkeitsgründen gefordert.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)