Protocol of the Session on December 13, 2002

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 15/2344

Zunächst erteile ich dem Berichterstatter des Sozialausschusses, Herrn Abgeordneten Beran, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sozialausschuss hat den ihm durch Plenarbeschluss vom 13. September 2002 überwiesenen Entwurf eines Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen des Landes Schleswig-Holstein und zur Änderung anderer Rechtsvorschriften in drei Sitzungen, zuletzt am 11. Dezember 2002, beraten. Er empfiehlt dem Landtag mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der Fraktionen von CDU und FDP, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zu dem Bericht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann eröffne ich die Einzelberatung und erteile Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

(Zurufe)

- Sie haben sich geeinigt? - Dann Herr Abgeordneter Geerdts bitte sehr.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Aufruf kam ein bisschen überraschend. Das Jahr 2003 ist das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Daher ist es richtig, dass wir in diesen Tagen die zweite Lesung des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen durchführen werden. Es war während der Ausschussberatung unsere gemeinsame Zielsetzung, dieses Gesetz so zu beraten, dass es zum 1. Januar 2003 in Kraft treten kann.

Trotzdem haben wir uns im Sozialausschuss in insgesamt drei Sitzungen intensiv mit diesem Gesetz befasst. Wir sind uns in der Zielsetzung über die Fraktionsgrenzen hinweg einig. Lediglich ein trennender

Punkt besteht. Seit vielen Jahren ist Beschlusslage der CDU-Landtagsfraktion, weitestgehend auf hauptamtliche Beauftragte zu verzichten. Daher gehört es zur Ehrlichkeit, dies auch bei der Beratung dieses Gleichstellungsgesetzes nicht zu verkleistern, denn bereits in einer Woche werden wir bei den Haushaltsberatungen einen Verzicht auf hauptamtliche Beauftragtenstellen beantragen. Allein in dieser Frage besteht der Unterschied zwischen den beiden vorgelegten Gesetzentwürfen. Wir haben diesen Weg gewählt, um deutlich zu machen, dass auch wir ein Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen für dringend geboten halten.

Diese Zusage haben wir als CDU-Landtagsfraktion bereits während der landesweiten Debatte über die Aufnahme der Belange behinderter Menschen in die Landesverfassung gegeben. Die CDU hat immer gesagt, dass sie dem konkreten politischen Handeln für Menschen mit Behinderungen den Vorrang vor die Aufnahme eines weiteren Staatsziels in die Verfassung geben wird. Diese Auffassung vertreten wir unverändert. Wir haben unseren Kurs gehalten und werden heute unsere Zustimmung zu einem Landesgleichstellungsgesetz geben können.

Wir wollen eine umfassende Gleichstellung behinderter Menschen. Dies gilt für alle Lebensbereiche. Mit diesem Gesetz soll erreicht werden, dass die Voraussetzungen für Menschen mit Behinderung geschaffen werden, so selbstständig und eigenverantwortlich wie nur irgend möglich ihr Leben gestalten zu können. Diesen Weg der Integration verfolgen wir von den Kindertagesstätten über die Schulen, die Lehrzeit, das Arbeitsleben bis hin zum menschenwürdigen Leben im Alter. Nicht nur in der letzten Frage gibt es noch riesige Defizite in unserer Gesellschaft.

Dieses Landesgleichstellungsgesetz wird nach unserer festen Überzeugung einen Beitrag zur Bewusstseinsänderung leisten.

Wir waren uns im Ausschuss alle einig, dass dieser Gesetzentwurf in der zeitlichen Zielsetzung der Erreichung der Barrierefreiheit noch Defizite hat. Hier sehen die Mitglieder des Sozialausschusses - das haben wir in der letzten Ausschusssitzung gemeinsam festgestellt - Nachbesserungsbedarf. Allerdings wissen wir, dass wir bei allen Beschlüssen, die wir auf Landesebene herbeiführen, das Konnexitätsprinzip im Auge behalten müssen. Von daher werden wir im Ausschuss weiterhin gemeinsam auch mit den kommunalen Landesverbänden nach einer Lösung in dieser Frage suchen. Integrationspolitik - auch das muss

(Torsten Geerdts)

herausgestellt werden - wird es nicht zum Nulltarif geben.

(Beifall bei CDU und FDP sowie der Abge- ordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Silke Hinrichsen [SSW])

Irgendwann müssen wir springen und Haushaltsmittel zur Verfügung stellen, ohne die kommunale Ebene zusätzlich zu belasten.

Es ist aber richtig, dass wir dieses Gesetz zum 1. Januar und damit zum Beginn des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung in Kraft setzen. Politik ist in dieser Frage ein verlässlicher Partner der Behindertenverbände im Land SchleswigHolstein. Dieses Gesetz wird zu einem größeren Miteinander von Menschen mit und ohne Handicap führen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile jetzt Herrn Abgeordneten Baasch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstbestimmung statt Bevormundung ist das zentrale Thema des Landesgleichstellungsgesetzes. Liest man in den Stellungnahmen zu dem Gesetzentwurf, so liest man beispielsweise in der Stellungnahme des Don Bosko Hauses für das behinderte Kind e.V. in Mölln:

„Auch der Gesetzentwurf für SchleswigHolstein gibt mit dem Fokus auf die Barrierefreiheit den rechtlichen Rahmen vor, um behinderten Menschen ein Mehr an Gleichstellung zu ermöglichen. Das bewerten wir positiv.“

Der Landesverband für Lebenshilfe schrieb:

„Der Landesverband der Lebenshilfe begrüßt ausdrücklich das Vorhaben der Landesregierung Schleswig-Holstein, ein Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen in unserem Bundesland vorzulegen.“

Diese Auszüge aus Stellungnahmen von Verbänden behinderter Menschen machen deutlich: Ein Landesgleichstellungsgesetz in Schleswig-Holstein ist gewollt und wird seine Wirkung auch in einer Veränderung des Denkens in der Behindertenpolitik in Schleswig-Holstein erzielen.

Grundtenor des vorliegenden Landesgesetzes ist, die Situation von Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein dadurch zu verbessern, dass eben nicht allein gegebenenfalls weiter bestehende oder unvermeidbare Nachteile ausgeglichen werden, sondern dass Menschen mit einer Behinderung einen Anspruch darauf haben, das eigene Leben so weit wie möglich normal, das heißt individuell zu gestalten, zu gestalten frei von Ausgrenzung und frei von Diskriminierung.

Gleichstellung und Barrierefreiheit sind die zentralen Ziele des vorliegenden Gesetzentwurfes zur Gleichstellung behinderter Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Ein Schwerpunkt ist die Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr. Neubauten sowie große Um- und Erweiterungsbauten von öffentlichen Verkehrsanlagen und öffentlichen Gebäuden müssen in Zukunft so gestaltet werden, dass sie von behinderten und älteren Menschen sowie von Personen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen selbstständig genutzt werden können.

In der Beratung des Gesetzentwurfes im Sozialausschuss haben wir viel über die verbindliche Einführung von zeitlichen Festlegungen zur Umsetzung auch im Bereich von Altbauten diskutiert. Ich glaube, es kommt nicht nur darauf an, hier eindeutige Ziele zu formulieren, sondern auch darauf, mit allen Betroffenen, vor allem mit den Kommunen, mit Gemeinden und Städten, zu sprechen und Ziele für den Umbau von allen bestehenden öffentlichen Gebäuden, Schulen, Rathäusern, aber auch öffentlichen Plätzen und Verkehrsanlagen zu vereinbaren. Die Bereitschaft zum behindertengerechten Umbau aller öffentlichen Gebäude wie auch von öffentlichem Straßenraum, Verkehrsanlagen, wird sicherlich überall vorhanden sein. Es kommt aber auch darauf an, mit Überzeugungskraft dafür einzutreten, dieses auch zeitnah umzusetzen, dass Schritt für Schritt die behindertengerechte Gestaltung, die Barrierefreiheit durchgesetzt wird.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine weitere außerordentlich zu begrüßende Regelung im Landesgleichstellungsgesetz ist die Einführung des Verbandsklagerechts. Hiermit können künftig Verstöße gegen Gleichstellung in Fällen von allgemeiner Bedeutung durch die Verbände behinderter Menschen aufgegriffen werden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Wolfgang Baasch)

Dies stärkt die Rechte der Menschen mit Behinderungen und ihrer Interessenvertretungen. Natürlich, und das ist im Gegensatz zum Kollegen Geerdts besonders hervorzuheben, ist für uns der Abschnitt, der sich mit den Aufgaben des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen beschäftigt, von besonderer Bedeutung. Wir begrüßen es, dass das Amt des Landesbeauftragten gesetzlich verankert ist. Dies führt zu einer Stärkung des Landesbeauftragten, und natürlich finden wir es richtig, den Aufgabenbereich des Landesbeauftragten auch festzulegen.

(Beifall bei der SPD)

Hierzu gehört erstens, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am öffentlichen Leben in unserer Gesellschaft aktiv zu fördern, zweitens darauf hinzuwirken, dass es die Verpflichtung des Landes ist, für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen, und drittens die Landesregierung in Grundsatzangelegenheiten von Menschen mit Behinderungen zu beraten. Auf seine Arbeit und seine Aktivitäten wollen wir nicht verzichten. Der Beauftragte hat unsere volle Unterstützung.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Das Jahr 2003 ist zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen erklärt worden. In diesem Jahr sind wir alle aufgefordert, die gesellschaftliche, politische und rechtliche Integration und Teilhabe behinderter Menschen auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene zu stärken. Mit dem Landesgleichstellungsgesetz in Schleswig-Holstein wird für das Jahr 2003 ein wichtiger Schritt zugunsten der Menschen mit Behinderungen eingeläutet, ein Schritt, der den Anspruch auf größtmögliche Normalität für Menschen mit Behinderungen aufgreift und in Zukunft noch stärker zur Beachtung auffordert. Selbstbestimmung statt Bevormundung ist die Richtschnur dieser Integrationspolitik. Die SPD-Fraktion unterstütz nachhaltig diese Politik. Wir werden den Gesetzentwurf der Landesregierung so, wie im Sozialausschuss beschlossen, auch im Landtag mittragen.

(Beifall bei der SPD)

Erlauben Sie mir einen Hinweis zum Geschäftsgang. Nach diesem Tagesordnungspunkt werde ich zunächst die Tagesordnungspunkte ohne Aussprache aufrufen, bevor wir dann prüfen, was wir heute noch abwickeln können.

Jetzt hat Herr Abgeordneter Dr. Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn ich so in Ihre Gesichter schaue, insbesondere in das vom Kollegen Baasch und von der Kollegin Birk, dann weiß ich, was Sie wirklich wollten. Eigentlich wollten Sie dem FDP-Änderungsantrag zustimmen. Nun ist das nicht passiert, aber sie hätten ihm gerne zugestimmt, lieber Wolfgang Baasch, denn wer es mit der Barrierefreiheit ernst meint, der muss mittelfristig dafür Sorge tragen, dass diese letztlich in allen Gebäuden, die in öffentlicher Trägerschaft stehen, auch hergestellt wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass mit der Herstellung von Neubauten, so wie sie im Gleichstellungsgesetz ausschließlich geregelt sind, in den nächsten fünf bis zehn Jahren kaum zu rechnen ist.

Die FDP-Landtagsfraktion hat mit ihrem Antrag vorgeschlagen, dass nach einer Übergangsfrist von 15 Jahren ab In-Kraft-Treten des Gesetzes eine solche Barrierefreiheit auch in den bereits bestehenden Gebäuden herzustellen ist. Durch diese Übergangsfrist sollen die Träger in Erfüllung des selbst gesetzten Anspruchs Vorbild bei der Herstellung von Barrierefreiheit im öffentlichen Raum sein und Planungssicherheit erhalten.

Nun kam die Frage nach der Konnexität. Da kann ich nur sagen, die Gleichstellung behinderter Menschen, lieber Wolfgang Baasch, darf kein Lippenbekenntnis bleiben.

(Beifall bei der FDP)

Wer es mit der Barrierefreiheit wirklich ernst meint, der darf gesetzliche Anforderungen nicht so einschränken, dass das Ziel der Gleichstellung in diesem Punkt faktisch leer läuft.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben uns im Sozialausschuss sehr kontrovers über diesen Punkt unterhalten. Ich bin an einer Stelle, liebe Kollegin Birk, anderer Meinung als Sie. Sie haben gesagt, das Konnexitätsprinzip führt uns beinahe dazu, dass wir auf Landesebene überhaupt nichts mehr regeln können, weil alles entsprechend Kosten auslöst. Ich bin der Auffassung, es ist richtig, dass wir das Konnexitätsprinzip haben, denn wir werden jeweils prüfen und selbst prüfen müssen, was uns das eigentlich wert ist, was wir in Gesetzesform gießen wollen.

Die FDP-Fraktion hat ganz klar gesagt, Barrierefreiheit zu schaffen, auch in bestehenden alten Gebäuden, ist uns etwas wert und deswegen soll es etwas kosten, und deswegen wollten wir die Erweiterungen. Eigentlich wollen Sie das ja auch. Sie wollen genau dassel

(Dr. Heiner Garg)