Protocol of the Session on November 13, 2002

Aus eben diesem Grund haben wir lange diskutiert - so will ich hinzufügen -, ob wir den gemeinsamen Antrag mittragen können. Was sind denn die Werte, die Kirchen und EU so eng verbinden? Auch der europäische Konvent hat sich mit diesen Fragen befasst. Im Rahmen eines Konventsplenums am 24. Juni dieses Jahres hat die Konferenz europäischer Kirchen über die Wertegebundenheit der EU referiert. Als

zentrale Werte benannte sie - ich zitiere -: die Menschenwürde, die Förderung von Frieden und Versöhnung, Freiheit und Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit, Toleranz, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und die Respektierung von Minderheiten.

Diese Werte tragen im Grundsatz dem christlichen Menschenbild Rechnung, sie spiegeln aber auch unsere säkularen Forderungen an eine humane Gesellschaft wider. Sie sind im weiten Sinne auch „kulturelle Errungenschaften“.

Die genannten Werte sind nahezu vollständig in der so genannten Grundrechtecharta enthalten. Deshalb unterstützen wir die Forderung, die Charta in den Verfassungstext aufzunehmen.

Dabei möchte ich in Klammern hinzufügen, dass diese Charta für den SSW ein großes Defizit hat, denn sie verhält sich mit keinem Wort dazu, dass Minderheitenrechte mehr sind als die Einhaltung der Menschenrechte.

Die oben genannten christlichen Werte sind das Fundament der Wertegemeinschaft, die in der EU heranwachsen soll. Das Christentum an sich ist aber kein konstitutives Element der EU.

Unser Ziel mit dem vorliegenden Antrag ist es daher gewiss nicht, Besitzstände festzuschreiben. Die Rolle der Kirchen innerhalb einer künftigen europäischen Verfassungsordnung muss auch vor dem Hintergrund künftiger EU-Erweiterungen gesehen werden.

Ich teile bestimmt nicht die Auffassung, dass eine Aufnahme der Türkei eine unlösbare Schwierigkeit darstellt. Auch das möchte ich ganz deutlich hervorheben. Insbesondere vor dem Hintergrund der stark säkularisierten Staatsordnung in der Türkei bestehen aus unserer Sicht keine grundlegenden politischen Argumente gegen eine Aufnahme eines Landes mit einer überwiegend islamischen Bevölkerung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Der wirkliche Prüfstein im Sinne eines europäischen Gesellschaftsvertrages liegt im Umgang mit Minderheiten. Ohne die praktische Akzeptanz der Schutzrechte von Minderheiten durch die Beitrittskandidaten - seien sie religiös, kulturell oder ethnisch begründet - ist ein europäischer Gesellschaftsvertrag das Papier nicht wert, das da unterschrieben wird.

Dies bedeutet aber auch die Verpflichtung eben dieser

(Anke Spoorendonk)

Minderheiten - nicht nur in der Türkei -, auf Gewalt zur Durchsetzung partieller Interessen zu verzichten.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Letztlich gibt es auch unter den verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften in der EU sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wie viel oder wie wenig die Kirchen sich in politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen engagieren sollen. Deshalb kommen wir nur weiter, wenn wir eine breite Wertediskussion führen. Konkret spricht sich der interfraktionelle Antrag dafür aus, dass die Erklärung Nr. 11 des Amsterdamer Vertrages in der künftigen EU-Verfassung verankert wird. Diese Erklärung besagt, dass das, was die Kirchen auf nationaler Ebene bereits geregelt haben, weiterhin Bestand haben soll.

Mit anderen Worten: Wir brauchen aus unserer Sicht kein einheitliches europäisches Religionsrecht. Was wir brauchen, ist die Absicherung des Prinzips der Subsidiarität. Dazu steht der SSW allemal.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man hier diese Debatte Revue passieren lässt, muss man schon sagen, dass dieser interfraktionelle Antrag offenbar Raum für höchst unterschiedliche Argumente

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

und auch Gewichtungen von Argumentationen bietet. Dass es dennoch zu einem gemeinsamen Antrag gekommen ist, ist vor dem Hintergrund dieser Debatte schon fast erstaunlich.

(Heiterkeit)

Ich will noch einmal sagen und mich ausdrücklich dem anschließen, was Herr Behm dem Herrn Greve erwidert hat. Ich teile alle Argumente, die Ausgrenzung zurückzuweisen, sehr ausdrücklich und umgekehrt teile ich alle die Argumente mit Nachdruck, die eben sozusagen dem Christentum einen Alleinvertretungsanspruch auf Werte, die in der Europäischen Union vertreten werden, nicht zuzusprechen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ich glaube, es ist wichtig, das vor dem Hintergrund dieses Antrages zu betonen.

Es kommt eben nicht darauf an, auszugrenzen und sozusagen sich nur auf die Kirchen zu fokussieren, sondern man muss den Wert der Toleranz ausdrücklich mit einbeziehen.

(Zuruf der Abgeordneten Herlich Marie Tod- sen-Reese [CDU])

- Zum eigentlichen Inhalt komme ich noch, Frau Abgeordnete; Sie müssen dies nicht gleich kritisch bewerten.

Ich finde, in jedem Fall hat der Europaausschuss mit seiner Anhörung eine sehr wichtige Diskussion auf den Weg gebracht. Diese Anhörung hat noch einmal unterstrichen, dass es bei den anstehenden Entscheidungen zum einen bei der Erweiterung und zum anderen bei der neuen Kompetenzordnung und Verfassung in Europa um wesentlich mehr geht als nur um verfassungsjuristische Fragen und auch um mehr geht als um Verhandlungen über die Höhe von Subventionen und die Dauer von Übergangsregelungen und so weiter.

Europa ist eben keine bloße technische Konstruktion für grenzübergreifende Wirtschafts- und Rechtsangelegenheiten. Es darf auch in Zukunft nicht dazu verkommen. Die Europäische Union hat zwar als Wirtschaftsgemeinschaft begonnen, jedoch kann man schon in den Beiträgen der Gründungsväter nachlesen, dass diese Gründung von Anfang an auf der Erkenntnis basierte, dass aus ihr eine europäische Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger entstehen sollte.

Was Europa gestiftet hat und es zusammenhält, ist das gemeinsame Fundament an kulturellen Traditionen und Werten mit Nationalstaaten übergreifender Gültigkeit. Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Toleranz, Mitmenschlichkeit, Humanität, Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte, gemeinsame - teilweise unterschiedliche - historische und kulturelle Traditionen, zu denen in jedem Fall die beiden christlichen Kirchen sowie die Religionsgemeinschaften gehören, sind hier zu nennen. Dieser verbindende Geist darf nicht verloren gehen. Er stiftet die eigentliche Legitimation eines vereinten Europas. Davon bin ich jedenfalls überzeugt.

In der aktuellen Verfassungsdiskussion ist es deshalb wichtig, diese verbindende Basis entsprechend zu würdigen. Staats-, Verfassungs- und Wertetraditionen

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

müssen ebenso berücksichtigt werden wie die kulturellen, die historischen und die religiösen Wurzeln. Ich betone den Plural. Auch das Verhältnis zwischen Staat und Kirche gehört natürlich hierzu. Wie wir wissen, ist dieses Verhältnis in den unterschiedlichen europäischen Ländern auch sehr unterschiedlich geregelt. Die Franzosen haben mit ihrer laizistischen Ordnung andere Vorstellungen als Länder, in denen eine Staatskirche verankert ist. Ich nenne hier die Länder Schweden oder Dänemark.

Diese unterschiedlichen Traditionen können und dürfen in einem vereinten Europa nicht in irgendeiner Weise harmonisiert, angeglichen oder egalisiert werden. Darum geht es. Das muss so erhalten bleiben können, wie es ist. Darüber müssen die Länder in eigener Zuständigkeit entscheiden.

(Beifall der Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD], Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Silke Hinrichsen [SSW])

Eine solche Vereinheitlichung ist nicht beabsichtigt, jedoch glaube ich, es ist wichtig, dies zu betonen. Die neue Verfassung Europas muss den Kirchen und Religionsgemeinschaften genau die Rechte geben, die der vorliegende Antrag benennt: Selbstbestimmungsrecht, Achtung und Dialogbereitschaft aufseiten der EU-Gremien mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Landesregierung wird sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür einsetzen, dass diese Prinzipien berücksichtigt werden.

Ich füge noch eine persönliche Bemerkung als Ministerin, die für die Kirchen und Religionsgemeinschaften verantwortlich ist, an. Ich begrüße diesen Antrag ausdrücklich. Ich finde, er gibt auch einem anderen Aspekt Ausdruck, den wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen sollten. Die Kirchen verantworten in Deutschland in Kooperation mit dem Staat in den Bereichen Bildung und Sozialarbeit, im kulturellen Bereich - von der Denkmalpflege bis zu den Künsten - und auch in den Bereichen von Wissenschaft und Forschung mit den zu führenden ethischen Diskussionen ein funktionierendes Gemeinwesen. Ich betone dies mit Nachdruck und ich möchte, dass diese Wechselseitigkeit in Europa auch in Zukunft Bestand hat. Daher bedanke ich mich ausdrücklich für diese Initiative und unterstütze sie mit Nachdruck.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, über den

Antrag in der Sache abzustimmen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dieser Antrag ist bei drei Enthaltungen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Landesförderung für Kinderbetreuung gerecht und transparent gestalten

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/2237

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/2252

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Abgeordneter Höfs das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Kinderbetreuung ist eine bedeutende Aufgabe und Herausforderung für alle Beteiligten. Das Land Schleswig-Holstein stellt für die Kinderbetreuung jährlich einen erheblichen Zuschuss zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Leistung, was die Bedeutung, die wir der Betreuung und Förderung der Kinder beimessen, unterstreicht. In diesem laufenden Haushaltsjahr sind es mehr als 50 Millionen €. Auch zukünftig werden erhebliche Mittel und Zuschüsse zur Betreuung in den Kindertagesstätten bereitgestellt werden.

In der Aufbauphase der flächendeckenden Angebote war die Orientierung der Landesförderung an den Personalkosten sinnvoll. Inzwischen führt die bisherige Förderpraxis allerdings zu ungleicher Behandlung der verschiedenen Kreise. Darüber hinaus ist das bisherige System auch etwas zu schwerfällig. Nachforderungen für Zuschüsse kommen noch Jahre später aus den Kommunen. Dieses System bietet, insbesondere was die Qualität der Angebote betrifft, keine genauen Vergleichsmöglichkeiten. Eine Finanzierung, die gerecht und transparent für alle beteiligten Träger, Gemeinden, Kreise und natürlich für die Eltern ist, ist in jedem Fall von Vorteil. Verbindliche Anforderungen an die Qualität des Angebots der Kindertagesstätten müssen auch eine vergleichbare Förderung innerhalb des Landes Schleswig-Holstein zur Folge haben. Das Finanzierungssystem muss also entsprechend den sich entwickelnden Anforderungen überarbeitet werden.

Sinnvoll ist es auch, inhaltliche Aspekte in die Neuordnung der Finanzierung einfließen zu lassen. An dieser Stelle sage ich: Das kann meines Erachtens

(Astrid Höfs)

nicht im Sinne des CDU-Antrags sein, der heute vorgelegt wurde. In der vorgesehenen platzbezogenen Förderung müssen die unterschiedlichen Öffnungszeiten Berücksichtigung finden. Gleiches gilt für die unterschiedlichen Betreuungsarten in einem Kindergarten oder einer Kindertagesstätte. Ein Platz in einer Krippe oder in einer kindergartenähnlichen Einrichtung wird anders zu bezuschussen sein als ein Platz in einem Regelkindergarten. Insbesondere der Förderbedarf, wie zum Beispiel im Bereich der Sprachentwicklung, sollte ebenfalls in jedem Falle berücksichtigt werden.