Protocol of the Session on October 11, 2002

(Beifall des Abgeordneten Torsten Geerdts [CDU])

Ich hatte es versäumt, die Ausschussüberweisung zu beantragen. Ich beantrage hiermit die Überweisung des Berichts an den Wirtschaftsausschuss und den Bildungsausschuss. Ich würde mich wirklich freuen, wenn dort noch Auskünfte nachgereicht werden würden. Dazu ist allerhand zu sagen. Gehen Sie doch einmal ins Internet, Frau Oppositionspolitikerin, und suchen Sie sich dort etwas zusammen. Wenn wir hier einen Berichtsantrag im Landtag stellen, darauf so verwiesen zu werden,

(Klaus Schlie [CDU]: Das ist eine Unver- schämtheit!)

entspricht der Qualität der Antworten auf viele Kleine Anfragen, die inzwischen in diesem hohen Haus laufen.

Ich hoffe also, dass wir in den Ausschüssen eine etwas sachlichere und weniger emotionale Debatte hinkriegen können.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung federführend dem Bildungsausschuss, mitberatend dem Wirtschaftsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:

Bericht zur geschlechtsdifferenzierten Förderung gesundheitsbezogener Leistungen

Landtagsbeschluss vom 22. März 2002 Drucksache 15/1699

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/2072

Ich erteile der Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz, Frau Moser, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landtag hat im Februar 2001 gefordert, das Prinzip des Gender Mainstreaming in allen Poli

tikbereichen zu verankern. Im Jahr darauf, im März 2002, hat er folgerichtig einen Bericht zur geschlechtsdifferenzierten Förderung gesundheitsbezogener Leistungen angefordert. Dieser Bericht liegt seit August vor und er macht deutlich, dass der Gender-Mainstreaming-Ansatz in der schleswig-holsteinischen Gesundheitsförderung und hier insbesondere im Bereich der Suchtpolitik und der Psychiatrie fest verankert ist.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Implementierung des Gender-MainstreamingAnsatzes in die verschiedenen Bereiche der Gesundheitspolitik bleibt dabei allerdings ein kontinuierlicher Prozess, der nicht irgendwann fertig und beendet ist, sondern den man wirklich immer fortschreiben muss. Dieser Prozess ist Bestandteil des vom Kabinett im Juni dieses Jahres beschlossenen Rahmenkonzepts. Danach sind die Ressorts verpflichtet, grundsätzlich bei allen politischen, normgebundenen und administrativen Maßnahmen die in diesem Rahmenkonzept festgelegten Verfahrensschritte einzuhalten.

Darüber hinaus sehe ich es auch als unsere Aufgabe an, meine Damen und Herren, unseren Partnern im Gesundheitswesen die Notwendigkeit und die Sinnhaftigkeit dieses Prinzips zu vermitteln. Ich werde darauf am Ende meines Beitrages noch einmal zurückkommen.

Frauen und Männer - das ist eigentlich eine Binsenweisheit - zeigen nämlich ein unterschiedliches Körper- und Krankheitsbewusstsein und haben deshalb auch unterschiedliche Anforderungen an das Gesundheitssystem.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Frauen gehen zum Beispiel eher zum Arzt als Männer; sie nehmen ebenfalls häufiger an Vorsorgemaßnahmen teil als Männer. Allerdings gilt das auch nur bis zu einem bestimmten Alter, nämlich bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kinder aus dem Haus sind. Dann glauben die Frauen, ihre Aufgabe als Mütter erfüllt zu haben, und meinen, sie müssten für sich selber nicht mehr so viel tun - eine sehr bedauerliche Einstellung.

Bereits bei Mädchen und Jungen sind Unterschiede im Gesundheitsverhalten ganz auffällig. Jungen äußern sich kaum über Krankheitssymptome und verdrängen diesbezügliche Ängste; Mädchen haben aufgrund der medialen Vorbilder öfter ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper und neigen unter anderem

(Ministerin Heide Moser)

zu gesundheitsschädlichen Diäten. Darüber hinaus sind Mädchen öfter als Jungen Opfer sexueller Gewalt, mit den entsprechenden körperlichen und seelischen Folgen. Sehr deutliche Unterschiede gibt es auch im Suchtverhalten. Frauen und Mädchen rauchen und trinken weniger; sie sind jedoch eher medikamentenabhängig und neigen zu Essstörungen.

Dementsprechend fördert und forciert die schleswigholsteinische Landesregierung gerade in diesen beiden zuletzt genannten Bereichen, der Suchtpolitik und der Psychiatrie, schon seit längerem einen geschlechterdifferenzierten Ansatz bei der Finanzierung von Hilfs- und Beratungsangeboten. Aber auch bei der Finanzierung von Modellprojekten in anderen Bereichen des Gesundheitswesens wie zum Beispiel BRUSTlife, einer Kampagne zur besseren Akzeptanz der Selbstuntersuchung der Brust, und bei QuaMaDi, einem Modellprojekt zur frühzeitigen Erkennung von Brustkrebs auf einem einheitlichen Qualitätsniveau, ist dieser geschlechtsspezifische Ansatz berücksichtigt und wird entsprechend finanziert.

Im Bereich des Pflegemanagements wird das Norddeutsche Zentrum zur Weiterentwicklung der Pflege in meinem Ministerium ein neues Projekt starten, das eine Gleichstellung von Frauen und Männern im Bereich des leitenden Pflegemanagements fördern soll. Denn hier ist es, wie häufig auch sonst, so, dass der Hauptanteil des Personals von Frauen gestellt wird, dass aber die leitenden Positionen von Männern eingenommen werden. Dieses, so denken wir, muss sich ändern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD sowie Bei- fall der Abgeordneten Christel Aschmoneit- Lücke [FDP])

Das Gesundheitsministerium wird im Zusammenhang mit der Erreichung eines unserer Gesundheitsziele, nämlich der Verringerung von Allergien, ein Projekt zur Untersuchung der Häufigkeit von Allergien bei Schulanfängern mitfinanzieren. Ein Ziel dieses Projekts ist auch, festzustellen, ob es geschlechtsspezifische Häufungen gibt, um dann entsprechende gesundheitsfördernde Maßnahmen zu ergreifen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

So viel zu der Förderung und zu der Geschlechtsdifferenzierung von Förderung in unserem Lande. Ich möchte jetzt einen Appell wiederholen, den die GMK ausgesandt hat. Es ist ein Appell an die Forschungseinrichtungen, sich bei anstehenden Forschungsfragen auch darum zu kümmern, dass der Unterschied zwi

schen Frauen und Männern deutlich gemacht wird, dass die unterschiedliche Ausprägung von Krankheitsentstehung, Krankheitsverlauf und Krankheitsbehandlung ins Auge gefasst wird und dass zukünftig insgesamt geschlechtsspezifische Fragen stärker bedacht werden. Wir brauchen diese Forschung und ihre Ergebnisse, um adressatengerechte Gesundheitspolitik gestalten zu können.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine weitere Bemerkung zur Adressatengerechtigkeit. Neben der geschlechtsspezifischen Versorgung wird zukünftig auch die schicht- und milieuspezifische Versorgung zunehmend an Bedeutung gewinnen. Diese beiden Felder lassen sich auch gut miteinander verbinden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die antragstellende Fraktion hat die Frau Abgeordnete Schümann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Gender Mainstreaming“ lautete die Forderung der UNKonferenzen der 90-er Jahre. In allen Lebensbereichen soll der Realität beider Geschlechter Rechnung getragen werden. Die politischen Entscheidungen haben sich an diesem Anspruch zu orientieren. Die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking hat diese Forderung differenziert für den Bereich Frauen und Gesundheit formuliert.

In Deutschland ist der Begriff „Frauenheilkunde“ geläufig. Unvoreingenommene könnten daraus schließen, dass es sich hierbei genau um diese gender-orientierte Betrachtung handelt. In Wirklichkeit beinhaltet das Fach Frauenheilkunde nur Erkrankungen der Unterleibsorgane der Frau, ihres Hormonhaushaltes, ihrer Brust sowie Fragen der Familienplanung. Alles andere, also weitere Stoffwechselerkrankungen, das Herz- und Kreislaufsystem und andere Felder, bleiben außen vor. Der Gender-Ansatz, richtig umgesetzt, würde bedeuten, dass alle Medizinfächer angeführt werden: Orthopädie, Urologie, innere Medizin, Chirurgie oder Psychiatrie - und das sowohl in der geschlechtsabhängigen Anamneseerhebung als auch in der Therapie.

Die Kinderheilkunde kann in diesem Zusammenhang als Modell dienen. Aus der Erkenntnis, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, umfasst sie das gesamte Spektrum möglicher Erkrankungen unter

(Jutta Schümann)

den Bedingungen des kindlichen Organismus und nicht nur ein paar typische Kinderkrankheiten. Genauso muss die wachsende Erkenntnis, dass sich Frauen und Männer in der Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit und in der Inanspruchnahme von gesundheitlichen Vorsorgeleistungen unterscheiden, eine geschlechterspezifische medizinische Versorgung zur Folge haben - und das übrigens bis in das hohe Alter und in die Pflegesituation herein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der vorgelegt Bericht gibt sehr anschaulich wieder, in welchen Bereichen Maßnahmen eingeleitet wurden beziehungsweise zukünftig etabliert werden sollten, um dem Anspruch einer geschlechtergerechten gesundheitlichen Versorgung in Schleswig-Holstein Rechnung zu tragen. Der Bericht belegt, dass bereits die bisherige Politik der Landesregierung darauf ausgerichtet ist, Diskriminierung zu verhindern und die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen - und das nicht erst seit „Gender“.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen, Frau Ministerin Moser, und bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die ebenso zügige wie ausführliche Behandlung dieses Berichtsantrags.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Sie sind schon auf sehr viele Aspekte eingegangen. Ich möchte jetzt einige Stichworte aus dem Bericht kurz hervorheben.

Zu den Stichworten Gesundheitsberichterstattung und Fachplanung. In der Gesundheitsberichterstattung erfolgt eine Differenzierung nach Geschlecht und Alter, sodass derzeit auch eine differenzierte Betrachtung nach Lebensphasen möglich ist. Lebenswelt- und biographieorientierte Ansätze wie im Landesaltenplan und im Fachplan Gerontopsychiatrie sind ebenfalls geeignet, geschlechtstypische Fragestellungen aufzuwerfen. Der Bericht weist darauf hin, dass möglicherweise bei Frauen und Männern unterschiedliche Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen, Lebensbedingungen, Gesundheitszustand und Versorgungsbedarf bestehen. Von daher wird künftig eine verbesserte Zusammenführung der Daten erfolgen. Ich finde, das, was Sie zum Schluss gesagt haben, dass wir nämlich zukünftig eine milieuspezifische Anwendung von Gesundheitsversorgung brauchen, ist durchaus überzeugend und passt in diesen Kontext.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Zum Stichwort Förderrichtlinien. Im Psychiatrie- und Suchtbereich liegt eine Richtlinie zur Förderung psychosozialer Hilfen der Suchtprävention und Suchtkrankenhilfe vor. Sie macht ein Konzept, das sich an den Leitlinien - ich zitiere - „für frauengerechte Angebote orientiert“, zur Zuwendungsvoraussetzung. Im Bereich der Modellversuche verweist der Bericht auf Brustkrebsinitiativen; Sie haben es gerade erwähnt. Ich darf deutlich machen: Diese Brustkrebsinitiativen haben inzwischen, auch bundesweit, eine sehr hohe Anerkennung gefunden. Sie werden von uns aber häufig nicht in der Form beachtet, wie sie eigentlich beachtet werden sollten. Ich möchte das an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal betonen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Außerdem wird bei der Anschubfinanzierung von Kriseninterventionsdiensten auf geschlechtsspezifische Belange geachtet.

Zum Stichwort Suchthilfe, das Sie ebenfalls erwähnt haben. Die Beachtung geschlechtsbezogener Unterschiede sieht die Landesregierung als Grundvoraussetzung für eine angemessene und wirksame Beratung und Behandlung bei Suchtproblemen an. Besonders erwähnt werden die Fort- und Weiterbildung, das Dokumentationssystem und die Leitlinien für frauengerechte Angebote in Psychiatrie und Suchthilfe.

Zur Koordinierung der geschlechtsspezifischen Angebote verweist der Bericht auf die übergreifende Funktion der Landesstelle gegen die Suchtgefahren. Außerdem haben wir in Schleswig-Holstein ein Spezifikum: Es gibt eine feministische Beratungsstelle, die den Namen „donna klara“ trägt. Dieser Name erregt immer ein bisschen Aufmerksamkeit. Die Arbeit, die unter diesem Namen geleistet wird, ist ausgezeichnet. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch den Landesarbeitskreis „Frau und Sucht“ erwähnen.

Auf meinem Zettel stehen noch mehrere Stichworte. Wir werden das im Ausschuss sicherlich weiter vertiefen. Dem Fazit des Berichts, dass Gender Mainstreaming nicht nur hilft, Diskriminierung abzubauen, sondern auch bei zielgenauen Entscheidungen das richtige Instrument ist und damit ökonomische Vorteile bietet, kann ich nur beipflichten.