Protocol of the Session on October 10, 2002

Zu hohe Arbeitskosten, zu hohe Steuern und zu viel Regulierung beruhen auf staatlichen Entscheidungen, mittelstandsfeindlichen Entscheidungen dieser Landesregierung oder auf mittelstandsfeindlichen Entscheidungen zweier Bundesregierungen, die diese Landesregierung nicht bekämpft, sondern sie sogar noch vollmundig unterstützt hat. Selbstverständlich gehen die Probleme des Mittelstandes nicht nur auf die rot-grüne Regierung zurück; auch die christlichliberale Bundesregierung hat sich seit der Wiedervereinigung nicht gerade mit wirtschaftspolitischem Ruhm bekleckert. Aber sie ist seit über vier Jahren nicht mehr im Amt und die jetzige und neue Bundesregierung hat das Meiste noch schlimmer gemacht. Die Landesregierung in Schleswig-Holstein trägt seit 14 Jahren Verantwortung. Sie kann sich auf überhaupt keine politischen Erblasten von Vorgängerregierungen mehr berufen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn sich der Wirtschaftsminister hier oder im Ausschuss oder in der Öffentlichkeit präsentiert, als wäre er der Heilsbringer des schleswig-holsteinischen Mittelstandes, als wäre diese Landesregierung der Hort der wirtschaftspolitischen Vernunft,

(Beifall bei der SPD)

- ich habe im Konjunktiv gesprochen, liebe Kolleginnen und Kollegen -, dann reicht die Bezeichnung „Verzerrung der Wirklichkeit“ nicht mehr aus, um dies sachlich angemessen zu bewerten.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Der Wirtschaftsminister hat der Bundesregierung Anfang Oktober einen Katalog von Forderungen für mittelstandsfreundliche Reformen übermittelt: sichere Kreditversorgung, mittelstandsfreundliche Steuerreform, niedrige Lohnnebenkosten, flexiblerer Arbeitsmarkt, weniger Regulierung, Reform der sozialen Sicherung. „Hört! Hört!“ kann ich dazu nur sagen. Alles ganz hervorragend. Aber das fordert ein Wirtschaftsminister, der jedesmal lautstark dagegen anredete, wenn die Opposition hier im Landtag eine dieser Forderungen erhob.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Christel Aschmoneit-Lücke)

Das fordert jetzt ein Wirtschaftsminister, der sich anscheinend weder im eigenen Kabinett noch im Bundesrat getraut hat, die Hand auch nur gegen eine mittelstandsfeindliche Maßnahme der rot-grünen Bundesregierung zu erheben,

(Martin Kayenburg [CDU]: Sehr richtig!)

Maßnahmen, die genau die Missstände, die er jetzt anprangert, ganz erheblich verschlimmert haben. Im Gegenteil, er hat die Hand immer erhoben, um den Verschlechterungen der Bedingungen des Mittelstandes zuzustimmen. Wenn der Kollege Schröder eben noch einmal das Tariftreuegesetz als mittelstandsfreundlich gelobt hat, dann kann ich nur sagen: Auch da hat der Wirtschaftsminister kräftig zugestimmt.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind der Auffassung: Dieses Gesetz schnürt den Mittelstand weiter ein.

Den jetzt zumindest vorgespielten Sinneswandel eventuell mit der Erkenntnis erklären zu wollen, die Vernunft habe gesiegt und man wolle die mittelstandsfeindlichen Geister wieder loswerden, die man selbst gerufen hat, könnte mich leider kaum überzeugen. Dafür ist die wirtschaftspolitische Sündenliste dieser Landesregierung und dieses Wirtschaftsministers zu lang. Wahrscheinlich deswegen kommt der angeblich beste wirtschaftspolitische Geisterjäger, der die Geister für Rot-Grün wieder einfangen soll, ja aus Nordrhein-Westfalen und nicht aus Schleswig-Holstein.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Genau! Hört! Hört!)

Trotzdem trifft der Forderungskatalog selbstverständlich genau die Probleme des Mittelstandes; die Verwirklichung dieser Forderungen würde den Mittelstand ganz erheblich helfen und die wirtschaftliche, die finanz- und sozialpolitische Leistungsfähigkeit Deutschlands merklich steigern. Deswegen fordern wir diese Maßnahmen auch schon jahrelang, aber bis jetzt hat Rot-Grün deren Notwenigkeit und deren Zweckmäßigkeit immer verneint und entsprechend mittelstandsfeindlich gehandelt.

Wir hoffen auf eine wesentliche Änderung. Wir wollen diese wesentliche Änderung der Politik. Wir werden sie selbstverständlich unterstützen. Aber ich befürchte nach wie vor - bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ich eines Besseren belehrt werde -, dass wir zwar hoffen können, dass wir diese Politikänderung aber nicht wirklich erwarten können. Ich wäre sehr froh, wenn wir heute hier alle gemeinsam sagen könnten: Wir unterstützen den Wirtschaftsminister jetzt in

seinen Forderungen in Richtung Berlin. Dann könnten wir hier noch einmal richtig Schub geben.

(Beifall bei FDP und CDU sowie der Abge- ordneten Hermann Benker [SPD] und Fried- rich-Carl Wodarz [SPD])

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon interessant, dass sich dann, wenn wir eine Debatte über ein Mittelstandsförderungsgesetz führen, das von der CDU vorgelegt worden ist, die Debatte im Wesentlichen um einen Fünf-PunkteKatalog des Wirtschaftsministers dreht, den er vorgelegt hat, um die Probleme des Mittelstandes zu reduzieren. Das sagt auch etwas über den vorgelegten Gesetzentwurf aus. Aber dazu komme ich später. Im Gegensatz zu den Versuchen, den Landtag in den mittelstandsfeindlichen Teil auf der linken Seite und den mittelstandsfreundlichen Teil auf der rechten Seite aufzugliedern,

(Martin Kayenburg [CDU]: Was zumindest wahr ist!)

glaube ich, dass es im Schleswig-Holsteinischen Landtag über die Wichtigkeit der Mittelstandspolitik der Landesregierung überhaupt keine Differenzen gibt.

Tatsächliche Unterschiede in der Bewertung der einzelnen Maßnahmen gibt es - wie man konstatieren muss - zwischen der schleswig-holsteinischen Landespolitik und der Bundespolitik, wie sie von der vorigen und der vorvorigen Regierung gemacht worden ist. Das stelle ich fest. Das haben wir immer wieder festgestellt. Es gibt unterschiedliche Bewertungen in der Bedeutung des Mittelstandes, der Großindustrie und der Wirtschaft.

Es sind zwar keine grundsätzlichen Unterschiede, aber doch sehr starke Unterschiede in den Nuancen. Das liegt daran, dass die großen Wirtschaftsbetriebe, die Banken und die Industrie in anderen Bundesländern natürlich eine dominante Rolle spielen, während wir in Schleswig-Holstein kaum große Betriebe haben und Schleswig-Holstein im Wesentlichen von kleinen und mittleren Betrieben geprägt ist. Daher stellt die Wirtschaftspolitik dieses Landes wesentlich stärker auf kleine und mittlere Betriebe als in anderen Bundesländern ab. Das ist gut so, macht aber deutlich, dass es unterschiedliche Bewertungen geben muss.

(Karl-Martin Hentschel)

Die besondere Betonung der kleinen und mittleren Betriebe in Schleswig-Holstein, die wir immer wieder in die Bundespolitik eingebracht haben, die auch von allen Parteien immer wieder in die Bundespolitik eingebracht worden ist - was mich freut -, stößt natürlich nicht immer auf das Verständnis, das wir uns wünschen würden. Das sage ich ganz offen. Das ist ein Problem. Deswegen begrüße ich auch die Initiative des Wirtschaftsministers, zusammen mit einer Reihe anderer Bundesländer genau in diesem Punkt eine gemeinsame Position zu beziehen und eine Initiative in Richtung Berlin zu starten.

Die kleinen und mittleren Betriebe brauchen eine mittelstandsfreundliche Steuerreform. Dazu gehört nicht nur die Frage der Steuern, sondern in ganz besonderer Weise auch die Senkung der Lohnnebenkosten. Die Ökosteuer hat einen Beitrag dazu geleistet. Alle personalintensiven Betriebe profitieren von der Senkung der Rentenversicherungsbeiträge von 20,3 auf 19,1 % aus den Erträgen der Ökosteuer.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Die steigen doch!)

Diese Betriebe haben besonders unter den hohen Lohnnebenkosten zu leiden. Wer die Ökosteuer weg haben will, wie das von der Union im Wahlkampf formuliert wurde, muss auch sagen, was mit den Rentenbeiträgen passieren soll. Das ist nirgendwo geschehen.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Ein weiterer entscheidender Punkt für die mittelständische Wirtschaft sind günstige Kredite und Eigenkapital. In Bezug auf die Kreditvergabe haben die Ergebnisse zu Basel II gezeigt, dass zwar einerseits die befürchteten Verschärfungen der Kreditbedingungen nicht so eintreffen, aber die Banken andererseits aufgrund der Bewertungsverfahren von sich aus den Zugang zu günstigen Krediten erschweren, sodass wir an diesem Problem vonseiten des Landes nachhelfen müssen. Das wird über Technologieförderprogramme, die Bürgschaftsbank sowie die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft geschehen. Das alles sind Instrumente, um die Finanzierungsmöglichkeiten der kleinen und mittleren Betriebe zu stärken und ihnen zu helfen, in schwierigen Situationen über Engpässe hinwegzukommen.

Ich habe den Gesetzentwurf der CDU-Fraktion aufmerksam gelesen. Dabei haben sich mir die großen revolutionären Änderungen für die Mittelstandsförderung nicht erschlossen. Vieles, was postuliert wird, machen die Landesregierung und Minister Rohwer bereits: Förderung der Fortbildung, Existenzgründung, Betriebsübernahme, Zuschüsse, Bürgschaften, Unterstützung der Kooperation von neuen Betrieben.

Das alles wird schon gemacht. Was aber ist neu daran? Beteiligung an Messen, Erschließung ausländischer Märkte, mittelstandsfreundliche Ausschreibungen - alles das ist Handeln der Landesregierung.

Gefreut habe ich mich über die einschränkenden Formulierungen der CDU-Fraktion. Wenn man einen Gesetzentwurf entwirft, stellt sich natürlich die Frage, welche Konsequenzen und Leistungsansprüche sich daraus ergeben. Aus dem Gesetzentwurf der CDUFraktion ergeben sich keine Konsequenzen und keine Leistungsansprüche. Dieser Gesetzentwurf sagt an allen Stellen, wo es relevant wird, dass es keinen Rechtsanspruch auf Fördermaßnahmen gibt. Es werden keine Zahlen genannt. Es werden keine Kriterien genannt. Das ist auch gut so. Ich finde es völlig richtig, dass man das nicht tut. Das gehört in Ausführungsbestimmungen. Dann stellt sich aber die Frage, wozu man einen neuen Gesetzentwurf braucht.

Wirtschaftsminister Dr. Bernd Rohwer hat zusammen mit NRW, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern eine Initiative gestartet und einen Katalog mit fünf Kernpunkten aufgestellt, den ich überzeugend finde. Ich habe schon etwas zur Kreditversorgung der KMU gesagt. Ich habe etwas zur mittelstandsfreundlichen Steuerreform gesagt. Wir brauchen eine steuerliche Gleichstellung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Darüber sind wir uns einig. Wir brauchen bei den Personengesellschaften mindestens eine steuerliche Gleichstellung von Gewinnen, die im Unternehmen bleiben, und Gewinnen, die ausgeschüttet werden. Es wäre sogar begrüßenswert, wie es Minister Dr. Rohwer neulich formuliert hat, Gewinne, die in den kleinen und mittleren Betrieben bleiben, besser zu behandeln, weil wir im Vergleich mit den angelsächsischen Ländern einen dringenden Bedarf haben, die Eigenkapitalbasis unserer Betriebe zu stärken und dies auch steuerlich zu erleichtern. Dazu sind bei der letzten Steuerreform erste Schritte gemacht worden.

Es ist richtig, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gerade in Bezug auf kleine Betriebe bis 20 Beschäftigte anzusprechen. Ich habe nach den Gesprächen in meiner Partei Probleme, den Kündigungsschutz aufzuheben und dort eine generelle Kehrtwendung einzuleiten. Persönlich sehe ich aber durchaus, dass wir gerade bei den kleinen Betrieben bis 20 Beschäftigten - insbesondere bei den Handwerksbetrieben in Schleswig-Holstein - zu einfacheren Regelungen kommen sollten. In Gesprächen auch mit befreundeten Handwerksmeistern wird mir immer wieder gesagt: Ich würde jetzt kurzfristig gern einmal jemanden einstellen, aber ich weiß überhaupt nicht, wie lange ich ihn beschäftigen kann. Es lohnt sich einfach nicht. Es wird versucht, Notlösungen zu fin

(Karl-Martin Hentschel)

den: Zwar arbeitet jemand als Selbstständiger, aber natürlich im Auftrag des anderen Unternehmens, was ja keine richtige Selbstständigkeit ist. Ich halte es für sinnvoll, an diesen Punkten zu Veränderungen zu kommen. Auch da unterstütze ich den Wirtschaftsminister.

Wenn ich einen internationalen Vergleich anstelle und nach Skandinavien und den Niederlanden schaue, stelle ich fest, dass soziale Sicherheit ein Standortfaktor ist. Soziale Sicherheit ist ein wichtiger Faktor für Deutschland. Länder mit sozialer Sicherheit wie die skandinavischen Länder und die Benelux-Staaten, in denen europäische Standards gelten, haben ihre Wettbewerbsfähigkeit bewiesen. Es ist erstaunlich, dass gerade die skandinavischen Länder in den letzten Jahren ihre Wettbewerbsfähigkeit gestärkt haben, trotz einer deutlich höheren Steuerquote als Deutschland und trotz eines ausgeprägten sozialen Sicherheitssystems, durchaus aber mit flexibleren Regelungen. Das muss man auch dazu sagen. Daraus können wir lernen. Daraus sollten wir lernen. Deshalb: keine generelle Kehrtwendung in der Frage der sozialen Sicherheit, sondern Betonung des Standortfaktors, aber Flexibilisierung und Liberalisierung in Einzelregelungen, gerade was kleine Betriebe anbelangt.

Ein letzter Punkt: Es geht um die Frage der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Ich unterstütze die Heraufsetzung der Grenze auf 500 €. Das grundsätzliche Problem besteht aber darin, dass wir weiterhin eine Grenze haben, an der es sich praktisch nicht mehr lohnt, zusätzliche Stunden zu arbeiten. Dies Problem kann meiner Ansicht nach nur durch eine flexible Übergangszone gelöst werden.

(Glocke des Präsidenten)

Wir brauchen im Sozialversicherungssystem genauso wie im Steuersystem - -

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ja, ich komme zum Schluss. - Genauso wie im Steuersystem brauchen wir einen Freibetrag und eine Progressionszone, damit es keinen bruchartigen Übergang gibt.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Mein letzter Satz: Wir werden den Gesetzentwurf im Wirtschaftsausschuss beraten und uns ausführlich mit dem Entwurf der CDU auseinander setzen.

Wir sehen zwar nicht Neues, aber immerhin ist es der CDU gelungen, dazu eine Pressekonferenz durchzuführen und gute Überschriften zu bekommen. Auch das ist etwas Schönes.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)