Protocol of the Session on May 16, 2002

All diese Alternativen, meine Damen und Herren, würden von der rot-grünen Landesregierung und von der sie tragenden Parlamentsmehrheit allerdings Entscheidungen verlangen, die aus diversen ideologischen und auch anderen Gründen oder Interessen heraus in der gegenwärtigen Regierungskonstellation nicht realisierbar sind. Solche Entscheidungen scheut die rotgrüne Truppe wie Teufel das Weihwasser. Deshalb geht sie einen Weg, der mit so enormen Risiken behaftet ist, dass man wirklich auf ein Wunder hoffen muss, wenn man auf diesem Wege erreichen will, dass die Universitätskliniken Schleswig-Holsteins unbeschadet überstehen.

Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf wird mit Sicherheit in den zuständigen Ausschüssen - im Bildungsausschuss und im Sozialausschuss sowie im Gesundheitsausschuss - des Landtages intensiv beraten werden. Wir werden in diesen Beratungen auf eine Fülle von Punkten zurückkommen müssen, die in der ersten Lesung nicht im Detail angesprochen werden können. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Name „Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein“ verpflichtet - das ist die Überschrift für unsere Beurteilung der bundesweit und international wirklich einmaligen Aktion, zwei Krankenhäuser der Maximalversorgung in zwei Städten, die wenig mehr als eine Autostunde voneinander entfernt liegen, nun zu einem gemeinsamen Forschungs- und Studienstandort zusammenzuschließen

(Thorsten Geißler [CDU]: Ein wichtiger Ge- sichtspunkt!)

und gleichzeitig deren Aufgaben aufrecht zu erhalten.

Nicht die Studierenden sollen allerdings zukünftig reisen, sondern die Lehrenden und das ist aus unserer Sicht auch die einzig praktikable Lösung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber erst, wenn die A 20 gebaut ist!)

Ein Hintertürchen lässt die Landesregierung dabei allerdings offen. Sie stellt die Streichung eines Vorklinikums der zukünftigen Klinikleitung anheim, wenn ich richtig zwischen den Zeilen lese: Wir finden eine Entscheidung. Ob dies richtig ist, sollte allerdings nicht die Uni oder das Klinikum entscheiden, sondern der Landtag.

Ich möchte an dieser Stelle an die Opposition gerichtet deutlich sagen: Wenn Sie hier Kritikpunkte - berechtigt oder unberechtigt - an diesem Fusionsmodell vorbringen, dann müssen Sie sich klar machen: Die Alternative in unserer Haushaltssituation ist die Schließung eines der beiden Uniklinikstandorte. Dies muss man sich vor Augen halten. Wir befinden uns nicht im luftleeren Raum, sondern müssen hier einen Weg gehen, der tatsächlich die Qualitäten beider Standorte erhält und der sehr sorgsam abwägt, was möglich ist und was nicht.

Die Landesregierung hat sich vorgenommen, keine betriebsbedingten Kündigungen zu veranlassen. Sie visiert die Einsparung von 25 % der Medizinstudienplätze an. Am Standort Lübeck ist schon ein Schritt in diese Richtung gegangen worden. Auch wenn wir gerade immer wieder eine solche Reduzierung der Zahl der Medizinstudienplätze gefordert haben, so wäre es natürlich zu kurz gegriffen, wenn wir die Umwandlung der Uniklinika in ein Haus nur als Sparoperation betrachten würden. Ebenso greift der Vorwurf seitens der Opposition zu kurz, mit dem sie das ganze Thema auf den Wettlauf der Klinikleitungen Lübeck und Kiel um den Verwaltungssitz reduziert.

Was sind für uns nun wichtige Maßnahmen? Einmal geht es um die Profilierung der Forschungsschwerpunkte. Dann geht es um das, was alle Krankenhäuser leisten müssten: neues Klinikmanagement, Fallkostenpauschalen und andere privatrechtliche Anreize für eine Optimierung der Gesundheitsversorgung. Wir werden das neue Rechts- und Geschäftsverhältnis zwischen Klinik, Universität, ihrer Fakultäten, Landesregierung, Krankenkassen, Drittmittelgebern und weiteren Kooperationspartnern sehr genau zu prüfen haben. Darauf werde ich gleich noch ein wenig eingehen. Schließlich ist es für uns selbstverständlich, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern kein Desiderat ist, was wir auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben können. Herr Dr. Klug, Ihre Analyse ist falsch. Bisher haben die Kliniken nur ehrenamtliche Gleichstellungsbeauftragte und die Universitäten haben hauptamtliche Frauenbeauftragte.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die behalten sie ja auch!)

Mit der Schaffung einer hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten würde dieses Defizit abgestellt.

(Angelika Birk)

Die im Gesetz zitierten örtlichen Gleichstellungsbeauftragten sind die neben- und ehrenamtlichen Beschäftigten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie wäre es denn mit der Zulassung eines Controllers? Das wä- re doch was!)

Man sollte also noch einmal genau auf den Gesetzentwurf schauen, bevor man mit der Kritik anfängt.

Uns ist es aber auch ganz wichtig, den Kontext zu betrachten, vor dem wir dieses Thema diskutieren. Die Gesundheitsdienstleistungen werden im Augenblick bundesweit neu bewertet. Da gibt es einmal die Arbeitszeitproblematik im Krankenhaus - sowohl in der Pflege als auch bei der Ärzteschaft. Das hat dazu geführt, dass viele Ärzte in andere Berufsfelder außerhalb des Krankenhauses, zum Beispiel in die Pharmaindustrie, abwandern, weil sie die Arbeitsbedingungen - nicht nur das Gehalt, sondern vor allem auch die Arbeitsbedingungen - nicht mehr attraktiv finden. Ich glaube es ist nicht zufällig, dass dieser Prozess gerade dann einsetzt, wenn mehr Frauen in diesem Beruf Fuß fassen. Sie wollen ihr Leben nicht im 36-StundenErwerbsarbeitstakt verbringen, sondern sind verantwortungsvoll genug zu sagen, dass sie andere Arbeitszeiten brauchen.

Wie kostenneutral oder wie kostenträchtig das ist, wird im Augenblick auf Bundesebene - beispielsweise zwischen den Ärzteverbänden und den Arbeitgebern ausgehandelt. Aber es wird natürlich auch für die Klinika in Lübeck und Kiel und für das neue Universitätsklinikum Schleswig-Holstein nicht ohne Folgen bleiben.

Zudem haben wir in diesem Landtag die Volksinitiative für eine humane Pflege diskutiert, was nicht ohne Folgen bleiben kann. Wir glauben, dass beides zusammen - die inhaltliche Neuorientierung des Medizinstudiums wie auch die Verankerung der Pflege im Gesetz - zumindest nicht behindert werden darf. Im Gegenteil: Das muss gefördert werden. Transparenz und Dynamik, interne Demokratie und Mitbestimmung sind für uns weitere wichtige Parameter.

Daher möchte ich jetzt in einer ersten Bewertung auf einige Dinge näher eingehen. Wir finden es sehr gut, dass das neue Arztbild - gerade auch das der leitenden Ärzte - auf neue vertragliche Füße gestellt wird. Nicht die nebenamtliche Praxis für Privatpatienten, die häufig eine wichtige, wenn nicht sogar die Haupteinnahmequelle für Chefärzte ist, soll künftig leitendes Motiv sein. Vielmehr soll alles, was in den Kliniken geschieht, in das Budget der Klinik hineinfließen. Dann wird eine leistungsorientierte Auszahlung an diejenigen erfolgen, die die Leistung auch tatsächlich er

bringen. Das halten wir für einen wichtigen Fortschritt, der ja auch bundesweit so vereinbart ist. In Schleswig-Holstein soll er konsequent zur Anwendung kommen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die Chefärzte werden alle hier hinströmen!)

- Herr Kubicki, Sie nerven mit Ihren unqualifizierten Zwischenbemerkungen! Nun hören Sie doch wenigstens einmal zu!

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wenn Sie doch etwas Inhaltliches sagen würden!)

Es ist also sehr entscheidend, wie die von mir angesprochenen Verträge gestaltet werden. Dazu sollten wir im Ausschuss kritisch nachfragen und Sachverständige anhören. Denn die Leistungsparameter werden dabei entscheidend sein. Es kann nämlich nicht so sein, dass sich das Budget einer Klinik allein danach bemisst, wie viele Privatpatienten sie organisieren kann.

Darüber hinaus haben wir ein ganz wichtiges Thema, nämlich die Inhalte des Medizinstudiums. In diesem Feld haben wir endlich neue bundespolitische Parameter. Ich kann nicht auf die Details eingehen, aber es besteht die Hoffnung, dass wir endlich zu einem problemorientierten und institutsübergreifenden Medizinstudium kommen. Unser Medizinstudium in Deutschland ist nämlich keineswegs effizient organisiert. Auf die Details werden wir im Ausschuss eingehen. Fakt ist jedenfalls, dass Lübeck in diesem Bereich neue Wege geht. Dort wurde in ersten Versuchen begonnen, zu einem von Anfang an problemorientierten Medizinstudium zu kommen. Diese Wege gilt es zu unterstützen. Insofern müssen wir prüfen, inwieweit der vorliegende Gesetzentwurf diesem Ansinnen entgegenkommt. Ein ganz wichtiger Punkt ist die Pflege. Im Bereich der Pflege sind wir bisher mit dem Vorstand der beiden Klinika insofern ganz gut bedient, als dass das geht auf eine Initiative aus der letzten Legislaturperiode zurück - die Pflegedirektorin beziehungsweise der Pflegedirektor Sitz und Stimme im Vorstand hat.

(Martin Kayenburg [CDU]: Ob das nun so richtig ist!)

Das ist im neuen Gesetz nicht mehr so vorgesehen. Ich glaube, Frau Erdsiek-Rave, es ist nicht zeitgemäß, was Sie an diesem Punkt vorschlagen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das sehe ich aber ganz anders!)

Fast alle großen Klinika, auch die Universitätsklinika, in Deutschland haben inzwischen die Aufwertung der

(Angelika Birk)

Pflege vollzogen. Die Zeiten, in denen die Krankenschwester zum Chefarzt aufblickte, sind vorbei.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Wir brauchen Pflegewissenschaft. Es ist bedauerlich, dass es am Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein keine Hochschule gibt, die dieses Fach anbietet.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sie können das eine doch schon nicht finanzieren!)

Unser Desiderat ist es daher, Medizinstudienplätze zugunsten von mehr Pflegewissen abzubauen. Das darf nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden, sondern muss für den Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein realisiert werden.

(Martin Kayenburg [CDU]: Unglaublich!)

Deswegen fordern wir auch, dass die Pflegedirektorin und der Pflegedirektor - das wird in Zukunft, weil es ja keine zwei Klinika mehr geben wird, nur noch eine Person sein - weiterhin im engeren Vorstand vertreten sind. So wird das in anderen modernen Kliniken schon längst praktiziert.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Es geht dabei um den größten Beschäftigungssektor in der Klinik; es geht um große Zahlen. Aber es geht natürlich auch um die Pflegequalität. Wenn wir uns in Schleswig-Holstein sehr ernsthaft mit der Frage auseinander setzen, ob wir humane Pflege in der Landesverfassung erwähnen, dann ist es konsequent, das auch in der Praxis umzusetzen.

Wir haben im Übrigen sehr genau zu prüfen, wie Fakultät und Klinikleitung miteinander verzahnt sind. Ich verweise an dieser Stelle - ich habe nicht mehr so viel Zeit, ausführlich zu zitieren - auf die Begründung des Gesetzentwurfes in der Drucksache 15/1839 und dort auf die Seiten 34 und 35:

„Der Zuschuss für die Grundausstattung von Forschung und Lehre im Klinikum wird nämlich künftig zusammen mit den Zuschüssen für die Vorklinika und für die Lehrkrankenhäuser die Studienplatzkapazität festlegen. Der ungeteilte Zuschuss würde zu politisch nicht gewollten Studienplatzzahlen führen.“

Es ist also eine wichtige Reform. Weiter heißt es:

„Der Zuschuss für Forschung und Lehre wird deshalb den Fakultäten gewährt. Der Vorstand des Klinikums ist zuständig und verantwortlich für die Ausgeglichenheit von Wirtschaftsplan und Jahresabschluss. Der

Zuschuss zur Deckung der Trägerkosten steht dementsprechend dem Klinikum zu...

Das Klinikum verpflichtet sich, in den Kliniken und Instituten eine bestimmte Grundausstattung für Forschung und Lehre vorzuhalten. Die Fakultät verpflichtet sich im Gegenzug, dem Klinikum den dafür bestimmten Teil des Landeszuschusses zur Verfügung zu stellen. In der Vereinbarung regeln die Vertragspartner, nach welchen Kriterien der Vorstand die Mittel verteilt, wofür die Mittel in den Einrichtungen des Klinikums verwendet werden sollen und wie der Vorstand die Verwendung der Fakultät gegenüber nachweist.“

Schon daran sieht man, wie wichtig die Funktion des Vorstands ist; das hat ja auch Herr Dr. Klug gesagt. Daher ist es dann auch entscheidend, dass beispielsweise die Pflege an dieser Stelle mitreden kann.

„Da das Gesetz den Vertragspartnern keine Bindungen auferlegt, können sie auch weiter gehende Rechte, zum Beispiel Mitwirkungsrechte der Fakultäten bei Einzelfallentscheidungen vereinbaren. Dies könnte sich für Ausstattungsverhandlungen mit Bewerberinnen und Bewerbern für Professuren empfehlen.“